Rede von Hubertus Heil zur Präimplantationsdiagnostik

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Hubertus Heil hat das Wort.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, dass diese Debatte unse¬rem Hause gut ansteht. Man kann hier zu unterschied¬lichen Überzeugungen kommen. Es ist ein gutes Signal, auch für unsere parlamentarische Demokratie, dass wir heute gemäß Art. 38 unseres Grundgesetzes diskutieren. Das macht uns, den Abgeordneten, in unserer Verantwortung deutlich, dass wir nicht an Aufträge und Weisungen gebunden sind, sondern Gewissensentscheidungen zu treffen haben.
Es ist gut, dass wir eine Debatte führen, wie ich finde, mit durchaus hohem Niveau, die deutlich macht, um was wir ringen und um welche Abwägung es geht. Ich will an dieser Stelle das, was mich umtreibt und was dazu ge¬führt hat, dass ich die Meinung, die ich zu diesem Thema hatte, revidiert habe, darlegen. Ohne vertiefte Kenntnis, vor allen Dingen aber ohne persönliche Be¬rührung hatte ich in der Vergangenheit das Gefühl, dass das Verbot der Präimplantationsdiagnostik, das durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs aufgehoben wurde, richtig und nachvollziehbar ist. Was mich bewogen hat, umzudenken, ist nicht das Urteil gewesen, son¬dern was mich bewogen hat, umzudenken, ist eine persönliche Erfahrung gewesen. Ich weiß, dass Politik nicht immer nur aus Einzelschicksalen und persönlicher Er¬fahrung Schlussfolgerungen ziehen kann, aber sie sind eben manchmal Anlass zum Umdenken.
In diesem Fall geht es um ein befreundetes Paar, das ich vor einigen Jahren begleiten musste. Die beiden, die nach wie vor meine Freunde sind, hatten und haben sehnlichst einen Kinderwunsch, waren hocherfreut, als sich dieser Kinderwunsch erfüllte, wussten aber nicht, dass das Kind eine Erbkrankheit hatte, erblich vorbelastet war, und mussten miterleben, dass dieses Kind aufgrund einer fortschreitenden unheilbaren Muskelerkrankung wenige Wochen nach der Geburt qualvoll sterben musste. Ich war bei der Beerdigung, und das war etwas, was mich tief erschüttert hat.
Ich habe erlebt, wie es diesem Paar im Weiteren ergangen ist und ergeht. Die beiden haben nach wie vor einen Kinderwunsch. Sie haben aufgrund dessen, was sie erlebt haben, feststellen müssen, dass sie beide unglücklicherweise eine genetische Disposition haben, nach der die Wahrscheinlichkeit, dass das wieder passiert, ungefähr 80 : 20 beträgt. In der Realität des Lebens haben sie nun drei Optionen: Erstens können sie es noch einmal versuchen – mit der Wahrscheinlichkeit von 80 : 20 und übrigens unter Inkaufnahme dessen, dass man es in diesem Wissen im Zweifelsfall auf eine Spätabtreibung ankommen lassen muss. Die zweite Möglichkeit ist – das hat etwas mit Lebensrealität zu tun; das wäre bei uns rechtswidrig und bliebe nach den Gesetzesvorschlägen, die vorliegen, rechtswidrig –, mit dem entsprechenden Geld nach Belgien oder nach Israel zu gehen, wie es – reden wir offen darüber! – viele Paare in Deutschland in der Vergangenheit getan haben. Die dritte Möglichkeit ist, sich den Wunsch nach einem eigenen Kind zu versagen.
Meine Damen und Herren, ich bin für eine begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik genau aus dieser Lebensrealität heraus. Ich finde, dass man zu unterschiedlichen Überzeugungen kommen kann. Mich lässt nicht unberührt, was Behindertenverbände an Befürchtungen und Erwägungen genannt haben – viele Kolleginnen und Kollegen haben es zitiert –; ich bin nur der festen Überzeugung, dass wir als deutsches Parlament diesen Befürchtungen nicht entgegentreten, indem wir das, was in der begrenzten Zahl solcher Fälle an Hilfen notwendig und menschlich vertretbar ist, verweigern.
Es ist etwas anderes, was notwendig ist, um Menschen mit Behinderungen in diesem Land eine diskriminierungsfreie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Der Blick in Länder, in denen die PID zugelassen ist – ich glaube, die Kollegin Sager hat es vor¬hin zitiert –, macht deutlich, dass es nicht die PID ist, die Druck auf behinderte Menschen macht. Es gibt darunter Länder, in denen Menschen mit Behinderungen besser leben können und weniger Diskriminierung ausgesetzt sind als in unserer deutschen Gesellschaft. Vielleicht geht es um ein paar andere Themen der Teilhabe, um die wir uns miteinander kümmern müssen – von der Antidis-kriminierungsgesetzgebung bis hin zur Teilhabe am schulischen und beruflichen Leben. Das ist eine Verant¬wortung. Ich bitte alle, die dieses Argument nennen, aus berechtigten Erwägungen, sich mit uns gemeinsam die¬sen anderen Themen zuzuwenden.

Für mich ist entscheidend, dass wir in der Präambel unseres Grundgesetzes gemahnt werden, uns unserer Verantwortung vor Gott und den Menschen bewusst zu sein. Nun geht es hier um sehr persönliche Überzeugun¬gen. Ich weiß, dass hier auch viele Christen gesprochen haben – auch ich bin evangelischer Christ –, die auf der Grundlage ihres gemeinsamen Glaubens zu unterschied¬lichen Schlüssen in dieser Frage kommen. Das ist zu akzeptieren. Meine Bitte ist nur, dass wir in diesem Parlament weiterhin die Fairness wahren und uns nicht gegenseitig die Argumente absprechen.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei Frau Flach, Frau Reimann, Herrn Hintze und anderen, die diesen Gesetzentwurf zustande gebracht haben.
Zum Schluss habe ich einen Appell. Heute ist die erste Lesung der Gesetzentwürfe, dann folgen die Ausschussberatungen, und am Ende werden wir im Plenum zu einer Entscheidung kommen müssen. Meine Bitte an die Kollegen Hinz und Röspel ist, darüber nachzudenken, ob die Unterzeichner beider Gesetzentwürfe nicht noch einmal miteinander ins Gespräch kommen können. Der Fall, den ich genannt habe, wäre von dem Gesetzentwurf von Röspel und Hinz übrigens abgedeckt.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege!

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Ich habe aus anderen Gründen dem anderen Gesetzentwurf zugestimmt. Aber bevor es zu einem absoluten Verbot der PID in Deutschland kommt, bitte ich, dass wir noch einmal miteinander sprechen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)