Rede von Hubertus Heil zur Mittelstandspolitik

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie uns jetzt ausnahmsweise mal über Mittelstandspolitik reden! Diese dampfplaudernden Reden nützen dem Mittelstand überhaupt nichts, Herr Brüderle.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde, Sie haben sich mit der Art und Weise, wie Sie hier morgens Karnevalsreden halten, längst von der -Realität mittelständischer Unternehmen verabschiedet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der deutsche Mittelstand ist das Rückgrat unserer Wirtschaft. Das wird verschiedentlich von allen Parteien so beschrieben. Aber klar ist auch, dass der deutsche Mittelstand von dieser Bundesregierung in den letzten Jahren vernachlässigt wurde. Er ist gleichwohl erfolgreich. Wenn Sie es mir nicht glauben, dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis, was der neue Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages Ihnen ins Stammbuch geschrieben hat – mit Verlaub, ich darf es zitieren –:
Auch wenn wir derzeit gut dastehen: Zu wenig Reformen und Innovationen dürfen wir uns nicht leisten, sonst ist unser Vorsprung schnell weg.
Wenn Sie uns nicht glauben und Herrn Schweitzer nicht glauben, der ja aus der FDP ausgetreten ist, Herr Brüderle, dann glauben Sie bitte dem Institut der deutschen Wirtschaft – keine Vorfeldorganisation der SPD –, das dieser Bundesregierung ins Stammbuch schreibt, dass sie nur von Entscheidungen von Vorgängerregierungen, vom Mut zu Strukturreformen aus rot-grüner Zeit profitiert und diesen Vorsprung durch das Chaos schwarz-gelber Politik aufbraucht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rainer Brüderle [FDP]: -August Bebel war es!)

– Übrigens: August Bebel war ein Handwerksmeister. Sie haben ja gar keine Ahnung von Geschichte; das haben Sie verschiedentlich bewiesen.
Ich sage Ihnen: Das einzig gute Schwarz-Gelb war gestern Abend Dortmund.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja so was von dümmlich!)

Aber das, was Sie für den Mittelstand leisten, ist tatsächlich nichts, für das Sie sich rühmen können.
Wie ist die Situation in Deutschland? Der BDI, der Bundesverband der Deutschen Industrie, der auch mittelständische Unternehmen vertritt, beklagt einen massiven Verfall der öffentlichen Infrastruktur im Land. Der Nord-Ostsee-Kanal muss gesperrt werden, weil diese Bundesregierung mit Herrn Ramsauer zu wenig in die Infrastruktur, auch in die wirtschaftsnahe Infrastruktur in diesem Land investiert. Das ist die Wirklichkeit. Autobahnbrücken müssen gesperrt werden, weil Sie nicht in der Lage sind, die notwendigen Investitionen zu schultern. Das schadet der Wirtschaft, auch dem Mittelstand in Deutschland.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, hier muss ich Ihre dünnen Anträge zum Thema Mittelstandspolitik lesen und diese oberflächlichen Reden von Herrn Brüderle anhören. Sprechen Sie einmal mit real existierenden Mittelständlern in Deutschland – mit Handwerksmeistern, mit Familienunternehmern, mit einer freien Selbstständigen, mit einer Existenzgründerin –, dann stellen Sie fest: Diese haben ganz andere Sorgen als das, was Sie hier an die Wand malen. Sie haben ganz konkrete Ansprüche. Der Unterschied zwischen Ihrer Bundesregierung und dem guten deutschen Mittelstand ist: Im guten deutschen Mittelstand gibt es Unternehmer, die etwas unternehmen. Sie sind eine Regierung, die etwas unterlässt.

(Beifall bei der SPD)

Nun zu unseren Anträgen und zu unseren Vorschlägen. In genau vier Bereichen sagen wir sehr konkret, was wir unter einer ambitionierten, einer zukunftsgerichteten Mittelstandspolitik in Deutschland verstehen.

(Zuruf von der FDP: Steuern!)

Erstens. Was kann und muss getan werden für qualifizierte Fachkräfte in diesem Land? Zu diesem wichtigen Thema haben Sie keinen Satz gesagt. Es sind vor allen Dingen die kleinen und mittelständischen Unternehmen, Herr Brüderle, die unter Fachkräftemangel leiden werden. Die großen Konzerne können sich Personalrekrutierungen leisten. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht. Deshalb muss etwas getan werden, damit Frauen und Männer in diesem Land arbeiten können, damit sich die Erwerbsbeteiligung von Frauen, das Arbeitsvolumen von Frauen in diesem Land tatsächlich entfalten kann. Wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie statt Ihres idiotischen Betreuungsgeldes. Das trägt zur Fachkräftesicherung bei.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir müssen jungen Menschen eine Chance geben. 60 000 junge Menschen verlassen Jahr für Jahr die Schule ohne Schulabschluss. 1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren haben keine berufliche Erstausbildung. Das duale System der beruflichen Erstausbildung ist unser Standortvorteil. Darum hätte sich diese Regierung kümmern müssen. In diesem Bereich haben Sie nichts getan.

(Beifall bei der SPD)

Zweites Thema: Innovationsanreize, Investitionen in Forschung und Wissenschaft. Wir haben in Deutschland einen hochinnovativen Mittelstand. Aber von der öffentlichen Forschungsförderung dieser Regierung profitieren nur Großunternehmen, kleine und mittelständische Unternehmen nicht.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

Wo ist eigentlich die steuerliche Forschungsförderung geblieben, die Sie dem Mittelstand versprochen haben? Wir werden steuerliche Forschungsförderung einführen, damit wir privates Kapital stärker in Forschung und Entwicklung gerade im Mittelstand lenken können, damit der Mittelstand davon profitieren kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was tun Sie eigentlich für Existenzgründer? Sie haben den Gründungszuschuss plattgemacht, ein wesentliches Instrument für Menschen, die den Mut haben, sich selbstständig zu machen, um mit einer Markteinführung tatsächlich nach vorne zu kommen. Hier haben Sie am falschen Ende gestrichen. Sie haben nichts getan. Wir werden etwas tun, zum Beispiel im Bereich der Investi-tionszulagen. Wir brauchen eine Gründerkultur in Deutschland. Die Sozialdemokraten stehen an der Seite derjenigen, die den Mut haben, sich mit guten Konzepten selbstständig zu machen, aber im Moment von Ihnen sträflich vernachlässigt werden. Sie bekommen am Kapitalmarkt oft nicht die nötige Unterstützung. Deshalb werden wir in diesem Bereich handeln.

(Beifall bei der SPD)

Drittens. Die wirtschaftsnahe Infrastruktur. Ich habe schon über Verkehrswege gesprochen. Wir müssen aber genauso über die Frage der Breitbandinfrastruktur in diesem Land sprechen. Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen, die es oft auch im ländlichen Raum gibt, ist die Tatsache, dass Sie beim Ausbau des schnellen Internets nicht von der Stelle gekommen sind, mittlerweile zum Standortnachteil geworden. Bei allem Jubel über unsere Stärke müssen wir feststellen, dass Deutschland gegenüber anderen Ländern beim schnellen Internet zurückgefallen sind. Wer ist zuständig? Ihre Regierung. Wer hat nichts getan? Ihre Regierung. Warme Worte, Herr Brüderle, solche Reden, wie Sie sie hier halten, schaffen keinen Arbeitsplatz. Sie befriedigen mit Ihrer Art und Weise vielleicht einige in Ihren Reihen, aber sie nützen der deutschen Wirtschaft nichts. Im Bereich Breitband haben Sie nichts getan.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zum Bereich der Energiepolitik haben Sie auch keinen Satz verloren. Gerade der Mittelstand in Deutschland leidet unter Ihrem energiepolitischen Chaos. Sie haben Planungs- und Investitionssicherheit in Deutschland zerstört. Sie belasten Unternehmen mit immer höheren Strompreisen. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Sie haben nichts getan, um in den letzten vier Jahren eine neue Ordnung am Strommarkt durchzusetzen. In diesem Bereich werden wir viel aufräumen müssen,

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

damit der Mittelstand von den Chancen der Energiewende profitieren kann und damit die Energiewende nicht zum wirtschaftlichen und sozialen Risiko für Deutschland wird. Auch das unterscheidet uns.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Viertens. Im Mittelstand, Herr Brüderle, sind vor allen Dingen die klassischen Werte der sozialen Marktwirtschaft gefragt; das sind Maß und Mitte, Anstand und Augenmaß. Es sind gerade die deutschen Mittelständler, die über die Exzesse auf den Finanzmärkten entsetzt sind. Es sind gerade die mittelständischen Unternehmen, die in den letzten Jahren erlebt haben, dass in vielen -Bereichen der Finanzwirtschaft Finanzdienstleistungen nicht mehr Dienstleistungen waren, vielmehr umgekehrt die Realwirtschaft, also auch der deutsche Mittelstand, als Dienstleister für Zocker auf den Finanzmärkten behandelt wurde. Das hat die mittelständischen Unternehmen, also diejenigen, die reale Werte schaffen und nicht spekulieren, richtig erzürnt. Die Unternehmen in diesem Land nehmen es einem übel, wenn mit ihrem Vermögen, mit ihrer Zukunft und mit ihren Arbeitsplätzen gespielt wird. Wir fragen uns deshalb: Wie regulieren wir den Finanzmarkt so, dass in die Realwirtschaft, also in Indus-trie und Mittelstand, investiert wird? Das ist die zentrale wirtschaftliche Frage.

(Zurufe des Abg. Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU])

Heute wird Herr Rösler seine Wachstumsprognose für dieses und nächstes Jahr vorlegen. Sie sind stolz auf ein Wachstum von 0,5 Prozent. Das ist ein schmales Wachstum in diesem Jahr.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege!

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Sie prognostizieren vor dem Hintergrund der Bundestagswahl ein Wachstum von 1,6 Prozent. Wir müssen erheblich etwas dafür tun, um dieses Ziel zu erreichen. Denn die Wachstumserwartungen stehen durch die Euro-Krise auf tönernen Füßen. Der deutsche Mittelstand braucht daher starke politische Partner. Schwarz-Gelb ist das nicht. Das zeigt sich auch in diesen Tagen. Schauen Sie sich einmal an, was Ihnen die Unternehmer ins Stammbuch schreiben. Von Wirtschaftspolitik hat diese Bundesregierung keine Ahnung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)