Das kulturkritische Gerede vom angeblichen „Akademisierungswahn“ ignoriert die gesellschaftlichen und individuellen Chancen, die unsere Hochschulen hervorbringen
Der Begriff des Fortschritts steht für die sozialdemokratische Hoffnung, der gesellschaftlichen Entwicklung einen positiven Sinn geben zu können. Anders als der Soziologe Niklas Luhmann, für den die Moderne weder Wert noch Richtung kannte, halten wir an einem qualitativen Fortschrittsbegriff fest. Wir nehmen soziale, wirtschaftliche, wissenschaftliche oder technologische Entwicklungen nicht einfach hin, sondern betrachten sie als Quelle für politisch zu gestaltende, positive gesellschaftliche Innovationen. Sie sind so gesehen die Ressource für eine bessere Zukunft. Sie sind Mittel zum Zweck, um das gesellschaftliche Zusammenleben gerechter organisieren und jedem Menschen Chancen auf ein eigenverantwortliches Leben eröffnen zu können. Deshalb bedarf die in der Tradition von Aufklärung und Emanzipation gegründete historische Allianz der Sozialdemokratie mit Wissenschaft und Forschung einer modernen Neuauflage.
Aufklärung und Kreativität
Den Hochschulen kommt in der Frage gesellschaftlichen Fortschritts eine Schlüsselrolle zu. Historisch betrachtet waren sie der Ort, der immer wieder Vernunft, kritischem Denken und Kreativität ein Refugium bot. Aus ihnen ging – beispielsweise mit den ersten Universitätsgründungen im ausgehenden Mittelalter, aber auch in der Aufklärung und selbst nach 1968 – gesellschaftlicher Fortschritt hervor, oft auch gegen erhebliche Widerstände. Und ihre Aufgabe, Wissen und Können mit kritischem, reflexivem Denken zu verbinden, ist heute wichtiger denn je.
Die Hochschulen sind aber darüber hinaus das innovative Herzstück unseres Wissenschaftssystems. Sie sind es, die wissenschaftlicher Autonomie, interdisziplinärer Expertise und Kooperation sowie absoluter Spitzenforschung einen gemeinsamen, Kreativität und Neugier fördernden Rahmen geben. Aus ihnen gehen die Wissenschaftler und Forscherinnen hervor, die unsere Innovationen von morgen vorausdenken. Und nicht zuletzt gehen aus den Hochschulen auch die Hochschullehrer und -lehrerinnen hervor, die unsere nächste Forschergeneration ausbilden werden. Hochschulen fördern somit Kreativität und Kooperation, und sie sichern die personelle Reproduktion im Wissenschaftssystem.
Deutschland ist strukturell besonders auf seine Innovationsfähigkeit angewiesen, wenn es ohne Rohstoffe oder Lohnkostenvorteile und angesichts des demografischen Wandels auch in Zukunft noch Wertschöpfung und sozialen Fortschritt sichern will. Aber Innovationen fallen nicht vom Himmel, sie müssen gesellschaftlich organisiert werden – das ist die besondere Aufgabe der Wirtschaftspolitik und – sogar noch mehr – der Wissenschafts- und Hochschulpolitik.
Gerade vor dem Hintergrund des globalen Innovationswettbewerbs und einer zunehmend wissensbasierten Wirtschaft rücken die Hochschulen in den Fokus. Unser Innovationssystem erweist sich bisher als robust und leistungsfähig, auch weil es institutionell auf Vielfalt und wissenschaftlich auf Kooperation und Vernetzung setzt: Gute Hochschulen bilden oft die Kristallisationskerne, an denen sich leistungsstarke Forschungsorganisationen und forschende, innovative Unternehmen wechselseitig befruchten können. Gemeinsam sichern sie so die Innovationsdynamik und die für einen sozialen Fortschritt erforderlichen Ressourcen. Bund und Länder haben dies früh erkannt und auch mit großen, milliardenschweren Programmen maßgeblich gefördert. Der Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative oder auch der Pakt für Forschung und Innovationen entfachten eine Dynamik, die international wahrgenommen wird.
Dabei lehrt uns die Erfahrung, dass die Hochschulen ihre Aufgaben am besten erfüllen können, wenn sie neben den erforderlichen Ressourcen auch die Freiheit erhalten, selbst zu entscheiden, wer woran mit welchem Ziel forschen soll. Alles andere, gar eine politische Pränormierung wissenschaftlichen Handelns, erstickt langfristig Kreativität und Innovation. Nichts anderes drückt Artikel 5 unseres Grundgesetzes aus – Wissenschaftsfreiheit und sozialer Fortschritt gehören zusammen.
Wir dürfen jetzt nicht nachlassen
Die Hochschulen sind somit Motor für Innovationen und Fortschritt. Deshalb bietet der gegenwärtige Ansturm auf sie allen Anlass, auf eine bessere Zukunft für mehr Menschen zu hoffen. Kulturkritische Debatten über einen angeblich drohenden „Akademisierungswahn“ verkennen die gesellschaftlichen und individuellen Chancen, die unsere Hochschulen hervorbringen.
Die Schlüsselrolle der Hochschulen hat dank der SPD ihren Niederschlag im Koalitionsvertrag gefunden. Nachdem bisher die außeruniversitären Forschungseinrichtungen besonders bedacht wurden, wollen wir künftig vor allem die Universitäten sowie die Hochschulen für angewandte Wissenschaften stärken. Der Bund hat erste Schritte getan, etwa den Hochschulpakt bis 2023 fortgesetzt oder Bafög-Kosten übernommen, damit die Länder in ihre Hochschulen investieren können. Wir wollen aber nicht nachlassen und werden die Exzellenzinitiative fortsetzen. Bei unserem Koalitionspartner werden wir weiter für einen vierten Pakt zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und des Mittelbaus werben. Wir tun dies aus tiefer Überzeugung, weil wir verstanden haben, dass unsere Hochschulen für den gesellschaftlichen Fortschritt von strategischer Bedeutung sind. Kurzum: It’s the university, stupid!