Im August 2023 ist meine Mitarbeiterin Lucrezia Flavia Ferretti als Teil einer Delegation von 18 Mitarbeiter:innen von Abgeordneten aller Bundestagsfraktionen in die USA gereist.
Im Rahmen des Stipendienprogramms “Beyond Washington: Understanding the U.S. heartland” haben die Teilnehmer:innen eine Woche in Little Rock (Arkansas) verbracht und sich mit der Politik vor Ort auseinandergesetzt.
Lucrezia Flavia Ferretti hat im Anschluss an das Programm einen Bericht über ihre Erfahrungen verfasst, den ich als Gastbeitrag hier veröffentliche.
Die Reise wurde durch die US-amerikanische Botschaft in Deutschland sowie das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie finanziert. Für das Programm war die gemeinnützige Austauschorganisation Cultural Vistas verantwortlich.
„Transatlantische Perspektiven: Einblicke in die politische und soziale Landschaft von Arkansas“
Welcome to the U.S.A: Kurz nach Mitternacht erreichen wir,18 MdB-Mitarbeiter:innen aller Bundestagsfraktionen, den kleinen Bill and Hillary Clinton National Airport in Little Rock, Arkansas. Wir werden vom Team von Cultural Vistas und Global Ties Arkansas vor Ort herzlich begrüßt und zu einem Bus begleitet, der uns zum Hotel fährt.
Little Rock ist mit 204.000 Einwohner:innen die Hauptstadt von Arkansas, einem Staat im Süden der Vereinigten Staaten. Die Heimat des ehemaligen Demokratischen U.S. Präsidenten Bill Clinton ist heutzutage vor allem für ihre konservative Ausrichtung bekannt: Seit Clinton als Gouverneur von Arkansas abgetreten ist, haben die Bürger:innen in den letzten Jahrzehnten mehrheitlich republikanische Gouverneure gewählt. Seit Januar 2023 ist die Republikanerin Sarah Huckabee Sanders im Amt.
Trotzdem herrscht ein dynamisches politisches Klima in dem Südstaat: Während Bürger:innen in den ländlichen Gebieten, die von der Landwirtschaft geprägt sind, eher konservativ wählen, ist das politische Spektrum in Städten wie Little Rock eher gemischt.
Bereits am ersten Tag unserer Reise besuchen wir das Landesparlament in Little Rock, um die regionalen Themen in diesem Teil der USA besser kennenzulernen. Geführt werden wir durch Polit-Veteran Randy Thurman, der uns mit seinem politischen Erfahrungsschatz beeindruckt. 35 Jahre lang war er im Landesparlament Mitglied in verschiedenen Ausschüssen, darunter Bildung, Arbeit und Soziales, Landwirtschaft und wirtschaftliche Entwicklung.
Arkansas ist derzeit eine Hochburg der Republikanischen Partei. Die Republikaner halten sowohl das Gouverneursamt als auch die Mehrheit in beiden Kammern des Landesparlaments, im Repräsentantenhaus und im Senat von Arkansas. Dabei setzen sich die Konservativen auch auf nationaler Ebene durch: Die republikanischen Kandidat:innen aus Arkansas gewinnen regelmäßig die Mehrheit der Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen und besetzen die staatlichen Sitze im US-Kongress. Die Demokratische Partei hat nach dem Ende von Clintons Amtszeit als Gouveneur 1992 dagegen stark eingebüßt: Derzeit arbeitet die Partei daran, ihre Präsenz und ihren Einfluss im Staat zurückzuerlangen.
Wir tauschen uns mit Vertreter:innen beider Parteien aus. Mit Denise Ennett, einer Demokratin, sprechen wir lange über ihre Erfahrungen als afroamerikanische Politikerin im US-amerikanischen Süden. Zwar gibt es Fortschritte im Kampf gegen den Rassismus und für soziale Gerechtigkeit, trotzdem steht Arkansas, wie viele Teile der USA, noch vor großen Herausforderungen. Ein gutes Beispiel bietet der Beschluss des Bildungsministeriums von Arkansas, dass die High Schools des Bundesstaates keinen Leistungskurs über afroamerikanische Geschichte anbieten dürfen, weil eine “Gefahr der Indoktrinierung” bestehe – eine Haltung, die in krassem Kontrast zur gelebten Erinnerungskultur in Deutschland steht.
Als Vertreterin der Republikanischen Partei gibt uns Senatorin Jane English einen Überblick über die Arbeit und Positionen ihrer Partei in Arkansas: In diesem Zusammenhang diskutieren wir unter anderem über Waffengesetze, Wahlrecht und reproduktive Rechte, wobei sie stark konservative Werte vertritt.
Das US-amerikanische Wahlrecht ist auch mit Joshua Ang Price Thema, dem ehemaligen Wahlkommissar von Pulaski County, wo auch Little Rock liegt. Eine Besonderheit des US-amerikanischen Wahlsystems: die Notwendigkeit einer aktiven Wählerregistrierung, die in den USA eine Grundvoraussetzung für die Teilnahme an Wahlen ist. Diese Praxis steht in starkem Kontrast zum System in Deutschland, wo Bürgerinnen und Bürger automatisch in Wählerverzeichnisse eingetragen werden. Folglich trägt das deutsche Wahlsystem zu einer höheren Wahlbeteiligung bei. Ein Beispiel: Während bei der Bundestagswahl 2021 die Wahlbeteiligung bei 76,6 Prozent lag , lag sie in Arkansas bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 bei nur 53 Prozent .
Ein wesentlicher Bestandteil unserer Bildungsreise sind außerdem Themen rund um Wirtschaft und Landwirtschaft des Bundesstaates. Bei unserem Besuch im Arkansas Department of Agriculture bekommen wir Einblick in die staatlichen Maßnahmen, Landwirte und Viehzüchter zu unterstützen. Die wichtigsten Ziele sind sowohl die Sicherstellung gesunder Lebensmittel und sicherer landwirtschaftlicher Produkte, als auch die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirt:innen auf nationalen und internationalen Märkten. Deutlich wurde der Fokus auf eine moderne Landwirtschaft, von der Sicherung der Nahrungsmittelversorgung bis hin zur Förderung nachhaltiger landwirtschaftlicher Praktiken.
Im Arkansas Department of Energy and Environment treffen wir Co-Director Jason Willey, der uns über die Initiativen zur Förderung sauberer Energie und zur Steigerung der Energieeffizienz informiert. Die Abteilung arbeitet an der Schnittstelle von Umweltschutz und Energieproduktion, um die Energieunabhängigkeit von Arkansas zu erhöhen und gleichzeitig die Umwelt für zukünftige Generationen zu bewahren. Die Diskussionen über die Clean Cities Initiative und andere Programme verdeutlichen, wie der Staat versucht, eine Balance zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltschutz zu finden – Themen, die auch in Deutschland von zentraler Bedeutung sind.
Zwei der spannendsten Programmpunkte während unserer Reise sind zweifelsohne die Diskussionen über gun rights (“Waffenrechte”) und race relations .
In Arkansas, einem Staat, in dem das Recht auf Waffenbesitz einen hohen Stellenwert hat, konfrontieren uns Vertreter der Arkansas Pistol and Rifle Association und des Benton Gun Clubs mit einer starken Befürwortung des Zweiten Verfassungszusatzes. Dieser gewährt Bürger:innen das Recht, Waffen zu besitzen und zu tragen. Er wird als Schutz des individuellen Rechts auf Waffenbesitz interpretiert, was zu kontroversen Debatten über die Waffenregulierung in der Öffentlichkeit führt. Die Gespräche sind besonders vor dem Hintergrund der hohen Zahl an Todesfällen im Zusammenhang mit Schusswaffen in Arkansas relevant. Mit einer Rate von 23,2 Todesfällen pro 100.000 Einwohner hat der Bundesstaat eine der höchsten Todesraten durch Schusswaffen in den USA . Diese Statistik verstärkt die Dringlichkeit, effektive Maßnahmen zur Eindämmung der Vorfälle zu ergreifen und die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten – das war zumindest die Schlussfolgerung unserer Gruppe. Im Vergleich zu den USA ist das Waffenrecht in Deutschland deutlich restriktiver, und der Umgang mit Waffen wird durch umfassende Gesetze und Vorschriften reguliert.
Besonders eindrücklich wird das Thema der race relations bei unserem Besuch der Little Rock Central High School National Historic Site und im Austausch mit Professor Anastasia Boles vom Center for Racial Justice and Criminal Justice Reform. Sie führt uns die historische Bedeutung der Schule als Schauplatz der Bürgerrechtsbewegung in den 1950er Jahren und die fortwährenden Bemühungen für den Kampf gegen Rassismus und Gerechtigkeit in Arkansas vor Augen. Professor Boles‘ wissenschaftliche Arbeit zeigt die anhaltenden Herausforderungen und die Bedeutung von rechtlicher Expertise und Bildung im Kampf für Gleichheit.
Die Reise nach Arkansas hat uns wertvolle Einblicke in die vielschichtige politische und soziokulturelle Landschaft des Staates geboten. Jede Begegnung und jedes Gespräch vor Ort hat dazu beigetragen, das komplexe Bild der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturen in Arkansas und den USA zu vervollständigen und die Standpunkte öffentlicher Debatten besser einzuordnen. Trotz der Unterschiede in unseren politischen Systemen und Kulturen bieten gerade die Herausforderungen, denen wir gleichermaßen gegenüberstehen, eine Plattform für Zusammenarbeit und Austausch.