Vizepräsidentin Claudia Roth:
Danke, Herr Claus. – Hubertus Heil für die SPD ist der nächste Redner.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Bundesministerin Wanka, ich kann es bestätigen: Diese Regierung, die seit letztem Jahr im Amt ist, steht im Bereich Bildung und Forschung seit 1998 in einer guten Tradition.
(Beifall bei der SPD)
Daran sind, bis auf die Linkspartei, alle Parteien in diesem Haus beteiligt gewesen. Wir können das an Zahlen belegen: Seit 1998, also seit der rot-grünen Zeit mit Edelgard Bulmahn, der Zeit der ersten großen Koalition mit Frau Schavan, der schwarz-gelben Zeit und in dieser Regierung, haben wir es geschafft, den Etat von 7,2 Milliarden Euro auf 13 Milliarden Euro zu erhöhen. Das ist fast eine Verdopplung. Das ist gut für Deutschland. Das ist eine gute Tradition.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir wollen uns darauf aber nicht selbstzufrieden ausruhen, sondern wollen weitergehen. Deshalb ist im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir in dieser Legislaturperiode zusätzlich 6 Milliarden Euro für Kitas, Schulen und Hochschulen und 3 Milliarden Euro für den Hochschulpakt, für den Pakt für Forschung und Innovation sowie die Exzellenzinitiative zur Verfügung stellen werden.
Wir werden uns darüber zu unterhalten haben – Frau Ministerin Wanka hat es bereits angesprochen –, wie das Geld im Bundeshaushalt 2014 tatsächlich von A nach B kommen soll. Ich sage an dieser Stelle – da bin ich ganz bei Frau Wanka –: Es gibt Schlimmeres, als darüber zu reden, wie man zusätzliches Geld investiert. Dabei muss man sich von folgender Vorstellung tragen lassen: Das Geld gehört nicht einem Ministerium, es gehört auch nicht den Ländern, sondern es gehört in Bildung und Forschung. Da werden wir pragmatische Wege finden.
(Beifall bei der SPD)
Ich halte es an diesem Punkt mit Karl Popper, den Helmut Schmidt immer zitiert: Es geht um pragmatisches Handeln für sittliche Zwecke. Der sittliche Zweck ist, dass wir etwas für Bildung in diesem Land tun müssen. Den Pragmatismus kann ich nur beschreiben, indem ich mir vorstelle, wie wir mit dieser Frage umgehen: Wir können und müssen feststellen, wie die Verfassungslage in diesem Land ist und wer zuständig ist. Zwei Drittel der Aufwendungen für Bildung in diesem Land sind nach der derzeitigen Verfassungslage von den Ländern und Kommunen zu schultern. Es gibt kein Bundesland, unabhängig von seiner haushalterischen Situation, das sich nicht bemüht, in diesem Bereich mehr zu tun. Es hat sich in den letzten Jahren viel verändert in den Bundesländern. Aber wir können auch sagen – das steht dem Bund auch nicht schlecht an –, dass sich die Länder alle miteinander bemühen müssen – gerade nach dem PISA-Schock –, ihre Anstrengungen zu verstärken.
(Beifall bei der SPD)
Wenn wir über die gesamte Bildungskette reden, müssen wir uns überlegen, wie wir mit der Verfassungswirklichkeit, die wir haben und die sich ja nicht kurzfristig ändern wird, umgehen, damit das Geld wirklich bei der Bildung ankommt. Da sage ich: Für den Bereich der Kitas gibt es einen geübten Weg, nämlich den der Betriebskosten. Das betrifft den Bereich der Kollegin Schwesig. Dieser Haushalt ist nachher zu beraten. Die Summe von 1 Milliarde Euro, die zur Verfügung steht, kann über diesen Weg übermittelt werden. Für den Bereich der schulischen Bildung gibt es aufgrund der Tatsache, dass wir es nicht miteinander hinbekommen haben, eine umfassende Veränderung des Kooperationsverbotes im Grundgesetz herbeizuführen, in dieser Situation nur einen pragmatischen Weg: Wenn man im Bereich der Schulen mit diesem Geld wirklich etwas bewegen möchte, muss man die Länder gezielt so entlasten, dass sie in Schulen investieren können.
(Beifall bei der SPD)
Für den Bereich der Hochschulen
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit Zweckbindung und Vereinbarung, sonst kommt das Geld nicht raus!)
– ja, ich sage gleich etwas dazu; ganz ruhig – gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, beispielsweise befristete Programme. Wenn ich mir etwas wünsche – ich weiß, Frau Ministerin, dass das auch Ihr Anliegen ist –, dann, dass wir miteinander nach den großen Erfolgen, die wir über die Hochschulpakte erzielt haben und auch fortsetzen werden, was die Zahl der Studierenden und der Studienplätze in diesem Land betrifft, auch etwas dafür tun, dass diejenigen, die im Wissenschaftssystem eine Kar-riere einschlagen wollen, dauerhaft eine Chance haben, im Wissenschaftssystem arbeiten zu können. Da geht es darum, dass wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ändern, sodass der Missbrauch von Befristung aufhört.
(Beifall bei der SPD)
Das geht aber nicht – da haben Sie vollkommen recht –, ohne dass wir Geld zur Verfügung stellen, damit tatsächlich solche Karrieremöglichkeiten vorhanden sind. Wir dürfen nicht am eigenen Erfolg im Wissenschaftssystem ersticken, indem wir ganz viel produzieren, aber den jungen Leuten keine Chance geben, als gute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Mittelbau, aber irgendwann auch in Professuren, Forschung und Lehre betreiben zu können. Deshalb sage ich: Wenn wir das jetzt auflösen, könnte ich mir vorstellen, dass wir bei den 6 Milliarden Euro für den Hochschulbereich durchaus in Form eines Bundesprogramms einen Weg finden, um im Bereich des Mittelbaus gezielt Geld von A nach B zu bringen.
Das sind, wie gesagt, meine Überlegungen. Das ist keine Einigung. Aber ich finde, uns allen muss klar sein: Wir haben nicht mehr viel Zeit – das wissen wir alle –, weil wir spätestens im Mai für den Fortgang der Haushaltsverhandlungen die Frage, wie wir mit den 6 Milliarden Euro und den 3 Milliarden Euro aus dem Koalitionsvertrag umgehen, beantworten müssen.
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: So ist das!)
Ich habe das Gefühl und bin mir da sicher, dass die Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion – ich sehe den Kollegen Kretschmer – der Meinung sind, dass wir wechselseitig so regierungsfähig sind, dass wir uns an Verträge halten. Das werden wir auch tun.
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Zitat!)
Noch einmal: Es geht nicht um die Eitelkeiten von Bundes- oder Landespolitikern, sondern es geht um die Bildung in diesem Land. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Wir haben als Sozialdemokraten – ich bin froh, dass die Ministerin auch diesen Punkt deutlich gemacht hat – für den Bereich der Bildungspolitik einen ganz einfachen Ansatz. Uns geht es in erster Linie um ein Menschenbild, das von der Freiheitlichkeit des Lebens geprägt ist. Wir wollen, dass in diesem Land nicht Hautfarbe, Herkunft oder Geschlecht die Menschen durch Geburt auf ihre Verhältnisse festnageln, sondern wir wollen, dass Menschen ihren eigenen Lebensweg gehen können, dass sie frei leben können, dass das Leben offen ist, dass es Lebenschancen gibt. Wenn man das will, dann spielt die frühe Förderung von Kindern im Elternhaus, aber auch die öffentliche frühe Förderung von Kindern in Kitas und Schulen eine ganz entscheidende Rolle.
(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)
Nach dem PISA-Schock, der ja ein doppelter war, weil uns in Deutschland im Bereich der Leistungsfähigkeit und der Chancengleichheit Probleme nachgewiesen wurden, sind wir in diesem Land ein wenig vorangekommen; aber wir sind noch nicht dort, wo wir sein müssen, wenn wir über mögliche Chancengleichheit im Bildungssystem reden. Es ist eine gesellschaftspolitische Frage, ob in diesem Land wirklich wieder Leistung und Leistungsfähigkeit zählen und nicht Herkunft.
(Beifall bei der SPD)
Das ist der Unterschied zu früheren Diskussionen. Ich finde – ich habe es an dieser Stelle auch gesagt –, dass diese Große Koalition durchaus eine Chance bietet, im Bereich der Bildungspolitik endlich ideologische Grabenkämpfe der 70er-Jahre zu überwinden.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen wir hoffen!)
Ich will es einmal karikieren: In den 70er-Jahren waren wir in der Situation, dass Konservative sehr starr gesagt haben: „Leistung ist wichtig“ und Sozialdemokraten gesagt haben: „Chancengleichheit ist wichtig“. Ich sage: Beides ist wichtig. Chancengleichheit und die Breite der Bildung sind wichtig, damit Spitzenleistungen in diesem Land auch möglich sind.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das betrifft die gesamte Bildungskette. Das betrifft die Frage, wie wir mit der frühen Förderung umgehen, übrigens nicht nur bei der Anzahl von Kitaplätzen, sondern auch bei der Qualifizierung der Menschen, die in Kitas arbeiten und denen wir den Rücken stärken müssen, und deren Karriereperspektiven und Einkunftsmöglichkeiten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das betrifft vor allen Dingen Frauen. Es arbeiten nur sehr wenige Männer in den Kitas.
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Zu wenige!)
– Stimmt, zu wenige. Ich könnte zynisch sagen: Wenn die Bezahlung besser wäre, gäbe es dort ein paar mehr Kerle; das muss man leider einräumen.
(Beifall bei der SPD)
Wir reden hier über Menschen, die sich um unsere kleinsten Kinder kümmern. Kollege Kretschmer und ich, die wir von diesem Thema ganz persönlich betroffen sind, wissen, dass es schön ist, wenn es sich hier um Menschen handelt, die gut ausgebildet sind und sich liebevoll kümmern. Diesen muss man den Rücken stärken.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zum schulischen Bereich. Herr Kollege Claus, Sie mögen sich sicherlich wünschen, dass das Kooperationsverbot ganz verschwindet. Aber selbst dann wird aufgrund unserer föderalen Ordnung die originäre Zuständigkeit für die Schulpolitik bei den Ländern liegen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Man muss sicherlich nicht jede Form von Kleinstaaterei gut finden. Aber es wird so bleiben; das ist meine Prophezeiung. Trotzdem kann man sich mit Hinweis auf die Verfassung nicht herausreden und nichts tun. Wir haben im schulischen Bereich durchaus pragmatische Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass mit Unterstützung des Bundes in den Ländern mehr getan werden kann. Das betrifft den Ausbau von Ganztagsschulen, den die Länder nun schultern müssen. Das steht übrigens in der Tradition eines früheren Ganztagsschulprogramms des Bundes – 4 Milliarden Euro –, das damals eine riesige Welle ausgelöst hat und auf einen Anstoß der damaligen Bundesministerin Edelgard Bulmahn zurückgeht. Ich bin froh, dass der Ausbau der Ganztagsschulen in diesem Land vorankommt.
Das betrifft aber auch den Übergang von der schulischen zur beruflichen Bildung. Ich bin sehr froh, dass es insgesamt – möglicherweise erst durch die Krisenerfahrungen in Europa – ein neues Bewusstsein für die berufliche Erstausbildung im dualen System gibt; das ist eine sehr gute Sache.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Aber das heißt, dass wir auch etwas tun müssen, damit junge Menschen nicht durch den Rost fallen. Es gibt noch immer viel zu viele, die in Warteschleifen – auch in schlecht qualifizierenden – hängen.
(Zuruf von der SPD: Ja, leider!)
Das können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten. Es ist Aufgabe des schulischen Systems, Ausbildungsfähigkeit zu organisieren. Es ist Aufgabe der Unternehmen, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Es ist Aufgabe des Staates – in diesem Fall der Länder –, dafür zu sorgen, dass Berufsorientierung in den Schulen stattfinden kann und dass die Berufsschulen nicht die Stiefkinder unseres Bildungswesens sind.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Zum Schluss möchte ich einen Punkt ansprechen, der eigentlich einer umfassenderen Erörterung bedürfte; aber das werden meine Kollegen mit Sicherheit noch tun. Für den Forschungsbereich des Ministeriums stellen wir ebenfalls mehr Geld zur Verfügung. Deutschland ist exzellent in der Grundlagenforschung und auch in der anwendungsorientierten Forschung. Das müssen wir auch bleiben. Deshalb werden wir unsere Anstrengungen sowohl im Hochschulsystem als auch in der außeruniversitären Forschung verstärken und dafür sorgen, dass dieses Land Schritt halten kann. Wir stehen schließlich auf internationaler Ebene in harter Konkurrenz. Wenn wir wollen, dass Produkte, Verfahren und Dienstleistungen von morgen bei uns entwickelt werden, müssen sowohl die Unternehmen als auch die öffentliche Hand mehr in Forschung und Entwicklung investieren. Wenn wir das hinbekommen, werden wir beispielsweise die Chancen der Digitalisierung – Stichwort „Industrie 4.0“ – in Deutschland nutzen können. Aber wir müssen uns sputen. Das wird diese Koalition tun.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Das müssen Sie jetzt auch.
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Ich habe das auch getan, Frau Präsidentin.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)