Antwort auf Kurzintervention von Hubertus Heil zum Thema Bundeshaushalt Wirtschaft und Technologie


Vizepräsident Eduard Oswald:

Das Wort zu einer Kurzintervention hat unser Kollege Dr. Martin Lindner.

Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Man überlegt sich in einem solchen Moment, ob es sich überhaupt lohnt.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen nicht!)

Aber ich muss Ihre Äußerungen natürlich förmlich zurückweisen. Die Tatsache, dass Sie eine Partei wie die FDP, die von 1949 bis heute mehr als doppelt so lang in Regierungsverantwortung stand wie die SPD,

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie war Ihr Wahlergebnis in Berlin?)

als „extremen Rand“ bezeichnen, und Ihre Ausfälligkeiten und Pöbeleien gegenüber dem Vorsitzenden der Unionsfraktion zeigen doch, wo Sie gerade stehen, in welch orientierungslosem Zustand Sie sich gerade befinden.
Eine Partei, die vormals eine Industriepartei in der linken Mitte war und sich heute selber ein Programm wie das Ihrige gibt, das irgendwo zwischen Hollande und der Linkspartei mäandert, und auf der anderen Seite einen Kanzlerkandidaten kreiert

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Jetzt wird’s niveauvoll!)

– anders kann man es gar nicht bezeichnen; richtig gewählt ist er ja nicht –, der selber für die Rente mit 67, für das Betreuungsgeld, für die Flexibilisierungselemente am Arbeitsmarkt stand und überhaupt nicht zu Ihrem komischen Programm zwischen Hollande und Linkspartei passt, eine solche Partei – Herr Heil, das haben Sie uns gerade wirklich eindrucksvoll vorgeführt – braucht noch vier bis acht Jahre, um sich zu regenerieren, um sich zu finden, um einen Diskurs zu führen, ob man Deutschland aus der Mitte oder eben vom Rand regieren will. Treten Sie hier wieder an und bemühen Sie sich um die Wählerschaft, wenn dieser Prozess abgeschlossen ist und Sie jemanden gefunden haben, der zu Ihrem Programm passt,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP)

damit es Hand in Hand geht! Bis dahin wünsche ich Ihnen, Herr Heil, einen wirklich erfolgreichen Selbstfindungsprozess.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was gab’s heute Morgen zum Frühstück? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie geraucht?)

Vizepräsident Eduard Oswald:
Das Wort zur Antwort hat unser Kollege Hubertus Heil.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Ich widerstehe der Versuchung, über Cannabis zu reden, Herr Lindner; das ist Ihr privates Vergnügen.
Ich will Ihnen erklären, warum ich von Rändern gesprochen habe. Das meine ich nicht im Sinne von Extremismen in allen möglichen Politikfeldern, sondern im Bereich der Wirtschaftspolitik. Die wirtschaftsradikale Vorstellung, die Sie liberal nennen, nach dem Motto „Der Markt kann alles viel besser; wenn jeder sich um sich selbst kümmert, dann ist an alle gedacht“, das ist nicht meine Vorstellung von sozialer Marktwirtschaft.

(Beifall bei der SPD)

Sie müssen begreifen, dass Ihre Vorstellung von -Entstaatlichung in allen Lebensbereichen nicht mehr zeitgemäß ist. Das sehen wir an den Finanzmärkten, wo Regulierung gefragt ist. Das gilt für viele andere Bereiche auch.
Unsere Vorstellung von sozialer Marktwirtschaft ist klar: So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig. Das unterscheidet uns von radikalen Entstaatlichern, wie Sie es sind. Ich habe zwei Parteien beschrieben, die in wirtschaftspolitischer Hinsicht – das sieht man auch an der Sitzordnung in diesem Hause – an den Rändern sitzen.

(Patrick Döring [FDP]: Das ist unmöglich! Unmöglich!)

Wir wollen, dass wirtschaftlicher Erfolg und soziale Gerechtigkeit keine Gegensätze sind; wir wissen: Das sind wechselseitige Bedingungen. Wir wollen uns darum kümmern, und zwar gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen, mit denen wir viele Gemeinsamkeiten haben, wenngleich es vereinzelt Unterschiede gibt.

(Patrick Döring [FDP]: Das ist eines Sozial-demokraten unwürdig!)

Eines lasse ich mir von Ihnen nicht nachsagen, Herr Lindner. Mit Blick auf meinen Wahlkreis und mit dem, was ich politisch zu verantworten habe, können Sie alles dumm finden.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das müssen wir nicht dumm finden! Das ist so!)

Offensichtlich sind Sie der Meinung, der politische Gegner hat immer unrecht. Dass Sie jemand sind, der sich für die Industriearbeiterschaft in diesem Land einsetzt, das halte ich für ein schräges Gerücht. Wir haben durch die Reformpolitik der rot-grünen Bundesregierung dafür gesorgt, dass dieses Land nach wie vor eine Industrie-nation geblieben ist. Als Sie Leitbildern wie Irland hinterhergelaufen sind, die rein auf Finanzwirtschaft und nicht mehr auf produzierendes Gewerbe gesetzt haben, als Sie uns als kranken Mann Europas darstellen wollten,

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie waren der kranke Mann!)

weil wir auf die Wertschöpfungsketten, angefangen bei den Grundstoffindustrien, gesetzt hatten, als Sie gesagt haben: „Die Zukunft liegt allein bei Dienstleistung“ – und gemeint war Finanzdienstleistung –, in dieser Zeit haben wir dieser Mode widerstanden. Das unterscheidet uns, Herr Lindner.
In meiner Heimat in Niedersachsen, in der es Stahl-industrie, Volkswagen und Grundstoffindustrien gibt, bleibt die Wirtschaft nicht stehen. Sie wird sich weiter wandeln und sich den anstehenden Herausforderungen stellen,

(Patrick Döring [FDP]: Da regiert seit fast zehn Jahren Schwarz-Gelb!)

und das mit einer gesunden industriellen Basis.
Welchen Bezug Sie zum Thema Industriepolitik haben, erschließt sich mir überhaupt nicht. Das haben wir in den Verhandlungen darüber, was in Europa notwendig ist, gemerkt.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt reicht es! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: „Kurz“-Intervention!)

Sie halten allein eine Politik des Kürzens für richtig. Sie halten überhaupt nichts von Wachstumsimpulsen.

(Patrick Döring [FDP]: Ihre Beziehung zum realen Leben hat noch nie etwas mit Wirtschaft zu tun gehabt!)

Insofern sage ich Ihnen ganz deutlich, Herr Lindner: Machen Sie sich um meine Partei nicht so wahnsinnig viel Gedanken. Wir kümmern uns schon um uns selbst. Machen Sie sich lieber Gedanken darüber, warum die Wählerinnen und Wähler der Meinung sind, dass Sie nicht nur nicht mehr in die Regierung gehören, sondern in vielen Ländern auch nicht mehr in die Parlamente. Setzen Sie sich besser mit sich selbst auseinander.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Es reicht jetzt!)

Ich sage es noch einmal: Ich halte Sie politisch, was demokratische Fragen betrifft, nicht für einen Extremisten. Sie sind ein liberaler Geist.

(Patrick Döring [FDP]: Immerhin!)

Aber ich stelle fest: Wirtschaftspolitisch sind Sie nicht nur am Rand des Mainstreams, wirtschaftspolitisch befindet sich die FDP am Rand der Gesellschaft.

Vizepräsident Eduard Oswald:
Kollege Hubertus Heil, bitte Ihren letzten Satz.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Ich finde, Sie sind eine zu vernachlässigende Größe.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)