Neustart für die „Bildungsrepublik“ – Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau vom 31.3.2016

Von ELKE HANNACK UND HUBERTUS HEIL UND HOLGER SCHWANNECKE

Deutschland muss wesentlich mehr Geld in Schulen und Hochschulen investieren. Ein Gastbeitrag.

Gut 15 Jahre nach dem Pisa-Schock und sieben Jahre nach dem „Dresdner Bildungsgipfel“ von Bund und Ländern ist es noch ein weiter Weg bis zur „Bildungsrepublik Deutschland“. Zwar haben Bund, Länder und Kommunen große Anstrengungen unternommen, und zweifellos gab es Fortschritte. So ist die Zahl der Krippenplätze gestiegen, und die Ganztagsschulen wurden ausgebaut. Doch ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt: Bildungserfolg wird in Deutschland immer noch vererbt.

Das Kind eines Akademikers hat gegenüber einem Arbeiterkind eine drei Mal so große Chance, das Gymnasium zu besuchen. Auch beim Zugang zum Studium zeigt sich die soziale Spaltung. Kinder aus Einwandererfamilien haben deutlich schlechtere Chancen in der Schule und auf dem Ausbildungsmarkt. Sie haben zudem allzu oft mangelnde Kenntnisse über unser Ausbildungssystem. Hinzu kommt, dass in Deutschland fast 14 Prozent der Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren keine abgeschlossene Ausbildung haben. Und jedes Jahr wieder verlassen knapp 50 000 Jugendliche die Schule ohne einen Abschluss. Für ein modernes und reiches Land ist das ein Skandal.

Unsere Gesellschaft steht jetzt vor einem Kraftakt. Mehr als eine Million Menschen sind allein 2015 nach Deutschland gekommen. Sie suchen Schutz vor Krieg, Vertreibung und politischer Verfolgung. Unter diesen Menschen sind Hunderttausende Kinder und Jugendliche – viele von ihnen sind schwer traumatisiert, viele haben nie eine richtige Schule besucht. Diese Menschen müssen wir schnell in Bildung und Arbeit integrieren.

Wir brauchen einen neuen Anlauf für die „Bildungsrepublik“. Bund, Länder, Kommunen und Sozialpartner müssen eine neue Bildungsstrategie formulieren, um das Menschenrecht auf Bildung zu verwirklichen. Bildungskonkurrenz zwischen den Starken und Schwachen und den neu zu uns geflüchteten Kindern und Jugendlichen dürfen wir nicht zulassen.

Wir müssen in die Qualität der frühkindlichen Bildung investieren. Wir benötigen mehr Ganztagsschulen mit mehr Schulsozialarbeitern und Psychologen. An unseren Berufsschulen muss die technische Ausstattung dem neuesten Stand entsprechen. Es muss eine flächendeckende Versorgung sichergestellt und der Lehrkräftenachwuchs gefördert werden. Bund und Länder sollten daher einen „Berufsbildungspakt“ schmieden.

Ein besonderes Augenmerk verdienen dabei die Berufsschulen. Rund 270 000 Jugendliche bleiben in den Maßnahmen im Übergang von der Schule in die Ausbildung stecken. Wir müssen diese Warteschleifen abbauen.

Damit die berufliche Bildung noch attraktiver wird, brauchen wir ein Konzept für die „höhere Berufsbildung“. Dabei müssen wir über die Öffnung der Hochschulen für beruflich Qualifizierte, ein präziseres Profil der Aufstiegsfortbildung und auch ein Berufsabitur diskutieren, das einen Ausbildungsabschluss mit der Hochschulzugangsberechtigung verknüpft.

Ab 2017 werden Zehntausende Geflüchtete sich um einen betrieblichen Ausbildungsplatz bewerben. Nötig ist ein strukturierter Prozess, in dem die Qualifikationen der Flüchtlinge erfasst werden, sie unsere Sprache und Ausbildungsberufe kennenlernen. Hier reichen einzelne Modellprojekte nicht aus. Wir brauchen mehr Hilfen für junge Flüchtlinge und Betriebe, um ihnen eine erfolgreiche Ausbildung zu ermöglichen. Daher werden wir zügig über den Ausbau von ausbildungsbegleitenden Hilfen und assistierter Ausbildung in der Allianz für Aus- und Weiterbildung sprechen müssen. Auch ein steuerfinanziertes Programm für außerbetriebliche Ausbildung sollten wir diskutieren.

Und natürlich kommt es auch auf das Personal im Bildungswesen an. Die Beschäftigten dort sind der Schlüssel für erfolgreiche Reformen. Unsere Kitas und Schulen brauchen mehr Fach- und Lehrkräfte, auch mehr, die Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache unterrichten können. Notwendig sind deutlich mehr Lehrkräfte für Integrationskurse. Um dieses Personal zu gewinnen, müssen wir diese Jobs attraktiver machen. Dazu gehört, dass sie angemessen bezahlt werden.

Eine neue Bildungsoffensive gibt es nicht zum Nulltarif. Nimmt man die Ziele des Dresdner Bildungsgipfels von 2008 als Maßstab, müssten Bund und Länder bereits heute rund 23 Milliarden Euro mehr in Bildung und Forschung investieren. Länder und Kommunen werden im Zeichen der Schuldenbremsen sowie hoher Flüchtlingszahlen diese Herausforderungen nicht alleine schultern können. Daran wird auch eine mögliche Bund-Länder-Finanzreform wenig ändern. Ohne den Bund wird es nicht gehen. Deshalb muss das unsinnige Kooperationsverbot aus dem Grundgesetz gestrichen werden.

Auf dem Tisch liegen viele Ideen für eine gesellschaftliche Bildungsoffensive. Darüber diskutieren nicht nur DGB, SPD und Handwerk, sondern auch Grüne, Unionsparteien, andere Spitzenverbände der Wirtschaft und weitere gesellschaftliche Organisationen. Längst gibt es viele bemerkenswerte Graswurzel-Initiativen im Bildungswesen selbst. Diese progressiven Kräfte gilt es zu bündeln, um gemeinsam eine Bildungsstrategie zu formulieren. Sollte dieser neue Anlauf in Richtung „Bildungsrepublik“ nicht gelingen, drohen die Fliehkräfte in unserer Gesellschaft weiter zuzunehmen mit negativen Folgen für die Integration und für unsere Demokratie.

Elke Hannack ist stellvertretende DGB-Vorsitzende.

Hubertus Heil ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag.

Holger Schwannecke ist Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks.