Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Hubertus Heil.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ohne Zweifel ist die Energiewende eine der größten Herausforderungen, vor denen unser Land, vor denen unsere Wirtschaft, vor denen unsere Gesellschaft steht. Aber, Herr Bareiß, meine Damen und Herren, dafür muss man nicht solche Reden halten. Wenn man in der Regierungsverantwortung ist – noch sind Sie ja Teil der Regierungsfraktionen –, dann darf man nicht solche Reden halten, sondern man muss Gesetzentwürfe vorlegen. Dazu sind Sie nicht in der Lage.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Breil [FDP]: Genau das haben wir gemacht!)
– Nein. Zu den Themen, die hier angesprochen wurden, haben Sie keinen einzigen Vorschlag gemacht. Wir reden über Dinge – ich komme gleich darauf zurück –, die heute im Gespräch zwischen der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidentinnen und den Ministerpräsidenten eine Rolle spielen.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben den Menschen nach Fukushima eine saubere, eine sichere und eine bezahlbare Energiewende versprochen, und Sie sind es, die diese drei Versprechen im Moment brechen. Aus der Verantwortung werden wir Sie nicht entlassen.
(Beifall bei der SPD)
Insofern muss man in dieser Debatte eines klarmachen: Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land machen sich massiv Sorgen über steigende Energiepreise und auch über steigende Strompreise, die ein Teil der Energiekosten sind, die auf sie zukommen. In dem Befund sind wir uns möglicherweise einig.
Weil diese Regierung diese Sorge drei, vier Jahre lang ignoriert hat, weil sie das Gefühl hat, dass ihr das bei den Wahlen auf die Füße fallen könnte, kommt Herr Altmaier kurz vor Toresschluss mit der Wundertüte „Strompreisbremse“ um die Ecke. Herr Bundesumweltminister Altmaier,
(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Guter Mann!)
jemand, der sich mit dieser Materie auskennt – das will ich Ihnen mal ein bisschen unterstellen –, weiß, dass das, was Sie vorgeschlagen haben, das Eingeständnis dieser Koalition ist, dass sie in dieser Legislaturperiode nicht mehr in der Lage ist, die grundlegenden Fragen der Energiewende anzugehen. Was notwendig ist für den Netzausbau – eine neue Ordnung des Strommarkts, ein neues Strommarktdesign –, was notwendig ist, um die Energiewende besser zu managen, all das findet sich nicht in Ihren Vorschlägen. Deshalb ist die Strompreisbremse im Wesentlichen erst einmal Überschriftenpolitik, nichts anderes.
Wenn man dann unter diese Überschriften guckt, kommt man zu dem Schluss: Es ist zweifelhaft, ob das, was Sie vorschlagen, die Energiekosten bremst; aber es ist sicher, dass das, was Sie vorschlagen, die Energiewende bremst, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Sie wissen ganz genau, dass Sie Vorschläge gemacht haben, die nicht nur im Bereich der erneuerbaren Energien, sondern in der gesamten deutschen Wirtschaft zu Kopfschütteln führen. Wie man glauben kann, Investoren würden dadurch nicht verunsichert, wenn man in den Altbestand eingreift, und das Vertrauen in den Industriestandort Deutschland würde nicht unterminiert, das kann mir keiner vernünftig erklären, und Sie wissen auch ganz genau, dass dieser Unsinn nicht zu machen ist.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Reden wir doch einmal über das, was heute miteinander möglich ist! Wenn diese Koalition einräumen muss – ich beklage das –, dass wir dem Grunde nach die wesentlichen Entscheidungen dafür, dass die Energiewende wieder vom Kopf auf die Füße kommt, leider erst im Herbst dieses Jahres, nach der Bundestagswahl, angehen können, dann sind wir durchaus bereit, über kurzfristige Maßnahmen zu reden. Wenn ich von „wir“ spreche, dann meine ich die rot-grün geführten Bundesländer, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, dass wir über drei Bereiche reden:
Wir sollten erstens über die Frage reden: Was kann kurzfristig innerhalb des EEG passieren? Da gibt es durchaus kleinere Maßnahmen, über die man reden kann, die nicht die gesamte Branche verunsichern, die aber die Möglichkeit schaffen, den Anstieg der EEG-Umlage zu bremsen. Wir können über die Marktprämie reden. Wir können über bestimmte Boni reden, die Sie in vielen Bereichen eingeführt haben.
Wir sollten zweitens auch über die Frage reden: Wie gehen wir in Deutschland mit energieintensiven Betrieben um? Dazu habe ich heute in der Zeitung gelesen, dass Herr Ramsauer, der gerade den Saal verlassen hat, einen offenen Brief an den Bundesminister Altmaier schreibt. Was ist denn das für ein Vorgang, Herr Altmaier? Rösler, Altmaier und Ramsauer, die drei von der Zankstelle! „Ressortabstimmung“ ist ein Fremdwort in dieser Regierung. Das ist ein Teil des Problems.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe also in der Zeitung gelesen, dass Herr Ramsauer beklagt, dass der Altmaier der Deutschen Bahn AG Hunderte von Millionen entziehen will. Er will in diesem Bereich tatsächlich auch die Bahn belasten. Was ist eigentlich die Haltung der Bundeskanzlerin in dieser Frage? Gibt es überhaupt einen Standpunkt dieser Regierung? Das würde uns als Opposition interessieren, und die Öffentlichkeit auch.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben Ihnen vorgeschlagen, dass wir im Bereich der energieintensiven Unternehmen nicht um einzelne Branchen feilschen, sondern dass wir uns auf die Systematik konzentrieren. Die Systematik ist, dass energieintensive Unternehmen, die Effizienzmaßnahmen ergriffen haben und die im internationalen Wettbewerb stehen, weiterhin zu Recht befreit sind, damit wir Arbeitsplätze und Wertschöpfung in Deutschland halten, aber dass wir Maßnahmen ergreifen müssen, damit Trittbrettfahrer, die nicht im internationalen Wettbewerb stehen, da rauskommen. Lassen Sie uns über die Systematik reden und dieses unwürdige Gefeilsche zwischen Bundesministern beenden, meine Damen und Herren!
(Beifall bei der SPD)
Wir haben Ihnen drittens vorgeschlagen, dass wir, wenn im Bereich der erneuerbaren Energien etwas getan werden kann und muss, wenn im Bereich der energieintensiven Betriebe etwas getan werden muss, auch über uns, über den Staat, reden. Tatsache ist, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble über die gestiegene EEG-Umlage ungeplant pro Jahr 1 Milliarde Euro mehr an Mehrwertsteuer einnimmt. Deshalb ist unser Vorschlag, im Bereich der Stromsteuer etwas zu tun, nur fair. Wenn alle einen Beitrag leisten sollen, dann sollte auch der Bundeshaushalt einen solchen Beitrag leisten. Angesichts der Tatsache, dass der Anteil der erneuerbaren Energien in Deutschland mittlerweile – Gott sei Dank – 25 Prozent beträgt, ist es vernünftig, entsprechend die Stromsteuer in Deutschland zu senken.
Warum, meine Damen und Herren von der FDP, höre ich eigentlich Einzelstimmen, darunter Ihren Spitzenkandidaten Brüderle, die das gut finden, Herr Breil?
(Klaus Breil [FDP]: Genau!)
Die Sächsische Staatsregierung findet das gut. Ich höre Sympathien aus Bayern an dieser Stelle. Aber die -Blockierer sitzen auf der Regierungsbank. Die Bundeskanzlerin ist heute nicht einmal bereit und in der Lage, über das Thema Stromsteuer zu sprechen. Das ist ein Teil des Problems. Sie sind die Blockadekoalition an diesem Punkt.
(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
Wir wollen etwas tun, um die Verbraucherinnen und Verbraucher kurzfristig zu entlasten.
Herr Altmaier, der heutige Artikel im Tagesspiegel mit der Überschrift „Stromabwärts“ beschreibt, was im Moment passiert. Sie sind durchaus ein eloquenter Kerl. Als Parlamentarischer Geschäftsführer haben wir Sie durchaus durch Ihre humorige Art schätzen gelernt. Aber dass Sie ein richtiger Trickser sind, haben wir in den letzten Monaten erlebt.
(Zuruf von der FDP: Na! Na!)
Man muss neidlos anerkennen, dass Ihnen mit dem Thema Strompreisbremse ein medialer Coup gelungen ist. Einige Tage später haben Sie mit der Aussage, dass die Energiewende 1 Billion Euro kosten kann, einen Klops gelandet. Diese Zahlen haben Sie heute nicht vernünftig belegt. Dies ist keine seriöse Debatte. Wir bekommen die wahren Probleme nicht in den Griff, wenn wir die Menschen mit solchen Fantasiezahlen verunsichern. Wir müssen Klarheit bekommen, was die Zahlen betrifft. Und wir müssen das tun, was wir tun können.
Herr Altmaier, für Sie gilt deshalb der alte Satz von Abraham Lincoln – ich darf zitieren –:
Man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen, und das ganze Volk einen Teil der Zeit, aber man kann nicht das ganze Volk die ganze Zeit täuschen!
Das, meine Damen und Herren, wird heute offensichtlich werden. Wir sind bereit für kurzfristige Maßnahmen. Wir wollen aber vor allen Dingen dafür sorgen, dass die Energiewende kein wirtschaftliches und soziales Risiko ist, sondern ein wirtschaftlicher und sozialer Erfolg für Deutschland. Lassen Sie uns in diesem Haus darüber streiten und die Menschen mit diesen Ablenkungsdebatten nicht weiter verunsichern. Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Die SPD-geführten Bundesländer haben Vorschläge gemacht. Sie wollen im Wesentlichen Überschriften produzieren. Das ist der Unterschied und das Problem in Deutschland. Energiewende geht anders. Der Unterschied zwischen Ihnen, zwischen Herrn Altmaier und Herrn Rösler, und uns ist: Wir können Energiewende und Sie nicht.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)