Vizepräsidentin Ulla Schmidt:
Vielen Dank. – Als Nächstes hat Hubertus Heil, SPD-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Kollege Claus, Sie haben der Ministerin unterstellt, sie würde nur drei Aggregatszustände kennen. Ich würde sagen: Das ist besser, als nur einen, nämlich, alles schlecht zu finden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich finde, wir brauchen hier einen realistischen Blick. Ich bin der Ministerin ausdrücklich sehr dankbar, dass sie darauf hingewiesen hat, was sie auf den Weg gebracht hat und was aber auch noch vor uns steht.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zwar eine Menge!)
Ganz klar ist: Die Summe, die wir alle miteinander erfreulich finden – 16,4 Milliarden Euro, was eine Steigerung von immerhin 7,2 Prozent im Vergleich zum letzten Jahr bedeutet –, sagt an sich noch nichts weiter aus, als dass dieses Land, diese Regierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen mehr Geld in Bildung und Forschung investieren. Das klingt erst einmal gut, aber die spannende Frage ist: Zu welchem Zweck? Das ist von allen Seiten angesprochen worden – auch von der Ministerin.
Es gibt in dieser Koalition einen Konsens, dass wir uns unter anderem auf bessere, gleiche und gerechte Chancen im Bereich der Bildung konzentrieren; denn das hat nicht nur etwas mit der Frage zu tun, ob wir wirtschaftlich erfolgreich sind, sondern auch damit, welches Menschenbild wir haben. Das Menschenbild, das uns prägt, sieht so aus, dass Menschen unabhängig von sozialer Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder religiösem Hintergrund eine Chance – dafür müssen wir sorgen – auf ein selbstbestimmtes Leben haben. Dafür ist Bildung ein ganz entscheidender Zugang.
Menschen sind nicht durch Geburt und durch Merkmale, für die sie nichts können, in ihren Verhältnissen gefangen. Dass sie selbstbestimmt leben können, dass sie Autor ihres eigenen Lebensweges sein können, dafür schafft Bildung die Voraussetzung. Dafür leistet diese Koalition eine ganze Menge.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg.Anette Hübinger [CDU/CSU])
Um es ganz praktisch zu machen: Natürlich haben wir, Kollege Claus, in unserem Land – das belegen Studien – nach wie vor eine ganze Menge zu tun, um dieser sozialen Selektivität entgegenzuwirken. Da ist der Bund gefragt, da sind die Länder und auch die Kommunen gefragt. Ich will aber auch sagen: Es gibt viele Menschen – dafür muss man einmal Danke sagen –, die sich bürgerschaftlich und zivilgesellschaftlich engagieren, um jungen Menschen eine Chance zu geben. Gerade bei der aktuellen Flüchtlingshilfe erlebe ich ganz viele Ehrenamtliche, die beispielsweise Nachhilfeunterricht geben, die anderen Lesen und Schreiben beibringen und damit dazu beitragen, dass junge, aber auch ältere Menschen stärker teilhaben können und eine Chance haben, irgendwann in Ausbildung und Arbeit zu kommen. Das, meine Damen und Herren, nötigt Respekt ab. Dafür muss der Deutsche Bundestag einmal Danke sagen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber auch der Bund ist nach wie vor in der Pflicht, etwas zu tun. Wir tun in vielen Bereichen ganz konkret etwas, um in diesem Land die Chancen auf Bildung zu verbessern und gerechter zu machen. Ich will zum Beispiel das Thema der Berufsorientierung und der assistierten Ausbildung ansprechen. Das ist Teil der Ausbildungsallianz, die von Sozialpartnern und der Bundesregierung gebildet wurde. Ich glaube, dass assistierte Ausbildung ein wesentlicher Beitrag dafür ist, um benachteiligten Jugendlichen eine zweite oder dritte Chance zu geben, voranzukommen. Hier arbeiten die Ministerien Hand in Hand, nämlich das Bundesarbeitsministerium zusammen mit dem Bundesbildungsministerium. Das ist ebenso wichtig wie die Allianz an sich.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, den ich ansprechen will. Es ist durch die Allianz für Aus- und Weiterbildung gelungen, mit den Sozialpartnern eine Trendumkehr zu schaffen, was die Entwicklung der Zahl der beruflichen Erstausbildungsplätze betrifft. Diese Zahl steigt Gott sei Dank nach vielen Jahren wieder, nachdem sie lange zurückgegangen war. Nun diskutieren wir darüber, wie wir es schaffen, dass wir keinen Mismatch, also keine unbesetzten Stellen, haben, und darüber, dass wir etwas dafür tun müssen, damit Lehrlinge in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Aber natürlich – das muss man ganz klar sagen – haben wir jahrelang erlebt, dass das Angebot an beruflicher Erstausbildung zurückgegangen war. Jetzt wächst es wieder. Das ist eine gute Nachricht. Auch das war Gegenstand der Gespräche zwischen Sozialpartnern und Bundesregierung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich komme zu einem materiellen Punkt. Im Haushalt von Frau Wanka haben wir die BAföG-Reform durchgesetzt. Immerhin wird es in diesem Land ab kommendem Jahr, also ab dem Jahr 2016, ungefähr 100 000 junge Menschen mehr geben, die durch BAföG bessere Bildungschancen bekommen. Auch das ist eine ganz maßgebliche Reform. Nicht zuletzt haben wir – die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern – den Hochschulpakt bis 2020 verlängert. Das heißt: Bis 2020 gibt es sage und schreibe 670 000 zusätzliche Studienplätze.
Das sind konkrete Maßnahmen. Es ist einfach, zu sagen: Die Situation ist nicht gut. – Vielmehr geht es darum, sie zu verbessern. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Zumindest das hätten Sie einmal erwähnen können, Herr Claus.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Trotzdem sage ich: Diese Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben, sind kein Grund, sich zurückzulehnen. Ich erwähne hier das Bildungsbarometer des ifo-Instituts von letzter Woche. Darin wird beschrieben, was Bürgerinnen und Bürger in diesem Land von Politik, unabhängig von Zuständigkeiten, erwarten. Die Menschen in diesem Land erwarten im Bereich der Bildungspolitik große Lösungen. Sie wollen Ganztagsschulen, gebührenfreie Kitas und nicht zuletzt vergleichbare Schulabschlüsse in der Bundesrepublik Deutschland.Keine Frage: Da sind alle gefragt, Bund, Länder und Kommunen.
Ich will aber nicht verhehlen, dass dem Bund gerade in der aktuellen Diskussion, in der wir schnell handeln müssen, nämlich bei der Beantwortung der Fragen: „Was tun wir in der Flüchtlingshilfe? Was tun wir für diejenigen, die wir langfristig integrieren wollen?“, durch künstliche, auch durch verfassungsrechtliche Grenzen an der einen oder anderen Stelle die Hände gebunden sind. Ich glaube, dass wir, wenn die Entwicklung so weitergeht, über eine neue und gemeinsame Kraftanstrengung reden müssen, was beispielsweise den Ausbau von Ganztagsschulen in diesem Land betrifft. Hier kann und darf der Bund durch das Kooperationsverbot, durch den in Verfassungsrecht gegossenen Irrtum, derzeit leider nicht tätig werden. Das gilt leider auch für vieles andere, zum Beispiel für die Frage, ob wir mit Bundeshilfen Sozialarbeit, Sprachklassen und Integrationshilfen auf den Weg bringen können.
Ich sage: Darüber wird zu reden sein. Aber es ist auch richtig, sich von dieser Grenze nicht aufhalten zu lassen, sondern Mittel und Wege zu finden, die wir zusammen mit der Regierung finden werden und zum Teil auch schon gefunden haben, um Geld tatsächlich dahin zu bringen, wo es hingehört.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Mit der Übernahme der BAföG-Finanzierung haben wir einen Weg – zugegebenermaßen ist das ein Umweg – gefunden, um die Länder so zu entlasten, dass ihnen jährlich zusätzlich 1,2 Milliarden Euro für bessere Bildung zur Verfügung stehen, um zum Beispiel in den Hochschulen, aber ebenso – auch das ist möglich – in Schulen der frühkindlichen Förderung die Bildungssituation zu verbessern.
Ich füge hinzu: Frau Ministerin Wanka, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind auch Sie der Meinung, dass die Mittel aus dem Betreuungsgeld, die nach der Verfassungsgerichtsentscheidung zur Verfügung stehen, gezielt in den Bereichen Familie und Bildung investiert werden und nicht im allgemeinen Haushalt versickern sollten. Da haben Sie und Frau Schwesig unsere absolute Unterstützung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Die eine Seite der Medaille ist, bessere Bildungschancen zu schaffen. Die andere Seite der Medaille im Aufgabenbereich des Ministeriums, über dessen Etat wir gerade diskutieren, betrifft die Frage, wie wir es schaffen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritt in diesem Land zu befördern, um mitzuhelfen, dass aus wissenschaftlichen und technischen Innovationen auch gesellschaftlicher und sozialer Fortschritt wird. Beides ist notwendig. Auch da kann sich sehen lassen, was diese Regierung auf den Weg gebracht hat.
Sie haben den Pakt für Forschung und Innovation angesprochen, Frau Ministerin. Der ist ganz wichtig in diesem Bereich. Und ich füge hinzu: Er stärkt beides. Er stärkt die erkenntnisorientierte Grundlagenforschung, die wir in diesem Land genauso brauchen wie anwendungsorientierte Forschung. Es bringt nichts, beides gegeneinander auszuspielen. Wir brauchen Erkenntnisse und Anwendungen in diesem Land.Daraus erwachsen Innovationen. Mit dem Pakt für Forschung und Innovation schaffen wir Planungssicherheit und Freiheit für die Forschung in diesem Bereich.
Ich will die Hightech-Strategie, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, sowie die Verstärkung im Bereich der Arbeits- und Dienstleistungsforschung ansprechen. Immerhin ist dafür bis 2020 1 Milliarde Euro vorgesehen. Auch die verstärkte Forschung an Fachhochschulen, die der Bund zusätzlich mit 100 Millionen Euro fördert, will ich in diesem Zusammenhang erwähnen. All das kann sich sehen lassen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben allerdings, meine Damen und Herren, in diesem Herbst noch eine ganze Menge vor uns. Das betrifft den Bereich der beruflichen Bildung. Dabei geht es nicht nur um die Reform des Meister-BAföG. Ich bin froh, dass CDU und CSU – sie hatten ja in der letzten
Woche eine Klausur – mit uns der Meinung sind, dass der Entwurf der Ministerin eine gute Grundlage ist, wir aber miteinander mehr tun müssen. Dabei geht es darum, dass wir im Bereich der beruflichen Erstausbildung – sie steht im Wettbewerb zu anderen Berufsabschlüssen, die es in Deutschland gibt – auch Aufstieg ermöglichen bzw. die Attraktivität dieses Berufsweges stärken müssen. Auch da können wir, glaube ich, vorankommen. – Herr Claus, können Sie einen Moment zuhören?
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir hören Ihnen unablässig zu!)
Er ist ein Mann. Ob er multitaskingfähig ist, weiß ich nicht. Ihm traue ich das aber zu.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und CDU/CSU)
Herr Claus, Sie haben das Thema der Befristung im Bereich des Wissenschaftsbetriebes angesprochen. Da teilen wir den Befund. Die Zahlen sind unstrittig. Deshalb tun wir etwas, und zwar nicht nur das, was Sie beschrieben haben. Wir reformieren das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Und ich finde, der Gesetzentwurf kann sich durchaus sehen lassen. Wir wollen den Missbrauch von Befristungen zurückdrängen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Roland Claus [DIE LINKE]: Das glauben Sie doch nicht wirklich!)
Wir wollen jungen Menschen die Chance auf eine planbare Zukunft im Wissenschaftsbetrieb geben. Und dafür schaffen wir Voraussetzungen, ohne dass wir die notwendigen Flexibilitäten kaputtmachen. Das gehört dazu. Mit diesem Recht schaffen wir Perspektiven. Wir wissen aber, Herr Claus, dass dies allein das Problem nicht lösen wird, sondern dass es natürlich auch um die Frage geht, was es an Karrierechancen bzw. Karriere wegen im Wissenschaftsbetrieb gibt. Deshalb bin ich froh, dass die Koalitionsfraktionen einen Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs auf den Weg gebracht haben.
Frau Ministerin, allerdings äußere ich an dieser Stelle auch einen Wunsch: Ein reines, kleines Tenure-Track-Programm wird nicht ausreichen. Wir müssen auch etwas für den Mittelbau und vor allen Dingen für Personalentwicklungskonzepte tun. Dann wird dieser Pakt auch den Namen „Pakt für wissenschaftlichen Nachwuchs“ verdienen. Beides gehört zusammen: Das Befristungsrecht muss geändert werden, und es müssen in diesem Bereich – das ist wichtig – Chancen geschaffen werden.
(Beifall bei der SPD)
Zum Schluss, meine Damen und Herren, hätte ich noch gerne etwas zum Thema Exzellenzinitiative gesagt. Denn das ist die große Königsaufgabe, die wir in den nächsten Monaten noch vor uns haben. Wir wollen mehr Exzellenz wagen. Die Exzellenzinitiative hat die Forschung in diesem Land vorangebracht und die internationale Spitzenforschung an unseren Hochschulen gestärkt. Sie hat das – auch in der Spitze –, was Sie vorhin angesprochen haben, hervorgebracht. Wir sagen: Das wollen wir fortsetzen. Aber da ist mehr Potenzial in diesem Land.
Wir wollen neben der Forschungslinie bzw. der Förderlinie für Spitzenforscher auch etwas dafür tun, dass neben der Spitzenforschung auch andere Leistungsprofile – bei Lehre und Transfer beispielsweise – in der Exzellenzinitiative zur Geltung kommen können. Darüber wird zu reden sein. Auch das schaffen wir gemeinsam.
Ich glaube, dass sich dieser Etat sehen lassen kann – aber nicht nur im Hinblick darauf, was die Summe angeht, sondern auch auf die Instrumente. Das wird unser Land voranbringen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)