Rede von Hubertus Heil zu einer Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b)


Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:

Als nächster Redner hat der Kollege Hubertus Heil das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mir nicht helfen, aber es scheint ein Zufall zu sein, dass in solchen Debatten immer Frau Bulmahn als Vizepräsidentin amtiert.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sie passt auf Sie auf!)

Sie hat in diesen Debatten durchaus schon das Wort ergriffen und hat dieses Haus – sie hat in vielem auch recht gehabt – vor manchem Irrtum bewahren wollen. Darauf komme ich später noch zu sprechen.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber sie kann jetzt nicht mehr reden!)

Wir reden heute über etwas anderes. Vielleicht reden wir einmal über die einheitliche Auffassung dieses Parlaments darüber, dass es zumindest richtig ist, neue Möglichkeiten der Kooperation im Bereich der Wissenschaft und der Hochschulen in diesem Land zu schaffen; das bestreitet doch niemand ernsthaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Man kann darüber streiten, ob wir mehr Möglichkeiten brauchen – Sie kennen unsere Auffas-sung dazu, dazu sage ich gleich etwas –, aber wir sind uns einig, dass das ein wesentlicher Schritt ist. Jetzt kann man das als kleinen oder großen Spatz klassifizieren, was auch immer, Frau Hein; es geht hier aber nicht um die Kategorie.

(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist ein Zaunkönig!)

Vielmehr müssen wir der deutschen Öffentlichkeit klarmachen, warum es gerade in dieser Phase – da hat Frau Wanka vollkommen recht – notwendig ist, dass wir jenseits der Klimm-züge von Projektitis eine dauerhafte Form von Zusammenarbeit für die Hochschullandschaft, das Herzstück des Wissenschaftssystems in unserem Land, auf den Weg bringen.
Dafür gibt es ein paar Gründe. Wir haben erlebt – das haben wir in den vergangenen Jahren mit den Hochschulpakten unterstützt –, dass es weiterhin einen großen Run auf die Hoch-schulen gibt. Die Zahl der Studierenden ist massiv gestiegen; das war politisch gewollt. Ich sage – das hat gestern auch mein Fraktionsvorsitzender erklärt –: Wir wollen nicht, dass die universitäre Ausbildung gegen die berufliche Erstausbildung ausgespielt wird. Aber diese Wel-le an Studierenden muss von den Hochschulen in Deutschland verkraftet werden. Deshalb ist es wichtig, dass Bund und Länder gemeinsam dauerhaft, nicht nur in Projekten, zusammen-wirken können.
Wir brauchen eine Stärkung des Hochschulsystems und der Wissenschaft, auch in Bezug auf die Forschung. Wir sind wunderbar aufgestellt, was die außeruniversitäre Forschung in Deutschland betrifft. Aber Bund und Länder müssen in den nächsten Jahren, um international mithalten zu können, in der außeruniversitären und eben in der Hochschulforschung gemein-sam ansetzen können, ohne sich dabei zu verrenken.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich glaube, dass diese Form von Kooperation, die wir mit der vorgeschlagenen Grundgesetz-änderung ermöglichen, auch im Interesse der Beschäftigten an den Hochschulen ist, nicht nur der Professorinnen und Professoren, sondern auch derjenigen, die im wissenschaftlichen Mittelbau arbeiten; darauf komme ich noch. Diese Menschen erleben ja oft, dass diese Form von Kurzatmigkeit und Projektitis dazu führt, dass ihr Arbeitsleben ziemlich ungeregelt und befristet ist, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wir werden in dieser Legislaturperiode über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz noch einmal zu reden haben. Wir haben uns vorge-nommen, das zu ändern.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben schon etwas vorgelegt!)

Aber genauso wichtig ist es, dass wir die Möglichkeit von Kooperationen schaffen, damit Auf-stiegsmöglichkeiten und Karrierewege für gut ausgebildete Menschen, die wir an den Hoch-schulen dauerhaft halten wollen, möglich sind. Deshalb ist es ein guter Schritt, dass wir diese Grundgesetzänderung gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Frau Ministerin Wanka, Sie haben vollkommen recht: Mit der Formulierung, die wir gemeinsam für Artikel 91 b Grundge-setz gefunden haben, schaffen wir erstmals für den Wissenschaftsbereich dauerhafte, ver-lässliche und institutionelle Fördermöglichkeiten für die Hochschulen. Das ist unbestritten. Das gab es früher nicht, das ist ein großer Fortschritt.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Gleichwohl gibt es in der Koalition – das ist doch gar keine Frage – einen Dissens, den wir aber miteinander aushalten. Es geht darum – das wissen Sie –, dass wir uns als Sozialdemo-kraten durchaus gewünscht hätten, das Kooperationsverbot im Bereich der Bildung insgesamt aufzubrechen. Das leugnet niemand hier, das leugnet auch niemand im Bundesrat. Das ist die Position meiner Partei und auch vieler in der Union; das wissen wir.
Frau Wanka, Sie haben vorhin darauf hingewiesen, dass im Bundesrat Ministerpräsidentinnen – kluge Frauen – gesprochen haben, mit denen auch wir sprechen, die persönlich der Mei-nung sind, dass die Sache mit dem Kooperationsverbot im Bereich der Bildung insgesamt abgeschafft gehört. Da kann man sich immer wechselseitig vorhalten, wer in der eigenen Partei noch nicht so weit ist; das kennen die Grünen auch; man muss nur einmal nach Stuttgart gucken.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Zweidrittelmehrheit ist zu schaffen!)

Das alles hilft uns nichts.
Wir müssen jetzt den Schritt gehen, den wir gemeinsam mit einer Mehrheit im Bundestag und Bundesrat gehen können. Es wäre vollkommen falsch, aufgrund dieses Dissenses, weil eini-ge noch nicht so weit sind, die Wissenschaft in Geiselhaft zu nehmen. Das Gesamtpaket stimmt.
Frau Hein, die Verknüpfung ist vollkommen in Ordnung, dass wir in dieser Woche zugleich darüber reden, dass wir die Länder entlasten, um Spielräume zu schaffen, dass wir das BA-föG verbessern und dass wir Möglichkeiten für den Hochschulbereich schaffen. Das zeigt die Handlungsfähigkeit dieser Koalition auf Basis der Möglichkeiten, die die Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat hergeben. Das ist im Interesse von Bildung und Forschung in diesem Land. Deshalb ist es ein guter Schritt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich sage trotzdem noch einmal: Wir wünschen uns für die Zukunft mehr, und wir werben auch dafür. Frau Bulmahn – das darf ich einmal erwähnen – hat damals im Rahmen der Fö-deralismusreform auf einiges hingewiesen. Ich bin der Meinung, dass wir zukünftig einen Irr-tum aus der Föderalismusreform für den Bereich der Bildung korrigieren müssen: Das ist das Kooperationsverbot für den Bildungsbereich und für den Schulbereich. Wir müssen um Mehrheiten werben. Denn da hat mein früherer Fraktionsvorsitzender und heutiger Außenmi-nister vollkommen recht gehabt. Das Kooperationsverbot im Bereich der Bildung, sagte Frank-Walter Steinmeier am 16. Mai 2013 in diesem Hohen Haus, ist

(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blödsinn! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Murks!)

– ich zitiere – „ein in Verfassungsrecht gegossener Irrtum, der beseitigt werden muss.“ Wir bleiben dabei: Es ist unsere Aufgabe, das miteinander hinzubekommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE])
Lassen Sie es uns trotz des Dissenses, den es in der Koalition gibt, darüber reden, was im Hochschulbereich mit der Änderung des Artikel 91 b möglich sein wird. Damit zeigen wir, dass wir trotz verschiedener Meinungen an der einen oder anderen Stelle doch tun, was mög-lich ist. Ich möchte hierbei Folgendes ansprechen: Mit dem Weg der dauerhaften Kooperation von Bund und Ländern in unserem Wissenschaftssystem, den wir heute eröffnen, haben wir die Chance, in den nächsten Jahren Chancengleichheit, Innovation, Wertschöpfung, auch Beschäftigung zu fördern, und zwar gemeinsam in den nächsten Jahren.
Das betrifft – ich habe es vorhin angesprochen – -Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs: weniger Befristung, mehr Möglichkeiten für Karrierewege, dauerhafte und ver-lässliche Maßnahmen, um Personalinitiativen auf den Weg zu bringen, um Juniorprofessoren zu unterstützen und um dem Mittelbau tatsächlich den Stellenwert zu geben, der ihm zu-kommt. Das wäre nicht möglich, wenn wir nur die Möglichkeit für befristete Projekte hätten. Wir haben durch die Grundfinanzierung die Möglichkeit, Perspektiven für den wissenschaftli-chen Nachwuchs zu schaffen. Die Möglichkeit besteht, wir öffnen diese Wege. Ich gebe gleichwohl zu: Wir müssen als Koalition noch daran arbeiten, diese Wege zu gehen.
Das betrifft auch die Fortsetzung der Exzellenzinitiative. Wir können mit den neuen Möglichkeiten Planungssicherheit schaffen, weil wir Ressourcen im Wissenschaftssystem verbessern und von kurzfristigen Wettbewerben tatsächlich zu dauerhaften Perspektiven im Sinne von Exzellenz in Breite und Spitze kommen. Auch das ist etwas, was diese Koalition sich vorge-nommen hat.
Schließlich können wir die immer wichtiger werdende Kooperation im Bereich der Forschung zwischen außeruniversitären und universitären Forschungseinrichtungen einfacher und bes-ser gestalten, als das mit vielen Klimmzügen in der Vergangenheit der Fall war. Es spricht viel dafür, dass wir diese Wege gehen und auch nutzen. Deshalb handelt es sich um eine gute Grundgesetzänderung.
Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren, dass wir sehr stolz sein können auf das, was unser Wissenschaftssystem heute schon liefert. Wir dürfen nicht zulassen, dass es ka-puttgeredet wird. Nehmen wir einmal die Verleihung des Nobelpreises im Bereich der Chemie an einen Deutschen, der sowohl für ein Max-Planck-Institut arbeitet, also im außeruniversitä-ren Bereich unterstützt wird, als auch – natürlich – Hochschulprofessor ist. Das zeigt, dass wir international gar nicht schlecht aufgestellt sind.
Es gibt dennoch neue Herausforderungen. Das Paradigma in der Wissenschaft dieser Tage und Jahre scheint Kooperation zu sein: Kooperation zwischen Disziplinen, Kooperation zwi-schen Wirtschaft und Wissenschaft in vielen Bereichen und zwischen Bundesländern. Das muss dann aber auch in der Politik zwischen Bund und Ländern gelten. Deshalb ermöglichen wir das.
Was die Zukunft und unseren Wunsch, den ich vorhin formuliert habe, betrifft, weiter Überzeugungsarbeit für die Änderung des Grundgesetzes auch im Bereich der Bildung zu leisten, so gilt etwas, was wir aus der Wissenschaft kennen: Die Zukunft ist offen.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Der Satz ist gut!)

Es ist nicht so, dass alles festgeschrieben ist. Es ist daher gut – auch das ist eine Erkenntnis der Wissenschaft –, dass Menschen lernende Wesen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Im günstigsten Fall!)

Sie sind übrigens auch in der Lage, Irrtümer einzugestehen. Ich habe es vorhin gesagt: Wir räumen ein, dass wir an dem Irrtum von 2006, den Frank-Walter Steinmeier im Nachhinein beschrieben hat, mitbeteiligt waren – in guter Absicht.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Auf Merkels Bekenntnis warten wir noch!)

Wir sollten es schaffen, es miteinander hinzubekommen, das zu ändern. Heute ist nicht der Tag, darüber zu reden, wann das möglich ist. Die Überzeugungsarbeit dauert an; ich habe es vorhin beschrieben.
Lassen Sie uns heute im Interesse des Wissenschaftsstandortes Deutschland, der Hochschu-len in diesem Land die Möglichkeiten nutzen. Lassen Sie uns das tun, was heute möglich ist. Die Studierenden werden es uns in Zukunft danken; die Menschen, die an Hochschulen arbeiten, werden es uns danken; dieses Land wird es uns danken, dass wir die Wissenschaft an den Hochschulen in diesem Land zukunftsfähig gemacht haben. Dazu ist die Grundgesetzän-derung ein ganz wesentlicher Schritt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)