Rede von Hubertus Heil: Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (2./3. Lesung)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Hubertus Heil das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kaum eine gesellschaftliche Debatte hat unser Land so sehr gespalten wie die Auseinandersetzung über die Atomkraft – über 45 Jahre, beginnend mit den Protesten in Wyhl am Kaiserstuhl 1973/74 bis in die frühen 2000er-Jahre. Am Ende dieser Debatte, in der übrigens jede demokratische Partei in diesem Haus eine eigene Geschichte hat, haben wir einen Konsens darüber, dass die weitere Nutzung der Atomkraft nicht verantwortbar ist. Einige Parteien sind früher darauf gekommen: am ehesten die Grünen mit ihrer Gründung 1980, die SPD mit ihrem Parteitagsbeschluss 1986 – übrigens beides nach furchtbaren Unfällen in Harrisburg und Tschernobyl –, CDU, CSU und FDP nach 2011 und, ich glaube, die Linke 1989/90. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist gut, dass wir inzwischen diesen Ausstiegskonsens miteinander erzielt haben – „viel zu spät“, werden viele sagen –, aber es ist auch richtig, dass wir uns verantwortlich verhalten und jetzt einen – auch finanziellen – Entsorgungskonsens zustande bringen. Das ist ein wichtiger Tag. Ich danke auch den Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und auch meiner Fraktion, dass das miteinander gelungen ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

An diesem Tag möchte ich an die frühen Mahner erinnern, zum Beispiel an Erhard Eppler, der letzte Woche seinen 90. Geburtstag gefeiert hat. Er hat schon in den frühen 70er-Jahren auf die Risiken von Atomkraft hingewiesen. Meine Damen und Herren, wir wissen, dass technischer und wissenschaftlicher Fortschritt immer mit Risiken verbunden ist.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)

Aber es ist richtig, dass wir als Staat in der Bewertung zu der Überzeugung gekommen sind, dass es unkalkulierbare Risiken gibt. Ein zentrales Argument neben der Frage der Sicherheit von Atomkraftwerken ist die Tatsache, dass wir bisher nirgendwo auf der Welt eine Lösung für den Umgang mit den atomaren Altlasten dieses Zeitalters gefunden haben. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir uns in unserer Generation auf diesen Weg machen. Das vorliegende Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung im Deutschen Bundestag und morgen hoffentlich auch im Bundesrat verabschieden werden, sorgt für Klarheit, was die Finanzierung dieses Abwickelns der Altlasten des atomaren Zeitalters betrifft. Es geht um eine klare Arbeits- und Kostenverteilung im Umgang mit dem Erbe des Atomzeitalters. Im Kern geht es um zwei Bereiche: Erstens geht es um die Neuordnung der Verantwortlichkeiten für atomare Abfälle. Die Betreiber der Kernkraftwerke, meine Damen und Herren, bleiben auch in Zukunft für die Abwicklung und Finanzierung der Stilllegung, des Rückbaus und der Verpackung von atomaren Abfällen voll verantwortlich. Übrigens gibt es dafür auch eine Nachhaftung. Es gilt der Grundsatz, dass Eltern für ihre Kinder haften und umgekehrt. Das heißt, bei Zahlungsunfähigkeit der Kernkraftwerksbetreiber müssen deren Mutterunternehmen die Kosten für Rückbau und Entsorgung tragen. Zweitens – das ist richtig – übernimmt der Bund die Verantwortung für Zwischen- und Endlagerung. Allerdings werden dafür die Energieversorgungsunternehmen, die in der Vergangenheit von der Nutzung der Atomkraft profitiert haben, haften müssen. Sie müssen 17,3 Milliarden Euro plus einen Risikoaufschlag von 6,1 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Das sind insgesamt rund 23 Milliarden Euro. Ich will deutlich sagen, was der Hintergrund dieser Operation ist: Wir wollen, dass der Staat – wir sind gegenüber den Steuerzahlern in der Verantwortung – diese Mittel sichert, und zwar für alle Zeit, meine Damen und Herren. Angesichts der Lage von Energieversorgungsunternehmen, die zu lange auf Atomkraft und zu wenig auf erneuerbare Energien gesetzt und selbst Fehler gemacht haben, die allerdings auch von veränderten politischen Rahmenbedingungen im Rahmen der Energiewende betroffen sind, ist nicht für alle Zeit gesichert, dass dieses Geld wirklich da ist. Deshalb ist es richtig, dass wir es in einen staatlichen Fonds einzahlen. Damit haben wir das Geld ein für alle Mal sicher. Das nenne ich verantwortliche Politik.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese gesellschaftliche Debatte muss als gesellschaftlicher Großkonflikt beendet werden, weil wir alle Kräfte dieses Landes brauchen, um den Weg der Energiewende fortzusetzen und diese Wende erfolgreich zu gestalten. Wenn man gesellschaftlichen Konsens und Frieden haben will, gehört dazu auch, dass wir Rechtsfrieden schaffen. Rechtsfrieden ist im Zuge dieses Verfahrens schon in vielerlei Hinsicht erreicht worden. Wir begrüßen, dass die Energieversorgungsunternehmen beabsichtigen, die moratoriums- und entsorgungsbezogenen Klagen zurückzunehmen. Aber auch der Deutsche Bundestag setzt mit der Entschließung, die SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen heute mit dem Gesetzentwurf auf den Weg bringen, ein klares Signal. Wir erwarten, dass im Zuge der Verhandlungen über den öffentlich-rechtlichen Vertrag auch die letzten beiden Klagen zurückgezogen werden. Es ist Zeit, diesen Konflikt zu beenden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich sage das ganz deutlich: Es ist Zeit, diesen Konflikt zu beenden. Das betrifft diejenigen, die Atomkraftgegner waren und sind, und auch die früheren Befürworter der Atomkraft. Es gibt kein Nachtreten. Auch die Verlierer dieses Konflikts sollten diesen Konflikt rechtlich beenden. Ich habe das vorhin gesagt: Dieser Gesetzentwurf ist gelungen, weil viele daran gearbeitet haben. Eine Reihe von Leuten wurde bereits gelobt, zum Beispiel in der ersten Lesung die Kommissionsvorsitzenden sowie viele Kollegen und Mitarbeiter. Ich möchte zum Schluss den beiden Ministerien, dem federführenden Bundeswirtschaftsministerium, aber auch dem Bundesumweltministerium, ganz herzlich für die Arbeit danken, neben der Ministerin und dem Minister sowie den Staatssekretären namentlich Herrn Abteilungsleiter Herdan aus dem Bundeswirtschaftsministerium – er sitzt auf der Regierungsbank – und Herrn Cloosters aus dem Bundesumweltministerium. Das war kompetente Beratung. Das war gute Unterstützung der Kommission, aber auch der Parlamentarier. So muss das sein, wenn wir gute Gesetze machen wollen. Das ist ein ausgezeichnetes Gesetz. Wir übernehmen Verantwortung in unserer Generation für die Abwicklung der atomaren Lasten. Deshalb ist es ein richtiger Schritt, dass wir das heute beschließen. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)