Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser Debatte hat Hubertus Heil für die SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Hubertus Heil (Peine) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kaum eine gesellschaftliche Debatte hat unser Land über Jahrzehnte so tief gespalten wie die Auseinandersetzung um die Kernkraft in Deutschland – beginnend mit den Protesten 1973/1974 in Wyhl am Kaiserstuhl bis hin zu heftigen Debatten der 70er-, 80er-, 90er- und frühen 2000er-Jahre mit frühen Mahnern wie beispielsweise Erhard Eppler oder Robert Jungk. Jeder Einzelne von uns und jede einzelne Partei in diesem Haus hat im Zusammenhang mit dieser Auseinandersetzung eine eigene Geschichte. Bündnis 90/Die Grünen sind darüber 1980 als grüne Partei entstanden. Sie waren als erste Partei – seit ihrer Wiege sozusagen – klare Kernkraftgegner. Die deutsche Sozialdemokratie hat sich trotz der Tatsache, dass es auch in der SPD in den 70er- und 80er-Jahren schon massiven Widerstand gab, erst 1986 auf dem Nürnberger Parteitag für den geordneten Ausstieg aus der Kernkraft ausgesprochen. Die Vorgängerparteien der Linkspartei waren seit 1989/1990 Gegner der Kernkraft, und CDU/CSU ist seit 2011, seit dem furchtbaren Unglück in Fukushima, auch entschieden dagegen. – Was will ich damit sagen? Eine übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land ist am Ende dieser Auseinandersetzung zu Kernkraftgegnern geworden. Alle demokratischen Parteien in Deutschland sind mittlerweile für den Ausstieg aus der Atomkraft. Das ist ein gutes Zeichen. Deshalb ist es Zeit, diese gesellschaftliche Auseinandersetzung ein für alle Mal zu beenden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir werden im Jahre 2022 erleben, dass das letzte deutsche Atomkraftwerk vom Netz geht. Unsere Generation muss dafür sorgen, dass die Abwicklung der Erblasten des atomaren Zeitalters auf den Weg gebracht wird. Das heißt ganz konkret, dass wir durch Regelungen in zwei Bereichen dafür sorgen müssen – das tun wir mit dem Gesetz, dessen Entwurf wir heute einbringen –, dass wir den zukünftigen Generationen das ihnen Zustehende hinterlassen. Dazu gehört, die Verantwortung für die Atomabfälle neu zu regeln. Die Betreiber der Kernkraftwerke sind auch in Zukunft für die gesamte Abwicklung und die Finanzierung von Stilllegung, Rückbau und Verpackung der radioaktiven Abfälle zuständig; das liegt in ihrer Verantwortung. Der Bund übernimmt allerdings die klare Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung. Finanziell bedeutet das, dass die Betreiber der Atomkraftwerke 17,3 Milliarden Euro dafür zur Verfügung stellen; das sind die Rückstellungen. Hinzu kommt ein Risikozuschlag in Höhe von 6,1 Milliarden Euro. Diese insgesamt 23,4 Milliarden Euro wird der Staat in einem Fonds sichern, der diesem Ziel gewidmet ist. Es gilt aber nach wie vor – im Sinne des Verursacherprinzips – die Nachhaftung. Der Atomausstieg und die gesamte Energiewende bedingen einen Strukturwandel in der Energiewirtschaft. Diese veränderten Strukturen erleben wir gerade in diesen Tagen bei den großen EVUs. Es muss deshalb klar sein, dass der Staat weiterhin diejenigen in Verantwortung nimmt, die in den Unternehmen Verantwortung tragen. Auch hier gilt der Satz: Eltern haften für ihre Kinder. – Bei Zahlungsunfähigkeit von Kernkraftwerksbetreibern müssen deren Mütterunternehmen die Kosten für Rückbau und Entsorgung tragen. Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, ist kein Regierungsentwurf, sondern ein gemeinsamer Fraktionsentwurf von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Ich bin sehr dankbar, dass das möglich war. Die Basis für diesen Gesetzentwurf wurde in einer Kommission gelegt, die gründlich, kompetent und, wie ich finde, sehr umsichtig gearbeitet hat. Ihre Mitglieder haben mit ihren unterschiedlichsten persönlichen Historien und Interessen dafür gesorgt, dass jetzt Vorschläge vorliegen, die wir in Gesetzesform umsetzen können. Ich möchte für die Arbeit dieser Kommission einmal ganz herzlich danken. Viele waren daran beteiligt: viele Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen dieses Hauses, kompetente Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften. Namentlich möchte ich denjenigen danken, die diese Kommission geleitet haben: Ole von Beust, Matthias Platzeck und nicht zuletzt Jürgen Trittin. Sie haben dazu beigetragen, dass es ein einstimmiges Votum gegeben hat, auf dessen Basis wir diesen Gesetzentwurf vorlegen konnten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich möchte den Kollegen Trittin persönlich ansprechen und ihm herzlich danken, weil er wie wenige andere einen Beitrag dazu geleistet hat, diese gesellschaftliche Auseinandersetzung nicht nur heftig zu führen, sondern auch zu einem guten Ende zu bringen. Das hat er als zuständiger Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in der Regierungszeit von Gerhard Schröder getan, als Gerhard Schröder, Jürgen Trittin und Werner Müller gemeinsam mit den Energieversorgungsunternehmen den geordneten Ausstieg aus der Atomkraft im Jahre 2000 vereinbart hatten. Das hat er als Vertreter der Opposition getan, und das tut er auch im Rahmen seiner parlamentarischen Arbeit in der Kommission. Jürgen Trittin, ich hoffe, es schadet dir in deiner Fraktion nicht zu sehr, wenn ich ganz herzlich Danke sage für das, was du jetzt getan hast und was du in der Vergangenheit getan hast.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Ergebnis dieser KFK ist eine wirklich gute Grundlage für den heute vorliegenden Gesetzentwurf. Ich gebe aber zu, dass in nächster Zeit noch heftige Arbeit vor uns liegt. Wir wollen unverzüglich, also ohne schadhaftes Verzögern, aber auch gründlich dafür sorgen, dass das ein guter Gesetzentwurf ist. Wir werden deshalb an der einen oder anderen Stelle noch darüber diskutieren müssen. Eines ist mir ganz wichtig: Wenn es notwendig ist, für dieses Gesetz einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen den EVUs und dem Staat zu schließen, damit alle Rechtsfolgen bedacht sind, dann habe ich die klare Erwartung an die Energieversorgungsunternehmen Deutschland, dass sie die Klagen, die im Zuge des Atomausstieges gegen den Staat eingereicht worden sind, zurückziehen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])
Wenn wir die Risiken nicht im Sinne einer Staatsbeihilfe – das darf es auch nach EU-Recht nicht sein –, sondern im Sinne von Verantwortungssicherung in die eben beschriebene Form überführen, dann muss klar sein, dass alle den Krieg um die Atomkraft beenden müssen, auch diejenigen, die ihn verloren haben. Das heißt, es darf kein Nachtreten geben. Deshalb muss dafür gesorgt werden, dass wir nicht nur einen gesellschaftlichen, sondern auch einen Rechtsfrieden haben. Meine Damen und Herren, wir brauchen genug Kraft, um gemeinsam nach vorne zu schauen und die Energiewende zum Erfolg zu führen, und dürfen deshalb nicht in Schlachten der Vergangenheit stecken bleiben. Gesellschaftliche Auseinandersetzungen sind verantwortungsvoll zu beenden, gerade in diesen Zeiten. Wir müssen in Deutschland nach vorne gucken und das atomare Zeitalter hinter uns lassen. Mit diesem Gesetz leisten wir einen Beitrag dazu, dass die Finanzierung dessen möglich ist. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)