Rede zum Einfluss von Interessenvertretern auf die Infrastrukturpolitik der Bundesregierung


Präsident Dr. Norbert Lammert:

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Hubertus Heil, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland befindet sich derzeit in einer überaus erfreulichen wirtschaftlichen Situation: Die Wachstumszahlen sind gerade nach oben korrigiert worden. Unser Land steht wirtschaftlich sehr gut da. Wir haben eine hohe Beschäftigungsquote. – Das ist die gute Nachricht und betrifft den Istzustand.
Die problematische Nachricht ist – das ist, glaube ich, in diesem Haus weidlich unumstritten –, dass wir ein Problem haben mit Investitionen in diesem Land. Es ist Auftrag einer Expertenkommission – übrigens mit einer sehr breiten Zusammensetzung; ich komme gleich darauf, Herr Kollege Ernst – unter Leitung von Professor Fratzscher, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, gewesen, der Frage nachzugehen, was getan werden muss, damit wir in drei Bereichen zu neuen Lösungen kommen.
Erstens sollte im privatwirtschaftlichen bzw. unternehmerischen Bereich herausgefunden werden, welche Rahmenbedingungen wir brauchen, damit Unternehmen in Deutschland investieren. Wir müssen seit vielen Jahren leider beobachten, dass zwar in diesem Bereich wie in vielen anderen Bereichen auch in Forschung und Entwicklung investiert wird, aber zu wenig. Ich glaube, es ist unstrittig, dass wir uns als Wirtschaftspolitiker um solche Fragen zu kümmern haben. Ich glaube, da hat die Kommission gute Vorschläge gemacht.
Zweitens. Wir haben eine Investitionsschwäche im öffentlichen Bereich, und zwar vor allen Dingen im kommunalen Bereich. 60 Prozent der öffentlichen Investitionen sind kommunale Investitionen. Die Bundesregierung und die Koalition tun übrigens mit dem heute Morgen vorgelegten Investitionspaket im Nachtragshaushalt etwas, um den Kommunen unter die Arme zu greifen, um sie zu entlasten, um strukturschwachen Kommunen dabei zu helfen, ihre kommunale Infrastruktur zu ertüchtigen. Da geht es gar nicht um öffentlich-private Partnerschaften, sondern es geht darum, dass wir mit Steuergeld mithelfen, die öffentliche Infrastruktur in diesem Land zu verbessern. Das ist etwas, was auf Linie der Kommissionsvorschläge liegt.
Drittens. Ja, es geht auch um die Frage, in welchen Bereichen es Sinn macht, für öffentliche Infrastruktur privates Kapital zu mobilisieren. Aber im Gegensatz zu dem, was Sie erzählen, Herr Kollege Ernst, ist die Zusammensetzung der Kommission eine ganz andere gewesen. Ich muss Ihnen bei aller Wertschätzung eines sagen: Besonders redlich ist es nicht, sich einzelne Mitglieder der Kommission herauszugreifen, aber beispielsweise zu verschweigen, dass der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft IG BAU, ein Vertreter des Deutschen Städtetages und viele andere aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft Teil dieser Kommission waren.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und die sind gegen die Empfehlungen! Genau das verschweigen Sie jetzt!)

– Ich verschweige überhaupt nicht, dass es in der Kommission ein sehr breites Meinungsbild gegeben hat. Das Ergebnis ist ein Kommissionsbericht, der eben nicht ein unkritisches Bejubeln von ÖPP-Projekten zum Inhalt hat – man sollte den Bericht auch mal lesen! –, sondern der sehr differenziert deutlich macht: Es hat in der Vergangenheit gescheiterte Projekte in öffentlich-privater Partnerschaft gegeben, zulasten der öffentlichen Hand.

(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Ganz genau!)

Und es hat sehr erfolgreiche Projekte in öffentlich-privater Partnerschaft gegeben. Unterhalten Sie sich beispielsweise mal mit dem Kämmerer der Stadt Nürnberg; das ist im Norden des Freistaats Bayern, nicht so weit von Schweinfurt entfernt, Herr Kollege Ernst.
Da gibt es sehr erfolgreiche Beispiele.
Es geht eher darum – und das ist Gegenstand der Kommissionsvorschläge –, durch eine gute Beratung von Kommunen, vor allen Dingen von kleinen Kommunen, dafür zu sorgen, dass sie nicht unkritisch bestimmte Beschaffungsvarianten wählen, und ihnen aufzuzeigen, was jeweils die beste und wirtschaftlichste Lösung ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das sind die Qualitätsmaßstäbe, die in diesem Bericht gesetzt werden.
Ich sage Ihnen noch etwas: Im Bereich der Verkehrsinfrastruktur bringen Sie hier einiges durcheinander; das wird Ihnen meine Kollegin Kirsten Lühmann noch einmal deutlich machen. Das Wichtigste ist, dass wir als Staat mehr in diesen Bereich investieren, und das tun wir in den Haushalten. Das tun wir im Verkehrshaushalt, das tun wir im Bereich der digitalen Infrastruktur, in anderen Bereichen ebenfalls. Wir erhöhen die Investitionsquote, müssen in diesem Bereich aber noch weiter gehen.
Dann gibt es einen Vorschlag, Herr Kollege Krischer, eine Infrastrukturgesellschaft zu gründen, aber eben nicht zur Privatisierung der Verkehrswege in diesem Land.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Darauf wollen die hinaus!)

– Nein. Im Gegenteil, das ist ein Vorschlag, den man sich genau angucken und durchleuchten muss: 100 Prozent Bund.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

– Doch, zu 100 Prozent Bund.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Beteiligung Privater“ steht da drin!)

– Nein, in dieser Variante geht es um Anlagefähigkeit, um Kreditwürdigkeit. Das ist eine Frage, die Sie sich an dieser Stelle genauer angucken sollten. Das ist ein Unterschied.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Beteiligung an der Infrastruktur!)

Mein grundsätzliches Problem ist doch Folgendes: Hier ist hochtransparent eine Kommission eingesetzt worden, die sehr breit gefächert zusammengesetzt ist aus Menschen aus der Wirtschaft, aus der Wissenschaft, aus der Gesellschaft. Und ich frage Sie, Herr Kollege Ernst – das mag uns unterscheiden –, ob es nicht vernünftig ist, Rat aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft einzuholen,

(Widerspruch des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

Sachverstand zu fragen. Am Ende des Tages sollten Sie aber eines nicht tun: so tun, als würden wir Kommissionsergebnisse eins zu eins übernehmen. Natürlich sind Interessenvertreter in einer solchen Kommission.

(Kirsten Lühmann [SPD]: Genau! Ausschließlich!)

Wer ist denn kein Interessenvertreter? – Aber eine Bundesregierung zu diffamieren, die sich Rat holt, die ein Meinungsbild von einer unabhängigen Kommission einholt, dann aber selbst entscheidet, was sie macht und was nicht, ist, wie ich finde, unwürdig. Das ist Ihrer unwürdig und intellektuell unredlich.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zurufe des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

Ich sage Ihnen ganz offen: Wer ständig „Skandal!“ ruft, lenkt von den eigentlichen Skandalen in dieser Gesellschaft ab. Wer demokratische Politik zu delegitimieren versucht, indem er Verschwörungstheorien in die Welt setzt,

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ach! Das ist doch Quatsch!)

schadet dem Ansehen demokratischer Politik. Es handelt sich hier um eine hochtransparente Kommission.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden genau prüfen, was wir machen und was wir nicht machen. Die Art und Weise, wie Sie jetzt so tun, als seien wir alle Marionetten von dunklen Mächten,

(Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

entstammt der Kiste der Verschwörungstheorien, mit der Sie Politik machen. Mit demokratischem Anstand hat das nicht viel zu tun. Das finde ich unanständig. Das will ich zum Schluss sagen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

Wir werden uns die Ergebnisse der Fratzscher-Kommission sehr genau ansehen. Da sind sehr, sehr gute Vorschläge dabei.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Erhöht die Steuern! Dann sind wir das Problem los!)

Da sind auch welche, die man kritisch diskutieren muss. Wir aber werden uns dem Thema zuwenden, wie in Deutschland investiert wird – öffentlich und privat –, weil uns die Zukunft dieses Landes interessiert. Das mag uns unterscheiden, Herr Ernst.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ach, nicht doch! Mein Gott!)