Rede von Hubertus Heil zum Bundeshaushalt Wirtschaft und Technologie


Vizepräsident Eduard Oswald:

Vielen Dank, Kollege Dr. Georg Nüßlein. – Nächster Redner ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Hubertus Heil. Bitte schön, Kollege Hubertus Heil.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ganz offen sagen: Ich bin mir mit Blick auf die Menschen, die uns vor den Fernsehschirmen und auf der Tribüne zuschauen, nicht ganz sicher, ob die unterkomplexe Art und Weise, in der die politischen Ränder eine wirtschaftspolitische Debatte führen, wirklich immer eine Werbung für unsere Demokratie ist.

(Beifall bei der SPD)

Was meine ich? Was haben wir heute gehört? Auf der einen Seite haben wir das eine Extrem gehört: Alles wunderbar, rosarote Brille, regierungsamtlich. Auf der anderen Seite hat die Linkspartei gesagt: Die Welt geht unter.
Ein realistischer Blick auf unsere wirtschaftspolitische Situation würde uns auf Folgendes bringen: Ja, es ist richtig: Wir stehen nach wie vor stärker da als andere Volkswirtschaften in Europa, die vergleichbar sind. Das hat Ursachen, über die man diskutieren kann.
Es stellt sich die Frage, wer das gemacht hat. Sie sagen: Wir haben es gemacht. – Wir sagen: Wir haben es gemacht. – Ich glaube, das interessiert die Leute gar nicht mehr; denn Tatsache ist: Es ist vor allem das Verdienst von fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und von tüchtigen Unternehmen in diesem Land, die dafür gesorgt haben, dass wir so gut dastehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das haben wir heute schon mal gehört!)

Tatsache ist, dass wir eine starke industrielle Wertschöpfungsbasis haben. Es ist vollkommen richtig, Herr Fuchs, was Sie da beschrieben haben. Auf der anderen Seite gibt es aktuell in diesem Land aber auch Fehlentwicklungen. Es ist sozialversicherungspflichtige, gute Arbeit entstanden. Es ist aber auch prekäre Arbeit entstanden, die man zurückdrängen muss. Es ist nicht in Ordnung, wenn Menschen 3 oder 4 Euro pro Stunde verdienen. Es gibt einen Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit.
Meine Bitte an die beiden extremen Ränder hier im Hause ist,

(Manfred Grund [CDU/CSU]: „Extreme Ränder“? Wo lebst du denn? – Patrick Döring [FDP]: Unfassbar!)

weder mit einer rosaroten Brille noch mit Untergangsszenarien unser Land zu beschreiben, sondern mit einem realistischen Blick festzustellen, dass wir nach drei Jahren guter konjunktureller Entwicklung im kommenden Jahr in schwieriges Fahrwasser geraten.
Herr Rösler, was Sie sich zurechnen lassen müssen, ist Folgendes: Sie haben sich in den letzten drei Jahren auf einer guten Konjunktur ausgeruht sowie auf Entscheidungen von Vorgängerregierungen, auf den Leistungen von anderen. Sie mahnen jetzt immer Strukturreformen in anderen Ländern an. Das ist gar keine Frage; das muss in vielen Ländern sein. Aber sagen Sie mal: Welche einzige Strukturreform haben Sie eigentlich in Ihrer Amtszeit zu verantworten? Mir fällt keine ein.
Sie müssen sich als Bundesminister für Wirtschaft berechtigte Fragen stellen lassen. Diese sind vorhin angesprochen worden. Ich will diese nur noch einmal unterstreichen. Dabei geht es um die Frage, welche Initiativen Sie ergriffen haben, um dem Mittelstand in Deutschland wirksam zu helfen. Wo sind Ihre Initiativen für eine durchgreifende Entlastung des Mittelstands von überflüssiger Bürokratie?
Wo ist Ihre versprochene steuerliche Forschungsförderung, um Innovationen zu unterstützen? Worin besteht eigentlich Ihre Initiative gegen den Fachkräftemangel? Kommen Sie mir jetzt nicht mit der Bluecard! 138 Menschen sind darüber ins Land gekommen. Ist das wirklich die Antwort auf die sich auftuende Spaltung des Arbeitsmarktes? Immer mehr Unternehmen suchen händeringend qualifizierte Fachkräfte, und auf der anderen Seite sind Menschen in unserem Land nach wie vor abgehängt in prekärer Beschäftigung oder stehen ganz draußen.
Meine Damen und Herren, zum Thema „Fachkräftesicherung“ muss man eines sagen: Wenn die Fachkräfte in der Regierung fehlen, ist es kein Wunder, dass das Fachkräftekonzept dieser Regierung fehlt.

(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dem SPD-Kanzlerkandidaten fehlen ja zunehmend die Fachkräfte!)

– Herr Kauder, Sie können in Ihrer berühmten Art he-rumblöken, wie Sie wollen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: An Ihre Frechheiten komme ich gar nicht ran!)

Sie werden nicht verhindern können, dass dieser Wirtschaftsminister sich einer weiteren Frage stellen muss, nämlich der Frage, ob er seiner Verantwortung im Bereich der Energieversorgung gerecht wird. Mit dieser Frage möchte ich mich etwas intensiver auseinandersetzen.

(Holger Krestel [FDP]: Was haben Sie gemacht, bevor Sie nach vorne gegangen sind?)

Sie halten sehr viele Reden dazu. Dabei muss ich Folgendes feststellen: Die Energiewende in diesem Land droht aufgrund Ihrer Untätigkeit zu stocken oder gegen die Wand gefahren zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Sie beklagen die Erhöhung der EEG-Umlage in diesem Herbst. Ja, seit wann ist die denn explodiert? Seit dem Jahr 2010, unter schwarz-gelber Regierungsverantwortung, und das deshalb, weil Sie keine Vorstellung haben, wie diese Energiewende gemanagt wird und wie eine Umsetzung erfolgen muss.
Lassen Sie uns darüber unterhalten, wie man die Energiewende angesichts dieser kurzen Zeiträume bewerkstelligen könnte. Es handelt sich ja um eine doppelte Energiewende, mit sehr ehrgeizigen Klimaschutzzielen und dem Ausstieg aus der Atomkraft. Versuchen Sie nicht immer, den anderen die Schuld zuzuschieben, sondern werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht!
Wir werden Vorschläge machen und durchsetzen, die klar besagen: Wir wollen den Ausbau erneuerbarer Energien. Wir brauchen ein Marktdesign, um Stück für Stück über das EEG die Erneuerbaren marktfähig zu machen und in die Direktvermarktung zu überführen. Wir müssen dafür sorgen, dass auch im konventionellen Bereich gesicherte Kapazitäten vorhanden sind, um die Versorgungssicherheit in diesem Land zu gewährleisten.
Sie haben nichts gemacht seit Fukushima. Sie sind einen Zickzackkurs gefahren. Sie haben Planungs- und Investitionssicherheit kaputt gemacht. Mit Blick auf Niedersachsen – unsere gemeinsame Heimat, Herr Rösler – will ich Ihnen ein aktuelles Beispiel nennen: Sie haben im Bereich Offshore große Ankündigungen gemacht, sind untätig geblieben, und heute erleben wir die katastrophalen Folgen.
Sagt Ihnen das Unternehmen SIAG Nordseewerke in Emden etwas?

(Patrick Döring [FDP]: Mehr als Ihnen!)

Da verschwinden gerade Tausende von Arbeitsplätzen im Bereich der erneuerbaren Energien, in der Offshoreanbindung, weil Sie nicht dafür gesorgt haben, dass die Voraussetzungen für Planungs- und Investitionssicherheit geschaffen werden konnten.
Große und kleine Unternehmen, sowohl die großen EVU als auch die Stadtwerke, ziehen sich von den Offshoreinvestitionen zurück, weil Sie keine Planungs- und Investitionssicherheit geschaffen haben. Sie haben keine Antwort darauf gegeben, wie der Netzausbau vorankommen soll. Damals, als wir gesagt haben: „Wir brauchen eine deutsche Netz AG, um privates Kapital öffentlich abgestützt zum Netzausbau zu mobilisieren“, haben Sie sich geweigert. Heute haben wir den Salat, weil das zuständige Unternehmen – übrigens ein holländisches Staatsunternehmen – nicht investitionsstark ist.
Meine Damen und Herren, dieser Minister ist ein Energiewendeversager. Das ist ein Standortrisiko für Deutschland.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie müssen sich zurechnen lassen, dass Sie Verantwortung dafür tragen, dass nicht nur die Versorgungssicherheit für dieses Industrieland mittlerweile zu einem Problem geworden ist, sondern auch die Bezahlbarkeit der Energie sowohl für die Unternehmen als auch für die Verbraucher.
Lassen Sie mich einen Satz sagen zu den Ausnahmen für energieintensive Unternehmen. Es bleibt dabei: Ausnahmen für energieintensive Betriebe, die im internationalen Wettbewerb stehen, für Betriebe in den Grundstoffindustrien, sind hochgradig richtig; denn diese Unternehmen würden sonst ihre Standorte verlagern, weil es in anderen Ländern bestimmte Regime nicht gibt und die Energiekosten niedriger sind. Für die energieintensiven Unternehmen, die alle Effizienzmaßnahmen ausgeschöpft haben, die im internationalen Wettbewerb stehen, sind diese Ausnahmen richtig.
Aber falsch ist Ihre Ausweitung auf Unternehmen, die überhaupt nicht im Wettbewerb stehen. Sie diskreditieren die notwendigen Ausnahmen für energieintensive Betriebe, indem Sie diese Ausnahmen ohne Sinn und Verstand ausgeweitet haben. Das Ergebnis ist, dass die Verbraucher, aber auch andere Unternehmen für die Folgen zu zahlen haben, nämlich durch eine erhöhte EEG-Umlage. Das ist die Wahrheit. Wir müssen diese Ausnahmen zurückführen auf die Unternehmen, die sie tatsächlich brauchen.

(Beifall bei der SPD)

Sie bekommen es nicht einmal hin, ein vernünftiges Management dieser Energiewende zu organisieren. Da verhakeln sich Ressorts. Früher war es Herr Röttgen gegen Herrn Rösler, heute ist es Herr Altmaier gegen Herrn Rösler. Ramsauer sitzt noch irgendwo herum, Schavan wäre auch zuständig. Ich sage ja nicht, dass es nicht auch zu anderen Regierungszeiten Ressortauseinandersetzungen gegeben hätte. Das ist ganz natürlich, weil man ja unterschiedliche Zuständigkeiten hat. Nur: In rot-grüner Zeit gab es damals am Ende des Tages beispielsweise immer eine Koordinierung durch das Kanzleramt. Als sich Werner Müller und Jürgen Trittin nicht immer einig waren, hat Frank-Walter Steinmeier dafür gesorgt, dass wir zu Lösungen gekommen sind. Wo ist eigentlich Herr Pofalla im Bereich der Energiewende, meine Damen und Herren? Wenn Sie es nicht schaffen, auf Bundesebene einig zu sein, dann ist es kein Wunder, dass Sie die Koordinierung mit den Ländern nicht hinbekommen.
Sie haben keinen Masterplan.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Say it in German, please!)

Sie haben keine Antworten auf die Frage, wie wir die Energiewende hinbekommen. Sie sind verantwortlich für steigende Strom- und Energiekosten in diesem Land. Sie haben Planungs- und Investitionssicherheit kaputt gemacht. Deshalb sage ich: Wir müssen 2013 mit dem aufräumen, was Sie hinterlassen haben.

(Beifall bei der SPD)

Das ist für mich der entscheidende Punkt: Sie haben sich drei Jahre lang auf einer guten Konjunktur ausgeruht. Sie haben keine Zukunftsvorsorge betrieben, weder in der Energiepolitik noch in Bezug auf die demografische Entwicklung. Wie Sie es nach drei Jahren guter konjunktureller Entwicklung schaffen, ein Loch von 1,6 Milliarden Euro in die Arbeitslosenversicherung zu reißen, das müssen Sie uns eigentlich einmal erklären. Sie haben die Sozialversicherungskassen ausbluten lassen. Sie plündern die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Diese Regierung hat keine Zukunftsvorsorge für die schwierigen Zeiten getroffen, vor denen wir jetzt stehen, weil die Euro-Krise wie ein Bumerang auch nach Deutschland zurückkommt. Hoffentlich wird es nicht so schlimm wie 2008/2009, als wir gegengesteuert haben, hoffentlich nicht! Aber es gibt erhebliche Risiken.
Ich kann Ihnen nur sagen: Ergreifen Sie Maßnahmen, um Schlimmeres von unserem Land abzuwenden! Ändern Sie zum Beispiel die Regelungen zur Kurzarbeit. Frau von der Leyen hat sich da offen gezeigt; Sie blockieren, hoffentlich nicht so lange, bis es zu spät ist. Das Instrument der Kurzarbeit hat uns schon einmal geholfen, durch die Krise zu kommen. Sorgen Sie dafür, dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau ihren Job als Förderbank machen kann! Sie wird in vielen Bereichen gebraucht. Plündern Sie nicht ihre Kassen!
Meine Damen und Herren, wir werden 2013, nach einem Regierungswechsel, im Bereich der Wirtschaftspolitik die Dinge anpacken müssen, die Sie drei Jahre liegen gelassen haben. Deutschland ist ein starkes Land – wir sind nach wie vor stark –; aber wir dürfen uns nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen. Wir stehen in einer stärkeren internationalen Konkurrenz. Wir haben den demografischen Wandel zu bewerkstelligen. Es gibt einen Fortschritt in Wissenschaft und Forschung, bei dem wir mithalten müssen, zum Beispiel mithilfe steuerlicher Forschungsförderung, damit auch der Mittelstand profitiert. Schließlich haben wir die Energiewende in diesem Land zu schultern. Das sind die Zukunftsaufgaben, denen wir uns stellen werden.
Herr Rösler, es ist gut, dass es Restlaufzeiten gibt, nicht nur für Atomkraftwerke, sondern auch für Ihre Amtszeit. Ich bin mir sicher: Die Laufzeiten werden von den Wählerinnen und Wählern nicht verlängert werden, weder bei der niedersächsischen Landtagswahl noch bei der Bundestagswahl. Um dafür zu sorgen, dass Deutschland ein starkes, auch ein soziales Land bleibt, brauchen wir diesen Regierungswechsel, gerade im Bereich der Wirtschaftspolitik. Sie haben die schlechteste Bundesregierung seit 1949 zu verantworten.

(Klaus Breil [FDP]: Die größten Erfolge!)

Das gilt auch für die Wirtschaftspolitik.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)