Neustart in der Energiewende: Rede von Hubertus Heil im Deutschen Bundestag

Mit der Energiewende hat Deutschland den Weg in das Zeitalter einer nachhaltigen, sicheren und klimafreundlichen Energieversorgung durch Erneuerbare Energien beschritten. Mit dem von der früheren rot-grünen Koalition eingeleiteten Atomausstieg verabschieden wir uns von einer Hochrisikotechnologie. Langfristig gilt es außerdem wegzukommen von den begrenzten, schadstoffhaltigen und klimaschädlichen fossilen Energieträgern – hin zu einer Vollversorgung mit Energie aus Wind, Sonne oder Biomasse.

Hier können Sie die Rede von Hubertus Heil MdB nachlesen:

Hubertus Heil (Peine) (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die grundlegende EEG-Reform, die wir heute in der ersten Lesung miteinander beraten, hat zum Ziel, dass wir die Energiewende tatsächlich wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Die polemischen Einlassungen der Opposition haben ein bisschen vernebelt, worum es wirklich geht.

(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir können einmal ganz ruhig und sachlich, Herr Krischer, miteinander über das reden, was heute vorliegt. Es geht im Kern um drei Dinge:

Zum einen geht es tatsächlich darum, dass wir dafür sorgen, dass Grundstoffindustrien, dass energieintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, auch weiterhin in Deutschland produzieren können. Jetzt sage ich Ihnen einmal eines, Herr Krischer und Frau Lay: Einem deutschen Bundeswirtschaftsminister vorzuwerfen, dass er sich für zukunftsfähige industrielle Arbeitsplätze in Deutschland einsetzt, ist ungefähr genauso schlau, wie Greenpeace vorzuwerfen, dass man sich für die Rettung der Wale einsetzt; das ist ziemlicher Unsinn.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er setzt sich für die anderen nicht ein, und das ist das Problem!)

Ich will Ihnen einmal eines sagen: Diese polemische Art und Weise, mit der Sie das Ganze zu diffamieren versuchen, indem Sie zum Beispiel die Liste der Europäischen Kommission zitieren, und im gleichen Atemzug verschweigen, dass es nicht darum geht, ganze Branchen zu befreien,

(Zuruf des Abg. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

sondern darum, Branchen antragsberechtigt zu machen, damit Unternehmen, die nach objektiven Kriterien im internationalen Wettbewerb stehen und gleichzeitig energieintensiv sind, das Leben nicht schwer gemacht wird, finde ich nicht redlich. Deshalb, Herr Krischer: Mehr Kretschmann und weniger Krischer in der Energiepolitik der Grünen, das wäre eine gute Idee.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang, Frau Lay, erzähle ich Ihnen einmal etwas aus meiner Heimat. Es gibt ein Elektrostahlwerk in meiner Heimatstadt Peine. Der Betriebsrat besteht im Wesentlichen aus ordentlichen IG-Metallern,

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE))

die meisten davon Sozialdemokraten, einer ist von der Linkspartei, und einer ist übrigens von den Grünen. Dieses Unternehmen ist ein Elektrostahlwerk, das vom physikalischen Prozess her alle Möglichkeiten der Energieeffizienz ausschöpfen kann, aber sehr viel Energie verbraucht, um Schrott einzuschmelzen und daraus Stahlträger zu machen, die dann exportiert werden. Das ist ein Stück Kreislaufwirtschaft. Wenn wir dieses Unternehmen so einbeziehen würden, wie Sie das verlangen, dann ist klar, was mit den 780 Arbeitsplätzen in meiner Heimatstadt passieren würde – das kann ich Ihnen sagen -: Die wären weg.

Deshalb ist meine herzliche Bitte: Falls Sie noch Betriebsräte kennen, die in Grundstoffindustrien arbeiten, und mit denen sprechen würden oder falls Sie sich einmal mit dem, wie ich finde, sehr klugen Wirtschaftsminister von Brandenburg, einem Mitglied Ihrer Partei, in der Energiepolitik in Verbindung setzen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Die könnten zur Aufklärung beitragen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, dass die Linkspartei ein gestörtes Verhältnis zu industriellen Arbeitsplätzen in Deutschland hat. Das ist ihr Problem. Das darf nicht unseres werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Das gilt für die Grünen auch!)

Ich bin der Bundesregierung – namentlich dem Bundeswirtschaftsminister, aber auch der Kanzlerin – sehr dankbar, dass sie etwas hinbekommen hat, mit dem viele schon fast nicht mehr gerechnet haben, nämlich eine Verständigung mit der Europäischen Kommission, dass wir an dieser Stelle eine EU-konforme Regelung bekommen, übrigens keine, die die Wirtschaft nicht in die Finanzierung der Energiewende einbezieht. Auch das ist vorhin vorgetragen worden: Es wird eine Erhöhung der Mindestumlage geben, und zwar für alle, und es ist so, dass die deutsche Wirtschaft insgesamt ihren Beitrag leistet.

Ich sage noch einmal: Wer Arbeitsplätze im industriellen und mittelständisch produzierenden Bereich gegen Verbraucher und Familien ausspielt, der macht ein schäbiges Spiel.

(Caren Lay (DIE LINKE): Sie machen das doch!)

Das ist in der Sache vollkommen ungerechtfertigt. Ich sage Ihnen auch: Zum Gelingen der Energiewende werden wir die Grundstoffindustrien in Deutschland brauchen. Windräder brauchen Stahl. Energieeffizienz braucht chemische Produkte, und wir wollen, dass die in Deutschland produziert werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Stellt das irgendjemand infrage? Wer stellt das infrage?)

Ganz deutlich Sie! Herr Krischer, ich weiß nicht, was mit Ihnen passiert ist. Sie sind wirklich ein kundiger Mensch. Seit Sie aber in der Opposition gegen diese Bundesregierung gegen diesen Bundesminister für Wirtschaft und Energie – zu Felde ziehen müssen, haben Sie jegliches Maß und jegliche Mitte in der Debatte verloren.

(Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist Ihre Rolle plötzlich! Vielleicht liegt das an Ihnen!)

Es scheint Ihnen eher um grüne Profilierung in Ihrer Partei zu gehen und nicht mehr um die Sache. Das ist schade. Es mag bei den Grünen welche geben, die sich im parlamentarischen Verfahren konstruktiv auf diese Debatten einlassen. Ich würde mir das sehr wünschen; denn wir müssen raus aus diesen Grabenkampfdiskussionen der Vergangenheit.

Wir sind doch miteinander der Meinung, dass wir die Energiewende zum Erfolg führen müssen. Wir haben ehrgeizige Klimaschutzziele. Wir wollen raus aus der Atomkraft. Jetzt geht es um die Frage, wie wir diesen Weg miteinander planbar, berechenbar und kosteneffizient gestalten. Kein vernünftiger Mensch in diesem Haus stellt die Energiewende mehr infrage. Diejenigen aber, die für die Energiewende sind, müssen heute zu Reformen bereit sein.

(Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Reformen gern, aber nicht so!)

Es geht nicht mehr um die Markteinführung von Erneuerbaren, sondern um die Marktdurchdringung mit Erneuerbaren. Deshalb kann man nicht zulassen, dass Überförderung stattfindet. Daher ist das zweite Ziel dieser Reform mehr Kosteneffizienz beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir setzen mit einer vernünftigen, planbaren Förderung und klaren Ausbauphasen, mit Systemintegration auf die kostengünstigsten Erneuerbaren. Das sollten Sie unterstützen und nicht diffamieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie würgen sie ab!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Heil, darf die Kollegin Lay Ihnen eine Zwischenfrage stellen?

Hubertus Heil (Peine) (SPD):

Sehr gerne. Bitte schön.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Lay.

Caren Lay (DIE LINKE):

Vielen herzlichen Dank für das Gestatten dieser Zwischenfrage. Sie haben mir und auch dem Kollegen von den Grünen vorgeworfen und im Grunde suggeriert, als würde vor allen Dingen die Fraktion Die Linke die Industrierabatte komplett abschaffen wollen. Ich frage Sie, ob Sie zur Kenntnis nehmen wollen, dass nach unserem Konzept der Reduzierung der Industrierabatte das haben übrigens die SPD im Wahlkampf und der Minister vor vier Monaten im Fernsehen gefordert beispielsweise Stahl Peine diese Firma haben Sie zitiert; das gilt aber auch für andere Unternehmen der Stahl- und der Chemieindustrie weiterhin privilegiert werden würde. Auch wir wollen diese Arbeitsplätze nicht gefährden. Als Linke können wir aber eine massenhafte Zunahme der Zahl der Branchen, die prinzipiell von Industrierabatten profitieren könnten, nicht mitmachen. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass auch wir weiterhin Ausnahmeregelungen für die Stahlindustrie und für die Chemieindustrie vorsehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):

Sehr geehrte Frau Lay, ich nehme zur Kenntnis, dass, wenn Sie das so vertreten was ich begrüße , offensichtlich Ihre Polemik gegen die Ausnahmen mit dem gerade Gesagten nicht ganz zusammenpasst. An dieser Stelle will ich Ihnen sagen: Von Ausweitung kann doch gar keine Rede sein. Das Volumen wird einigermaßen erhalten. Wir gehen nach objektivierbaren Kriterien wie internationaler Wettbewerb, Handelsintensität und Energieintensität vor.

Wir sind gemeinsam der Meinung, dass wir Trittbrettfahrer nicht gebrauchen können. Gemeinsam sind wir der Meinung, dass es vernünftig ist, dass sich Unternehmen nicht aus der Solidarität der EEG-Umlage ausklinken können, indem sie beispielsweise massiv in Leiharbeit ausweichen. Genau das regelt dieses Gesetz.

Wenn das, was Sie beschreiben, wirklich Ihr Konzept ist, würde ich es gerne zur Kenntnis nehmen; aber Sie können doch nicht im gleichen Atemzug das bezieht sich auf die Rede, die Sie vorhin gehalten haben gegen die Tatsache zu Felde ziehen, dass wir solche Ausnahmen mit einem bestimmten Volumen haben.

Das, was der Bundesminister gemacht hat, will ich Ihnen vorrechnen. Ich will Ihnen sagen, was es bedeuten würde, wenn man die komplette EEG-Umlagebefreiung für energieintensive Betriebe verschwinden lassen würde.

(Caren Lay (DIE LINKE): Niemand will das!)

Dabei geht es um 40 Euro für einen dreiköpfigen Haushalt bzw. um etwa 4 Euro pro Monat. Der Preis wäre, dass diese industriellen Arbeitsplätze in energieintensiven Betrieben im Rahmen der Konkurrenz verschwinden würden. Sie müssen sich schon entscheiden: Stimmt Ihr Konzept, oder stimmt die Polemik, die Sie hier vorhin von diesem Pult aus vorgetragen haben?

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Das ist doch polemisch gewesen!)

Meine Damen und Herren, es gibt also nur Ausnahmetatbestände für diejenigen, die sie brauchen nicht für diejenigen, die sie missbrauchen. Dafür haben wir jetzt objektivierbare Kriterien. Wir haben eine Verständigung mit der Europäischen Kommission.

Erstens. Das wird das beihilferechtliche Verfahren zu Ende bringen, und es wird dazu führen, dass wir Rechts- und Planungssicherheit auch für die Unternehmen – dabei geht es um Arbeitsplätze – haben, die ab 1. Januar 2015 Befreiung beantragen können. Nicht jeder, der die Befreiung beantragt, wird sie auch bekommen. Deshalb ist es richtig, nicht Branchen zu nennen, sondern die Situation von einzelnen Unternehmen zu betrachten.

Zweitens. Wir schaffen die Voraussetzungen dafür, kosteneffizienter auszubauen; aber wir werden ausbauen, Herr Krischer. Von Ausbremsen kann überhaupt keine Rede sein.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir haben jetzt 25 Prozent erneuerbare Energien, und wir werden 45 Prozent erreichen. Dafür ist es aber notwendig, nicht nur Kosteneffizienz zu schaffen, sondern den Ausbau der Netze zeitlich stärker mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu synchronisieren. Darum geht es. Es geht um Systemintegration. Wir wollen keinen Wegwerfstrom produzieren, sondern Strom, der tatsächlich gebraucht wird.

(Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dass das Quatsch ist, hast selbst du verstanden!)

Dazu brauchen wir diese Verlässlichkeit.

Drittens. Es geht darum, für die gesamte deutsche Wirtschaft im Hinblick auf die Erneuerbaren endlich Planungs-, Rechts- und Investitionssicherheit zu schaffen. Die vielen Auseinandersetzungen der letzten Jahre haben doch in weiten Teilen der deutschen Wirtschaft, was die Erneuerbaren angeht, vor allem eines ausgelöst: entweder so etwas wie Schlussverkaufsmentalität noch einmal ordentlich Druck machen oder in anderen Phasen das krasse Gegenteil, nämlich Investitionsattentismus. Mit dieser grundlegenden Reform schaffen wir die Möglichkeit, dass jeder sich darauf einstellen kann, wohin die Reise geht, und zwar über den Zeitraum des jetzigen EEGs hinaus bis zu einem neuen Marktdesign mit anderen Mechanismen, die planbar sind und die in diesem Übergangszeitraum auch berechenbar sind.

Wir haben uns in Deutschland vorgenommen, unter den Bedingungen eines hochindustrialisierten Landes eine doppelte Energiewende zu schaffen, mit sehr ehrgeizigen Klimaschutzzielen, mit dem Ausstieg aus der Atomkraft. Ich bin als Anhänger dieser Energiewende der festen Überzeugung, dass wir damit langfristig Riesenchancen für Deutschland eröffnen ökologisch, sozial; im Übrigen auch wirtschaftlich , weil wir angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und des wachsenden Energiehungers auf der Welt Exporteur für gute und saubere Lösungen im Bereich der Energieversorgung sein können, bei Erneuerbaren, bei Systemen, bei Energieeffizienz.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):

Aber dafür müssen wir die Referenz im eigenen Land hinbekommen. Wir müssen in Deutschland die Energiewende schaffen, damit wir diese Technologien zukünftig auch exportieren können. Mit diesem ersten Schritt einer grundlegenden EEG-Reform, die wir im parlamentarischen Verfahren jetzt auf den Weg bringen, leisten wir dazu unseren Beitrag.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Foto: Deutscher Bundestag/ Fotograf Thomas Koehler/photothek.net