Rede von Hubertus Heil zu den Klimaschutzzielen im Bereich alter Kohlekraftwerke


Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Vielen Dank. Wünschen darf man immer. Das hoffen, glaube ich, wir alle. – Jetzt hat als nächster Redner Hubertus Heil von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich empfinde diese Debatte im Gegensatz zum Kollegen von der Union vielleicht nicht als Sternstunde, aber als ganz erhellend. Zuerst einmal müssen wir feststellen, dass es hinsichtlich der Ziele in diesem Hohen Haus keine großen Unterschiede gibt. Wir müssen aufpassen, ob alle dieses Ziel ernst meinen oder ob nur mantraartig vom 40-Prozent-Ziel gesprochen wird. Aber ich nehme an, dass niemand heute – das werde auch ich nicht tun – das 40-Prozent-Ziel infrage stellt. Übrigens habe ich auch nicht gehört, dass irgendjemand den Kabinettsbeschluss, als Beitrag des Kraftwerkparks 22 Millionen Tonnen CO2 einzusparen, infrage stellt.
Wir alle wissen, dass das Erreichen des Klimaschutzziels, bis zum Jahr 2020 im Vergleich zu 1990 die Emissionen um 40 Prozent zu reduzieren, angesichts der Tatsache, dass wir ein hochindustrialisiertes Land sind, in dem vielleicht in den vergangenen Jahren bestimmte Anstrengungen nicht im ausreichenden Maße unternommen wurden, ehrgeizig und ambitioniert ist. Das ist richtig anstrengend.
Wir haben eine ganze Menge zu tun, nicht nur im Stromsektor, sondern auch in anderen Sektoren, die schon beschrieben wurden. Ich glaube übrigens, dass der Verkehrssektor neben dem Gebäudesektor, dem Wärmesektor und der Landwirtschaft ein unterbelichteter Bereich ist. Darüber, wie schnell da Fortschritte erreichbar sind, müssen wir reden. Aber ich glaube, das ist möglich.

(Beifall des Abg. Klaus Mindrup [SPD])

Wir haben jetzt, im Jahre 2015, die Situation, dass wir uns innerhalb von fünf Jahren wirklich anstrengen müssen, diese Ziele zu erreichen. Dafür gibt es Vorschläge – in Umsetzung dessen, was das Kabinett beschlossen hat. Ich füge allerdings hinzu – das haben wir immer gesagt –: Keiner dieser Vorschläge ist in Stein gemeißelt, weil wir nicht in Instrumente, sondern in Lösungen verliebt sind. Das Instrument, das vom BMWi vorgeschlagen wurde, hat ohne Zweifel in vielerlei Hinsicht einen gewissen Charme, weil es auf bestehenden Systemen aufbaut, weil es auf den ersten Blick einfach zu organisieren ist und weil es, zumindest für Staat und Stromkunden, möglicherweise ein Vorschlag ist, der sich – wie sagte der Minister? – eher rechnet als andere Vorschläge.
Gleichwohl gilt das Versprechen gegenüber den Menschen in den Revieren, im rheinischen Revier, im mitteldeutschen Revier und auch in der Lausitz, dass wir Strukturbrüche nicht zulassen werden. Meine Damen und Herren, dass die Menschen, die in diesen Regionen leben, Strukturwandel schon kennen, steht außer Frage.

(Beifall bei der SPD)

Die Menschen leben ja nicht auf dem Baum, sondern in der Lausitz, im Mitteldeutschen Revier oder im Rheinischen Revier.
Noch einmal: Strukturbrüche werden wir nicht zulassen. Strukturwandel hat massiv stattgefunden und wird übrigens auch weiter stattfinden, überhaupt gar keine Frage. 1990 haben zum Beispiel in Ostdeutschland noch 160 000 Menschen direkt in der Kohle- und Energieförderung gearbeitet, heute sind es 7 000 Menschen. Wenn das kein Strukturwandel ist, dann weiß ich nicht, was Strukturwandel ist. In Ostdeutschland sind noch 1990 300 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert worden, jetzt sind es 80 Millionen Tonnen. Das ist Strukturwandel. Er wird außerdem weitergehen, gar keine Frage.
Die spannende Frage ist, ob der vorliegende Vorschlag Dominoeffekte auslöst, die nicht intendiert sind. Das ist zwischen den Betriebsräten, den Gewerkschaften und auch den Vertretern aus dem Ministerium umstritten. Ich sage für die SPD-Bundestagsfraktion: Falls nicht auszuschließen ist, dass es Strukturbrüche gibt, werden wir uns umso mehr um Alternativen zu kümmern haben. Ich finde es genauso wie der Minister gut, dass jetzt Vorschläge auf dem Tisch liegen, die noch vor einem halben oder vor einem Jahr seitens der Unternehmen nicht auf dem Tisch lagen.
Allerdings müssen wir diese Vorschläge auf die Frage hin untersuchen, ob sie tatsächlich helfen, CO2 einzusparen, ob sie energiewirtschaftlich Sinn machen, und auch daraufhin, was ihre Umsetzung kosten wird; denn Klimaschutz, meine Damen und Herren, wird es nicht zum Nulltarif geben. Das sage ich auch als großer Befürworter der Kraft-Wärme-Kopplung. Sie muss energiewirtschaftlich Sinn machen. Es macht Sinn, dass wir zum Beispiel in der allgemeinen Versorgung keine Stranded Investments zulassen und uns deshalb auf den Bestand fokussieren, und bei der Frage, wo ein Zubau von Anlagen sinnvoll ist, beispielsweise im industriellen Bereich, sehr genau hinschauen.
Wenn allerdings das, was wir bei KWK mehr machen, für die KWK-Umlage relevant wird, also auch für den Strompreis, dann müssen wir, wenn das Sinn macht, wenn das eine Alternative ist und wenn es hilft, das Ziel zu erreichen, darüber reden, wie wir an anderer Stelle möglicherweise eine Entlastung beim Strompreis organisieren. Die Stromsteuer macht aus meiner Sicht ordnungspolitisch nicht immer Sinn. Ihre Einführung war gut gemeint und wichtig, weil es als Teil der Ökosteuerreform zur Internalisierung externer Kosten beitrug. Aber wenn der Strom immer grüner wird, ist das nur noch ein Instrument zur Staats- bzw. Sozialversicherungsfinanzierung. Und dann sollten wir uns Gedanken machen, wie wir es anders machen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich finde, dass wir zumindest darüber nachdenken sollten, falls die KWK-Umlage stärker steigt, an anderer Stelle Kompensation zu schaffen. Auch das muss, wie ich finde, in die Überlegung einbezogen werden.
Es ist ja, Herr Minister, darum gebeten worden, Vorschläge zu machen. Das hier ist einer, einer von mehreren.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Auch das ist, wie gesagt, nicht in Stein gemeißelt. Man muss es erst analysieren und untersuchen. Aber ich finde: Zum Gesamtkonzept gehört pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken. Wir sind nicht in Instrumente verliebt, sondern wir sind in das Gelingen und in die Ziele verliebt. Das 40-Prozent-Ziel steht. Kein Vorschlag ist vom Tisch, auch noch nicht die Klimaabgabe; das ist gar keine Frage. Aber wir werden in den nächsten Wochen miteinander zu reden haben.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Noch nicht“ – das war jetzt verräterisch, Hubertus!)

– Ich sage, wenn es Alternativen gibt, bin ich nicht in diesen Vorschlag verliebt. Der ist nicht in Stein gemeißelt. Das hat der Minister übrigens von Anfang an gesagt, Oliver Krischer. Es ist hier im Hause auch nicht umstritten gewesen. Es geht um Klimaschutz und nicht um Ideologie.
Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir uns in den nächsten Wochen daranmachen, die vorhandenen Vorschläge zu prüfen. Wichtig ist, dass wir in diesem Jahr entscheiden; denn wir haben neben der Klimadiskussion die Strommarktdesigndebatte zu klären. Wir haben heute übrigens nur am Rande über Trassenausbau gesprochen. Wir haben noch eine ganze Menge zu leisten, damit die Energiewende nicht nur in Deutschland, aber auch in Deutschland gelingt zum Nutze unserer Volkswirtschaft und der Menschen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)