Rede von Hubertus Heil zur Energiepolitik


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen und spüren, dass Glaubwürdigkeit in Bezug auf demokratische Politik eine knappe Ressource ist. In diesem Land ist das Ansehen demokratischer Politik nicht gerade ausgeprägt. Umso mehr muss ich feststellen, dass die Art und Weise, wie heute hier von schwarz-gelber Seite argumentiert wird, nicht gerade mithilft, die Glaubwürdigkeit demokratischer Politik insgesamt zu stärken. Oder, um es anders zu sagen: Herr Bundeswirtschaftsminister und auch Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie sich jetzt mit Herrn Seehofer hinstellen und die Ökohippies mimen, dann glaubt Ihnen das – um es klar zu sagen – keine Sau in Deutschland.

(Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: Säue sind nicht die Zielgruppe!)

Ich sage das, Herr Bundeswirtschaftsminister, deshalb ganz im Ernst, weil wir jetzt mit einem Mythos, den Sie hier zu stricken versuchen, sofort aufräumen können. Sie haben behauptet, Rot-Grün hätte vor zehn Jahren zwar den Ausstieg auf den Weg gebracht, aber nicht den Einstieg in erneuerbare Energien. Ich frage Sie als Niedersachse, die wir beide sind, Herr Kollege Rösler: Sind denn all die Windräder, die in Niedersachsen stehen, aus Pappmaschee? Es ist reale Wirtschaft bzw. reale Wertschöpfung, die da stattfindet. Sie produzieren auch Strom, Herr Rösler. Sie haben die Energiewende nicht erfunden, wir haben sie vor zehn Jahren eingeleitet. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich sage Ihnen noch etwas zu Niedersachsen. Wir beide kommen aus Niedersachsen. Unsere Heimat hat nach wie vor etwas Gutes: eine industrielle Wertschöpfungskette von der Grundstoffindustrie bis hin zu Hightechschmieden. Aber wir alle aus unserer Generation haben erlebt, dass die Wirtschaft bzw. die Industrie einem Strukturwandel unterlag und dass Arbeitsplätze – beispielsweise im Südosten Niedersachsens in der Stahlindustrie – verloren gingen.
Es war die rot-grüne, SPD-geführte Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, die durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz mitgeholfen hat, dass wir zum ersten Mal, bedingt durch die Förderung der erneuerbaren Energien, einen Aufwuchs an industriellen Arbeitsplätzen – beim Maschinenbau, in der Stahlindustrie, im Handwerk und beim Schiffbau – in unserer Heimat erlebten. Das können Sie nicht ignorieren. Das glaubt Ihnen auch kein Mensch, Herr Rösler.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei einigen bedanken, die nicht mehr im Deutschen Bundestag sind. Einer davon lebt auch nicht mehr. Ich erinnere an Hermann Scheer, aber auch an den früheren Kollegen Dietmar Schütz und den aktuellen Kollegen Rolf Hempelmann. Sie haben aus unserer Sicht damals im Deutschen Bundestag mitgeholfen, das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu einer Erfolgsstory zu machen.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gab es noch ein paar Grüne!)

– Euch lobe ich sowieso den ganzen Tag. Seid nicht so nervös.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann aber auch mal die Namen nennen!)

– Wir haben das gemeinsam gemacht. Ich kann Renate Künast nur sagen: Wenn sie einmal das Wort „Rot-Grün“ sagen würde, wäre ich ganz happy. Denn es war Rot-Grün. Wir können gemeinsam stolz darauf sein.

(Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

Es war aber auch das rot-grüne Bündnis, das damals vor 10 Jahren einen gesellschaftlichen Großkonflikt, der unser Land 30, 40 Jahre lang polarisiert und gespalten hat, befriedet hat. Es waren Sie, die das damals bekämpft und mit Häme überzogen haben. Wenn ich mir einzelne Textbausteine aus der gerade von Herrn Nüßlein gehaltenen Rede noch einmal ins Gedächtnis rufe – er sprach von „AKW-Folklore“; damit meinte er die Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen die Atomkraft gewehrt haben –, kann ich nur sagen: Sie haben nichts gelernt, und das, was Sie hier machen, ist wenig glaubwürdig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wenn Sie sich jetzt in Sachen Atomausstieg mit zehn Jahren Verzögerung an den rot-grünen Kurs anpassen, ist das nichts, was wir ablehnen oder kritisieren würden. Vorhin wurde von Nils Schmid schon aus der Bibel zitiert. Es ging da um „reuige Sünder“ und „Gerechte“. Sie müssen aber eines zur Kenntnis nehmen: Das, was Sie im Herbst letzten Jahres produziert haben, wirkt fort. Sie haben einen Konflikt aufgerissen, aber Sie haben vor allen Dingen zu Rechts- und Planungsunsicherheiten beigetragen. Das Ergebnis war, dass wir einen Stopp bzw. einen Stau und einen Attentismus bei den Investitionen erlebt haben. Das gilt beispielsweise für die milliardenschweren Investitionen, die die Stadtwerke geplant hatten. Die wurden durch Ihre Laufzeitverlängerung erst einmal auf Eis gelegt. All das wirkt leider Gottes fort.
Zu den Rechtsunsicherheiten. Der rot-grüne Ausstiegsbeschluss bzw. der Konsens mit der Energiewirtschaft war rechtssicher und unbeklagt. Das diesbezügliche Risiko schätzen wir beim Atomgesetz als nicht besonders hoch ein. Wir wollen es auch nicht herbeireden, weil wir glauben, dass es heilbar ist. Beispielsweise in Bezug auf Art. 3 Grundgesetz muss es eine plausible Erklärung dafür geben, warum Gleiches ungleich behandelt werden kann. Die gibt es. Sie haben sie auf unsere Nachfrage hin in den Ausschüssen nachgeliefert. Das erkennen wir an. Aber es gibt ein Restrisiko, das Sie im Zweifelsfall auch politisch zu verantworten haben. Das will ich an dieser Stelle klar zu Protokoll geben.
Mir ist wichtig, dass die erfolgreiche Energiewende in Deutschland, die im Herbst letzten Jahres unterbrochen wurde, jetzt konsequent fortgesetzt werden kann. Aber ich muss sagen: In Ihren vorliegenden Gesetzentwürfen, abgesehen vom Atomgesetz, ist eine Fülle von Vorschlägen enthalten, die aus meiner Sicht nicht angetan ist, die Erreichung des Ziels einer bezahlbaren, einer sauberen und einer nachhaltigen Energieversorgung dauerhaft zu sichern.
Im Einzelnen. Wir werden erstens dem Atomgesetz aus voller Überzeugung zustimmen, weil es ein Zurück zum rot-grünen Ausstiegsbeschluss ist.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden zweitens Ihren Gesetzentwurf zum Erneuerbare-Energien-Gesetz ablehnen müssen – ich bin mir noch nicht sicher, wie das im Bundesrat vor sich geht; ich hoffe, dass noch die Chance besteht, den Vermittlungsausschuss anzurufen –, weil wir erleben werden, dass er eine Verschlechterung darstellt und den Ausbau erneuerbarer Energien, vor allen Dingen der inländischen Windkraft, behindert.
Wir werden drittens klarmachen – das tun wir auch in unserem Antrag –, dass das Energiewirtschaftsgesetz verbesserungswürdig ist. Was meine ich damit? Der Teil, der lediglich die Umsetzung einer EU-Richtlinie beinhaltet, ist vollkommen unstrittig; dem kann man ohne Weiteres zustimmen. Aber ich will ganz deutlich sagen, dass Ihre Vorschläge weder Ansätze zur Kommunalisierung noch, Herr Bundesumweltminister und Herr Bundeswirtschaftsminister, ausreichende Regelungen im Hinblick auf die Bedenken energieintensiver Unternehmen enthalten. In den Verhandlungen hat sich auf Druck der Länder eine ganze Menge zum Positiven bewegt. Aber ich glaube, wir müssen weiterhin aufpassen, dass die energieintensiven Unternehmen in Deutschland, die im internationalen Wettbewerb stehen und eine Steigerung der Kosten befürchten, nicht unter die Räder kommen. Hier geht es uns nicht in erster Linie um die Konzerne, sondern um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesen energieintensiven Unternehmen. Wir wissen: Wir brauchen auch die energieintensive Wirtschaft, damit die Energiewende gelingt, weil sie Teil der Wertschöpfung im Rahmen des Ausbaus erneuerbarer Energien ist, von der chemischen Industrie bis zum Stahlbau.
Wir werden deutlich machen, dass das, was Sie bei der energetischen Gebäudesanierung vorhaben, nicht ausreichend ist. Sie erreichen damit noch nicht einmal das Niveau, das die Große Koalition in diesem Bereich erreicht hat. Sie haben die Mittel im letzten Jahr gekürzt. Jetzt erhöhen Sie sie ein wenig. Aber das reicht nicht aus. Sie haben vor allen Dingen keine Antworten auf die Fragen der Mieter in Deutschland, die sich Sorgen machen, gegeben. Das müssen Sie sich deutlich ins Stammbuch schreiben lassen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dorothee Menzner [DIE LINKE])

Der heutige Tag ist ein besonderer Tag. Er ist ein guter Tag für Deutschland, weil endgültig, ein für alle Mal, mit der Nutzung der Atomkraft in diesem Land Schluss gemacht wird. Aber das bedeutet nicht das Ende von Energiepolitik. Wir müssen die Energiepolitik fortsetzen. 2013 muss das, was Sie jetzt unzureichend auf den Weg gebracht haben, von einer anderen Mehrheit weiterentwickelt werden. Das ist nicht einfach, weil uns jetzt Jahre verloren gehen. Aber ich sage an dieser Stelle: Wir werden diesen Weg gehen, weil Deutschland im Bereich der erneuerbaren Energien Ausrüster der Welt sein kann, weil Deutschland Vorbild bei der Energieeffizienz sein kann, weil das Vorbild der größten europäischen Volkswirtschaft in Europa und für Europa wirken wird und weil andere Länder, wenn wir die Energiewende erfolgreich fortsetzen, unserem Beispiel folgen werden; da bin ich mir sicher.
Ich will zum Schluss sagen: Das, was vor zehn Jahren von den damals Verantwortlichen, von Bundeskanzler Gerhard Schröder, von Frank-Walter Steinmeier und von Jürgen Trittin, verhandelt und auf den Weg gebracht wurde, haben Sie kritisiert. Wenn Sie Ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen wollen, Herr Rösler – ich nehme Ihnen ab, dass Sie jemand sind, der sich persönlich darum bemühen will –, dann wäre es an der Zeit, denjenigen, die damals die richtigen Entscheidungen getroffen haben – die Sie im Herbst letzten Jahres rückgängig gemacht haben und die Sie jetzt unterstützen –, mit Respekt zu begegnen und ihnen Anerkennung zu zollen. Das würde Ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen. Sie würden sich keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn Sie die Entscheidungen von damals als richtig anerkennen würden. Herr Nüßlein, ich sage das nicht, um Vergangenheitsbewältigung zu betreiben, sondern weil das im Hinblick auf den Konsens, den wir für die künftige Energiewirtschaftspolitik in Deutschland, der größten Volkswirtschaft Europas, brauchen, wichtig wäre, um eine saubere, sichere und nachhaltige Energieversorgung sicherzustellen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen klaren Kurs. Wenn Sie sich diesem Kurs jetzt in Teilen anschließen, werden wir uns nicht beschweren. Allerdings müssen wir die Energiewende gestalten.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)