Rede von Hubertus Heil zum Thema „Investieren in Deutschlands und Europas Zukunft“


Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich sollten wir über die wirtschaftliche Lage reden, Frau Kollegin Andreae. Dazu haben Sie kein Wort gesagt. Man kann sich doch auch einfach einmal freuen, dass wir eine ordentliche wirtschaftliche Entwicklung haben: 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum,

(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Rekordbeschäftigung, zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Einfach einmal sich fröhlich freuen, würde auch Ihnen den Tag versüßen, sage ich einmal an dieser Stelle.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist natürlich richtig – und das ist ein Verdienst des Bundeswirtschaftsministers –, dass man sich angesichts dieser guten wirtschaftlichen Entwicklung nicht nur hinstellt und sagt: Es ist schön. – Denn klar ist: Es gibt sehr unterschiedliche Gründe, warum wir so gut aufgestellt sind. Das ist die Folge von Reformen in der Vergangenheit gewesen, das hat etwas mit der aktuellen internationalen Situation zu tun und auch mit der Arbeit dieser Bundesregierung, die aktuell im Amt ist. Da kommt vieles zusammen.
Aber es ist vor allen Dingen das Verdienst von fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und tüchtigen Unternehmern in diesem Land. Dieser Bundeswirtschaftsminister macht mit dem Jahreswirtschaftsbericht, im Übrigen auch schon mit dem letzten, Dinge anders als Vorgänger. Ich finde es richtig, dass er eben nicht nur sagt, was jetzt ist, sondern auch, was kommen muss, und ganz offen und ehrlich auch Herausforderungen benennt. Genau das ist es.
Aber, liebe Kerstin Andreae, eines muss ich doch noch loswerden: Bei bestimmten Fragen habe ich bei der Rede, die ich eben gehört habe, das Gefühl gehabt, dass man geradezu Pappkameraden aufbauen muss, weil es ganz schön schwierig ist, Dinge zu fordern, die es schon gibt. Ich finde das ganz schön schwierig. Mich erinnert das ein bisschen an eine Szene aus den Buddenbrooks, als Arbeiter vor das Haus des Senators ziehen und rufen: Wir wollen eine Republik. – Da sagt der Senator: Wir sind in der Freien und Hansestadt Lübeck, wir sind schon eine Republik. – Daraufhin sagt einer: Dann wollen wir noch eine Republik. – Das ist ein bisschen problematisch.
Sie fordern zusätzliche Investitionen. Genau die haben wir auf den Weg gebracht.
(Beifall bei der SPD – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Etikettenschwindel!)
Ich kann sie Ihnen im Einzelnen benennen: 5 Milliarden Euro zusätzlich für die Verkehrsinfrastruktur; 6 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung, weil wir nicht nur in Beton denken; 3 Milliarden Euro zusätzlich für Forschung; 10 Milliarden Euro zusätzlich für Investitionen bringen wir jetzt auf den Weg. Wir entlasten die Kommunen in dieser Legislaturperiode um über 5 Milliarden Euro. Also einfach mit einer Tonnenideologie immer mehr zu fordern, ist der falsche Weg. Sie könnten zumindest einmal anerkennen, dass diese Regierung massiv mehr als Vorgängerregierungen in die Zukunft investiert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir über Investitionen in diesem Land reden, dann reden wir zum einen über die Investitionen der öffentlichen Hand, also über die Investitionen von Bund, Ländern und Kommunen, in die Infrastruktur dieses Landes. Ich habe vorhin von Investitionen im Bereich der Bildung gesprochen: Zusätzlich stehen 6 Milliarden Euro zur Verfügung, vor allen Dingen durch Entlastung der Länder, damit in Kitas, in Schulen, in Hochschulen investiert werden kann. Hinzu kommen zusätzlich 3 Milliarden Euro für Forschung. Das ist eine gigantische Leistung. Man kann immer mehr wünschen – gar keine Frage –; aber wir wollen es eben schaffen – das ist nachhaltige Politik –, die Balance zwischen Haushaltskonsolidierung und Zukunftsinvestitionen zustande zu bringen. Dieser Weg scheint richtig zu sein.
Wir haben es geschafft, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, und wir haben es geschafft, ihn durchzusetzen und auch durchzuhalten. Natürlich ist das Glück manchmal auch mit den Tüchtigen; gar keine Frage. Die internationale Situation ist beschrieben worden, und wir haben das Glück der Tüchtigen an dieser Stelle. Aber es ist nicht so, dass sich diese Bundesregierung auf dem Erreichten ausruht; vielmehr gehen wir die Dinge an, die vor uns liegen. Auch das ist vorhin beschrieben worden.
Mehrere große Herausforderungen liegen vor uns. Es geht nicht nur darum, dafür zu sorgen, dass wir bei den öffentlichen Investitionen vorankommen, sondern zum anderen darum, dass wir die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Privatwirtschaft in Deutschland investiert. Aber auch da, Kerstin Andreae, ist der Befund, dass weniger investiert wird, falsch. Die Bruttoanlageinvestitionen in diesem Land sind gestiegen. Auch die Investitionen in der Privatwirtschaft in diesem Land sind gestiegen; auch das ist ein Befund des Jahreswirtschaftsberichts.
Wir haben also einige Aufgaben zu bewältigen. Das Thema Fachkräftesicherung ist vorhin angesprochen worden. Hier sind wir – Kollege Fuchs hat es angesprochen – ganz kräftig vorangekommen, auch was die Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit in diesem Land betrifft. Das ist hocherfreulich.
Ich füge hinzu: Es gibt in diesem Bereich noch Potenziale, die wir heben müssen. 50 000 junge Menschen verlassen Jahr für Jahr unsere Schulen ohne Schulabschluss. 1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 haben keine Ausbildung. Damit darf man sich nicht abfinden; das werden wir auch nicht. Deshalb ist es gut, dass dieser Bundeswirtschaftsminister im vergangenen Dezember mit Vertretern der Wirtschaft und der Gewerkschaften die Allianz für Aus- und Weiterbildung geschlossen hat, um dafür zu sorgen, dass wir kein Kind in diesem Land zurücklassen, dass wir versuchen, jedem, auch den Benachteiligten in diesem Land, unter die Arme zu greifen. Das geht nur im Schulterschluss zwischen Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften. Ich finde, auch als Opposition hätte man diese Leistung einfach einmal anerkennen können, Frau Kollegin Andreae.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie haben über Einwanderung gesprochen. Ich finde, es ist nicht fair, zu sagen, dass dieser Wirtschaftsminister dazu keine Vorschläge mache; er hat es nämlich in seiner Rede vorhin getan. Wir werden uns miteinander darüber zu unterhalten haben, wie wir das Einwanderungsrecht in diesem Land modernisieren. Ich finde, das ist eine ganz wesentliche Botschaft an diejenigen, die glauben, dass wir unseren Wohlstand national abgeschottet verteidigen können. Das können wir nicht! Wir müssen ein offenes, ein weltoffenes Land sein. Aber die Diskussion darüber müssen wir miteinander führen.
Ich glaube, dass es neben der Frage der gesetzlichen Bedingungen für Einwanderung in diesem Land einfach darum geht, eine offene Gesellschaft zu haben, die Menschen willkommen heißt und die Zuwanderer nicht abstößt. Deshalb sage ich ganz deutlich: Wir müssen Rechtsradikalen und Rechtspopulisten aus sehr unterschiedlichen Gründen entgegentreten. Wir müssen auch Ängsten entgegentreten, die es in der Bevölkerung aus sehr unterschiedlichen Gründen gibt; schließlich geht es um Menschen, und es ist nicht in Ordnung, gegen Minderheiten zu hetzen. Aber wir müssen auch deswegen weltoffen sein, weil es sich unser Land ökonomisch nicht leisten kann, national vernagelt zu sein. Unsere Wirtschaft ist exportorientiert, und wir brauchen eine qualifizierte Zuwanderung nach Deutschland. Dies wollen und werden wir organisieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage das auch im Hinblick auf den anderen Aspekt der Zukunftsfähigkeit unseres Landes: die digitale Infrastruktur. Wir haben durch die Haushaltskonsolidierung, durch die wirtschaftliche Entwicklung Spielräume bekommen: Zusätzlich stehen 10 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung. Wir müssen schauen, wie wir das vernünftig einsetzen. Auch da geht es darum, mit knappem Geld vernünftig umzugehen. Es ist richtig, dass in Energieeffizienz investiert wird; denn gerade in diesem Bereich können private Investitionen vernünftig gehebelt werden. Das ist ökologisch und auch wirtschaftlich vernünftig. Wir müssen etwas für die Verkehrsinfrastruktur tun. Auch da gilt unser Prinzip „Erhalt vor Neubau“, weil wir von der Substanz im Bereich der Verkehrsinfrastruktur leben; denn es ist für einen Wirtschaftsstandort wichtig, eine gute Verkehrsinfrastruktur zu haben.
Aber ich füge hinzu: Wir müssen auch mehr in die digitale Infrastruktur in diesem Land investieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Auch das wird Teil der Aufgabe sein: mit öffentlichem Anstoß privates Kapital in den Ausbau von Breitbandinfrastruktur gerade in ländlichen Räumen in Deutschland zu bringen.
Nächster Punkt: die Frage der Internationalisierung. Es ist vorhin angesprochen worden: Wir sind Export-vizeweltmeister. Wir dürfen nicht vernagelt sein. Wir müssen auch darüber reden, wie die Regeln für einen fairen und freien Welthandel gestaltet werden. Das sind schwierige Debatten, die wir in Sachen CETA und TTIP zu führen haben. Aber wir stellen uns den Debatten. Ich finde, man hätte auch einmal anerkennen können, dass wir diesen kritischen Diskurs miteinander führen und aushalten.

(Zuruf der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

An einem Punkt – da beißt die Maus keinen Faden ab – dürfen wir nicht national vernagelt sein. Man muss sich die Entwicklung in Fernost einfach einmal anschauen, um zu begreifen, dass auch unsere Interessen berührt sind. Es geht darum, welchen Zugang deutsche Unternehmen, vor allen Dingen mittelständische Unternehmen, auf den Märkten der Welt haben, wenn darüber verhandelt wird, Zollgrenzen einzureißen und auch nichttarifäre Handelshemmnisse zu beseitigen. Das ist in unserem Interesse, und auch das ist wirtschaftlich vernünftig.
Der Kollege Krischer hat vorhin über Energiepolitik gesprochen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hat er das? Pinocchio!)

Wir haben noch genug Gelegenheit in diesem Jahr, über Energiepolitik zu diskutieren. Ich finde, Oliver Krischer, es ist auch nicht unehrenhaft, wenn man Prognosen, die man bei Reden hier im Bundestag sozusagen im Überschwang abgegeben hat, was den Ausbau der erneuerbaren Energien betrifft, einfach einmal korrigiert und Zahlen zur Kenntnis nimmt.

(Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht in diesem Land kräftig weiter.
Aber es geht nicht darum, einfach nur kräftig Gas zu geben, sondern es geht darum, das System vernünftig weiterzuentwickeln. Die Frage der Bezahlbarkeit scheint die Grünen nicht so richtig zu interessieren, wenn es um die Energiewende geht. Das unterscheidet uns möglicherweise.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen eine sichere, aber auch eine saubere und bezahlbare Energieversorgung in diesem Land.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das ist der Weg, den wir fortsetzen werden. Das ist wirtschaftlich vernünftig. Es ist auch eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes, dass wir die Energiewende miteinander hinbekommen. Da liegt viel Arbeit vor uns.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Heil.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Der Jahreswirtschaftsbericht zeigt: Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir werden nicht nachlassen, im Interesse unseres Landes weiter daran zu arbeiten, dass wir wettbewerbsfähig bleiben, dass wir erfolgreich bleiben und dass möglichst viele Menschen am Wohlstand in diesem Land teilhaben können.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)