Rede von Hubertus Heil zu Opel in Bochum

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 10. Dezember hat der Interimsvorstandsvorsitzende der Adam Opel AG, Herr Dr. Sedran, bekannt gegeben, den Standort Bochum der Adam Opel AG zum Jahr 2016 zu schließen, die Produktion zu beenden. Das war ein bitterer Tag für die Beschäftigten von Opel, für die 3 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für 3 000 Familien in Bochum kurz vor Weihnachten und für 100 Zulieferunternehmen mit anhängiger Beschäftigung. Ich sage Ihnen, Herr Kollege, der Sie vor mir gesprochen haben: Ihre Rede spricht nicht so sehr dafür, dass Sie ein Herz für die Interessen der arbeitenden Menschen in diesen Unternehmen und eine Beziehung zur industriellen Basis dieses Landes haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE] – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

Was sind die tatsächlichen Ursachen dieser Entwicklung? Ich sage Ihnen, dass das, was die Opel AG zur Begründung vorschiebt und was die Linkspartei offensichtlich nachspricht, nicht ganz die Wahrheit ist.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wir sprechen nicht nach!)

Es ist gar keine Frage, dass die schwierige Situation auf den südeuropäischen Absatzmärkten insgesamt für den Standort Deutschland mittlerweile zu einem Klotz am Bein wird, zu etwas, das uns herunterzieht; das hat uns in der Debatte heute Morgen schon beschäftigt. Aber die Begründung von Opel für diese Entscheidung – die Probleme in Südeuropa sind verantwortlich für die Schließung von Opel in Bochum –

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Nicht nur, Herr Heil! Sie hätten zuhören sollen!)

ist fadenscheinig; denn Tatsache ist, dass gerade der Standort Bochum eine sehr hohe Auslastungsquote hat,

(Zuruf von der SPD: Genau!)

dass es übrigens im Gegensatz zu dem, was Sie eben gequatscht haben von Manta und Kadett und Admiral, mit dem Zafira am Opel-Standort Bochum ein Produkt gibt, das gerade das Goldene Lenkrad bekommen hat. Das ist ein hocherfolgreiches Automobilprodukt.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Ursachen liegen woanders. Sie liegen erstens im Missmanagement von GM in den Vereinigten Staaten von Amerika. GM hat Opel insgesamt die Möglichkeit genommen, neue Absatzmärkte zu erschließen, hat Opel regelrecht verboten, zum Beispiel auf den mittel- und osteuropäischen Markt zu gehen, nach Russland und nach China. Das ist die verfehlte Konzernpolitik dieses Unternehmens. Der zweite Grund ist – das kann ich Ihnen nicht ersparen –, dass Sie damals, als wir 2009 versucht haben, die Adam Opel AG aus dem Konzern herauszuführen und einen strategischen Investor zu finden, der es ermöglicht hätte, solche Absatzmärkte zu erschließen, diese Bemühungen diffamiert haben. Diese Politik – „Das Erbe der Guldenburgs“ will ich nicht sagen –, dieses Erbe des Guttenberg und auch des Herrn Brüderle, die Diffamierung der Bemühungen, die wir damals an den Tag gelegt haben, ist eine Ursache für das, was wir heute erleben. – Konzernfehlentscheidungen und Politikversagen in dem, was Sie gemacht haben, sind die Gründe.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben sich damals als Hüter der freien Marktwirtschaft aufgespielt. Es ging überhaupt nicht um Steuergeld im Sinne von Verstaatlichung oder Ähnliches. Es ging darum, einen Investor zu finden und den Weg abzustützen, um Standorte wie Bochum, aber auch Rüsselsheim und Eisenach in Deutschland dauerhaft zu erhalten. Eines wissen wir – da haben Sie vollkommen recht –: Das eigentliche Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist der Mittelstand, auch der industrielle Mittelstand. Aber ohne grundlegende Produktion, auch von großen Unternehmen, haben wir nicht die ganze Wertschöpfungskette, die wir brauchen. Diesen Zusammenhang haben Sie nicht begriffen. Sie haben in Ihrer Rede die kleinen gegen die großen Unternehmen ausgespielt. Das macht überhaupt keinen Sinn. Am Beispiel Bochum sehen Sie doch: Da ist nicht nur Bochum als Opel-Standort betroffen, sondern da sind auch 100 Zulieferunternehmen – das sind kleine und mittlere Unternehmen –, die unter Ihrer falschen Politik leiden.
Was ist jetzt notwendig? Jetzt geht es nicht um Steuergeld, das wir einsetzen können und wollen; darum kann es nicht gehen. Jetzt geht es, im Gegenteil, darum, General Motors – übrigens in Amerika mit viel Steuergeld gerettet –
(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr wahr!)

in die Pflicht zu nehmen, seiner Verantwortung gegenüber den Beschäftigten in Bochum und auch gegenüber der Region gerecht zu werden. Dazu sind drei Dinge notwendig:
Erstens. Es ist notwendig, von diesem Unternehmen zu verlangen, dass es über das Jahr 2016 hinaus keine betriebsbedingten Kündigungen der Beschäftigten von Opel gibt. Das ist eine klare Forderung der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Ich hätte mich gefreut, wenn die CDU, die CSU und die FDP sich dieser Forderung gegenüber General Motors heute angeschlossen hätten, anstatt sich über das EEG oder ähnliche sachfremde Zusammenhänge auszulassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Die Arbeitsgruppe „Perspektive für Bochum“ darf kein Sozialplanprogramm im Interesse dieses Unternehmens werden, sondern es muss eine Beteiligung, auch eine finanzielle Beteiligung von General Motors, an der Umstrukturierung des Standortes geben, um für die Region eine Perspektive zu entwickeln.
Drittens. Wir müssen mit dem Unternehmen alle Möglichkeiten besprechen, damit Bochum ein Produktionsstandort bleiben kann. Es wird vermutlich nicht so bleiben, wie es ist. Es müssen aber Entscheidungen getroffen werden, zum Beispiel ob Bochum als Komponentenwerk erhalten werden kann. Das wäre eine ganz konkrete Zusage.
Meine Aufforderung an die Bundesregierung ist, sich für diese drei sehr konkreten Ziele einzusetzen. Es geht nicht um Planwirtschaft, um Verstaatlichung, sondern es geht darum, das herauszuholen, was im Interesse der Beschäftigten, der Region, der industriellen Basis unseres Landes notwendig ist. Was passiert in diesem Zusammenhang? Wir haben einen Bundeswirtschaftsminister, der es nicht einmal für nötig hält, in dieser Debatte anwesend zu sein, geschweige denn zu reden. Ein Blick auf die Rednerliste zeigt: Es soll nicht einmal ein Staatssekretär aus dem Wirtschaftsministerium reden, sondern ein Staatssekretär aus dem Arbeitsministerium. Wie war die Reaktion von Philipp Rösler auf diese Entscheidung? Er hat wie ein kleiner Junge mit dem Fuß aufgetreten und gesagt, er sei sauer, und im Übrigen die Beschäftigten an die Bundesagentur für Arbeit verwiesen. Das, meine Damen und Herren, hat mit industriepolitischer Verantwortung eines Bundeswirtschaftsministers überhaupt nichts zu tun. Das zeigt, welch Geistes Kind Sie an dieser Stelle sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Forderung an Sie ist: Unterstützen Sie den Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Garrelt Duin, und die nordrhein-westfälische Landesregierung! Die kämpfen für Beschäftigung, die kämpfen für die industrielle Basis. Wir wissen, was das industrielle Rückgrat dieser Gesellschaft bedeutet. Was an Wertschöpfung verschwindet, kommt nicht wieder. Deshalb erwarte ich von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition und der Bundesregierung: Werden Sie Ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen in Bochum, gegenüber dem Industrieland Deutschland gerecht! Wir können nicht alles konservieren; das ist keine Frage.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Heil, kommen Sie bitte zum Schluss.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Wir können betriebswirtschaftliche Fehler nicht politisch korrigieren. Aber wir haben eine Verantwortung, der Sie gerecht werden können.

(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sie auch!)

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)