Rede von Hubertus Heil zum Energiewirtschaftsrecht


Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Rösler, die Energiewende bietet, wenn man sie richtig betreibt, in allererster Linie eine Riesenchance für das Industrieland Bundesrepublik Deutschland. Wir können, wenn wir es richtig machen, unseren Beitrag dazu leisten, dass wir auf diesem Gebiet Ausrüster der Welt sein können: mit Energieeffizienz, mit modernen Formen von Energieproduktion durch erneuerbare Energien. Wir haben in Deutschland das ingenieurwissenschaftliche Know-how dazu, wir verfügen über die notwendigen Fähigkeiten. Was wir allerdings nicht haben, ist eine Bundesregierung, die diese Chance nutzt. Deshalb gerät die Energiewende, die eine Operation am offenen Herzen unserer Industriegesellschaft ist, durch die Unfähigkeit und das Chaos in Ihrer Regierung zu einem Riesenproblem. Sie fahren gerade die Energiewende an die Wand, Herr Rösler.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir können Vorreiter sein, auch in Bereichen, wo wir Neuland oder wie in diesem Fall See betreten, gar keine Frage. Offshorewindenergie ist nicht nur ein zentraler Eckpfeiler einer stabilen Energieversorgung der Zukunft, sondern Offshore ist eine neue Technologie. Da gibt es erhebliche Risiken. Da ist vieles technisch noch nicht gelöst. Gleichwohl ist dieser Weg richtig. Wir bekennen uns dazu. Wir wollen, dass Stromerzeugung mittels Windkraftanlagen auf See einen wichtigen Beitrag für den Energiemix der Zukunft leistet. Offshoreanlagen erreichen eine höhere Volllaststundenzahl als andere Anlagen und sind Teil einer stabilen Energieversorgung durch Erneuerbare. Aber ich sage noch einmal: Es ist das Chaos in dieser Bundesregierung, das zu einer Situation geführt hat, die sich folgendermaßen beschreiben lässt: Noch vor ein, zwei Jahren waren immense Investitionen von großen EVUs, aber auch von Stadtwerken im Bereich Offshore geplant. Heute jedoch müssen wir erleben, dass diese Unternehmen ihr Investment Stück für Stück canceln, weil diese Bundesregierung die Aufgabe, erneuerbare Energien offshore auszubauen, schlicht und ergreifend unterschätzt hat. Sie sind dieser Aufgabe nicht gewachsen, und deswegen gehen die Investitionen jetzt den Bach herunter.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hat Folgen für Arbeitsplätze in unserer niedersächsischen Heimat, in Norddeutschland insgesamt. Wenn man es richtig macht, bietet Offshore eine Chance für Industrialisierung an den Küsten des Nordens, für Wertschöpfungsketten beispielsweise im Schiffbau. Sie haben Planungs- und Investitionsunsicherheit geschaffen. Sie versuchen jetzt, das mühsam zu reparieren durch ein Gesetz, das neue Ungerechtigkeiten schafft. Das alles gefährdet Beschäftigung, Arbeitsplätze und eine sichere Energieversorgung in diesem Land. Herr Rösler, Sie sind der Aufgabe nicht gewachsen. Das ist genau das Problem.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann es nicht oft genug sagen!)

Was machen Sie jetzt mit diesem Gesetz? Flickschusterei! Sie wälzen im Wesentlichen die Haftungsrisiken auf die Verbraucher ab. Herr Rösler, Sie sollten keine Krokodilstränen über höhere Strompreise vergießen, wie Sie es heute im Morgenmagazin getan haben, wenn Sie gleichzeitig den Verbrauchern mit diesem Gesetz höhere Strompreise bescheren. Das ist unglaubwürdig, Herr Rösler.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Verursacher! – Genau so ist es!)

Eine faire Lastenteilung in der Energiewende sieht anders aus. Marktwirtschaftliche Instrumente, Herr Brüderle, sehen völlig anders aus als das, was Sie mit diesem Gesetz vorhaben. Das ist ja reine Planwirtschaft, nichts anderes. Das muss man einmal feststellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wo sind denn Ihre Vorschläge, die dafür sorgen, dass wir beim Netzanschluss – denn das ist die Hauptaufgabe – trotz aller technisch ungelösten Probleme wirklich vorankommen? Wir hatten in Deutschland eine Riesenchance, in den Jahren 2008 und 2009 beim Unbundling durch die Schaffung einer deutschen Netz AG mit öffentlicher Beteiligung, aber im Wesentlichen privatwirtschaftlich organisiert, die Feuerkraft für Investitionen in diesem Bereich zu organisieren. Damals waren es der Bundesminister Michael Glos, meine Damen und Herren von der CSU, und später Ihr famoser Herr Guttenberg, die sich einer solchen vernünftigen Lösung verweigert haben. Das Ergebnis sehen wir eben heute. Wir sehen heute, dass die Investitionen, die notwendig wären, nicht mobilisiert werden können: Investitionen in den Netzanschluss – da gibt es Probleme – und in Leitungen an Land, die benötigt werden, um Strom vom Norden in den Süden zu bringen.
Lassen Sie uns doch eine Diskussion über eine deutsche Netz AG führen. Sogar Herr Homann von der -Bundesnetzagentur hält sie für eine Möglichkeit, das Problem vernünftig zu lösen; Herr Rösler, Sie haben ihn im Wesentlichen mit ins Amt gebracht, wenn ich mich recht entsinne. Lassen Sie uns darüber nachdenken, ob es nicht vernünftig wäre, das Problem der Offshoreanbindung zu nutzen, um den Nukleus einer deutschen Netz AG zu schaffen. Unser Vorschlag ist konkret. Wir wollen, dass wir uns auf diesen Weg machen. Wir könnten dann von öffentlicher Seite, über die Kreditanstalt für Wiederaufbau, einsteigen, um Haftungsrisiken abzusichern und sie nicht auf die Verbraucher abzuwälzen. Herr Rösler, das ist eine Alternative zu dem, was Sie hier vorlegen.
Ich kann es Ihnen nicht ersparen, Herr Rösler: Sie tragen persönlich Verantwortung für das, was im Moment scheitert. Sie schaffen es nicht, mit Herrn Altmaier wirklich zu Lösungen zu kommen, sondern markieren lediglich für den Bundestagswahlkampf. Die Rede, die Sie eben gehalten haben, war ein beredter Hinweis auf Ihre Position im Wahlkampf; aber Sie werden Ihrem Amt nicht gerecht. Ein Bundeswirtschaftsminister, der eigentlich für eine sichere, saubere und bezahlbare Energieversorgung für die Wirtschaft und für die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land zuständig ist, muss mehr bieten als die Rede, die wir eben gehört haben. Ich habe heute Morgen gehört, dass Sie im Morgenmagazin einen Masterplan zur Energiewende gefordert haben.

(Lachen und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Super! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bravo!)

Da kann ich nur sagen: Gute Idee, Herr Minister! Wie viele Jahre haben Sie eigentlich gebraucht, um auf diese geniale Idee zu kommen?
Tatsache ist: Wir brauchen eine bessere Koordinierung. Es mag sein, dass Sie die Versorgungssicherheit im nächsten Winter so garantieren müssen, wie Sie es jetzt mit Ihrem Zwangsanschaltgesetz machen. Wir sind in -einer Lage, in der die Versorgungssicherheit im Winter nicht mehr garantiert ist, weshalb Sie Zwangsmaßnahmen ergreifen müssen, die mit Marktwirtschaft nun wirklich nichts zu tun haben. Sie zwingen die Unternehmen, konventionelle Kraftwerke im Süden anzuschalten, die sich betriebswirtschaftlich nicht mehr rechnen. Das wird in den nächsten drei oder vier Wintern möglicherweise notwendig sein; vielleicht gibt es gar keine Alternativen mehr, weil Sie uns in diese Situation gebracht haben.
Sie haben aber auch keine Idee, wie es danach weitergehen soll, wie ein Strommarktdesign der Zukunft aussieht, wie wir die erneuerbaren Energien vernünftig ausbauen, sie Stück für Stück in die Vermarktung überführen und sie mit Reservekapazitäten koppeln. Sie haben keinen Vorschlag vorgelegt, aus dem hervorgeht, wie ein solches Strommarktdesign aussehen könnte. Dafür hatten Sie eigentlich genug Zeit.
Ich sage Ihnen, Herr Bundesminister: Für den Offshorebereich und für die Versorgungssicherheit sind Sie nicht der Experte.

(Patrick Döring [FDP]: Sie sind die wandelnde abschaltbare Last!)

Sie haben es in den letzten Jahren nicht geschafft, die Chancen Norddeutschlands und Deutschlands insgesamt im Bereich der erneuerbaren Energien zu nutzen. Sie schimpfen in einer Tour über die erneuerbaren Energien, anstatt sie vernünftig auszubauen und zu fördern. Sie sorgen nicht für die notwendige Planungs- und Investitionssicherheit. Sie sorgen nicht für eine sichere und bezahlbare Stromversorgung. Sie verspielen die Chancen, die für das Industrieland Deutschland in der Energiewende stecken, auch die Chancen im Export unserer Technologien. Sie schaffen keine Planungs- und Investitionssicherheit und vernichten dadurch Arbeitsplätze. Wir müssen nach der Bundestagswahl mit diesem Chaos aufräumen. Wir können Energiewende, und Sie nicht.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wegen Ihnen haben wir ja das Desaster!)