Rede von Hubertus Heil zum Bundeshaushalt Arbeit und Soziales


Vizepräsident Eduard Oswald:

Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Nächster -Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der -Sozialdemokraten unser Kollege Hubertus Heil. Bitte schön, Kollege Hubertus Heil.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin von der Leyen, bei Ihrer Rede habe ich mich erinnert an ein großartiges Buch von George Orwell aus dem Jahr 1948. Das Buch heißt: Big Brother is watching you.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das heißt: 1984!)

– 1984. Entschuldigung. Das Buch heißt: 1984. Danke für die Hilfe! Literarisch bewanderte Kollegen!

(Zuruf von der FDP: Das andere war bei RTL!)

– Hören Sie kurz zu!
1984 ist ein wunderbares Buch. In diesem Buch gibt es eine Regierung, die eine Sprache erfindet, die immer das Gegenteil dessen zum Ausdruck bringt, was gemeint ist. Diese Sprache heißt „Neusprech“.
Übertragen wir das einmal auf Ihre Rede und gehen die einzelnen Begriffe durch, die Sie in den Raum geworfen haben. Sie sind eine Meisterin darin, Begriffe zu erfinden. Sie haben einen ganzen Sommer lang den -Begriff der Bildungschipkarte in Interviews verbreitet. Damit haben Sie die Erwartungshaltung geweckt – ich stelle es einmal überspitzt dar –, dass Kinder von Hartz-IV-Empfängern demnächst alle Reitunterricht und -Geigenunterricht bekommen. Herausgekommen ist ein Bildungspaket, das wir zwar verbessern konnten, das aber in der Abwicklung ein bürokratisches Problem ist.

(Bettina Hagedorn [SPD]: Ein Monster!)

Auch da: viel Wortgeklingel, wenig Substanz.
Wir haben erlebt, dass Sie beim Thema Mindestlohn mit dem Begriff der Lohnuntergrenze operieren.

(Bettina Hagedorn [SPD]: Genau!)

Herausgekommen ist dabei nichts.

(Bettina Hagedorn [SPD]: Nichts!)

Meine Damen und Herren, Frau von der Leyen ist eine Anscheinserweckerin. Sie tut so, als ob. Aber Tatsache ist: Diese Regierung hat es nicht hinbekommen, Sie persönlich haben es nicht hinbekommen, das zu tun, was notwendig ist, nämlich einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland durchzusetzen, damit Menschen, die hart arbeiten, von ihrer Arbeit leben können. Schweigen Sie lieber von Ihrer Lohnuntergrenze und handeln Sie!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Bei den Themen „Frauenquote“ und „Gleichstellung“ sind Sie bei Appellen offensichtlich auf der richtigen Seite. Durchgesetzt haben Sie aber nichts. Auch wieder nur Wortgeklingel! Ihre Kollegin Frau Schröder hat dann einen neuen schönen Klingelbegriff erfunden, die sogenannte Flexi-Quote.

(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Oh Gott, oh Gott!)

Das setzt sich fort mit dem Wortgeklingel „ Zuschussrente“, die Sie jetzt umgetauft haben in „Lebensleistungsrente“. An dieser Stelle hört der Spaß auf, Frau Ministerin. Wer Menschen, die hart arbeiten, so verhöhnt, wie Sie das mit diesem Unsinn tun, der sollte bei diesem Thema schweigen. Eine Bundesministerin für Arbeit und Soziales, die sich über Altersarmut und über Ängste von Menschen vor Altersarmut verbreitet, aber bei den Themen „Erwerbsarmut“ und „Kampf gegen prekäre Arbeit“ schweigt, hat ihren Job verfehlt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Ich sage Ihnen das, weil Frau Pothmer vollkommen recht hat: Altersarmut ist das Ergebnis von Erwerbsarmut, von Langzeitarbeitslosigkeit, von prekärer Arbeit und von schlechter Entlohnung. Die Frage, ob wir im Jahr 2025 oder 2030 die Altersarmut abwenden können, die die Menschen heute fürchten, hängt mit der Frage zusammen, welche Ordnung wir am Arbeitsmarkt -haben, ob wir dafür sorgen, dass Menschen in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse hineinkommen und dass sie von ihrer Arbeit leben können, dass das -Arbeitsvolumen von Frauen durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf steigt und sie nicht in Teilzeitfallen gefangen sind. Es kommt darauf an, dass wir den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit nicht mit einem Wortgeklingel abtun, wie Sie es vorhin getan -haben, sondern durch den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ abwenden, dass wir gegen den Missbrauch von Werkverträgen angehen und dass wir den Unsinn der Minijobs nicht ausweiten, sondern den Missbrauch von Minijobs in diesem Land zurückdrängen, meine Damen und Herren. Das sind die Aufgaben.

(Beifall bei der SPD)

Frau von der Leyen, die Sprache bei George Orwell heißt „Neusprech“. Sie sind eine Meisterin des „Neusprechs“. Sie erfinden neue Begriffe. Ihre Aufgabe ist es aber nicht, als stellvertretende Parteivorsitzende der CDU das Spiel – wie nennen Sie das in Ihrer Partei? – der asymmetrischen Demobilisierung anderer Parteien durch Wortgeklingel zu spielen. Es ist nicht Ihre -Aufgabe, lediglich Begriffe zu besetzen, sondern Ihre Aufgabe ist es, als Ministerin für Arbeit und Soziales die Verhältnisse der Menschen in diesem Land substanziell zu verbessern.
Was haben Sie aber in den vergangenen drei Jahren in Ihrem Amt getan, nachdem Sie dieses ziemlich plötzlich von Herrn Jung geerbt haben? Drei Jahre lang gab es eine gute konjunkturelle Entwicklung, auf der Sie sich ausgeruht haben!

(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Von wegen!)

Sie haben aber als Arbeitsministerin keine Vorsorge für konjunkturell schlechtere Zeiten getroffen. Nach drei Jahren guter konjunktureller Entwicklung in der Abschlussbilanz des kommenden Jahres, wenn Sie das Amt verlassen werden, Frau von der Leyen, ein Loch von 1,6 Milliarden Euro bei der Bundesagentur für Arbeit zu hinterlassen – das hinzubekommen, ist schon eine richtig dolle Leistung!

(Beifall bei der SPD)

Zu vielen Themen haben Sie hier nichts gesagt, zum Beispiel zur Frage: Welche Vorsorgemaßnahmen treffen wir eigentlich am Arbeitsmarkt, wenn sich die Konjunktur durch die Krise in Europa verschlechtert? Wir haben Ihnen vorgeschlagen, nachdem Sie die Fristen für Kurzarbeit verkürzt haben, die früheren Regelungen wieder einzuführen, ins Gesetz zu schreiben bzw. per Rechtsverordnung in Kraft zu setzen. Das haben Sie beim letzten Mal noch abgelehnt. Inzwischen habe ich erlebt, dass Sie eine solche Überlegung im Stil von Copy and Paste in einem Interview wieder als prüfenswert ausgegeben haben.

(Bettina Hagedorn [SPD]: Aber leider kein Geld dafür!)

Ihr Minister Rösler findet das ganz blöd. Inzwischen geht Zeit ins Land, die dringend für Vorsorge am Arbeitsmarkt genutzt werden müsste.
Frau von der Leyen, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Sie sind eine Ministerin, für die Interviews wichtiger sind als Initiativen,

(Widerspruch des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU])

eine Ministerin, die auf Show setzt und nicht auf -Substanz,

(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)

eine Ministerin, die mithilfe des großen Apparats für Öffentlichkeitsarbeit im Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine wunderbare Fassade entwickelt hat. Sie sind sehr begabt, sich in den Medien, in Talkshows selbst zu inszenieren. In diesem Land brauchen wir jedoch eine Politik, die sich am Arbeitsmarkt orientiert, und eine vernünftige Sozialpolitik, in der nicht die Selbstinszenierung der Ministerin im Vordergrund steht, sondern die Lebenslagen von Menschen. Der soziale Aufstieg in diesem Land, der soziale Zusammenhalt sind viel zu wichtig, als dass man diesen Bereich weiterhin Staatsschauspielern überlassen darf.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])