Rede von Hubertus Heil zum Antrag Industrie 4.0 und Smart Services – Wirtschafts-, arbeits-, bildungs- und forschungspolitische Maßnahmen für die Digitalisierung und intelligente Vernetzung von Produktions- und Wertschöpfungsketten


Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Hubertus Heil von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was verstehen wir eigentlich unter der Chiffre Industrie 4.0? Ich glaube, wir müssen es immer wieder erklären, weil wir als Parlament nicht die Aufgabe haben, in Fachtermini zu sprechen, sondern die Aufgabe haben, uns mitzuteilen. Es geht dabei um die intelligente und internetbasierte Vernetzung von industrieller Produktion, und zwar auf allen Stufen der Wertschöpfung. Es geht nach den industriellen Revolutionen der letzten 150 Jah­re – nach Dampfmaschine, Fließband und Robotik – tat­sächlich um einen neuen Sprung.

Warum wird sich das Ganze ökonomisch überhaupt als Frage stellen? Weil es natürlich technologiegetrie­bene, riesige Produktivitätsfortschritte verspricht, wenn wir uns auf diesen Weg machen. Es wäre hinsichtlich der ökonomischen Entwicklung dieses Landes eine Ka­tastrophe, wenn wir diesen Weg nicht konsequent gehen würden.Deshalb, Herr Kollege, ist beides richtig. Wir müssen aus diesem technologischen und ökonomischen Fortschritt sozialen Fortschritt machen, ohne Zweifel. Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Produktivität ge­recht verteilt wird. Aber erst einmal müssen wir für einen Produktivitätssprung sorgen. Es muss etwas erwirtschaf­tet werden, und es muss gerecht verteilt werden. Das sind für uns Sozialdemokraten keine Gegensätze, sondern wechselseitige Bedingungen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Ministerin Wanka, bei allem in Ihrer Rede, was ich unterstreiche, muss ich sagen: Ich finde, diese Chiff­re Industrie 4.0 hat sich zwar in den letzten zwei Jahren durchgesetzt. Trotzdem müssen wir ein bisschen aufpas­sen, dass sich auch Teile der Wirtschaft darunter versam­meln und damit identifizieren können, die sich manchmal nicht im klassischen Sinne mit dem Begriff „Industrie“ anfreunden. Die großen Industriebetriebe unseres Lan­des, ob nun Bosch oder Siemens, und auch größere Tei­le der Automobilindustrie, haben sich längst auf diesen Weg gemacht.

Es gibt auch eine Reihe von großen Hidden Cham­pions, wie sie immer genannt werden, im produzierenden Mittelstand unserer Marktwirtschaft, die sich auf diesen Weg gemacht haben: Unternehmen wie Festo, KUKA, TRUMPF und WITTENSTEIN. Aber die Tatsache, dass in den letzten zwei Jahren vor allen Dingen immer die­se sechs Beispiele genannt werden, zeigt auch, dass wir noch viel Aufholbedarf haben. Wir müssen dafür sorgen, dass sich gerade mittelständische Unternehmen auf die­sen Weg machen und machen können und dass sie nicht abgehängt werden. Da bin ich mir nicht sicher, ob diese Chiffre Industrie 4.0 immer ganz hilfreich ist, weil vie­le dieser Unternehmen sich nicht im klassischen Sinne als große Industrieunternehmen begreifen, sondern als produzierender Mittelstand. Deshalb wäre es eigentlich wichtiger, insgesamt über eine Wirtschaft 4.0 zu spre­chen.

Wie auch immer der Begriff lautet – es geht um ganz konkrete Handlungsfelder. Meine Damen und Herren, wir beschreiben im vorliegenden Antrag nicht nur, was die Bundesregierung macht – sie ist in vielen Bereichen auf einem guten Weg –, sondern bündeln es in einer Strate­gie. Herr Kollege Behrens von den Linken, Sie beklagen sich darüber, dass wir darin so viele Themen ansprechen. Das liegt einfach daran, dass wir vom Ressortdenken und von der Vorstellung einzelner Säulen Abstand nehmen, wenn wir dieses Thema angehen; denn dann wäre es kei­ne Strategie. Wir müssen vernetzt denken, wenn wir in diesem Bereich zu Fortschritten kommen wollen.

Wir verstehen – erstens – die digitale Infrastruktur als Grundlage. Sie ist die Grundlage dafür, dass wir uns auf den Weg zur Industrie 4.0 machen können. Ohne sie wäre es eine abstrakte und akademische Debatte. Hier hat Deutschland tatsächlich einen Nachholbedarf, auch im internationalen Vergleich. Wir schreiben in unserem An­trag übrigens, dass wir uns in diesem Zusammenhang mit dem Zwischenziel einer Übertragungsgeschwindigkeit von 50 Mbit pro Sekunde im Jahr 2018 nicht zufrieden­geben können, dass wir größere Bandbreiten brauchen. Sie haben die Glasfaser angesprochen. Im Antrag steht explizit, dass wir insbesondere auf die Glasfasertechno­logie setzen, um diese Bandbreiten in Deutschland zu erreichen.

Zweitens geht es uns um Forschung zur Industrie 4.0. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass der Haushaltsausschuss gestern beschlossen hat, Ihrem Mi­nisterium, Frau Wanka, 6 Millionen Euro zusätzlich für die IT-Sicherheitsforschung beim Fraunhofer-Institut zur Verfügung zu stellen. Ich finde, das ist ein guter Schritt, eine gute Unterstützung auf diesem Weg. Wir müssen in diesem Bereich vor allen Dingen anwendungsorientiert forschen, im Interesse einer Durchdringung auch für den Mittelstand.

Drittens. Es geht um Aus- und Weiterbildung, die an die Erfordernisse der Industrie 4.0 angepasst werden müssen. Es geht um neue Berufsbilder. Es geht darum, dass wir mehr moderne Berufsbilder brauchen. Das geht nur im Dialog zwischen den Sozialpartnern, beispiels­weise in der Frage, dass wir in vielen mittelständischen Unternehmen im Maschinenbau zukünftig mehr Mecha­troniker brauchen. Da geht es konkret um Fachkräftesi­cherung in diesem Bereich.

Viertens.Es geht um Arbeit 4.0. Ich will sagen: Das, was Sie eingefordert haben, nämlich Studien durchzu­führen, wurde im Bundesarbeitsministerium schon längst auf den Weg gebracht. Zudem hat Frau Wanka zusätz­liches Geld für die Arbeitsforschung erhalten. Das hat der DGB ausdrücklich begrüßt. Wir wollen in diesem Prozess nicht nur dafür sorgen, dass die betriebliche Mit­bestimmung nicht unter die Räder kommt, sondern im Antrag steht ausdrücklich: Wir wollen die betriebliche Mitbestimmung weiterentwickeln, und zwar in zwei­erlei Hinsicht. Das ist wichtig, um diesen Prozess hin­zubekommen. Denn gegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können und wollen wir uns nicht auf den Weg machen.

Es ist gut, dass wir dafür sorgen, dass aus dem tech­nischen Fortschritt kein Fortschritt für wenige wird, son­dern Fortschritt für möglichst viele Menschen. Wir kön­nen das Konzept der Industrie 4.0, wenn wir den Rahmen richtig gestalten, zum Beispiel nutzen, um die Huma­nisierung der Arbeitswelt voranzubringen. Das macht Andrea Nahles mit dem Grünbuch Arbeit 4.0 und dem Prozess auf dem Weg zum Weißbuch Arbeit 4.0 deutlich. Das ist ein wesentlicher Teil der Strategie.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Fünftens – ich bin sehr dankbar, dass sich die Koa­litionsfraktionen da einig waren – haben wir uns klar dazu bekannt, dass wir uns nicht nur im Bestand unserer Wirtschaft – die großen und mittelständischen Unterneh­men – auf den Weg machen müssen, sondern wir viel mehr junge, dynamische, wachsende Start-ups und Un­ternehmen in diesem Land brauchen und wir sehr kon­kret etwas für sie tun müssen. Beispielsweise müssen wir dafür sorgen, dass mehr Wagniskapital zur Verfü­gung steht, um das Wachstum junger, vor allen Dingen digitaler Unternehmen zu unterstützen. Wir brauchen das Wagniskapital als Ausrüstung in dieser Entwicklung. Da geht es nicht nur darum, den Bundesfinanzminister da­von abzuhalten, die Rahmenbedingungen zu verschlech­tern – Stichwort „Streubesitz“ –, sondern auch darum, etwas dafür zu tun, dass die Bedingungen besser werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SDP sowie des Abg.Albert Rupprecht [CDU/CSU])

Das hat die Kanzlerin auf dem IT-Gipfel zugesagt. Da­bei ging es beispielsweise um Verlustvorträge, die bei Anteilseignerwechsel vorzunehmen sind. Wir brauchen, meine Damen und Herren, ein Wagniskapitalgesetz.

(Beifall des Abg. Dirk Wiese [SPD])

Das steht im Koalitionsvertrag, und die Koalitionsfrakti­onen sind miteinander der Meinung, dass es Aufgabe der von uns getragenen Regierung ist, entsprechende Geset­zesvorschläge zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Es geht um IT-Sicherheit und Datenschutz, es geht um Normen und Rechtsrahmen, es geht um Technologie­transfer und Wissenstransfer. Aber im Kern, meine Da­men und Herren, geht es um Folgendes: Wir sind in der Situation, dass wir eine gute industrielle Basis haben. Die Ministerin hat es beschrieben: 22 Prozent der deutsch­landweiten Wertschöpfung entfallen auf die Industrie. Wir haben die Plattform Industrie 4.0, die Bundeswirt­schaftsminister Sigmar Gabriel auf den Weg gebracht hat. Damit bringen wir alle Akteure an einen Tisch. Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung wirkt daran mit. Ich finde, das ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Na ja! Das ist nicht die richtige Beschreibung gewesen! Hauptakteur ist das BMBF!)

Wir müssen uns schleunigst auf den Weg machen.An­dere schlafen nicht. Es gibt in Teilen der Welt Unterneh­men, die besser sind als unsere in Deutschland, wenn es darum geht, aus Daten Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wir wollen uns auf diesen Weg machen, und dieser An­trag zeigt: Wir machen uns auf den Weg. Das ist eine gute Nachricht.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)