Rede von Hubertus Heil zum CETA-Abkommen

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Hubertus Heil von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Dröge, lieber Kollege Ernst, ich finde es richtig, dass wir im Bundestag über unterschiedliche Positionen streiten. Aber ich habe eine ganz herzliche Bitte, nämlich dem demokratischen politischen Gegner nicht ständig mit dem Vorwurf, man sei nicht ehrlich, die Moral abzusprechen.

(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen an dieser Stelle Folgendes: Wer demokratische Verfahren und Meinungsstreit in diesem Haus in der Art und Weise diffamiert, wer diese krankenhausreif redet, darf sich nicht wundern, wenn Scharlatane daraus Parlamentsverachtung machen. Das finde ich nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen das sagen, weil es ein Missverständnis gibt, das Sie hier kultivieren. Leider ist das auch schon in verschiedenen Reden deutlich geworden. Sie tun so, als würden wir heute über CETA abstimmen.

(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun wir ja auch! Genau so ist es!) 

Nein. – Der Vertrag wird heute nicht beschlossen. Wir machen einen Weg frei, weil es nach Artikel 23 Grundgesetz ein Beteiligungsrecht des Bundestages beim Zustandekommen der europäischen Integration gibt. Wir geben als Bundestag Bedingungen mit auf den Weg.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Der Vertrag ist doch fertig!)

Wir sagen, dass es richtig ist, dass im Handelsministerrat das parlamentarische Verfahren – im Europäischen Parlament und in den Mitgliedstaaten – eröffnet werden soll. Sie aber erwecken den Eindruck, als würde heute die Endabstimmung stattfinden.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Faktisch ja!) 

Nicht einmal faktisch und auch nicht juristisch. Ich will es Ihnen erklären, Herr Kollege Ernst und Frau Dröge; denn im Gegensatz zu Ihnen war ich in der letzten Woche in Montreal.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Hätten Sie uns ja mitnehmen können!)

Ich habe am Montag auch mit Frau Freeland reden können. Wir haben übrigens mitbekommen – auch schriftlich –, was Frau Malmström dazu sagt. Tatsächlich geht es um Folgendes: Wir haben ein in vielen Bereichen ordentliches Abkommen. In diesem Handelsabkommen gibt es Fortschritte, die noch nie bei einem Handelsabkommen erreicht wurden. Zum Beispiel gibt es keine privaten anonymen Schiedsgerichte mehr;

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber andere!)

vielmehr ist der Weg zu einem öffentlichen Gerichtshof eröffnet.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man dazu noch in der Lage und willens ist, zu differenzieren, könnte man auf vier Bereiche gucken, wo wir Fortschritte erreicht haben bzw. wo wir noch für Verbesserungen sorgen wollen. Ich will Ihnen auch sagen, wie das im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens geschehen kann. Ich nehme erstens das Beispiel der Arbeitnehmerrechte: Wir haben durch die Verhandlungen dafür gesorgt, dass Kanada mittlerweile die siebte und jetzt auch die achte ILO-Kernarbeitsnorm ratifiziert hat. Dabei geht es um das Recht, Kollektivverträge für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzuschließen. Das ist mit den USA überhaupt nicht erreichbar. Alle ILO-Kernarbeitsnormen sind inzwischen im Rahmen dieser Verhandlungen von Kanada ratifiziert worden. Die letzte wird gerade ratifiziert. Das ist ein Riesenerfolg für Arbeitnehmerrechte.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen darüber hinaus – das ist durch rechtsverbindliche Erklärungen möglich – dafür sorgen, dass Arbeitnehmerrechte nicht nur ratifiziert, sondern in Europa und Kanada auch wirksam durchgesetzt werden. Das gilt übrigens auch für das gesamte Nachhaltigkeitskapitel, für Umwelt- und Verbraucherschutz.

(Beifall bei der SPD)

Ich nenne ein zweites Beispiel – Sie haben es ja angesprochen –, die Daseinsvorsorge. Die Daseinsvorsorge ist im Vertrag erwähnt, allerdings als Schutzbereich. Wir wollen, dass an ein oder zwei Stellen rechtsverbindlich klargestellt wird, dass zum Beispiel die Rekommunalisierung von Unternehmen – da gibt es ungeklärte Rechtsbegriffe, die können über Rechtserklärungen verdeutlicht werden – weiterhin möglich bleibt, es da also keinen Zweifel gibt. Das ist das, was wir wollen.

(Beifall bei der SPD)

Drittens nenne ich – Frau Dröge, falls Sie noch zuhören –

(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

das Vorsorgeprinzip. Das Vorsorgeprinzip ist Teil des europäischen Primärrechts. Und es gibt eine Rechtsauffassung, die besagt, dass kein Handelsvertrag der Welt europäisches Primärrecht antasten kann.

(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Darum geht es doch!)

Es gibt aber einige, die fragen, ob es in diesem Punkt nicht doch einer Klarstellung bedarf. Deshalb werden wir darauf drängen, dass dies rechtsverbindlich klargestellt wird, damit das bewährte Vorsorgeprinzip zum Beispiel im Umwelt- und Verbraucherrecht sowie bei Medizinprodukten und bei der Ernährung in Europa weiter gilt. Das ist beispielsweise eine Bedingung, um am Ende des Tages, wenn es wirklich zur Abstimmung kommt, zustimmen und das Abkommen ratifizieren zu können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dann ist es doch schon geschehen! Dann gilt es schon!)

Meine Damen und Herren, für Parlamentarier wie Sie hätte ich einen Ratschlag: Seien Sie ein bisschen mutiger, was Parlamente betrifft.

(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist jetzt die Stunde der Parlamente.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie lassen doch die Parlamente im Stich!)

Wir haben doch schon einmal von Ihnen gehört, nämlich als der Vertragstext im letzten Jahr in englischer Sprache vorlag, dass jetzt alle Messen gesungen seien, dass nichts mehr verändert werden könne. Wir haben politisch Druck gemacht und erreicht – das ist ungewöhnlich und neu –, dass die Schiedsgerichte herausgestrichen wurden. Das haben wir schon geschafft. Jetzt muss man ein bisschen aufklären und darf keine Nebelkerzen werfen, was das Verfahren betrifft. Wir als Bundestag werden heute – weil es vom Gesetz und von unserer Verfassung her erwartet wird – eine Stellungnahme abgeben. Das ist der Beschlussentwurf, den Ihnen die Koalition vorlegt. Er besagt: Ja, wir wollen, dass dieses parlamentarische Verfahren im Handelsministerrat eröffnet wird. Ja, wir erkennen an, dass es in vielen Bereichen ein sehr gutes Abkommen ist. Aber wir haben Klärungsbedarf. Zwischen der kanadischen Regierung, unserer Bundesregierung und der Europäischen Kommission besteht Konsens, dass im Rahmen dieses Verfahrens – sonst wird es ja gar keine Mehrheit im Europäischen Parlament und in den 28 Mitgliedstaaten geben – rechtsverbindliche Klärungen vorgenommen werden. Das in Zweifel zu ziehen, zeugt entweder von Unkenntnis oder von einer Diffamierung dieses Verfahrens, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie können einmal zur Kenntnis nehmen: Die Kommissarin sagt das, die Kommission sagt das, die Regierung in Kanada sagt das, die Bundesregierung sagt das. – Ich sage Ihnen noch einmal: Da geht es nicht um irgendwelche unverbindlichen Protokollnotizen, sondern um rechtlich verbindliche Klarstellungen in Bezug auf Bereiche, wo es Klärungsbedarf gibt. Zum Schluss, meine Damen und Herren: Wir können – das sage ich an alle Fraktionen gerichtet – bei einem Streit in diesem Hause –

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Heil, lassen Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Baerbock zu?

Hubertus Heil (Peine) (SPD): Sehr gerne. Bitte sehr.

Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Heil, nachdem Sie uns jetzt ja belehrt haben, was die Rechte eines Parlamentes sind, und dabei auf das Europäische Parlament abgestellt haben und wir alle gesagt haben, dass das Verfahren transparent sein muss, möchte ich Sie fragen, ob Sie folgender Darstellung zustimmen: Das Europäische Parlament hat in diesem Gesetzgebungsverfahren, anders als vom Wirtschaftsminister gestern im Wirtschaftsausschuss dargestellt, nicht wie der Deutsche Bundestag bei nationalen Gesetzen die Möglichkeit, den eingebrachten Vertragstext in einem parlamentarischen Verfahren zu ändern; vielmehr ist es so, dass zuvor der Rat der Europäischen Union entscheidet. Dann kann das Europäische Parlament nur noch sagen, ob es dem Abkommen zustimmt oder nicht – dabei handelt es sich ja nicht einmal um ein reguläres Gesetzgebungsverfahren –,

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!)

sodass das Europäische Parlament an dem Vertragstext keine Änderungen mehr vornehmen kann. Stellungnahmen haben da keinen Einfluss. Vom Europäischen Parlament dürfen gar keine Änderungsanträge gestellt werden. Stimmen Sie mir darin zu? Wenn ja, möchte ich Sie fragen: Wie wollen Sie als Sozialdemokraten im nationalen Parlament oder im Europäischen Parlament diesen Vertragstext noch verändern? Sehen Sie nicht außerdem die Gefahr, dass am Ende gesagt wird – dieses typische Europa-Bashing haben wir in Europa ja sowieso schon –: „Jetzt ist das Europäische Parlament schuld, weil es keine Veränderung mehr herbeigeführt hat“? Ist das nicht die große Gefahr, wenn Sie jetzt suggerieren, das Europäische Parlament könne etwas richten, was es gar nicht richten kann, weil es nur Ja oder Nein sagen kann?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Hubertus Heil (Peine) (SPD): Frau Kollegin, ich bin sehr dankbar für diese Fragen, weil sie mir die Gelegenheit geben, ein bisschen über ein paar Dinge aufzuklären.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie sind doch der Einzige, der keine Ahnung hat von europäischer Politik! – Weitere Zurufe von der LINKEN) 

Wollen Sie eine Antwort, oder wollen Sie einfach nur dazwischenbrüllen? Ich will der Kollegin antworten, weil sie ernsthafte Fragen gestellt hat, und ich habe jetzt die Gelegenheit dazu. Zum einen wissen Sie, Frau Kollegin, dass das Europäische Parlament auch bisher bis auf Konsultationsfragen nicht direkter Verhandlungspartner war; Verhandlungspartner waren die Europäische Kommission und die kanadische Regierung. Gleichwohl hat der deutsche Europaabgeordnete, der Vorsitzende des Handelsausschusses, unser Kollege Bernd Lange, durch seine Arbeit im Verfahren dafür gesorgt, dass sich dieser Vertrag im Rahmen der Rechtsförmigkeitsprüfung verändert hat. Die anonymen Schiedsgerichte sind durch Bernd Lange mit beseitigt worden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Antwort!)

Das heißt, das Europäische Parlament hat mittelbaren Einfluss auf die Verhandlungen genommen. Zweitens. Sie haben recht, was die Formalien betrifft: Ein EU-Rat legt für ein Ratifizierungsverfahren einen völkerrechtlichen Vertrag in Gesetzesform auch auf europäischer Ebene vor. Das hindert aber nicht daran, durch rechtsverbindliche – ich betone: rechtsverbindliche – Erklärungen des EU-Ministerrates, der Regierung Kanadas und des Europäischen Parlaments darzulegen und klarzustellen, was mit diesem Gesetz gemeint ist. Ich habe es mit Beispielen darzustellen versucht: Wir haben viele Fortschritte erreicht; aber es gibt ungeklärte Rechtsbegriffe in diesem Vertragswerk. Das betrifft vor allen Dingen die Frage des Investitionsschutzes. Da sehen wir nach den Rechtseinschätzungen der Europäischen Kommission, der kanadischen Regierung und der Bundesregierung die Möglichkeit, dass die Parlamente durch politischen Druck und durch rechtsverbindliche Erklärungen dafür sorgen, dass aus diesem ordentlichen Vertrag ein gutes Handelsabkommen wird. Das ist unser Ziel.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU])

Nicht nur, weil wir Parlamentarier so selbstbewusst sein sollten, dass wir in solchen Verfahren politisch Einfluss nehmen können – Matthias Miersch weiß, wovon ich rede –, sondern weil wir tatsächlich erlebt haben, dass sich dieser Bundestag so intensiv wie kaum ein anderes Gremium mit diesem Vertrag beschäftigt hat – während der Verhandlungen, während der Rechtsförmigkeitsprü-fungen, nach der Übersetzung, in unzähligen Debatten hier, in Ausschussanhörungen –, kann ich Ihnen sagen: Es ist gut, dass wir uns als Parlament, als Parteien diese Frage nicht einfach machen; denn es ist eine Frage von großer Bedeutung. Es geht um die Frage, ob es gelingt, Globalisierung gerecht zu gestalten, ob es gelingt, den Vorrang demokratischer Politik auch vor Märkten zu behaupten. Deshalb kämpfen wir, Herr Kollege Fuchs, für ein Freihandelsabkommen. Aber das reicht uns nicht. Wir wollen Globalisierung fair gestalten. Wir wollen fairen Handel in dieser Welt. Dafür bringen wir etwas auf den Weg, was zwar schon gut ist, was aber noch besser gemacht werden muss, weil es Maßstäbe für eine faire Globalisierungsgestaltung setzen soll. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)