Rede von Hubertus Heil zum Bundeshaushalt Wirtschaft


Präsident Dr. Norbert Lammert:

Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Hubertus Heil das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her¬ren! Herr Minister Brüderle, nach Ihrer Rede kann man sagen: Man kann Ihnen viel nachsagen, aber zwei Eigen¬schaften nicht, nämlich Dankbarkeit und Demut. Sie sollten dankbar dafür sein, dass die Vorgängerregierung die Maßnahmen ergriffen hat, die Deutschland durch die Krise gebracht haben: die Konjunkturpakete, die Rege-lungen bei der Kurzarbeit. All diese Grundlagen hat die Große Koalition gelegt, und zwar auf Vorschläge von so¬zialdemokratischen Ministern hin, von Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Olaf Scholz. Jetzt stellen Sie fest, dass wir besser durch die Krise gekommen sind, als zu erwarten war.
Herr Minister Brüderle, Sie sollten demütig sein, weil Sie als Oppositionspolitiker gegen jede dieser Maßnah¬men zu Felde gezogen sind. Herr Brüderle, Sie haben mit dem Aufschwung nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sich hier mit fremden Federn zu schmücken, ist das eine. Wenn man sich anschaut, was Sie in den letzten Mona¬ten zustande gebracht haben, dann kann man nur sagen, das Brüderle-Prinzip sah bis dato so aus: Sie haben et¬was Wildes angekündigt, aber keiner musste sich Sorgen machen, weil es doch nicht gekommen ist.

(Zuruf von der FDP)

Ein Beispiel dafür gab es im Herbst letzten Jahres, als es um das Thema Kreditklemme ging. Sie schlugen wie Kai aus der Kiste vor, dass die Kreditanstalt für Wieder¬aufbau auch ein Hausbankprinzip haben sollte. Alle Fachleute haben den Kopf geschüttelt, aber keiner musste sich Sorgen machen; denn das war ja nur eine Ankündigung.
Ein paar Wochen später kamen Sie auf die glorreiche Idee, ein Entflechtungsgesetz für die Wirtschaft anzu¬kündigen. Gott sei Dank ist das über den Referentensta¬tus nicht hinausgekommen. Daraus wird auch nichts mehr. Im Sommer dieses Jahres kündigten Sie dann ein „Begrüßungsgeld für Gastarbeiter“ an. Auch daraus ist nichts geworden.
Herr Brüderle, ich muss mich korrigieren. Wir haben Sie in den letzten Monaten immer dafür kritisiert, dass Sie nichts entschieden, sondern nur angekündigt haben. Heute muss ich aber sagen: Das ist immer noch besser als das, was Sie jetzt tun, nämlich das Falsche zu ma¬chen. Das sieht man vor allen Dingen im Bereich der Energiepolitik. Ich frage mich angesichts dessen, was Sie im sogenannten Energiekonzept machen, ob Sie bei Ludwig Erhard nur die Klappentexte gelesen haben; denn die verlängerten Restlaufzeiten für alte und abgeschriebene Atommeiler sind nichts anderes als die Ver-festigung des Oligopols von vier großen Energiekonzer¬nen. Herr Brüderle, Sie behindern Wettbewerb, und das als liberaler Minister.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Verlängerte Restlaufzeiten für alte, abgeschriebene Atommeiler behindern vor allen Dingen Investitionen in moderne Kraftwerkstechnik, auch in erneuerbare Ener¬gien. Wenn Sie das nicht glauben, dann schauen Sie sich an, was die kommunale Energiewirtschaft zu diesem Thema zu sagen hat.

(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Werden Sie von Gazprom gesponsert?)

Herr Brüderle, vor allem reicht es überhaupt nicht, sich nur über den Aufschwung zu freuen. Auch wir freuen uns über den Aufschwung. Sie tun aber nichts da¬für, dass es ein langfristiger Aufschwung, ein nachhalti¬ger Aufschwung, ein Aufschwung für alle Menschen in diesem Land, nicht nur für wenige, wird. Sie haben eben eingeräumt, dass der jetzige Aufschwung exportgetrie¬ben ist, weil unsere deutsche Wirtschaft wettbewerbsfä¬hig ist. Mit den deutschen Produkten, Verfahren und Dienstleistungen sind wir auf den Märkten der Welt er¬folgreich.

(Zuruf von der FDP: Trotz sozialdemokrati-scher Politik!)

– Nein, wegen sozialdemokratischer Politik, Herr Kol¬lege. Wir haben die notwendigen Reformen durchge¬setzt, die Sie damals in diesem Hause bekämpft haben. Ich kann mich sehr gut daran erinnern. Den Mut, den wir hatten und für den wir viel Prügel bekommen haben, haben Sie nicht.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben mitgeholfen, dass die deutsche Wirtschaft im Export erfolgreich sein kann. Es ist aber festzustellen, dass Sie ein Problem der deutschen Wirtschaft vollstän¬dig aussparen, nämlich dass die Binnennachfrage in diesem Land zu schwach ist. Die Binnennachfrage hängt von privaten und öffentlichen Investitionen ab. Wir brauchen eine höhere Investitionsquote. Ein weiterer Faktor ist die Kaufkraft in diesem Land. Wenn man ei¬nen Blick in den Bundeshaushalt wirft, dann fällt auf, dass Sie gerade im Bereich der Investitionen Maßnah¬men ergriffen haben, die dazu angetan sind, ganze Wirtschaftszweige zu beschädigen. Wie kommen Sie ei¬gentlich auf die Idee, Mittel für die energetische Gebäu¬desanierung zu kürzen? Das ist ein Bereich, in dem wir Energiesparen mit sozialer Politik verbinden und gleich¬zeitig dem Bauhandwerk und der Bauindustrie Impulse geben können. Das ist ein sehr gutes Programm, aber Sie machen es kaputt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wie kommen Sie auf die Idee, Mittel für die Städte¬bauförderung zu kürzen? Unterhalten Sie sich doch ein¬mal mit der Bauindustrie, dem Bauhandwerk und den Kommunen. Jeder in diesem Bereich eingesetzte Euro ist eine sinnvolle Investition, weil durch diese Pro¬gramme das Achtfache an privaten und öffentlichen In-vestitionen ausgelöst wird. In Sachen Kaufkraft spre¬chen Sie, Herr Minister, auf einmal davon, dass man intelligente Tarifabschlüsse braucht. Das wissen auch Arbeitgeber und Gewerkschaften, dafür brauchen sie keinen Brüderle.

(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Und keinen Heil!)

Tatsache ist: Wir müssen etwas dafür tun, damit die Kaufkraft in diesem Land wächst und Nachfrage erzeugt wird. Es gilt das alte Wort von Henry Ford: Autos kau¬fen keine Autos. –

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das war aber eine hochintelligente Einschätzung! So alt kann ich gar nicht werden, wie der Spruch ist!)

Wenn die Wirtschaft wächst, muss man dafür sorgen, dass auch die Kaufkraft wieder stärker wächst. Die erste Voraussetzung dafür ist, einen Mindestlohn einzuführen, damit Menschen von ihrer Arbeit leben können. Wir könnten uns 11 Milliarden Euro im Haushalt von Frau von der Leyen sparen, wenn wir nicht ergänzendes Ar-beitslosengeld II zahlen müssten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Kaufkraft nicht weiter eingeschränkt wird, wie Sie das gerade ma¬chen.
Herr Minister Brüderle, zusammenfassend muss man feststellen, dass Sie zwar launige Reden auf öffentlichen Veranstaltungen halten, aber bisher so gut wie kein Gesetz zustande gebracht haben. Das Entflechtungsgesetz ist die einzige Reform, die Sie auf den Weg gebracht ha¬ben, aber auch die ist im Sand verlaufen. Jetzt versuchen Sie, den Schalter umzulegen. Sie behaupten, die wirt-schaftliche Entwicklung, die dem Export und den Ent¬scheidungen der Vorgängerregierung zu verdanken ist, sei Ihr Verdienst. Das glaubt Ihnen kein Mensch. Sie meinen, sich jetzt gegen den früheren Minister für Reaktorsicherheit, Herrn Röttgen, in der Energiepolitik durchsetzen zu müssen. Sie verwechseln an diesem Punkt aber Energie- und Wirtschaftspolitik mit Klientelpolitik.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Verlängerung der Restlaufzeiten – ich sage es Ihnen noch einmal – ist nicht nur aus Gründen der Energie¬sicherheit fragwürdig, sondern auch aus Gründen der Reaktorsicherheit.

(Ulrike Flach [FDP]: Darum haben Sie sich nie gekümmert!)

Es ist nicht nur ein Ding der Unmöglichkeit, weil das Problem der Endlager nirgendwo hinreichend gelöst ist, Sie aber dafür sorgen, dass es mehr Atommüll gibt, son¬dern auch deshalb, weil es handfeste wirtschaftliche Gründe gibt, warum die Verlängerung von Restlaufzei¬ten für alte, abgeschriebene Atommeiler keine gute Idee ist. Die Verlängerung verhindert Investitionen in mo-derne Kraftwerkstechnik und erneuerbare Energien. Ich sage es Ihnen noch einmal: Sie machen das Geschäft von vier großen Konzernen zulasten des Wettbewerbs im Energiesektor. Deren Profite haben Sie im Blick, aber nicht das volkswirtschaftliche Wohl. Das ist eines Bundeswirtschaftsministers nicht würdig, zumal wenn er in der Tradition von Ludwig Erhard und Karl Schiller ste¬hen will, was Sie immer vorgeben.

(Beifall bei der SPD)

Herr Brüderle, Sie sind bisher gut im Ankündigen ge¬wesen. Bitte, bleiben Sie dabei! Denn es ist schlimmer, wenn Sie versuchen, tatsächlich Politik zu beeinflussen. Das zeigt sich wieder dieser Tage beim Energiekonzept. Es gibt keine Vorstellung davon, wie Deutschland auf ei-nen nachhaltigen Wachstumspfad kommen soll, wie wir wettbewerbsfähig bleiben und wie wir neben einem starken Auswärtsspiel ein starkes Heimspiel auf dem Binnenmarkt organisieren können. Es gibt über die Tat¬sache, dass Sie immer davon sprechen, dass ein Fach-kräftemangel in diesem Land droht, und Broschüren und Flugblätter Ihres Ministeriums hinaus keine Vor¬schläge, wie dieser Entwicklung zu begegnen ist.
Sie behaupten, Sie würden im Bundeshaushalt bei der Bildung nicht kürzen. Das ist falsch; denn Sie haben mit den Klientelgeschenken, die Sie beispielsweise den Hoteliers gegeben haben – es war Ihr Herr Burgbacher in Ihrem Ministerium, Herr Minister Brüderle, der diesen Unsinn mit der „Hotelsteuer“ angerichtet hat –, die öffentlichen Finanzen, vor allen Dingen von Kommunen und Ländern, geschädigt. Dort kann man nun eben weni¬ger in Bildung investieren. Ich weiß gar nicht, warum Sie diesen Zusammenhang nicht begreifen.
Sie können nicht über Fachkräftemangel jammern und gleichzeitig veranlassen, dass der Staat im Bereich Bildung weniger Geld zur Verfügung stellt. Das ist nicht in Ordnung. Stattdessen sollten Sie in diesem Bereich et¬was tun. Nicht ein Begrüßungsgeld für sogenannte Gastarbeiter brauchen wir, sondern vor allen Dingen erst ein¬mal Investitionen in die Köpfe und Herzen der jungen Menschen in diesem Land, egal ob mit Migrationshintergrund oder nicht.

(Beifall bei der SPD)

Kümmern Sie sich darum! Sie hätten die Gelegenheit.
Sie haben nicht angesprochen, dass es immer noch 70 000 junge Menschen sind, die Jahr für Jahr in Deutschland die Schule ohne schulischen Abschluss ver¬lassen. Wir haben auf dem Arbeitsmarkt eine Entwick¬lung zu gewärtigen, die in ganzen Regionen zu einem wirtschaftlichen Problem wird. Es gibt einen gespalte¬nen Arbeitsmarkt: auf der einen Seite Fachkräfteman-gel, auf der anderen Seite viele junge Menschen – im Übrigen auch ältere Menschen –, die in Langzeitarbeits¬losigkeit landen, weil sie den Einstieg in den Arbeits¬markt nicht geschafft haben. Wo ist die Initiative des Bundesministers für Wirtschaft und der Bundesministe¬rin für Arbeit, um diesem Fachkräftemangel entgegenzu¬wirken? Wo sind die Maßnahmen, die wir brauchen, um denjenigen, die erst einmal durchgefallen sind, eine zweite und eine dritte Chance zu geben?
Ich habe Sie bei der Verleihung des Gründerpreises gehört. Sie haben immer viel davon geredet. Aber wo sind die konkreten handfesten Ansätze? Ein Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland sollte kein Grußaugust sein, sondern ein Innovator, einer, der Im¬pulse gibt, der den Finger in die Wunde legt, der Vorschläge und Konzepte auf den Tisch bringt und sich nicht in Dampfplauderei auf öffentlichen Veranstaltungen ergeht, Herr Minister Brüderle.

(Beifall bei der SPD – Christian Ahrendt [FDP]: Was ist das jetzt für eine Dampfplauderei?)

Herr Brüderle, wir werden in diesem Haus, im Aus¬schuss und auch im Plenum, konkrete Vorschläge machen.

(Ulrike Flach [FDP]: Das ist aber neu!)

Sie mögen sich hinstellen und alte Vorurteile über Sozialdemokraten verbreiten,

(Ulrike Flach [FDP]: Wo wollen Sie denn zum Beispiel sparen?)

weil es in Ihr beschränktes FDP-Weltbild passt. Aber die Menschen in diesem Land spüren, dass bei der FDP das, was sie für sich reklamiert, nämlich Politik aufgrund wirtschaftlicher Kompetenz, verwechselt wird mit Poli¬tik für wenige zulasten von vielen,

(Ulrike Flach [FDP]: Ach!)

Politik für Pharmakonzerne verwechselt wird mit der Si¬cherung des Gesundheitswesens, Politik für große Hotel¬ketten verwechselt wird mit Initiativen zur Belebung des Tourismus in Deutschland, Politik für große Energiekon¬zerne, vier Stück, und deren Profite

(Ulrike Flach [FDP]: Das müssen Sie gerade sagen!)

verwechselt wird mit Politik für einen modernen Ener¬giebereich. Klientelpolitik statt gemeinwohlorientierte Politik, Einzelinteressen statt volkswirtschaftlicher Nutzen, kurzfristige Ankündigungen statt langfristiges Wachstum – diese kurzatmige Politik à la Brüderle ist schon heute gescheitert. Die Menschen sehen das auch so. Sie als FDP werden das nicht nur bei den nächsten Wahlen erleben, sondern erleben das schon jetzt täglich. Sie haben jegliche Glaubwürdigkeit im Bereich der Wirtschaftspolitik verspielt, Herr Minister Brüderle.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Gucken Sie mal in den Spiegel!)