Rede von Hubertus Heil zu mehr Wachstum und mehr Beschäftigung in Deutschland


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Hubertus Heil von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Rösler, da Sie in NRW bei Veranstaltungen wahrscheinlich nicht so viel Publikum zusammenbringen, kann ich verstehen, dass Sie versuchen, vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen das Plenum des Deutschen Bundestages für eine Wahlkampfrede zu missbrauchen.

(Widerspruch bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn Sie sich da mal nicht täuschen!)

Zurück zur Sache. Reden wir über die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Herr Rösler, angesichts der Situation in Deutschland fände ich es angemessen, weder in Schwarzmalerei zu verfallen noch die rosarote Brille aufzusetzen, die Sie sich im Wahlkampf offensichtlich zugelegt haben. Tatsache ist: Deutschland ist bis dato besser durch die wirtschaftliche Krise gekommen als andere Staaten in Europa. Das ist aber vor allen Dingen das Verdienst von tüchtigen Unternehmern und fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land. Ursächlich war auch der Mut der Vorgängerregierungen, den Sie nicht besitzen, Herr Rösler.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Den haben Sie doch längst verloren!)

Ich will Ihnen deutlich sagen: Deutschland ist deshalb erfolgreicher als andere Staaten in Europa, weil wir nach wie vor eine breite Basis an industrieller Wertschöpfung haben,

(Michael Groschek [SPD]: Richtig!)

von der Grundstoffindustrie über die kleinen und mittelständischen Unternehmen bis zu den Hightechschmieden.

(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Ach, an die denken Sie auch?)

Dazu haben Sie, Herr Rösler, allerdings keinen Beitrag geleistet, im Gegenteil.
Der Vorteil der deutschen Volkswirtschaft, der darin besteht, dass sie wettbewerbsfähig ist, kann in der Krise, über die Sie vorhin viele Worte gemacht haben, auch zur Achillesferse unserer deutschen Wirtschaft werden. Sie haben die Zahlen genannt: 60 Prozent unserer Exporte gehen in die Europäische Union, 40 Prozent in die Euro-Zone. Deshalb können wir in Deutschland langfristig wirtschaftlich nicht erfolgreich sein, wenn es dem Rest Europas schlecht geht. Sie haben zu Recht gesagt, dass Staaten im Süden Europas Strukturreformen brauchen. Aber Sie wissen doch genauso gut wie wir: Strukturreformen brauchen Zeit, bis sie wirken. Was Deutschland und Europa jetzt brauchen – das ist auch im deutschen Interesse –, ist,

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Neue Schulden?)

dass neben den Strukturreformen in den Krisenländern und den fiskalischen Auflagen ein Wachstumsimpuls gegeben wird. Wir brauchen wirtschaftliche Dynamik in Europa.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt sage ich Ihnen einmal etwas zum Thema Wachstum.

(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Was? Ich denke, die Grenzen des Wachstums sind erreicht! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Reden Sie nicht von Wachstum, Herr Heil!)

– Wissen Sie was? Sie von der FDP plakatieren Wachstum, haben aber keine Vorstellung davon, wie Sie Wachstum in Europa auf den Weg bringen können. Damit sind Sie zu einem Standortrisiko für Deutschland, zu einer Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa und in Deutschland geworden

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der FDP)

Angesichts der Risiken, die die OECD genauso wie der IWF heute an die Wand malen – Herr Rösler, das kann ich Ihnen nicht ersparen –, dürfen wir uns nicht wegducken. Die Risiken haben etwas damit zu tun, dass diese Bundesregierung weder in der Lage ist, die Situation realistisch zu betrachten, noch in der Lage ist, Entschlossenheit an den Tag zu legen, wenn es darum geht, die Herausforderungen, vor denen wir jetzt stehen, zu bewältigen.
Ich will Ihnen die Herausforderungen nennen: Es geht um die Frage, wie wir die Haushalte in Europa durch Wachstum in Ordnung bringen. Sie können die Haushalte der Krisenstaaten nicht ohne wirtschaftliche Dynamik konsolidieren. Das müssen Sie endlich einmal begreifen. Sie haben es noch nicht begriffen. Aber die Zeit wird über Sie hinweggehen; dessen bin ich mir sicher
Sie haben über Energiepolitik gesprochen. Wer fährt denn gerade die Energiewende in Deutschland, die dringend notwendig ist, durch Unterlassen gegen die Wand?

(Max Straubinger [CDU/CSU]: SPD-regierte Länder!)

Wer ist denn verantwortlich dafür, dass wir beim Netzausbau, den wir in Deutschland brauchen, nicht vorankommen?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer hat denn kein Konzept für Investitionen in notwendige Reservekraftwerke? Das, was die Bundesnetzagentur Ihnen gestern und vorgestern ins Stammbuch -geschrieben hat, ist eine Versäumnisliste Ihrer Amtsführung, Herr Rösler. Sie sind nur in der Lage, sich mit Herrn Röttgen wechselseitig in dieser Regierung zu blockieren. Sie sind ein wirtschaftliches Standortrisiko für die Versorgungssicherheit im Bereich der Energiewirtschaft, auch wenn es um die Bezahlbarkeit der Energie für die Wirtschaft und die Verbraucher in diesem Land geht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Er hat lange gebraucht, den Satz auswendig zu lernen!)

Wenn wir über die Frage der notwendigen wirtschaftlichen Dynamik in Europa reden und darüber, wie wir die notwendige Energiewende bewerkstelligen, die für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland erforderlich ist – übrigens auch in Nordrhein-Westfalen, einem starken Industrieland in Deutschland und Europa –, dann müssen wir auch über den Fachkräftebedarf sprechen. Was fällt Philipp Rösler in seiner kurzen Wahlkampfrede zum Thema Fachkräfte ein? Das Stichwort Zuwanderung. Das ist sehr erstaunlich. Ich sage Ihnen: Wir haben überhaupt nichts dagegen, dass wir in Deutschland auch darüber reden, dass dieses Land die Zuwanderung Hochqualifizierter braucht. Bevor wir das tun, hätten Sie aber ein Wort darüber verlieren können, dass wir inländische Potenziale haben, die wir nicht heben. 65 000 junge Menschen verlassen Jahr für Jahr unsere Schulen ohne Schulabschluss.

(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Die meisten davon in SPD-regierten Ländern!)

1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren haben keine berufliche Erstausbildung. Sie führen eine unsinnige Betreuungsprämie ein, eine Fernhalteprämie. Dadurch werden Frauen vom Arbeitsmarkt ferngehalten. Sie sollten etwas für eine höhere Frauenerwerbstätigenquote tun und für bessere Einstiegschancen junger Menschen, die es nicht so leicht haben. Wir müssen den demografischen Wandel in diesem Land bewältigen. Durch Ihre Politik läuft es aber auf einen tief gespaltenen Arbeitsmarkt hinaus: Auf der einen Seite werden immer mehr Unternehmen händeringend qualifizierte Fachkräfte suchen, und auf der anderen Seite geben Sie jungen Menschen keine Chance und halten Frauen vom Arbeitsmarkt fern.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Zahlen sprechen eine andere Sprache!)

Das sind die Ergebnisse Ihrer Politik, Herr Rösler. Auch deshalb sind Sie ein Standortrisiko.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE] – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Fragen Sie in Spanien, was die für eine Jugendarbeitslosigkeit haben! 50 Prozent!)

Herr Rösler, es macht wenig Sinn, mit Ihnen großartig darüber zu streiten; denn Sie sind in Fragen der Bewältigung der europäischen Krise, der Fachkräftesicherung und der Energiepolitik – das weiß die deutsche Wirtschaft – ein Totalausfall. Das wäre noch zu verschmerzen, wenn es in dieser Bundesregierung eine Führung durch das Bundeskanzleramt gäbe. Aber Frau Merkel duckt sich weg. Deshalb sage ich Ihnen trotz der erfreulichen Lage: Die wirtschaftlichen Herausforderungen dieser Zeit liegen noch vor uns. Aber es gibt keine Krisenbewältigung durch diese Bundesregierung. Frau Merkel wird zu einem wirtschaftlichen Standortrisiko und ihre Koalition auch.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht, Herr Heil!)