Rede von Hubertus Heil zu Tarifeinheit sicherstellen – Tarifzersplitterung vermeiden

Vizepräsident Eduard Oswald:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die Beantwortung der weiteren Fragen werden wir entsprechend der Geschäftsordnung vornehmen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Tarifeinheit sicherstellen – Tarifzersplitterung vermeiden
Erster Redner unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Hubertus Heil. Bitte schön, Kollege Hubertus Heil.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tarifautonomie ist ein zentraler Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Wir Sozialdemokraten machen deutlich: Dazu gehört auch die bewährte Tarifeinheit. Tarifautonomie und Tarifeinheit gehören zusammen, weil sie eine Zersplitterung des Tarifvertragssystems bisher verhindert haben, weil so einer Spaltung von Belegschaften entgegengewirkt wurde und weil wir ein System hatten – so muss man ja sagen –, das eine Vervielfachung kollektiver Konflikte vermieden hat. In einem Wort: Tarifautonomie und Tarifeinheit sind sowohl im Interesse der Unternehmerinnen und Unternehmer, der Wirtschaft in Deutschland, als auch der Beschäftigten in diesem Land. Wir haben seit 2010, seit zwei Urteilen des Bundesarbeitsgerichtes, die Situation, dass diese Tarifeinheit zukünftig zerbrechen kann. Wir haben die Aktuelle Stunde deshalb beantragt, Frau Ministerin, weil wir erleben, dass trotz vielfältiger Ankündigungen der Bundeskanzlerin und auch von Ihnen in der vergangenen Woche seit 2010 in diesem Bereich nichts passiert ist. Diese Bundesregierung ist nicht in der Lage, die zentralen Probleme dieses Landes anzupacken, weil sie sich wechselseitig blockiert. Das gilt auch für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sabine Zimmermann [DIE LINKE])

Zur Erinnerung: Das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes lässt in der Begründung explizit offen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit hat, die Dinge, die die Tarifeinheit betreffen, auch gesetzgeberisch zu regeln. Daraufhin gab es eine gemeinsame Initiative der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Deutschen Gewerkschaftsbundes mit der Forderung, die Tarifeinheit in Deutschland gesetzlich zu regeln. Im November 2010 gab es eine persönliche Zusage der Bundeskanzlerin, innerhalb von wenigen Monaten, bis Januar 2011, die Dinge auf den Weg zu bringen. Was wir dann erlebt haben, ist typisch Schwarz-Gelb, nämlich die Tatsache, dass Sie im Wesentlichen nur in der Lage sind, sich wechselseitig zu blockieren – mit dem Ergebnis, dass Sie inzwischen Koalitionsausschüsse veranstalten, wo Sie Streitpunkte nicht einmal mehr auf die Tagesordnung setzen. Ich habe das noch anders in Erinnerung – ich habe früher in anderer Funktion Koalitionsausschüsse vorbereiten dürfen –: Das sind Clearingstellen, um Probleme zu lösen, wenn es in der Koalition hakt. Was Sie am vergangenen Sonntag gemacht haben, ist etwas anderes: Sie haben „Mensch ärgere dich nicht“ gespielt. Sie haben sich zusammengesetzt und Punkte abgenickt, die auf Arbeitsebene ohnehin unstrittig waren. Aber Sie waren zu feige, so ein Thema wie die Tarifeinheit, das Sie, Frau Ministerin, noch in der vergangenen Woche im Morgenmagazin angesprochen haben, auf die Tagesordnung zu setzen,

(Beifall bei der SPD)

weil Sie genau gewusst haben, dass Sie mit der FDP auch an diesem Punkt nicht vorankommen.
Ich sage Ihnen, dass wir schon im Sommer 2010 bereit waren, mit Ihnen gemeinsam nach einer gesetzlichen Regelung zu suchen. Damals gab es ein Schreiben unseres Fraktionsvorsitzenden, Frank-Walter Steinmeier, und des Ministerpräsidenten Kurt Beck an die Bundeskanzlerin mit dem Angebot, in diesem juristisch zugegebenermaßen nicht einfachen Bereich nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen. Wir sagen heute: Es ist noch nicht zu spät. Wer nicht will, dass die soziale Marktwirtschaft Schaden nimmt, wer nicht will, dass Spartengewerkschaften sich auf Kosten von Gesamtbelegschaften einen schlanken Fuß machen können, wer nicht will, dass es eine unverhältnismäßige Zunahme von Tarifauseinandersetzungen und Streiks in Deutschland gibt, der muss in diesem Bereich vorankommen. Wir reichen Ihnen die Hand zu einer Lösung, aber wir erwarten von dieser Bundesregierung, namentlich von der Bundesarbeitsministerin, dass sie endlich einen Gesetzentwurf auf den Tisch legt. Das ist Ihr Job, Frau von der Leyen, und da haben Sie seit zwei Jahren nichts zustande gebracht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir erwarten zudem, dass dieser Gesetzentwurf auf den gemeinsamen Vorschlägen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Deutschen Gewerkschaftsbundes basiert und dass diese Vorschläge mit den Sozialpartnern in Deutschland besprochen werden. Das ist uns ganz wichtig.
Ich sage Ihnen auch, was passiert, wenn nichts passiert – das werden wir in kürzerer Zeit erleben –, dass nämlich die Tariflandschaft in Deutschland immer mehr zersplittert, dass kleine wirkungsmächtige Spartengewerkschaften ganze Belegschaften bzw. ganze Betriebe lahmlegen, um ihre speziellen Interessen durchzusetzen. Und ich sage Ihnen: Diese Form von Entsolidarisierung und wirtschaftlicher Unsicherheit, die wir in einigen Bereichen schon jetzt beobachten können, beispielsweise am Frankfurter Flughafen – das ist Gott sei Dank durch Arbeitsgerichte abgewendet worden –, dürfen Sie nicht auf Ihre Kappe nehmen.
Deshalb appelliere ich vor allen Dingen an die Kollegen der CDU/CSU – wir wissen, dass es in Ihren Reihen viele gibt, die in diesem Bereich mit uns vorankommen wollen; wir wissen auch, dass die FDP Sie aus ideologischen Gründen im Moment daran hindert –: Werfen Sie Ihr Herz über die Hürde! Tarifeinheit und Tarifautonomie in Deutschland sind viel zu wichtig, als dass in dieser Frage der Koalitionsfrieden darübergestellt werden sollte.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Nicht mit nacktem Finger auf angezogene Leute zeigen!)

Ich sage Ihnen noch einmal: Wir sind zu Gesprächen bereit; wir erwarten aber von der Bundesregierung, namentlich von der Bundesarbeitsministerin, dass sie ihren Job macht. Frau von der Leyen, bisher muss man feststellen: viele Interviews und warme Worte zu diesem Thema, aber keine Taten – das ist zu wenig. Machen Sie Ihren Job!
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)