Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist häufig die Logik von Haushaltsdebatten, gerade wenn es um die Wirtschaft geht, dass man ein bisschen in der einen oder anderen Richtung in Extreme verfällt. Was will ich damit sagen? Ich glaube, dass wir uns in der Wirtschaftspolitik weder regierungsamtliche Schönfärberei noch oppositionsmäßige Schwarzmalerei leisten dürfen. Wir brauchen einen realistischen Blick darauf, was wirtschaftspolitisch vor uns liegt. Wenn man es nicht glaubt, dann sollte man vielleicht das Buch von Marcel Fratzscher, dem DIW-Chef, lesen, der über unser Land, wie ich finde, in bemerkenswerter Weise deutlich macht, dass wir wirklich das sind, was wir alle miteinander feststellen, nämlich die Wachstumslokomotive in Europa, ein starker volkswirtschaftlicher Wachstumskern in Europa, der über vernünftige Wertschöpfungsketten verfügt. Wenn man sich daran erinnert, wie es früher, vor etwa zehn Jahren, war, als über Deutschland als den kranken Mann Europas gesprochen wurde, muss man sagen: Dass sich das verändert hat, liegt daran, dass Vorgängerregierungen den Mut zu Reformen hatten, den andere nun offensichtlich unter schwierigeren Bedingungen erst aufbringen müssen. Herr Mattfeldt, ich sage das mit Hinweis auch auf Frankreich. Wenn Jacques Chirac und Sarkozy den gleichen Mut zu Reformen gehabt hätten wie beispielsweise die rot-grüne Bundesregierung, würden wir nicht vor solchen Problemen stehen, wie wir sie heute haben.
(Johannes Kahrs [SPD]: So ist es!)
Wir können Präsident Hollande nur den Mut und die Unterstützung wünschen, um zu Strukturreformen in seinem Land zu kommen.
(Beifall bei der SPD – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: In Frankreich ist „Sozialdemokrat“ ein Schimpfwort bei Sozialisten!)
– Sehen Sie das doch nicht einseitig durch die parteipolitische Brille, sondern versuchen Sie einfach, festzustellen: Ja, wir sind ein starkes Land.
Herr Fratzscher hat aber in seinem Buch auch deutlich gemacht, dass es keinen Grund gibt, sich selbstzufrieden zurückzulehnen. Oder wie der Volksmund sagt: Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie am falschen Körperteil. Tatsache ist: Bei aller Freude über die Stärke unseres Landes haben wir auch ein paar wunde Punkte, die es zu bearbeiten gilt. Ein wunder Punkt ist die Investitionsquote in diesem Land, und zwar sowohl die private als auch die öffentliche. Deshalb bin ich froh, dass wir nicht nur mit dem Etat des Bundeswirtschaftsministeriums, sondern mit dem gesamten Bundeshaushalt dafür sorgen, dass die öffentlichen Investitionen gestärkt werden, und zwar sowohl im Bereich der Mittelstandsförderung und im Bereich der Verkehrsinfrastruktur als auch bei Bildung und Forschung. Nicht nur, dass wir Schritt für Schritt den Haushalt konsolidieren, wir investieren auch mehr in Zukunft. Hier sind wir auf einem guten Weg.
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wird jetzt schöngeredet! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das keine Schönrederei ist, dann weiß ich nicht, was Schönrederei ist!)
Das reicht aber nicht. Deshalb ist es richtig und vernünftig, dass wir gerade in der momentanen Phase – Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat das angemahnt; Bundesfinanzminister Schäuble hat sich nun auf den Weg gemacht – zusätzliche Mittel, die sich aus den vorhandenen Spielräumen ergeben, für öffentliche Investitionen nutzen. Wir werden zwar über die Verteilung der Mittel noch im Einzelnen zu diskutieren haben. Aber aus wirtschaftspolitischer Sicht ist es wichtig, dass wir die Mittel nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern sie tatsächlich für investive Maßnahmen einsetzen, beispielsweise für die energetische Gebäudesanierung, die Stärkung der Kommunen
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Umgehungsstraßen in Bayern!)
sowie für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und der Breitbandinfrastruktur in diesem Land. Da gehören die Mittel hin. Sie dürfen nicht mit der Gießkanne verteilt werden.
(Beifall bei der SPD)
Wenn wir über Investitionsquoten reden, dann dürfen wir nicht nur über die öffentlichen, sondern müssen auch über die privatwirtschaftlichen Investitionen reden und darüber, wie die Rahmenbedingungen der Wirtschaft für Investitionen in Deutschland sind. Ja, wir haben Standortstärken, zum Beispiel die berufliche Erstausbildung in diesem Land, eine im internationalen Vergleich noch immer gute Infrastruktur, eine Forschungslandschaft, die sich sehen lassen kann, und sozialen Frieden, der für Investitionssicherheit in diesem Land sorgt. Wir sind ein starkes Land.
Aber wir haben auch ein paar Schwachstellen. Die zu bearbeiten, ist Aufgabe aktiver Wirtschaftspolitik. Deshalb bin ich froh, dass Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Gegensatz zu manchem Vorgänger Wirtschaftspolitik nicht nach dem Motto „Wir schauen der Wirtschaft beim Wachsen zu“ oder – noch schlimmer – „Wir schauen ihr beim Schrumpfen zu“ betreibt, sondern dass er auf aktive Gestaltung der Rahmenbedingungen setzt,
(Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
beispielsweise indem er die Energiewende wieder vom Kopf auf die Füße stellt. Das ist die wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe. Wir haben Aufräumarbeiten zu leisten, damit die Energiewende funktioniert.
(Beifall bei der SPD – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geben Sie doch einfach einmal ein Beispiel! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Beispiel!)
– Das kann ich gerne geben, Herr Kollege Krischer. Sie haben ja auch noch die Gelegenheit.
Wir haben binnen eines Jahres dafür gesorgt, dass mit der EEG-Reform nicht nur Planbarkeit in den Ausbau der erneuerbaren Energien kommt,
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sie ausgebremst: Die Photovoltaik ist vorbei in Deutschland!)
sondern eben auch mehr Kosteneffizienz, damit wir nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip das Geld verschleudern. Hinzu kommt die Akzeptanz der Energiewende.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Abteilung Schrumpf!)
– Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie verstehen von vielem etwas, aber von Wirtschaftspolitik wirklich nichts, wenn Sie hier so etwas sagen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: So viel zum Thema Frauenquote!)
– Hören Sie doch einfach einen Moment zu. Sie haben nachher noch die Gelegenheit.
Wir haben tatsächlich dafür gesorgt, dass die EEG-Reform vorangekommen ist, und – was wichtig ist, damit wir auch energieintensive Betriebe in Deutschland halten können – wir haben binnen eines Jahres den Konflikt mit der EU-Kommission beigelegt, damit die Grundstoffindustrien in Deutschland bleiben. Ich weiß nicht, was in dieser Frage passiert wäre, wenn Frau Göring-Eckardt Wirtschaftsministerin gewesen wäre. Ich bin froh, dass Sigmar Gabriel das geschafft hat.
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man Argumente hat, dann muss man nicht so einen Quatsch sagen!)
Wir haben aber energiepolitisch noch eine ganze Menge vor, beispielsweise für mehr Energieeffizienz zu sorgen.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hubertus Heil plaudert!)
Dafür werden am 3. Dezember entsprechende Maßnahmen im Kabinett getroffen. Dazu gehört beispielsweise die energetische Gebäudesanierung. Wir werden im kommenden Jahr die Entscheidung über das zukünftige Strommarktdesign treffen. Wir wollen, dass die Energiewende zum Erfolg geführt wird – für eine saubere, aber eben auch für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung. Das sind wir der wirtschaftlichen Entwicklung und den Menschen in diesem Land schuldig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leg doch mal eine neue Platte auf!)
– Das tut Ihnen weh. Das merke ich schon an den Zwischenrufen. Aber es ist so: Wir machen uns auf den Weg.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kaudert!)
Es geht weiterhin darum, Industriepolitik in diesem Land zu betreiben. Da ist Energiepolitik ein ganz zentraler Bereich. Dazu gehört aber auch das Thema Fachkräftesicherung, an dem wir arbeiten, und nicht zuletzt die Frage der Akzeptanz von industrieller Wertschöpfung und von Innovation in diesem Lande. Deshalb ist das angesprochene Bündnis für Industrie in diesem Land, das Sigmar Gabriel mit Wirtschaft und Gewerkschaften geschlossen hat, ganz wichtig.
Die großen Herausforderungen, vor denen der Industriestandort Deutschland steht, sind die demografische Entwicklung – Stichwort: Fachkräfte –, die Frage der Innovation – Stichwort: Digitalisierung, Industrie 4.0 –, die Frage der Internationalisierung und die Frage der Rohstoffknappheit und der Energiekosten. Das sind alles Fragen, die wir nicht alleine beantworten können; vielmehr brauchen wir abgestimmte Maßnahmen zwischen Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften in diesem Land.
Das sind große Herausforderungen. Deshalb finde ich es richtig, dass Sigmar Gabriel die Initiative ergriffen hat. Ich bin dem BDI-Präsidenten, Herrn Grillo, und dem IG-Metall-Vorsitzenden Detlef Wetzel außerordentlich dankbar, dass sie mitmachen; denn sie wissen: Es gibt bei allen Interessenunterschieden, die es zwischen Arbeitnehmern und Gewerkschaften in diesem Land gibt, die es auch in der Politik, auch in der Großen -Koalition, gibt, die Notwendigkeit, zu einem neuen Industriekonsens in diesem Land zu kommen. Das ist der Schulterschluss, den wir für wirtschaftlichen Erfolg in diesem Land brauchen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Schließlich müssen wir etwas für das wirtschaftliche Rückgrat dieses Landes tun, und das ist der Mittelstand. Aufgrund meiner begrenzten Redezeit nur ein Hinweis: Diese Regierung redet nicht über Bürokratieabbau, sie macht sich auf den Weg. Ich nenne zum Beispiel die One-in- und die One-out-Regelung.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie war das noch mal? Erklären Sie mir das noch mal!)
– Das kann ich erklären. – Wir sorgen für eine Bürokratiebremse.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt für alles eine Bremse!)
Es wird für jede neue Regelung eine alte Regelung gestrichen. Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. Ich füge hinzu: Das meiste ist Steuerbürokratie in diesem Land. Die werden wir uns vornehmen müssen, damit wir diesem Land tatsächlich Investitionsimpulse geben, die übrigens nicht immer Geld kosten müssen, die aber gerade für die mittelständische Wirtschaft wichtig sind.
Dieser Bundeswirtschaftsminister hat in einem Jahr dafür gesorgt, dass aus einem verwaisten Haus wieder ein gestaltendes Schlüsselressort dieser Bundesregierung geworden ist. Wir werden ihn auf diesem Weg weiter im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Landes unterstützen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Gut so!)