Rede von Hubertus Heil zur Kontrolle von Werksverträgen und Leiharbeit


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Hubertus Heil von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Lange, niemand bestreitet, dass unternehmerische Freiheit ein konstitutives -Moment einer sozialen Marktwirtschaft ist. Aber Sie verwechseln Freiheit mit der Freiheit, Menschen auszubeuten. Das unterscheidet uns möglicherweise.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Unternehmerische Freiheit in diesem Land ist wichtig, Herr Lange, aber soziale Bürgerrechte und Arbeitnehmerrechte sind genauso wichtig.

(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wer bestreitet das denn?)

Es geht um den Einklang von sozialen Bürgerrechten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und unternehmerischer Freiheit. Es ist nicht die Freiheit der Ausbeutung und Lohndrückerei, die unsere soziale Marktwirtschaft verheißt. Vielmehr sind wir in diesem Land gut damit gefahren, mit einer anderen Tradition zu arbeiten.
Der Missbrauch – ich rede von Missbrauch – von Zeit- und Leiharbeit wird mittlerweile öffentlich diskutiert. Wir kommen hoffentlich irgendwann über den Mindestlohn in der Zeit- und Leiharbeit hinaus, den wir Ihnen abringen mussten, zu wirksameren Regeln, Stichwort: gleicher Lohn für gleiche Arbeit zwischen Stammbelegschaft und Leiharbeitern.

(Beifall bei der SPD)

Wir dürfen hier nicht stehen bleiben. Aber wir müssen auch aufpassen, dass die notwendigen Regulierungen in dem einen Bereich nicht zu Ausweichreaktionen in anderen Bereichen führen. Das ist ein bisschen wie bei Wasser, das sich immer seinen Weg sucht. Sie verfahren hier, vor allen Dingen die Ministerin von der Leyen, die ich vorhin kurz gesehen habe, nach dem alten Bild der berühmten drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen –

(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Der einzige Affe sind Sie!)

ich möchte hinzufügen: vor allen Dingen nichts tun.
Sie haben von Beweisen und Beweislast gesprochen. Wir befinden uns hier zwar nicht in einem Strafgerichtsverfahren; aber ich möchte Ihnen juristisch antworten: Nehmen Sie zumindest bestimmte harte Indizien wahr! Wenn auf einer Tagung eines arbeitgeberfinanzierten Instituts zum Thema Werkverträge von findigen Arbeitsrechtlern Hinweise gegeben werden – ich zitiere –, wie „dem Damoklesschwert des Branchenmindestlohns zu entkommen“ ist und dabei vor allen Dingen auf die Möglichkeit der Werkverträge verwiesen wird, dann ist das ein hartes Indiz dafür, dass wir in diesem Bereich Missbrauch haben. Wenn Sie uns nicht glauben, glauben Sie den Fahndern im Bereich der Kontrolle von Schwarzarbeit. Es gibt massive Hinweise auf diese Form von Missbrauch.
Ich gebe eines zu: Dieser Bereich – da haben Sie vollkommen recht – ist nicht öffentlich ausgeleuchtet. Wir könnten uns aber darauf verständigen, das zu machen. Wer kann das machen? Ich finde, es ist Aufgabe einer Bundesministerin für Arbeit und Sozialordnung, Licht in diese dunkle Grauzone zu bringen.

(Beifall der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])

Das ist Ihre Aufgabe. Sie verweigern sich aber an dieser Stelle.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Lassen Sie uns zumindest dafür kämpfen, dass es Transparenz gibt. Vielleicht können wir uns darauf einigen. Bevor Sie sagen, das sei überhaupt kein Problem, und die Linkspartei dies für das größte Problem der Welt hält, sollten wir eine Analyse der Lage vornehmen. Dazu muss die Bundesregierung erst einmal bereit sein, die Datengrundlage zu schaffen, was sie verweigert. Dann können wir darüber diskutieren, welche Möglichkeiten es gibt, dem Missbrauch – ich betone: Missbrauch – von Werkverträgen entgegenzuwirken. Sie haben vollkommen recht: Viele Werkvertragsbeziehungen in unserem Wirtschaftsleben sind vollkommen in Ordnung und ermöglichen ein auskömmliches Einkommen. Aber es gibt eben auch sehr starke Hinweise auf Missbrauch.
Was kann man tun? Wir sollten beispielsweise über einen gesetzlichen Mindestlohn bei Subunternehmen, die es immer geben wird, reden. Das wäre zumindest eine Möglichkeit, Lohndrückerei bei Ausgliederungen entgegenzuwirken. Auch müssen wir über die Situation von Soloselbstständigen in diesem Land reden, die nicht sozialversicherungsrechtlich abgesichert sind und deshalb oftmals Opfer von Werkverträgen und von Lohndrückerei werden. Das sind zwei handfeste Vorschläge dafür, was wir tun können.
Unsere Aufforderung an Sie ist, nicht die Augen zu verschließen. Lohndrückerei ist nicht nur eine Katastrophe für die betroffenen Beschäftigten; das ist sie ohnehin. Wie entwürdigend ist es denn, wenn man hart arbeitet, aber am Ende des Tages keinen gerechten Lohn bekommt und dann auch noch erlebt, dass man durch solche Konstruktionen in der Entlohnung heruntergestuft wird? Wir reden über Menschen, die ohnehin nicht viel verdienen. Deshalb sage ich Ihnen: Wenn Sie über zu viel Leidenschaft in diesem Land klagen, dann fehlen Ihnen vielleicht das Herz und die Empathie für die betroffenen Menschen. Vielleicht ist das Ihr Problem.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Ihr Problem ist, dass Sie nicht zu den Anträgen reden!)

Ich finde, Leidenschaft und Verstand müssen sich nicht ausschließen; sie gehören zusammen. Es geht auch darum, zu erfahren, was Menschen in diesem Bereich erleben. Sie können nicht verkennen, dass die Lohndrückerei über den Missbrauch von Leih- und Zeitarbeit, aber auch über den Missbrauch von Werkverträgen nicht nur für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bitter ist, sondern ökonomisch fatale Folgen in diesem Land hat.

(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wie wäre es mal mit Fakten?)

Wenn wir über wirtschaftlichen Erfolg in Deutschland reden, müssen wir auch wettbewerbsfähig und exportstark sein. Das ist gar keine Frage. Aber wir müssen auch für Investitionen und vor allem für Kaufkraft am Binnenmarkt sorgen. Lohndrückerei führt dazu, dass wir zwar starke Auswärtsspiele, aber keine starken Heimspiele haben.
Dass wir in diesem Land faire Löhne brauchen, ist eine Frage des Anstands gegenüber den betroffenen Menschen. Aber es ist auch volkswirtschaftlich vernünftig, für eine ausreichende Kaufkraft in diesem Land zu sorgen. Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen am Arbeitsmarkt werden wir dies noch stärker brauchen. Das ist der Grund, warum die SPD-Bundestagsfraktion nicht nur an dieser Stelle, sondern insgesamt eine neue und faire Ordnung am Arbeitsmarkt fordert. Wir müssen das Verhältnis von Flexibilität und Sicherheit am Arbeitsmarkt neu beleuchten und austarieren. Jede Zeit braucht ihre Antworten. Das gilt auch beim Missbrauch von Werkverträgen.
Machen Sie die Augen auf! Machen Sie Ihren Job, und verweigern Sie nicht den Blick auf die Realität der Menschen in diesem Land!
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)