Rede von Hubertus Heil zum Bundeshaushalt Wirtschaft und Technolgie


Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Oje!)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesen Tagen, Herr Minister Rösler, wird deutlich, dass diese Bundesregierung sich seit zwei Jahren viel zu sehr auf einer durchaus erfreulichen wirtschaftspolitischen Entwicklung ausgeruht hat, die vor allen Dingen darauf basiert, dass die Vorgängerregierung

(Lachen bei der FDP)

Entscheidungen getroffen hat,

(Florian Toncar [FDP]: Oh, war das schön!)

mit denen sie Deutschland gut durch die Krise geführt hat, und Sie haben davon profitiert. Das neiden wir Ihnen nicht. Das war eine schöne Entwicklung; das war gut für Deutschland.
Aber Sie haben jetzt seit zwei Jahren das Ruder in der Hand – oder: Sie sollten es zumindest haben. Wir erleben jetzt, dass dunkle Wolken am Konjunkturhimmel für das kommende Jahr aufziehen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Schwarzmaler!)

Wir müssen feststellen: Sie haben keine Zukunftsvorsorge für das getroffen, was jetzt an Unwetter auf uns zukommt, und das wird sich leider Gottes auch in der Realwirtschaft in Deutschland niederschlagen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulla Lötzer [DIE LINKE])

Ich sage Ihnen eines, Herr Kauder: Ich bin kein Schwarzmaler.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind ein Rotstreicher!)

Ich wünsche mir, dass wir besser durch die Entwicklung kommen, als manche befürchten. Das ist eine Hoffnung, die wir auch als Opposition haben, weil es uns um das Land geht, Herr Kauder, nicht um eine kleinkarierte Beurteilung der Situation.
Sie können überhaupt nicht ignorieren, dass die Krise, die wir im Moment erleben, eine Dimension hat, die inzwischen auch wieder negative Folgen für die Realwirtschaft in Deutschland hat. Gerade als ein Land mit hohem Exportanteil – 60 Prozent dessen, was wir in Deutschland produzieren, exportieren wir in den EU-Raum – sind wir darauf angewiesen, dass wir in Europa eine gemeinsame Entwicklung haben, die nach vorne geht.
Deshalb, Herr Rösler, kann ich Ihnen nicht ersparen, Ihnen eines zu sagen: Sie versuchen hier, Pappkameraden aufzubauen, und sind als Wirtschaftsminister bei der Bewältigung dessen, was in Europa notwendig ist, praktisch ein Totalausfall. Sie spielen keine Rolle in dieser ganzen Debatte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist vielleicht deshalb kein Wunder, weil Sie so sehr damit zu tun haben, die Debatte mit den Nationalkonservativen in der FDP zu führen, die sich jeglicher Verantwortung entziehen. Um das zu tun, bauen Sie an dieser Stelle Pappkameraden auf, die Sie dann selbst wieder einsammeln müssen. Das baut kein Vertrauen auf.
Ich finde auch Ihre etwas dünne Analyse der Verhältnisse sehr problematisch; das gilt auch für Sie, Herr Fuchs. Wenn wir auf die Ursachen dessen gucken, was wir im Moment erleben, dann erkennen wir: Es gibt nicht nur die eine Ursache. Man kann nicht einfach sagen: Die Staaten sind schuld. Sie alle haben über ihre Verhältnisse gelebt.

(Florian Toncar [FDP]: Ja, natürlich! Fast alle!)

Richtig, das gab es. Für Griechenland beispielsweise gilt das. Aber Spanien hat bis zum Ausbruch der Krise nicht über seine Verhältnisse gelebt; das zeigt auch die haushalterische Entwicklung. Irland hatte ebenfalls keine Entwicklung, in der man im Haushalt kurzfristig über die Verhältnisse gelebt hat. Das kann es doch wohl nicht gewesen sein.
Wir haben vielmehr erlebt, dass Länder aus sehr unterschiedlichen Gründen zu Defizitländern geworden sind:
In Irland ist eine Bankenblase geplatzt, weil man Wachstum einseitig auf Finanzdienstleistungen abgestützt hat. Sie als FDP haben uns früher die irische Volkswirtschaft geradezu als leuchtendes Beispiel vorgehalten. „Der keltische Tiger“, das war Ihr Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die hohen Wachstumsraten sind damals spekulationsbegründet gewesen. Man hat uns in Deutschland seinerzeit als kranken Mann Europas bezeichnet, weil wir so altmodisch waren, auf die industrielle Basis dieses Landes zu setzen, diese zu erneuern, uns aber nicht von ihr zu verabschieden. Sie ignorieren vollständig, dass diese falsche Form der einseitigen Orientierung auf Finanzdienstleistungen die Ursache für die Krise in Irland ist.
In Spanien sind es andere Krisenursachen. Da ist, auch durch die Finanzmärkte getrieben, eine Riesenimmobilienblase geplatzt.
Dann gab es haushalterische Misswirtschaft wie in Griechenland.
Alles drei hat es gegeben. Deshalb ist es ziemlich ideologisch, die Schuld an dieser Stelle auf den Staat zu schieben, nur deshalb, weil es in Ihr Feindbild passt. Sie müssen akzeptieren, dass die Politik, die Demokratie, die Staaten in der Krise es waren, die den Schlamassel aufzuräumen hatten, und dass sich viele aus der Finanzwirtschaft von der Verantwortung verabschiedet haben und inzwischen gegen Staaten, die sie selbst aus dem Mist gezogen haben, zu spekulieren anfangen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, Sie reden von Finanzmarktregulierung. Aber wo sind Ihre Taten? Reden wir doch darüber, wie wir mehr Wettbewerb und mehr Transparenz bei den Ratingagenturen hinbekommen. Wo sind Ihre Initiativen im Bereich der Risikobewertung? Zum Thema Finanztransaktionsteuer habe ich eben nur mitbekommen, dass Sie irgendwie dagegen sind. Während inzwischen fast ganz Europa der Überzeugung ist, dass wir diese Antispekulationsteuer brauchen, weil wir auch das Geld brauchen, um die Defizite zu minimieren, ist die FDP der letzte Bremsklotz bei der Finanztransaktionsteuer. Merkel sagt in Brüssel das eine, Sie sagen hier das andere.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Rösler, ich kann Ihnen das nicht ersparen: Wenn Sie als Totalausfall in diesen Fragen und bestenfalls aus FDP-internen Gründen als Bremsklotz in dieser Bundesregierung so weitermachen, dann versündigen Sie sich an dem, was auf uns zukommt.
Jetzt sage ich etwas zu Ihrem neuen Pappkameraden Euro-Bonds. Wir haben mittlerweile eine Situation, in der Sie feststellen müssen, dass all das, was wir in den letzten anderthalb Jahren zum Beispiel durch Rettungsschirme für Griechenland an Notmaßnahmen ergreifen mussten, offensichtlich – das wird Tag für Tag deutlicher – nicht ausreichen wird. Die Frage ist: Was passiert jetzt? Es gibt drei mögliche Szenarien:
Erstens kann man so weitermachen wie bisher. Man kann hoffen und bangen und dann erleben, dass die Euro-Zone auseinanderbricht. Die reale Gefahr ist da; das können Sie nicht ignorieren.
Zweitens kann man sagen, man tut nichts, weil man sich die Hände nicht schmutzig machen will. Dann jagt man durch das Nichthandeln, für das Sie Verantwortung tragen, die Europäische Zentralbank immer weiter in den Aufkauf von Staatsanleihen. Das ist das, was Sie im Moment machen. Sie beschimpfen die EZB zwar hinterher für den Aufkauf von Staatsanleihen, aber Sie drängen sie geradezu in diese Rolle und nehmen damit billigend in Kauf, dass die EZB irgendwann die Notenpresse anwerfen muss. Dann kommt es zu der Inflation, die viele Menschen befürchten.
Die dritte Möglichkeit ist, zu akzeptieren, dass Dinge auf uns zukommen, die wir uns nicht wünschen, für die man aber Vorsorge treffen muss. Ich habe heute gelesen, Herr Barthle, dass die Front in Sachen Euro-Bonds in Ihrer Fraktion offensichtlich bröckelt.

(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)

Man sagt ganz deutlich: Es geht nicht darum, diese zu fordern, aber man muss sich Gedanken darüber machen, ob man sie ausschließen kann oder ob es nicht sinnvoller ist, eine Konstruktion zu entwerfen, nach der diejenigen, die solche Anleihen in Anspruch nehmen, sich harten Auflagen aussetzen müssen.

(Birgit Homburger [FDP]: Ach Quatsch!)

Sie werden Ihre Worte wieder einmal fressen müssen. Sie brauchen diesen Pappkameraden doch nur für die Urabstimmung in der FDP.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie sind getrieben, und Sie werden im Frühjahr erleben, dass Sie das einholt. Nach all dem, was uns die Fachleute sagen, gibt es nur diese drei Szenarien.
Sie treiben im Moment durch Nichthandeln, Wackeln und einen Zickzackkurs die Europäische Zentralbank in die Rolle der größten Bad Bank in Europa. Das ist die Gefahr, die wir im Moment sehen.

(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Die SPD ist für Euro-Bonds!)

Sie haben keine Initiativen zur wirksamen Regulierung des Finanzmarktes auf den Tisch gelegt. Sie sind sich nicht einmal innerhalb der Koalition einig, ob Sie eine Finanztransaktionsteuer wollen.

(Abg. Rainer Brüderle [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Wollen Sie eine Frage stellen, Herr Brüderle?

(Rainer Brüderle [FDP]: Ja!)

– Bitte schön.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Vielleicht darf ich mich an der Vermittlung dieses Fragewunsches auch noch beteiligen. Ich stelle Ihre Bereitschaft mit Respekt fest. – Bitte schön, Herr Kollege Brüderle.

Rainer Brüderle (FDP):
Das war ein basisdemokratischer Kontakt zwischen Herrn Heil und mir, Herr Präsident. Das ist parlamentarisch unüblich, aber erfolgreich.
Herr Heil, ist Ihnen bekannt, dass Ihr Fachmann, Ihr haushaltspolitischer Sprecher Carsten Schneider, gestern im Morgenmagazin sehr deutlich gemacht hat, dass Euro-Bonds weder verfassungsrechtlich noch ökonomisch vertretbar sind? Meines Wissens ist er unverändert Sozialdemokrat.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herzlichen Dank für die Frage, Herr Brüderle. So kann ich Sie an dieser Stelle aufklären.
Carsten Schneider ist ein hervorragender Fachmann. Deshalb zitieren Sie ihn bitte vollständig. Er hat darauf hingewiesen, dass es rechtlich sehr schwierig sein wird, sich auf diesen Weg zu machen. Es ist nicht einfach, auch nicht die Diskussion darüber. Sie tun ja immer so, als würden wir täglich Euro-Bonds fordern. Was ich eben gesagt habe, ist etwas anderes: Sie können zu diesem Zeitpunkt ein solches Instrument, das im Übrigen der Sachverständigenrat als Schuldentilgungsfonds, also unter einem anderen Namen, aber mit derselben Zielrichtung, vorgeschlagen hat, überhaupt nicht ausschließen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der eigene Sachverständigenrat!)

Wir sagen ganz deutlich: Wir schließen kein Instrument aus, das hilft, die Euro-Zone zusammenzuhalten; denn der Zusammenhalt in der Euro-Zone ist im wohlverstandenen deutschen wirtschaftlichen Interesse. Sie schließen in unverantwortlicher Art und Weise alle möglichen Maßnahmen aus und erleben dann Monate später, dass Sie es doch in dieser Richtung machen müssen.

Wir sagen: Euro-Bonds sind kein Allheilmittel und auch kein Selbstzweck. Sie werden kein Mittel sein, das per se funktioniert, sondern sie funktionieren nur, wenn man eine Vorstellung davon hat, wie sie konstruiert sind. Dazu zählt, dass Länder, die die damit verbundenen Zinsvorteile in Anspruch nehmen, sich unterwerfen müssen und an dieser Stelle auch ein Stück nationale Souveränität abgeben müssen, Herr Brüderle. Denn es ist ganz klar, dass es einen Zusammenhang zwischen Haftung und Risiko geben muss. Länder können nicht Hilfen in Anspruch nehmen und einfach weiterwurschteln.
Herr Brüderle, Sie sagen, was Sie nicht wollen. Sie schließen Dinge aus und erleben dann Monat für Monat, dass Sie das auffrisst. So hat das Ganze angefangen. Ich kann mich noch erinnern, dass der Kollege Otto Fricke – auch ein Haushälter, wenn ich mich richtig erinnere – sich hier im Parlament hingestellt und mit dem schönen Satz begonnen hat: Keinen Cent für Griechenland! – Auf irgendeine Art und Weise hat er sogar Wort gehalten; denn es war dann kein Cent, sondern es waren Milliarden. Wir reden inzwischen über Dimensionen, die sich kein Mensch mehr richtig vorstellen mag und kann.
Die Situation ist zu ernst, als dass Sie hier FDP-Pappkameraden aufbauen könnten, nur um Herrn Schäffler im Griff zu behalten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist völlig am Thema vorbei!)

Sie werden sich der Verantwortung stellen müssen. Deshalb sage ich Ihnen: Machen Sie sich einen Kopf darüber, was wir im Frühjahr erleben werden, wenn das so weitergeht. Ihre Krisenpolitik, Ihr Zickzackkurs, Ihr Herumgeeiere sind gescheitert.

(Beifall bei der SPD)

Herr Brüderle, Sie können sich wieder setzen. Herzlichen Dank! – Oder wollen Sie noch eine Frage stellen?

Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU):
Herr Kollege Heil, darf ich den Vorschlag machen – denn der Kollege Barthle möchte dazu offenkundig auch eine ergänzende Bemerkung machen –, dass wir die beiden Wortmeldungen vielleicht zusammen aufrufen und Sie dazu dann Stellung nehmen?

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber alle müssen stehen bleiben!)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Gern. – Aber habe ich noch genug Redezeit?

Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU):
Sie bekommen auf diese Weise ungeahnte zusätzliche Redezeiten, völlig richtig.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Danke. – Dann dürfen Sie stehen bleiben, Herr Brüderle. Bitte schön.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Kollege Brüderle, dann Herr Barthle.

Rainer Brüderle (FDP):
Herr Kollege Heil, damit Sie den Originaltext von Herrn Carsten Schneider kennen, –

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Guter Mann.

Rainer Brüderle (FDP):
– lese ich Ihnen die Agenturmeldung vor. Er sagte: Aufgrund der rechtlichen Situation in Deutschland und der ökonomischen Faktoren ist derzeit eine Einführung nicht machbar.

(Garrelt Duin [SPD]: Genau das hat Ihnen Herr Heil gerade erklärt! – Weitere Zurufe von der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Brüderle, ich unterstreiche diesen Satz. Ich sage Ihnen aber auch: Es kann eine Situation eintreten, in der wir trotzdem zu einer solchen Lösung kommen müssen. Darauf müssen Sie sich vorbereiten. Carsten Schneider hat ja gesagt, dass es im Moment die rechtlichen Möglichkeiten dazu noch nicht gibt. Es kann aber sein, dass ein solches Instrument wirtschaftspolitisch und ökonomisch in Zukunft notwendig sein wird. Deshalb müssen wir dafür die Voraussetzungen schaffen.
Herr Brüderle, Sie denken nicht nach. Das ist der Vorwurf, den wir Ihnen machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie denken einzig und allein an die Frage, wie Sie Ihre 2-Prozent-Partei wieder aufpäppeln können. Aber das ist unverantwortlich. Es geht nicht um die FDP, sondern es geht um Europa und die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands, Herr Brüderle. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:
So, jetzt Kollege Barthle.

Norbert Barthle (CDU/CSU):
Herr Kollege Heil, da Sie mich persönlich angesprochen haben, möchte ich das Ganze in einen richtigeren Zusammenhang rücken. Es gibt heute eine Nachricht in der FTD. Darin wird gemeldet, die Front gegen die Euro-Bonds bröckele. In dieser Meldung werde ich mit der Aussage zitiert:
Wir sagen nicht nie. Wir sagen nur: keine Euro-Bonds unter den gegebenen Voraussetzungen.
Das ist genau die Position, die die Koalition und die Bundeskanzlerin vertreten.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Hört! Hört! – Seit wann?)

Die Bundeskanzlerin sagt klipp und klar:

(Iris Gleicke [SPD]: Herr Schäuble und Herr Fuchs sind ganz interessiert!)

Solange die Voraussetzungen nicht gegeben sind, solange es die notwendigen vertraglichen Änderungen nicht gibt, braucht man über Euro-Bonds mit uns nicht zu diskutieren. Man muss zunächst den ersten Schritt und dann den zweiten machen – und nicht umgekehrt.
Genau dies kommt in dem Zitat zum Ausdruck. Das wollte ich noch einmal klargestellt haben.
Danke.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Barthle, bleiben Sie bitte stehen, damit ich Ihnen antworten kann. – Ich muss Ihnen ein Kompliment machen. Das klärt dann auch ein bisschen die Frage von Herrn Brüderle. Herr Schneider, Sie und ich – wir drei zumindest – scheinen in dieser Frage einer Meinung zu sein. Der Punkt ist nur: Dann muss man die Voraussetzungen dafür auch schaffen.
Herr Barthle, Sie haben den Mut, das in einer Zeit auszusprechen, in der die FDP „nie“ sagt. Herr Rösler hat vorhin gesagt: Euro-Bonds sind am Ende des Tages Schuldensozialismus.

(Zuruf von der FDP: Das stimmt ja auch!)

Sie sind in dieser Situation verantwortungsbewusster, weil Sie ahnen, dass die Situation eintreten kann, dass wir ein solches Instrument brauchen. Wir beide sind uns einig: Dafür muss man Voraussetzungen schaffen. Es gibt keine voraussetzungslosen Regelungen – weder rechtlich noch ökonomisch. Man muss dafür sorgen, dass das Risiko auch von den Defizitländern getragen wird, dass sie ihren Anteil übernehmen.
Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Barthle: Herzlichen Glückwunsch, dass Sie den Mut und den Verstand haben, einzuräumen, dass wir in eine Situation kommen können, in der man den Einsatz eines solchen Instruments nicht ausschließen kann, dass man deshalb jetzt die Voraussetzungen schaffen und dazu Vorschläge vorlegen muss. Das ist nicht nur ein Beleg für einen weiteren Unterschied in dieser Koalition, sondern leider Gottes auch dafür, dass sich Schwarz-Gelb in solchen Fragen, die von national und international wichtiger Bedeutung sind, wieder einmal nicht einig ist. Das muss ich feststellen. – Herzlichen Dank, Herr Barthle.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Also, dass sich Abgeordnete in laufenden Debatten wechselseitig Mut und Verstand attestieren, halte ich für einen der eigentlichen Höhepunkte dieser Haushaltsdebatte, den ich ausdrücklich im Protokoll festhalten möchte.

(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herzlichen Dank. – Herr Präsident, dann darf ich noch etwas hinzufügen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollen wir alle gehen? Sind Sie sich beide genug?)

– Na ja, das muss man doch an dieser Stelle sagen. – Die Eigenschaften guter Politik sind nach Max Weber – das ist gar kein schlechter Anhaltspunkt in Krisenzeiten – Verantwortung, Leidenschaft und Augenmaß. Genau darum geht es: um die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen in einer Zeit, in der es nicht populär ist, für Lösungen einzustehen, die aber notwendig sind, um das gemeinsame Europa auch wirtschaftlich zusammenzuhalten. Deshalb darf man nicht unverantwortlich Pappkameraden aufbauen und schwadronieren, wie das Herr Brüderle tut. Da finde ich Herrn Barthle verantwortungsvoller, weil er bereit ist, auszusprechen, dass so etwas auf uns zukommen kann.
Herr Präsident, Max Weber hat zweitens die Leidenschaft angeführt. Das bedeutet für uns die Überzeugung, leidenschaftlich für dieses gemeinsame Europa einzutreten. Dazu will ich sagen: Herr Schäuble, Ihnen nehme ich das ab, aber vielen Ihrer Kollegen – vor allen Dingen dem Bundeswirtschaftsminister – nicht, weil er zu leidenschaftlich mit der Frage beschäftigt ist, wie er die FDP zusammenhält.

(Iris Gleicke [SPD]: Kriegt er aber auch nicht hin!)

Ihm fehlt die leidenschaftliche Überzeugung, in Europa voranzukommen und es stärker zu integrieren. Er lernt in diesem Zusammenhang nicht, dass die Währungsunion nicht funktioniert, wenn man einen Währungsraum hat, in dem die Wirtschafts- und Fiskalpolitik nicht stärker zusammenwächst. Herr Schäuble, Ihnen nehme ich ab, dass Sie in diesen schwierigen Zeiten ein leidenschaftlicher Europäer sind. Das nehme ich dem Bundeswirtschaftsminister nicht ab.

(Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD])

Nach Leidenschaft und Verantwortung nennt Weber drittens das Augenmaß. Ich erkenne in den Worten der FDP und des Herrn Brüderle keinerlei Augenmaß. Herr Rösler, wenn in Wahlkämpfen wie in Berlin so unverantwortlich versucht wurde – Gott sei Dank ist es ja gescheitert –, die FDP mit antieuropäischen Ressentiments über die Fünfprozenthürde zu katapultieren – zu dieser Zeit waren Sie schon Vorsitzender und haben nichts dazu gesagt –, dann zeugt das nicht von Augenmaß.
Verantwortung, Leidenschaft und Augenmaß sind Werte, die eine vernünftige Wirtschafts- und Haushaltspolitik braucht. Genau das vermissen wir. Deshalb, Herr Rösler – das kann ich Ihnen nicht ersparen –: Die Lage ist viel zu ernst, als dass man Ihre aus der Zeit gefallenen FDP-Parolen noch ertragen mag. Wir werden eine aktive Wirtschaftspolitik brauchen, um die Scherben aufzusammeln, die Sie uns hier hinterlassen. Je eher diese Regierung beendet ist, desto besser für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Oje! Das war jetzt ein typischer Heil!)