Rede von Hubertus Heil zum Bundeshaushalt Wirtschaft und Technologie


Präsident Dr. Norbert Lammert:

Bevor der Kollege Hubertus Heil als nächster Redner das Wort erhält, möchte ich Ihnen das Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums nach unserer Bundeshaushaltsordnung mitteilen: abgegebene Wahlausweise 571, folglich 571 abgegebene Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 481, mit Nein haben gestimmt 45 bei 42 Enthaltungen und 3 ungültigen Stimmen. -Damit hat die Abgeordnete Stefanie Vogelsang die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages erhalten und ist damit zum Mitglied des Vertrauensgremiums gewählt.

(Beifall im ganzen Hause)

Herzlichen Glückwunsch! – Nun hat der Kollege Heil das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Rösler, das war keine Rede eines Bundeswirtschaftsministers, das war die Rede eines FDP-Vorsitzenden, dem das Wasser erkennbar bis zum Halse steht.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Kasperlerede war das!)

Sie als FDP-Vorsitzender haben erkennbar nur drei Probleme: Kubicki, Lindner und Brüderle. Aber das sind nicht unsere Probleme. Unser Problem ist, Herr Rösler, dass Sie als Bundeswirtschaftsminister Ihren Job nicht machen. Ich will Ihnen das an drei Beispielen deutlich machen, auch anhand dessen, was Sie eben ausgeführt haben.
Wo ist der Bundeswirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland, der größten Volkswirtschaft in Europa, wenn es beispielsweise darum geht, in Europa die Wirtschaftspolitik stärker zu koordinieren? Denn wenn es eine ganz zentrale Ursache der Krise in Europa gibt – darüber sind wir uns in der Analyse möglicherweise einig –, dann ist es der Geburtsfehler einer Währungsunion, bei der man glaubte, eine gemeinsame Währung zu schaffen, aber die nationalen Politiken im Bereich der Fiskalpolitik einzeln zu lassen. Wo sind Ihre Vorschläge? Sie sind schlicht und ergreifend nicht auf dem Platz. Deshalb sage ich Ihnen mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung, Herr Rösler: Sie haben sich zwei, drei Jahre lang auf einer guten konjunkturellen Entwicklung ausgeruht, einer guten konjunkturellen Entwicklung, zu der Sie keinen Beitrag geleistet haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Von Ihnen brauchen sich deutsche Sozialdemokraten nichts über Mut zu Reformen erzählen zu lassen. Wir haben die Reformen durchgesetzt; Sie sind es nicht gewesen.

(Beifall bei der SPD – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das wollen Sie heute nicht mehr wahrhaben!)

Ich sage Ihnen: Es gibt mehrere Gründe, warum die Entwicklung in Deutschland in den letzten drei Jahren so gut war, dass wir trotz der Krise in Europa und in der Welt bis dato besser durch die Krise gekommen sind. Erstens sind es in den 90er- und frühen 2000er-Jahren die Umstrukturierungen in den Unternehmen gewesen, in einer Zeit, in der Deutschland am Ende einer schwarz-gelben Regierung von Helmut Kohl weltweit als der kranke Mann Europas galt. Wir erinnern uns daran. Das war das Ergebnis des Reformstaus schwarz-gelber Politik von Helmut Kohl.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und bei der FDP)

Es war eine rot-grüne Bundesregierung, die gegen erhebliche Widerstände, auch mit erheblichen Auseinandersetzungen in den eigenen Reihen – gar keine Frage –, Mut zur Veränderung, zu Strukturreformen hatte, den Sie in der deutschen Geschichte niemals aufgebracht haben.

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Den habt ihr heute auch nicht mehr!)

Das hat für uns einen hohen Preis bedeutet; gar keine Frage. Aber ich sage Ihnen: Für das Land war dies richtig und notwendig. Sie haben in den letzten drei Jahren geerntet, aber Sie haben nie gesät. Sie können nichts für die gute wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen drei Jahre.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der zweite Grund ist die Tatsache, dass die Große Koalition 2008/2009 rasch gehandelt hat, als wir nach der Lehman-Pleite mit einem Tsunami am Arbeitsmarkt zu rechnen hatten. Minus 5 Prozent beim wirtschaftlichen Wachstum, das war aufgrund der Zockereien auf den internationalen Finanzmärkten die Situation 2008/2009.
Ich sage Ihnen: Nicht wir waren es, die gegen die notwendigen Maßnahmen waren, sondern wir haben diese Maßnahmen mit Olaf Scholz, mit Peer Steinbrück und mit Frank-Walter Steinmeier in der Großen Koalition auf den Weg gebracht. Ohne uns hätte es die veränderten Kurzarbeitsregelungen nicht gegeben, nach dem Motto: Besser Arbeit sichern als Arbeitslosigkeit. Ohne uns hätte es auch die wesentlichen Anstöße für die Konjunkturprogramme nicht gegeben, die mitgeholfen haben, Brücken über die Krise zu bauen. Also: Reden Sie an dieser Stelle nicht herum! Sie haben keinen Beitrag zur guten wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre geleistet. Sie stellen sich hier hin und halten FDP-Parteitagsreden. Aber Sie machen Ihren Job als Bundeswirtschaftsminister nicht, Herr Rösler.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das, was ich Ihnen ganz persönlich übel nehme, ist, dass Sie in den letzten Jahren mit solchen Fensterreden – aber ohne zu handeln – den Reformvorsprung, den sich Deutschland mühsam erarbeitet hat, verspielen. Denn Tatsache ist: Die weltwirtschaftliche Entwicklung bleibt nicht stehen; wir sind nach wie vor mitten in der Krise in Europa. Tatsache ist: Der internationale Wettbewerb lässt nicht nach; er nimmt zu. Es gibt mit China, Indien und den lateinamerikanischen Staaten aufstrebende Mächte in der Welt, und Deutschland muss sich auf diese Entwicklung einstellen. Tatsache ist: Der Strukturwandel bleibt nicht stehen; wir müssen bei Forschung und Entwicklung mithalten. Tatsache ist: Der demografische Wandel in diesem Land stellt uns vor erhebliche Herausforderungen. Und Tatsache ist: Die Ressourcenknappheit und die Energiewende gehören zu den größten Aufgaben, die vor uns liegen.
Herr Rösler, ich möchte Ihnen eines sagen: Was das Thema Fachkräftesicherung betrifft, können Sie mit uns vielleicht besser als mit der CSU über qualifizierte Zuwanderung und Weltoffenheit reden; da haben Sie eher ein Problem in der eigenen Koalition. Aber ein Bundeswirtschaftsminister, der beim Stichwort „Fachkräftesicherung“ nur an Zuwanderung denkt – Sie haben kein weiteres Wort dazu gesagt – und keine Maßnahmen ergreift, um dafür zu sorgen, dass die Potenziale in Deutschland gehoben werden, damit wir keinen gespaltenen Arbeitsmarkt bekommen, wird seinem Job nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind ein FDP-Vorsitzender, der im Bereich der Gesellschafts- und Bildungspolitik fatale Weichenstellungen mit unterstützt, zum Beispiel das unselige Betreuungsgeld. Was Deutschland stattdessen braucht, sind eine höhere Frauenerwerbsbeteiligung und bessere Chancen für Kinder und Jugendliche, und zwar durch die frühe und individuelle Förderung von Kindern. Sie machen mit Ihrem Betreuungsgeld das Gegenteil. Es ist gesellschaftlicher Unsinn, es ist finanzpolitischer Unsinn, es ist aber auch wirtschaftspolitischer Unsinn, den Sie mitverantworten. Sie werfen Deutschland zurück und bringen das Land in diesem Bereich nicht voran.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Durch Ihr Unterlassen läuft Deutschland, wenn es so weitergeht, in einen tief gespaltenen Arbeitsmarkt. Auf der einen Seite suchen immer mehr Unternehmen – kleine und mittelständische, aber auch große – händeringend qualifizierte Fachkräfte in Deutschland. Auf der anderen Seite gibt es viel zu viele Menschen, die in prekären Arbeitsverhältnissen oder in der Langzeitarbeitslosigkeit abgehängt sind. Die soziale Herkunft entscheidet in Deutschland stärker über die Bildungs- und Lebenschancen von Kindern als Leistungsfähigkeit und Talente. In dieser Situation machen Sie nichts im Bereich der Bildung und das Falsche im Bereich der Arbeitsmarktpolitik. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden das Thema Fachkräftesicherung nach dem Regierungswechsel im kommenden Jahr ressortübergreifend zu einem Topthema machen. Wir werden es nicht brachliegen lassen wie Sie.

(Otto Fricke [FDP]: Das tun wir nicht!)

Wir werden die Spaltung des Arbeitsmarktes, die Sie mit verursacht haben, überwinden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Ja, ja! Mit teuren Oppositionsanträgen! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das könnt ihr mal schön aus der Opposition machen!)

Ich will Ihnen etwas zum Thema Energiepolitik sagen. Sie reden ja, als seien Sie gar nicht im Amt, und malen eine Bedrohung an die Wand. Ich sage Ihnen dazu Folgendes: Eine Bundesregierung und eine Bundeskanzlerin, die im Bereich der Energiepolitik so dermaßen im Zickzack fahren, sind das größte Investitions- und Planungshemmnis für das Gelingen der Energiewende in Deutschland.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE])

Herr Fuchs, wir haben in der Energiepolitik innerhalb von vier Jahren vier verschiedene Bundeskanzlerinnen Merkel kennengelernt: Da war die große Klimakanzlerin mit ehrgeizigen Zielen, da war die Atomkanzlerin, die die Laufzeiten verlängert hat, und da war die Anti-Atom-Kanzlerin nach Fukushima. Sie werden sagen: Lernfähigkeit ist auch eine Tugend.

(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das waren bis jetzt drei!)

– Ich sage Ihnen, was wir jetzt erleben: Jetzt erleben wir eine Frau Merkel, die tatenlos dabei zusieht, wie sich Herr Altmaier und Herr Rösler gegenseitig blockieren und in dieser Legislaturperiode nichts energiepolitisch Entscheidendes mehr auf den Weg bringen. Das ist das, was ich Ihnen vorwerfe.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt natürlich – das wissen wir doch alle – in allen Parteien intensive Diskussionen zwischen Umwelt- und Wirtschaftspolitikern. Das ist ein natürliches Spannungsverhältnis, weil wir eine saubere, eine sichere und eine bezahlbare Energieversorgung erreichen wollen. Da gibt es Diskussionen zwischen Wirtschafts- und Umweltpolitikern; das ist ganz natürlich. Diese Diskussionen hat es auch in unserer Zeit gegeben: zwischen Jürgen Trittin und Werner Müller; daran kann ich mich lebhaft erinnern. Der Unterschied ist nur: In der damaligen Zeit, bei der Energiewende, die wir damals auf den Weg gebracht haben, gab es am Ende des Tages Entscheidungen und ein Bundeskanzleramt mit Frank-Walter Steinmeier als Kanzleramtsminister, der einen Energiekonsens zustande gebracht hat. Zu einem solchen Konsens sind Sie nicht in der Lage, Herr Rösler.

(Beifall bei der SPD)

Zu diesen Fensterreden, die Sie hier halten, zu diesem Popanz, den Sie hier aufbauen, will ich Ihnen eines sagen: Wir sind es gewesen, die mitgeholfen haben, dass Deutschland eine industrielle Wertschöpfung behalten hat. Unser Land hat eine industrielle Wertschöpfungsbasis von den Grundstoffindustrien über die kleinen, mittelständischen Unternehmen bis hin zu den Hightechschmieden wie keine andere Volkswirtschaft in Europa. Die rot-grüne Bundesregierung ist eben nicht den Moden hinterhergelaufen, denen Sie damals gefolgt sind, nach der die Zukunft allein in den Finanzdienstleistungen und im irischen volkswirtschaftlichen Modell liegen sollte.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Daran kann ich mich nicht erinnern! Wie lange ist das denn her?)

Wir haben die industrielle Basis in diesem Land mit erneuert, weil wir wissen, dass Realwirtschaft wichtig ist und nicht Finanzwirtschaft. Das haben Sie damals nicht begriffen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb haben wir damals dafür gesorgt, dass es für energieintensive Unternehmen Ausnahmetatbestände gibt, weil sie im internationalen Wettbewerb stehen. Ich sage Ihnen: Ich weiß, wovon ich rede. Ich komme aus einer niedersächsischen Stadt, die Sie möglicherweise kennen. Meine Heimatstadt ist Peine. Dort steht ein Elektrostahlwerk. Ich will, dass das auch in Zukunft so sein wird. Dieses Werk hat bei der Produktion eine gewisse Gradzahl zu erreichen und braucht einen bestimmten Energieinput. Deshalb darf man nicht zuschauen, wie die Arbeitsplätze verlagert werden. Für solche Unternehmen sind die Ausnahmen richtig.
Aber das, was Sie gemacht haben, ist, die Ausnahmetatbestände auch auf Unternehmen auszuweiten, die sie nicht brauchen, die noch Energieeffizienzpotenziale haben. Wir sind für Ausnahmen für energieintensive Unternehmen, die im Wettbewerb stehen, weil wir in Deutschland Industrie halten wollen. Wir sind für Versorgungssicherheit. Wir sind aber auch der Meinung, dass Effizienzpotenziale da gehoben werden müssen, wo es geht. Deshalb darf es die Ausnahmen nur geben, wenn ein verbindliches Öko- und Effizienzaudit durchgeführt worden ist. Das ist der Unterschied zwischen Klientelpolitik, die Sie betreiben, und einer Energie- und Wirtschaftspolitik mit Vernunft und Augenmaß.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen etwas zum Erneuerbare-Energien-Gesetz sagen. Wir sind uns einig, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Riesenerfolg war.

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Nein!)

– Finden Sie das nicht? Das hat aber Ihr Wirtschaftsminister behauptet. Herr Lindner bestreitet das gerade. – Ich sage Ihnen: Ein Gesetz, das in 60 Ländern der Welt kopiert wird, das mitgeholfen hat, dass Deutschland bei den erneuerbaren Energien die Nase vorn hat, kann nicht schlecht sein.
Klas ist aber auch, dass das Gesetz der Markteinführung diente, dass wir langfristig ein Marktdesign brauchen, mit dem dafür gesorgt wird, dass die Erneuerbaren Schritt für Schritt als Teil einer stabilen Energieversorgung marktfähig werden. Über ein solches Marktdesign sollten wir uns unterhalten.

(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Blockieren Sie es nicht die ganze Zeit!)

Aber Sie werden – das prophezeie ich Ihnen – in dieser Legislaturperiode mit Herrn Altmaier nichts mehr zustande bringen. Das Gleiche gilt für den Ausbau der Netze, für die Verteilnetze, genauso wie für die großen Energieautobahnen, die dieses Land braucht.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Kollege Heil, Sie wissen, dass Sie jetzt zum Ende kommen müssen.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Da habe ich von Ihnen schöne Sprüche gehört, aber nicht das, was notwendig ist.
Deshalb zum Schluss, Herr Bundeswirtschaftsminister: Lösen Sie meinetwegen die Probleme Ihrer FDP, aber lassen Sie uns mit solchen Reden, wie Sie sie hier gehalten haben, in Ruhe. Das ist eines Bundeswirtschaftsministers nicht würdig. Wir werden den Reformstau, den Sie uns hinterlassen haben, im nächsten Jahr nach der Bundestagswahl wieder auflösen müssen, aber das gehen wir in Verantwortung für unser Land an: bei Fachkräften, bei Europa und auch bei der Energiepolitik.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Bei euch in der Fraktion fehlen auch ein paar Fachkräfte!)