Vizepräsidentin Petra Pau:
Der Kollege Hubertus Heil hat für die SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, dass auch in solch einer zugespitzten Debatte einmal der Zeitpunkt kommt, an dem man ein bisschen differenzieren sollte. Es gibt Dinge im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, die man diskutieren kann und muss; Herr Kollege Bareiß, das war auch in Ihrem Beitrag ein Thema: Es gibt in dieser Koalition die grundsätzliche Bereitschaft, die Ausnahmetatbestände zu reformieren. Und wenn ich es richtig lese, Herr Kollege Krischer, dann wollen die Grünen sie auch reformieren. Über Art und Umfang werden wir heftig miteinander streiten.
Frau Kollegin von der Linkspartei, es gibt einen Unterschied zu Ihnen: Ihre Argumentation – wenn Sie konsequent sind – lässt doch den Schluss zu: Sie wollen nicht reformieren, sondern weghauen.
(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Nein! Das habe ich nicht gesagt!)
Das ist ein Unterschied. Ich kann Ihnen sagen: Für eine linke Partei wäre es einmal an der Zeit, sich zum Beispiel mit Betriebsräten der IG Metall, beispielsweise in Stahlwerken, zu unterhalten.
Ich kann ein Beispiel aus meiner Heimatstadt nennen. Meine Heimatstadt Peine in Niedersachsen hat ein Elektrostahlwerk der Salzgitter AG. Das Unternehmen hat im Moment ohnehin riesige Probleme auf den Absatzmärkten, weil es von der Krise in Europa erfasst ist. Es schmilzt Schrott ein und macht daraus Baustahlträger. Da gibt es im Moment auf der Nachfrageseite ein Riesenproblem, weil der Markt von billigen Produkten überschwemmt wurde, nachdem die Immobilienblase in Südeuropa geplatzt ist. Wenn wir dieses Unternehmen erheblich in die EEG-Umlage einbeziehen würden, dann ergäbe sich ein Standortproblem, eine Gefahr für Arbeitsplätze in diesem Bereich. Deshalb warnt uns nicht nur der Vorsitzende der IG BCE, sondern auch der neue Vorsitzende der IG Metall davor, mit diesem Thema fahrlässig umzugehen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann verstehen, dass die tatsächlich berechtigten Ausnahmen bei der EEG-Umlage aufgrund der Ausweitung der Ausnahmetatbestände durch die Vorgängerregierung in der öffentlichen Debatte diskreditiert werden. Deshalb müssen wir sie auch reformieren. Was ich nicht verstehen kann – Herr Kollege Krischer, das will ich Ihnen aber auch sagen –, ist, dass Sie das Beihilfeverfahren der EU-Kommission begrüßen und ihm rechtlich sozusagen Oberwasser geben. Ich sage: Wir haben eine ganz andere Rechtsposition.
In der Zeit der Koalitionsverhandlungen gab es – das wissen Sie – einen gemeinsamen Besuch von Hannelore Kraft und Peter Altmaier bei Herrn Almunia, um ihm von den Koalitionsverhandlungen zu berichten. Ich behaupte, das hat mitgeholfen, das Beihilfeverfahren in seiner ursprünglichen Form zu entschärfen. Da war nämlich mehr geplant: Es sollten nicht nur die Ausnahmen unter Beschuss genommen werden, sondern das EEG insgesamt. Hätten die Grünen das dann eigentlich auch begrüßt?
Wir haben eine andere Rechtsauffassung. Wir befürchten, dass über das Instrument des Beihilferechts von europäischer Seite an der einen oder anderen Stelle in die nationale Kompetenz im Bereich der Energiepolitik eingegriffen wird.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja richtig!)
Deshalb noch einmal: Die Bundesrepublik Deutschland hat eine andere Rechtsauffassung als Herr Almunia.
Ich sage Ihnen auch: Wir haben ein gemeinsames Interesse daran, dass diese Auseinandersetzung mit der Kommission nicht eskaliert.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Deshalb sage ich: Die Reform der Ausnahmetatbestände ist das eine. Aber wer sich im Interesse der energieintensiven Grundstoffindustrien, die wir in Deutschland haben wollen, für eine Reform der Ausnahmetatbestände ausspricht, der darf bitte nicht über die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform des EEG schweigen, Herr Kollege Krischer. Ich finde, da wart ihr schon mal weiter. Ich zitiere mit Zustimmung der Präsidentin aus einem Beschluss der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der 2013, also vergangenes Jahr, auf der Neujahrsklausur gefasst wurde:
Deshalb wollen wir das EEG weiterentwickeln und neue Marktstrukturen aufbauen, in denen die Erneuerbaren zunehmend ohne Förderung ihren Platz finden.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben inzwischen ein neues Papier vorgelegt!)
Ich finde, das geht in eine vernünftige Richtung; darum geht es bei einer grundlegenden EEG-Reform.
Um es der deutschen Öffentlichkeit klar zu sagen: Wir stehen im ersten Halbjahr 2014 nicht unter politischem Druck; es besteht keine Notwendigkeit, in der ersten Jahreshälfte eine grundlegende EEG-Reform zustande zu bringen. Aber es gibt einen Zusammenhang zwischen dem beihilferechtlichen Verfahren der EU-Kommission, der notwendigen Reform der Richtlinien auf europäischer Ebene und einer EEG-Novelle.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Aber deshalb muss man proaktiv handeln!)
Deshalb stehen wir miteinander in der Verantwortung, eine Reform nicht zu blockieren, sondern sie hinzubekommen.
Ich sage es noch einmal: Wir wollen Ausnahmen für diejenigen erhalten, die sie brauchen, weil sie im internationalen Wettbewerb stehen. Denn als Industrienation sind wir darauf angewiesen, die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick zu nehmen und die Grundstoffindustrien in diesem Land zu halten. Wer nicht begriffen hat, dass das ansonsten für Arbeitsplätze und Standorte ein Problem werden kann, der hat von Wirtschaftspolitik, mit Verlaub, keine Ahnung. Deshalb: Man kann es reformieren, aber man darf es nicht weghauen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau unser Antrag!)
– Ich habe ja versprochen, dass ich mich um Differenzierung bemühe.
Zweitens. Oli Krischer, ich finde den Text des Antrages im Gegensatz zum Beschluss von der Neujahrsklausur 2013 ein bisschen strukturkonservativ: Man tut so, als sei mit dem EEG im Moment so ziemlich alles in Ordnung.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht doch nirgendwo drin!)
Darüber weißt du auch mehr, um das einmal klar zu sagen. Wir haben Überförderungstatbestände, und wir haben keine Vorstellung davon, wie das EEG alter Natur in ein neues Marktdesign überführt werden kann. Aber genau das will diese Große Koalition leisten. Das EEG ist eine Erfolgsgeschichte – gar keine Frage; das ist ja schon beschrieben worden –: Ein Anteil von 25 Prozent aus erneuerbaren Energien wäre ohne das EEG nicht denkbar gewesen. Aber das EEG in seiner jetzigen Form droht an dem eigenen Erfolg zu ersticken. Das liegt an der Überförderung und an Problemen, die mit der Versorgungssicherheit zu tun haben. Deshalb wird diese Große Koalition mit der Verunsicherung, die hinsichtlich Planung und Investitionen in den letzten Jahren in der gesamten Energiebranche geschaffen wurde, aufräumen müssen. Wir wollen eine sichere, eine saubere, aber eben auch eine bezahlbare Energieversorgung, und zwar nicht nur für die Unternehmen in Deutschland, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger.
Wir dürfen im Zusammenhang mit der Frage, welche Erwartungen an die EEG-Reform geknüpft werden, allerdings nicht den Eindruck erwecken, als ginge es um eine Senkung der EEG-Umlage; denn die Kostenstrukturen der Vergangenheit – die Zusagen – werden wir weiter tragen. Das heißt, der vorhandene Bestand, der Sockel, ist ein Stück weit Teil der zukünftigen Struktur. Es geht um die Frage, wie wir die Kostendynamik in der Zukunft bremsen können und wie wir dafür sorgen können, dass die Energiewende in diesem Land auch energiewirtschaftlich effizient und kostengünstig vollzogen wird.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und klimafreundlich!)
– Das sowieso.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wichtig!)
Ich sage es an dieser Stelle noch einmal: Wir kommen nicht weiter, wenn wir uns hinter ideologisierten Positionen einmauern.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine herzliche Bitte auch an Bündnis 90/Die Grünen, die ja in einigen Bundesländern mit uns gemeinsam und in Hessen mit anderen Regierungsverantwortung und damit auch Verantwortung für das Gelingen der Energiewende tragen, ist, dass wir uns jetzt nicht in Schützengräben verziehen. Ich bitte euch, nicht reflexartig, weil ihr in der Opposition sitzt, auf ein Mitwirken an diesem Prozess zu verzichten. Ich habe den letzten Satz deiner Rede, Oliver Krischer, sehr wohl gehört, dass die Grünen an dieser ganzen Geschichte mitwirken wollen.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Angebot!)
– Ich hoffe, es ist ein ernst gemeintes Angebot. Das sage ich an dieser Stelle auch. Wir haben miteinander ein Interesse daran, dass wir die Energiewende zum Erfolg führen.
Weder die Energiewende darf diskreditiert werden noch die Tatsache, dass dieses Land ein Industrieland ist. Ich will mit einem Satz sagen, warum das kein Gegensatz ist: Windräder brauchen Stahl. Die gesamte Wertschöpfung ist in den Blick zu nehmen. Deshalb habe ich die herzliche Bitte, dass wir in diesem Haus nicht alles aus Brüssel, weil es gerade in den Kram passt, entweder total gut oder total schlecht finden. Einige Passagen in der Rede von Oliver Krischer fand ich ein bisschen widersprüchlich: Auf der einen Seite wird begrüßt, dass Verfahren gegen Deutschland eingeleitet werden, auf der anderen Seite findet man vieles, was aus Brüssel zur Energiewende in Deutschland gesagt wird, nicht ganz unproblematisch. Das passt nicht so ganz zusammen.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber der zweite Teil! Das ist aber das Problem!)
Ich sage es noch einmal: Mit Blick auf mögliche Rechtsfolgen – wir sind anderer Auffassung als die EU-Kommission – müssen wir versuchen, dieses beihilferechtliche Verfahren abzuwenden. Wir müssen zusehen, dass das nicht eskaliert. Ich will sagen, was das für dieses Jahr bedeutet – diesen Zeitdruck habe ich vorhin angesprochen –: Wir wissen, dass die – berechtigten – Ausnahmegenehmigungen für die energieintensiven Betriebe vor dem 18. Dezember letzten Jahres von dem zuständigen Bundesamt, dem BAFA, erteilt wurden. Damit wird es 2014 keine Wettbewerbsschwierigkeiten für die energieintensiven Betriebe geben. Aber es gibt natürlich eine Verunsicherung, nicht nur, was die ungeklärte Frage der Rückstellungen für einen möglichen negativen Ausgang des Verfahrens angeht. Diesbezüglich scheint sich die Lage ein bisschen zu entspannen. Die eigentliche Frage lautet aber: Wie geht es ab dem 1. Januar 2015 weiter? Wenn wir miteinander der Meinung sind, dass wir da etwas tun müssen, dann müssen wir bis zur Mitte dieses Jahres Rechts- und Planungssicherheit schaffen, damit zum 1. Januar 2015 nicht eine Situation eintritt, die für uns als Industrienation und die Arbeitsplätze in der Grundstoffindustrie bedrohlich ist. Deshalb ist Eile geboten. Ich könnte es auch politischer sagen: In den letzten vier Jahren gab es so viel Hin und Her, dass wir jetzt zügig aufräumen müssen, damit es nicht problematisch wird, und alle sind aufgerufen, mitzuhelfen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt haben wir Januar. Der Bundeswirtschafts- und Energieminister wird in den nächsten Wochen Vorschläge unterbreiten. Dann müssen wir in diesem Haus zügig in den Gesetzgebungsprozess eintreten. Wir müssen darauf achten, dass Bund und Länder sich an dieser Stelle nicht verhaken. Ich will aber sagen, dass ich ganz zuversichtlich bin, dass wir es trotz der regional unterschiedlichen Interessen in Sachen Energiepolitik – machen wir uns nichts vor: die Bundesländer haben sehr unterschiedliche Interessen, was die Wertschöpfung angeht – schaffen, im ersten Halbjahr eine EEG-Reform auf die Beine zu stellen, die beides leistet: Wir müssen uns anschauen, welche Ausnahmetatbestände sinnvoll sind und welche möglicherweise nicht sinnvoll sind. Ich sage aber auch, dass es in Brüssel Vorstellungen hinsichtlich Mindestumlagen gibt, die wir nicht mittragen können, weil das bedrohlich wäre, auch was die Kostenstruktur betrifft. Auf der anderen Seite müssen wir das EEG zukunftsfähig machen. Eine grundlegende Reform ist notwendig. Wir brauchen so etwas wie ein EEG 2.0 in diesem Land und eine Überführung in ein Marktdesign, das langfristig dafür sorgt, dass die Erneuerbaren tatsächlich marktfähig werden.
Das ist ein Text der Grünen aus 2013; diesen habe ich zitiert.
Wenn wir es schaffen könnten, unterhalb dieser Überschriften pragmatische Lösungen im Gesetzgebungsverfahren zu finden, fände ich das den Schweiß der Edlen wert. Deshalb ist meine Bitte, sich nicht schon am Anfang des Jahres in die Schützengräben einzumauern, sondern zu schauen, ob und wie wir zusammenkommen können. Denn ich sage ganz deutlich: Wir alle tragen Verantwortung für das Gelingen der Energiewende. Nicht nur Regierungsfraktionen, sondern auch die Opposition trägt Verantwortung für die Zukunft dieses Landes. Meine herzliche Einladung an zumindest diesen Teil der Opposition, an die Grünen – nicht an die Linken, da habe ich die Hoffnung aufgegeben –, ist, daran mitzuwirken.
(Widerspruch bei der LINKEN)
– Ich will es einmal ganz deutlich sagen, Frau Bulling-Schröter: Unterhalten Sie sich doch beispielsweise einmal mit Ihrem Kollegen, dem Wirtschaftsminister von der Linkspartei in Brandenburg. Er hat eine grundlegend andere Vorstellung von Energie- und Wirtschaftspolitik, weil er mehr mit der Praxis von Industrie in Brandenburg befasst ist als Sie offensichtlich hier im Deutschen Bundestag.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)