Rede von Hubertus Heil zum Bundeshaushalt Wirtschaft und Energie

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Hein. – Nächster Redner in der Debatte: Hubertus Heil für die SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Meine sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Dr. Hein, ich war in der letzten Legislaturperiode, wie Sie das jetzt sind, in der Opposition. Ich habe dabei eines gelernt: Ein Angriff auf die Regierung ist nur dann passend, wenn man auch die Größe hat, zuzugeben, was die Regierung alles geleistet hat. Das macht eine souveräne Opposition aus.

(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Eben!)

Dann tritt auch das, was Sie wirklich zu sagen haben, deutlicher hervor.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das machen wir in der vierten Lesung!)

Das haben Sie aber nicht geschafft. Der Eindruck, dass Sie in Ihrer Rede ein Zerrbild gezeichnet haben, ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Viele der Fragen, die Sie gestellt haben, sind einfach zu beantworten. Zum Thema „Digitale Bildung“ wird die Kollegin Esken gleich etwas sagen. Ich will Sie nur auf eines hinweisen: Diese Große Koalition – das hätten Sie auch einmal erwähnen können – hat binnen eines Jahres mehr bewegt als die Vorgängerregierung in vier Jahren. Ich will Ihnen das anhand einzelner Zahlen dieses Haushaltes belegen.

(Beifall bei der SPD – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist die Messlatte aber nicht besonders hoch gewesen!)

Dies ist ein Rekordetat; das hat die Ministerin zu Recht erwähnt. Das BMBF hat einen Etat von 15,3 Milliarden Euro, und es wird noch mehr. Durch die Entscheidungen, die diese Große Koalition im ersten Jahr getroffen hat, mobilisieren wir für den Zeitraum von 2015 bis 2023 zusätzliche Bundesmittel in Höhe von rund 31 Milliarden Euro.
Ich will Ihnen die Zahlen nennen bzw. aufschlüsseln. Durch die 100-prozentige Übernahme des BAföG geben wir – wenn Sie den Zeitraum bis 2023 hochrechnen – 10,5 Milliarden Euro zusätzlich für Hochschulen, Schulen und – auch das ist möglich – für frühkindliche Förderung.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist nicht möglich!)

Sie als Opposition könnten zumindest anerkennen, dass das ein Riesenschritt ist.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das haben wir schon in der Debatte zum BAföG gesagt!)

Dass das nicht genug ist, das können Sie immer sagen; aber so zu tun, als würden wir im Bereich Bildung sogar noch kürzen, das ist nicht ganz redlich, Frau Dr. Hein.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind übereingekommen, im Rahmen des Hochschulpakts bis 2023 zusätzlich 14,1 Milliarden Euro zu mobilisieren. Auch das ist eine stramme Leistung. Ich finde das richtig.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Wir stellen für die Programmpauschalen bis 2020 weitere 2,03 Milliarden Euro und für den Pakt für Forschung und Innovation 3,87 Milliarden Euro zur Verfügung. Das sind zusammen rund 31 Milliarden Euro. Sie können also nicht so tun, als würden wir in diesem Bereich kürzen. Sie können gerne sagen: Das ist immer noch nicht genug – Ihnen ist an dieser Stelle ja nie etwas genug –, aber zeichnen Sie bitte kein Zerrbild nach dem Motto „Die kürzen bei Bildung“. Das ist nicht die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Bilanz nach einem Jahr stellt sich so dar: Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, haben wir 6 Milliarden Euro für Bildung und 3 Milliarden Euro für Forschung auf den Weg gebracht. Wenn der Bundesrat und die MPK dem Ganzen zustimmen, ist das ab 1. Januar auch gesetzgeberisch auf der Schiene. Durch die Übernahme des BAföG investieren wir jährlich 1,17 Milliarden Euro in gute Bildung.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei Semester Nullrunde für Studierende!)

Wir haben den Hochschulpakt und den Pakt für Forschung und Innovation auf den Weg gebracht.
Worauf ich sehr stolz bin: Es ist uns in diesem einen Jahr gelungen, Projekte auf den Weg zu bringen, die gar nicht im Koalitionsvertrag stehen.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da haben Sie das BAföG vergessen!)

Das betrifft die BAföG-Erhöhung, durch die ab 2016 immerhin 825 Millionen Euro jährlich mehr für Chancengleichheit mobilisiert werden.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In zwei Jahren!)

Damit gibt es 110 000 zusätzliche Anspruchsberechtigte und Geförderte im Bereich des BAföG. Herr Gehring, man kann immer darüber streiten, ob es ein Jahr zu spät ist.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei Jahre zu spät!)

Sie wissen, ich wünsche mir, es wäre gestern gewesen; das ist doch nicht die Frage. Wenn die Opposition einmal anerkennen würde, was wir geschafft haben und dass wir damit einen wesentlichen Schritt in Richtung mehr Chancengleichheit gemacht haben, dann wäre das ein Zeichen von Größe und Souveränität.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder leere Versprechen! – Zuruf von der LINKEN: Selbstbeweihräucherung!)

Wir haben in diesem Jahr – was nicht trivial ist – miteinander den Artikel 91 b Grundgesetz auf den Weg gebracht. Das ermöglicht Formen der Kooperation, die es – ich betone das – im Bereich Wissenschaft und Forschung nie zuvor gegeben hat.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie versprochen?)

– Gar keine Frage, wenn wir eine absolute Mehrheit gehabt hätten – mit euch hätten wir die Zweidrittelmehrheit im Parlament gehabt –, dann hätten wir das Kooperationsverbot für die Schule auch noch gekippt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Willi Brase [SPD]: Hätte, hätte, Fahrradkette! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Hätte, hätte, Fahrradkette!)

Das fällt aber unter das Motto „Hätte, hätte, Fahrradkette“. Ihr habt uns nicht zur absoluten Mehrheit verholfen und euch nicht besonders stark dafür gemacht, dass wir eine Zweidrittelmehrheit hinbekommen. Auf gut Deutsch: Lieber kleine Schritte, als große Worte, lieber Kollege Mutlu.

(Beifall des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU])

Das, was wir, die Große Koalition, für die Wissenschaft und Forschung erreicht haben, kann sich sehen lassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Frau Ministerin, für den Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung gilt das alte deutsche Sprichwort: Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie an der falschen Körperseite.

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Das habe ich ja noch nie gehört.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Ja, das ist doch so, oder?

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Ja, aber ich habe es noch nie gehört.

(Heiterkeit)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Claudia, Verzeihung, Frau Präsidentin, vorhin hat der Kollege Schulz behauptet, Sie würden jetzt leuchten. Ich finde: Sie leuchten immer. Das wollte ich auch noch sagen.

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Oh!

(Heiterkeit – Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU: Oh!)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Ja, ist doch so. Strahlen, das ist der richtige Begriff. Aber jenseits des Strahlens muss man auch handeln.
Wir haben dafür zu sorgen, dass wir trotz aller Erfolge, die wir haben, in den nächsten Jahren die Weichen richtig stellen.
Ich behaupte, das Jahr 2015/16 gibt Gelegenheit für zentrale Weichenstellungen. Ich möchte mich in diesem Bereich auf drei Punkte beziehen. Eines wurde bereits gesagt: Mit diesem Haushalt mobilisieren wir mehr für die berufliche Bildung. Aber wenn es richtig ist, dass sie der Kern unseres Systems der beruflichen Ausbildung und ein Erfolgsfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Land ist, ein System, das vor allem jungen Menschen eine Chance gibt, zu einem selbstbestimmten Leben zu finden, dann haben wir im nächsten Jahr mindestens drei Dinge zu bewegen:
Erstens – das haben wir auf dem Schirm – die Allianz für Aus- und Weiterbildung. Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft sowie dem Arbeits- und dem Bildungsministerium geht es darum, die Ausbildungsgarantie von einer Überschrift zur Realität werden zu lassen, auch die Wirtschaft für zusätzliche Ausbildungsplätze in die Pflicht zu nehmen und den benachteiligten jungen Menschen über assistierte Ausbildung ebenfalls eine Chance zu geben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Zweitens. Swen Schulz sprach es an: Wir brauchen die Novelle beim Meister-BAföG. Das ist Aufstiegsförderung, und ich kann mir nicht verkneifen, zu sagen: Es ist nicht sinnvoll – das ist an den Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz gerichtet –, Debatten von vorgestern über Studiengebühren zu führen. Wenn es um Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung geht, dann finde ich es sinnvoller, einmal langfristiger darüber zu sprechen, ob wir nicht die Meistergebühren in diesem Land senken oder sie irgendwann ganz streichen. Das wäre Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Drittens. Wir haben uns auch um die Qualität und die Modernität der beruflichen Ausbildung zu kümmern. Die Reform des Berufsbildungsgesetzes ist eine große Aufgabe. Ich möchte an dieser Stelle einmal ganz grundsätzlich sagen: Ich empfinde diesen lähmenden Widerspruch zwischen dem Vorwurf des Akademisierungswahns auf der einen Seite und einer Geringschätzung der beruflichen Bildung auf der anderen Seite als etwas, was uns nicht wirklich weiterhilft. Wir brauchen in Deutschland beides: ordentliche Berufsausbildung, Fachkräfte, sowie akademische Bildung. Diese dürfen wir nicht gegeneinander ausspielen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Durchlässigkeit ist das Gebot der Stunde.
Das heißt auch, dass wir im Hochschulbereich weitergehen müssen. Vor allem müssen wir die Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses und des Mittelbaus in der Zukunft verbessern. Wir haben zu wenige Dauerstellen, zu viel Unklarheit für junge Leute in diesem Bereich und zu viele Befristungen.
Wir werden als Koalition – das haben wir uns vorgenommen – das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novellieren – mit Augenmaß, gar keine Frage; aber wir werden es novellieren, um den Missbrauch von Befristungen im akademischen Bereich zurückzudrängen.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann denn? – Gegenruf von der SPD: Bald!)

Ich sage aber auch: Wir brauchen Mittel für eine Personaloffensive an den Hochschulen, damit junge Menschen, die bereits eine gute Hochschulausbildung haben, im Wissenschaftsbetrieb Karriereperspektiven haben, damit sie nicht alle ins Ausland gehen, sondern, im Gegenteil, die klügsten Köpfe der Welt auch an unsere Hochschulen in Deutschland kommen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Außerdem werden wir die Exzellenzinitiative fortsetzen. Es liegt noch viel Arbeit vor uns, aber wir werden darüber in der Koalition mit den Ländern zu sprechen haben. Last, but not least: Wir setzen einen Schwerpunkt im Bereich Innovation und Forschung. Für uns ist es ganz wichtig – ich denke, das trägt uns auch in der Koalition –, dass wir technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt befördern und nach vorne bringen, aber immer auch dafür sorgen, dass aus technischem Fortschritt gesellschaftlicher Fortschritt wird.

(Beifall bei der SPD)

Das betrifft vor allem die Digitalisierung. Dabei geht es um IT-Sicherheit und Standardisierung, es geht aber auch um die Humanisierung der Arbeit und um die Frage, welche Grundlage wir schaffen, damit Deutschland wirtschaftlich und gesellschaftlich erfolgreich bleibt. Damit leisten die Bildungs, die Wissenschafts- und die Forschungspolitik ihren Beitrag zu wirtschaftlichem Erfolg, aber eben auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit in diesem Land.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)