Präsident Dr. Norbert Lammert: Hubertus Heil erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die wirtschaftliche Lage zu sprechen, Herr Hofreiter, heißt, deutlich zu machen, wie diese im Moment ist. Sie hätten ruhig einmal einräumen können, dass die wirtschaftliche Lage in diesem Land gut ist. Wir haben eine stabile und robuste Konjunktur, die übrigens nicht nur von unserer Exportfähigkeit getragen wird. Diese war jahrelang der Motor. Das ist nach wie vor so. Aber inzwischen haben wir auch eine stärkere Binnennachfrage in diesem Land, weil die Kaufkraft gestiegen ist, weil viele Menschen in Arbeit gekommen sind und weil wir endlich anständige Lohn- und Tarifabschlüsse haben. Das verschweigen Sie, Herr Hofreiter, weil Sie sich mit den ökonomischen Zusammenhängen nicht auseinandersetzen. Wir dürfen uns nicht auf dem Erreichten ausruhen. Vielmehr ist es notwendig, den Blick nach vorne zu richten; das hat der Minister deutlich gemacht. Wir haben zum Beispiel durch die Digitalisierung, aber eben auch durch neue Antriebstechnologien – Sie haben die Automobilindustrie angesprochen – einen gigantischen Strukturwandel vor uns, den wir nicht unterschätzen, sondern den diese Regierung vorantreibt. Herr Hofreiter, ich will Ihnen eines sagen: Es gibt, wenn ich den Kollegen Fuchs und Sie einmal nebeneinanderhalte, beim Thema Freihandel zwei extreme Positionen in diesem Haus. Michael Fuchs sagte vorhin, dass die Union ganz klar Ja zu TTIP sagt. Ich frage mich eigentlich, warum; denn wir kennen den Inhalt noch gar nicht.
(Beifall bei der SPD)
Einfach Ja zu sagen zum Inhalt von TTIP, ohne dass ein Verhandlungstext vorliegt, ist aus meiner Sicht auch ein Stück ideologische Fixierung. Die Grünen sagen auf jeden Fall Nein. Das ist auch falsch. Wenn man Globalisierung gestalten will, dann muss man nicht nur dafür sorgen, dass Handel möglich ist, sondern auch dafür, dass man faire Abkommen bekommt mit klaren Regeln, mit Regeln für Arbeitnehmerrechte, für demokratische Rechte, für Umweltrechte. Das ist etwas anderes, als nach dem Motto zu handeln – ich finde das, Toni Hofreiter, am Rande der Redlichkeit für eine Partei, die einmal etwas mit Aufklärung zu tun hatte –: „If you don’t know just say no.“ Das ist nicht redlich. (Beifall bei der SPD) Jetzt reden wir einmal über die Frage: Was ist der Unterschied zwischen TTIP und CETA? Ihr schmeißt das ja einfach in einen Topf. Das eine ist ein Handelsabkommen, das Europa und Kanada verhandelt haben und das vom Text her vorliegt. Dazu sagen wir: Da gibt es vieles, was richtig gut nach vorne gekommen ist, übrigens durch unseren Druck. Gerade beim Thema Schiedsgerichte reden wir nicht mehr von diesen anonymen Schiedsgerichten, diesen Law Firms, die daraus ein Geschäftsmodell machen, sondern von transparenten Verfahren in Richtung Handelsgerichtshof mit Richtern, von Berufungsverfahren und Ähnlichem. Wir haben bei diesem Abkommen Dinge hinbekommen, die tatsächlich nach vorne weisen, was die Gestaltung der Globalisierung betrifft, was beispielsweise Arbeitnehmerrechte anbelangt. Die Kanadier ratifizieren aufgrund dieser Verhandlungen inzwischen alle Kernarbeitsnormen der ILO. Das ist ein Riesenfortschritt. Wir sagen aber noch nicht Ja, weil wir an zwei, drei Stellen in diesem Bereich – darin sind wir uns vollständig einig mit den deutschen Gewerkschaften – noch auf Fortschritte warten, beispielsweise wenn es darum geht, dass nicht nur ILO-Kernarbeitsnormen unterschrieben werden, sondern dass sie auch durchgesetzt werden, beispielsweise wenn es darum geht, der Sorge entgegenzutreten, dass die Daseinsvorsorge gefährdet ist oder dass Rekommunalisierung nicht mehr möglich ist. Wir wollen eine Klarstellung in diesem Bereich. Noch einmal: Das Abkommen ist sehr weit. Ich sage einmal an die Adresse der Grünen: Ihr wart mal eine Partei der Aufklärung. Jetzt seid ihr eine Partei der Mythen. An die Adresse des Kollegen Michael Fuchs sage ich: Wir wollen Freihandel, aber – das ist der Unterschied zu Ihnen – nicht um jeden Preis.
(Beifall bei der SPD)
Wir wollen Freihandel auf Basis von fairen Regeln.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Ich habe nichts anderes gesagt!)
Michael Fuchs, so zu tun, als sei TTIP etwas, was sozusagen innerhalb von Wochen zu erreichen ist, das finde ich am Rande dessen, was man seriös sagen darf. Denn jeder von uns weiß, dass wir schon bei der Hannover Messe darauf hingewiesen haben, dass ein faires und gutes Transatlantisches Freihandelsabkommen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten in dieser kurzen Frist nur schwer zu erreichen ist und dass wir klare Vorstellungen haben. Das ist übrigens im Zusammenhang mit TTIP auch meine Kritik an der Bundeskanzlerin. Beim Gespräch mit Präsident Obama hat sie Folgendes verlauten lassen: Sie wolle jetzt in Europa für eine neue Verhandlungsdynamik in Sachen TTIP werben. Vielleicht hätte sie gegenüber der amerikanischen Regierung lieber einmal deutlich machen sollen, was unsere europäischen und deutschen Anforderungen an ein faires transatlantisches Freihandelsabkommen sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Einfach nur zu sagen „Das muss jetzt schnell kommen“, und sich nicht dafür einzusetzen, dass man Fortschritte in der Sache hinbekommt, hat auch dazu geführt, dass die Zeit jetzt knapp ist. Deshalb sage ich – Herr Gabriel als Bundesminister hat das deutlich gemacht –: TTIP ist realistischerweise aufgrund der Tatsache, dass in Amerika im November Präsidentschaftswahlen sind und da zwei kandidieren, von denen der eine ganz gegen Freihandelsabkommen ist und die andere sagt: „So auf gar keinen Fall“, in dieser Legislaturperiode nicht erreichbar. Das ist der Unterschied. Der eine Text liegt vor. Ich sage: Wir haben mit Kanada mit einer neuen Regierung, mit einer, wie ich finde, sozialliberalen Regierung bessere Chancen, dieses ohnehin ganz ordentliche Freihandelsabkommen im Gespräch mit den Parlamenten noch besser zu machen. Das ist der Unterschied. Wir wissen, dass in Deutschland viele Arbeitsplätze in großen, in kleinen und in mittelständischen Unternehmen auch vom Export abhängen. Wir dürfen keine Renationalisierung von Wirtschaftspolitiken zulassen. Auf der anderen Seite wissen wir auch, einfach grenzenlos Märkte zu öffnen, ohne faire Regeln zu schaffen, ohne Globalisierung zu gestalten, ist nicht der richtige Weg. Das ist vielleicht der Unterschied zwischen den Grünen, die einfach nach dem Motto handeln: „Freihandel wollen wir nicht, wir machen die Grenzen dicht“, und einer CDU, die sagt: „Regeln interessieren uns nicht.“ Wir gehen den mühevolleren Weg, Globalisierung zu gestalten. Ich glaube, das ist die zukunftsfähige Antwort auf eine Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD)