Rede von Hubertus Heil zur zukünftige Energieversorgung


Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Heil das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Brüderle und Herr Kauch, die Glaubwürdigkeit ist nur theoretisch sehr einfach wiederherzustellen, wenn man sie einmal verloren hat. Es geht um das alte Motto: Man muss sagen, was man tut, und tun, was man sagt. Wenn man Glaubwürdigkeit verspielt hat – das haben Sie –, ist das zu beachten, was Ihnen die frühere Bischöfin Margot Käßmann geraten hat. Sie hat in Bezug auf Ihren Zickzackkurs in der Atompolitik gesagt, es würde ihr persönlich – ich glaube, auch vielen Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land – Respekt abnötigen und zu mehr Glaubwürdigkeit führen, wenn Sie wenigstens einmal den Mut hätten, zu sagen, dass Sie im Herbst letzten Jahres falsche Entscheidungen getroffen haben, die jetzt zu korrigieren sind. Diesen Mut haben Sie nicht. Sie eiern herum.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Auf der Grundlage der Erkenntnisse war die Entscheidung richtig!)

– Können Sie das bitte wiederholen?

(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Auf der Grundlage der Erkenntnisse war die Entscheidung richtig! Dazu stehe ich! – Gegenruf des Abg. Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wiederholen Sie das noch einmal für das Protokoll! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ganz laut für das Protokoll!)

– „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, hat einmal ein deutscher Politiker gesagt.
Herr Brüderle, meine Damen und Herren von der Koalition, ich sage in aller Deutlichkeit, dass das, was die Süddeutsche Zeitung heute berichtet hat, der Wahrheit entspricht: Sie, Herr Brüderle, haben an dem Tag, an dem Frau Merkel das Moratorium verkündet hat, das Ganze in internen Runden gegenüber der deutschen Wirtschaft als irrationales Wahlkampfmanöver bezeichnet. Sie können hier nicht so tun, als sei das ein Protokollfehler; das glaubt Ihnen kein Mensch.
Die Debatte heute hat gezeigt – im Unterschied zu den Demutsschauspielereien der letzten Woche, die Sie an den Tag gelegt haben –, dass Sie schon jetzt versuchen – die Rede von Herrn Obermeier war ein Beleg dafür –, die Ereignisse in Japan zu relativieren. Sie beachten nicht, dass es nicht nur die Vorfälle in Japan gab, sondern auch die Vorfälle in Tschernobyl, 1979 auf Three Mile Island bei Harrisburg, später in Forsmark 2007. Die Vorfälle ereigneten sich also auch in hochindustrialisierten Hightechländern wie Schweden.
Meine Damen und Herren, Tatsache ist: Sie schaffen es nicht, den Menschen in Deutschland ein X für ein U vorzumachen. Sie können noch so sehr versuchen, sich herauszureden: Sie waren es, die die Restlaufzeiten auch alter, unsicherer Schrottreaktoren um acht Jahre verlängern wollten. Sie sollten einmal die Traute haben, hier im Deutschen Bundestag zu bekennen: Ja, wir haben uns geirrt. Dann kann man hier weiterreden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich will eines zur Legendenbildung bei der CDU/ CSU sagen. Sie haben im Herbst letzten Jahres das außer Kraft gesetzt, was die Bundesminister Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel auf den Weg gebracht haben: die Überarbeitung des kerntechnischen Regelwerks. Unser Ziel war es, nicht nur den geordneten Ausstieg zu organisieren, sondern auch die Sicherheitsanforderungen für die noch im Netz befindlichen Reaktoren auf den Stand von Wissenschaft und Technik der Jetztzeit zu bringen und sie nicht auf dem Stand der 60er- und frühen 70er-Jahre zu belassen.

(Birgit Homburger [FDP]: Wir haben es gemacht und Sie haben es nicht gemacht! Das ist die Wahrheit!)

Es waren Bundesminister Röttgen und sein Abteilungsleiter, die dafür gesorgt haben, dass dieser Weg ausgesetzt wurde. Sie könnten das kerntechnische Regelwerk sofort wieder in Kraft setzen, wenn Sie denn wollten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Brüderle, ich will mich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen Ihrer komplett gescheiterten Energiepolitik beschäftigen. Für uns alle müsste eigentlich das Ziel sein, eine sichere, saubere, tragfähige und bezahlbare Energieversorgung für unser Land, für den Industriestandort Deutschland, zu sichern. Das, was Sie im Herbst mit der Laufzeitverlängerung, der Verlängerung der Restlaufzeiten alter, abgeschriebener Atommeiler, gemacht haben, hat nicht erst nach der Katastrophe in Japan zu Folgendem geführt: zu Investitionsstillstand und Attentismus. Es ist Tatsache, dass Sie den Großkonflikt wieder aufgerissen haben, der die Republik 30 oder 40 Jahre lang gespalten hat und den Rot-Grün befriedet hat. Das hat dazu geführt, dass keiner mehr so richtig wusste, wo es langgeht.
Die EVU, denen zuliebe Sie das gemacht haben, wussten zwar, dass ihr Oligopol verfestigt wird, haben aber kurzfristig den Fehler gemacht, die Dollarzeichen in den Augen wichtiger zu nehmen als die langfristige Entwicklung. Aber auch diese Unternehmen mussten damit rechnen, dass es Klagen vonseiten des Bundesrates und der Fraktionen dieses Hauses geben würde, mit dem Ergebnis, dass keiner genau weiß, was läuft. Keiner weiß, wie 2013 die Bundestagswahlen ausgehen.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Herr Kollege Heil, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Otto?

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Wenn ich meinen Gedanken noch beenden darf, sehr wohl, Herr Otto.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Das wird Ihnen nicht gelingen. Herr Otto wird gleich Ihre Redezeit verlängern, die demnächst abläuft.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Dann dringend Herr Otto, bitte schön.
(Heiterkeit)

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP):
Ich verlängere gern Ihre Redezeit, Herr Kollege Heil.
Helfen Sie mir bei Ihrer Argumentation, die lautet, die Ereignisse in Japan hätten erwiesen, dass das Energiekonzept dieser Bundesregierung falsch sei und dass wir allein Fehler gemacht hätten. Das ist das Mantra Ihrer Rede.
Erklären Sie mir bitte Folgendes: Wenn wir die Laufzeitverlängerung nicht beschlossen hätten, wären dann die sieben Meiler, die wir jetzt abgeschaltet haben, im Rahmen des Konzepts, das Sie vorher verabschiedet hatten, vom Netz, ja oder nein?
Erklären Sie mir bitte vor diesem Hintergrund: Was hat die Katastrophe in Japan, die wir sehr ernst nehmen, mit der Laufzeitverlängerung, die wir im Herbst beschlossen haben, zu tun? Entweder erkennen wir, dass alle Kernkraftwerke unsicher sind. Dann müssen sie unabhängig vom Zeitpunkt, zu dem sie errichtet worden sind, vom Netz genommen werden. Wenn aber die Meiler sicher sind und die Sicherheitsüberprüfung tatsächlich keine neuen Erkenntnisse liefert, frage ich Sie: Wo ist der Zusammenhang zwischen Japan und der Verlängerung der Laufzeiten?

(Ulrich Kelber [SPD]: Wo ist der Zusammenhang in Ihrer Rede?)

– Das ist eine konkrete Frage, die auch beantwortet wird.
Damit kein Missverständnis aufkommt, Herr Kollege Heil, sage ich: Japan gibt uns Anlass zum Nachdenken.

(Zurufe von der SPD: Ach so!)

Aber das hat doch nichts mit der Laufzeitverlängerung zu tun, verdammt noch einmal.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wenn unsere Kernkraftwerke aufgrund neuer Erkenntnisse unsicher sind, sind sie abzuschalten. Das hat nichts mit der Frage des Energiekonzeptes zu tun.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Doch! Doch!)

Diese Logik erschließt sich mir nicht. Vielleicht können Sie mir dabei etwas nachhelfen.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Geschätzter Kollege Otto, ich bedanke mich ganz herzlich für diese Zwischenfrage, weil sie mir Gelegenheit gibt, Aufklärung in Ihren Reihen zu leisten und mit einigen Mythen aufzuräumen, die bewusst verbreitet werden.
Erstens. Die Laufzeitverlängerung ist natürlich eine Risikoverlängerung erster Güte; das ist gar keine Frage. Sie haben die Laufzeiten der alten Reaktoren, die Sie in Ihrem Moratorium nun für drei Monate vom Netz nehmen wollen, um sage und schreibe acht Jahre pro Reaktor verlängert. Sie haben also Druckwasserreaktoren der alten Baulinien aus den 70er-Jahren verlängert.
Gleichzeitig hat Ihr Bundesumweltminister, der eigentlich auch für Reaktorsicherheit zuständig ist,

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist er überhaupt?)

auf Druck der Atomlobbyisten im Zusammenhang mit der Laufzeitverlängerung das kerntechnische Regelwerk, das die Standards für die Sicherheit von Atomkraftwerken und für ihren Betrieb festlegt, abgelehnt und damit die Regelung der Betriebsgenehmigung vom Tisch gewischt.
Sie haben nichts für die Sicherheit getan, sondern das waren Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel. Sie haben sie mit diesem Atomkonsens vom Tisch gewischt. Deshalb müssen Sie sich Folgendes zurechnen lassen: Wir hätten die sieben Altmeiler und das Kraftwerk Krümmel vom Netz genommen. Heute sehen Sie, dass das richtig und notwendig ist.
Herr Staatssekretär, Sie müssen die Frage beantworten, ob Sie das eigentlich dauerhaft oder nur für drei Monate machen wollen. Das könnten Sie der deutschen Öffentlichkeit sagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Und zwar noch vor der Landtagswahl!)

Herr Otto, Sie müssen zweitens zur Kenntnis nehmen: Wir haben mit dem Energiekonsens den geordneten Ausstieg aus der Atomkraft organisiert, und wir haben die Regeln für den Betrieb von Kernkraftwerken verschärft.
Sie haben die Regeln vom Tisch genommen, die schon für Probebetrieb, Aufsicht und Genehmigung galten. Sie haben gleichzeitig – Sie müssen begründen, warum Sie das getan haben – die Restlaufzeiten für alte, abgeschriebene Atommeiler verlängert.
Sie können sich dabei noch so sehr herausreden, aber die deutsche Öffentlichkeit wird Ihnen diesen Eiertanz nicht abnehmen. Deshalb biete ich Ihnen Folgendes an – wir kennen uns aus anderer Zusammenarbeit, Herr Otto, und schätzen uns durchaus –: Für dieses Land ist ein Energiekonsens notwendig, der über mehrere Legislaturperioden und Regierungswechsel halten sollte. Das bieten wir Ihnen mit den heutigen Anträgen unter zwei Prämissen an.
Erstens. Wir müssen zum geordneten Ausstieg aus der Atomkraft auf klarer Rechtsgrundlage und nicht mit windiger §-19-Begründung

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das habe ich nicht gesagt!)

zurückfinden. Deshalb: zurück zum rot-grünen Atomkonsens!
Mit Blick auf den Atomkonsens müssen wir sagen, wo wir hinwollen, nicht nur, wo wir herausmüssen. Dabei geht es um Energieeffizienz, Energiesparen, moderne Energieproduktion und erneuerbare Energien.

Herr Otto, die Vertreter Ihrer Fraktion und Sie als Staatssekretär versuchen immer, die Grünen und andere so ein bisschen in die Ecke zu stellen – Herr Brüderle hat das auch mit der SPD versucht, ohne dass er dafür einen Nachweis erbringen konnte –, indem Sie sagen, sie seien gegen Pumpspeicherkraftwerke und Netzausbau. Herr Brüderle, ich empfehle Ihnen: Reden Sie einmal mit dem Landtagskandidaten der FDP aus dem Hotzenwald in Baden-Württemberg, der auch gegen dieses Pumpspeicherkraftwerk ist. Reden Sie mit CDU- und FDP-Kommunalpolitikern, die gegen den Netzausbau sind. So billig will ich es mir gar nicht machen. Aber ich verstehe eines nicht: Warum können Sie nicht begreifen, dass die Akzeptanz des Projektes, das wir gemeinsam wollen – es geht um den Ausbau von Hochspannungsleitungen und Verteilernetzen –, steigen würde, wenn die Menschen die Sicherheit hätten, dass das zum geordneten Ausstieg aus der Atomkraft führt? Dann hätten auch die Befürworter des Ausbaus bessere Argumente. Dass Sie diesen Zusammenhang nicht erkennen, halte ich für kurzsichtig.

(Beifall bei der SPD)

Herr Otto, ich gebe Ihnen noch ein Argument mit auf den Weg – Sie sind wie ich Wirtschaftspolitiker; in einzelnen Bereichen sind wir unterschiedlicher Auffassung –: Wie Sie diese Planungsunsicherheit hinsichtlich der notwendigen Investitionen in moderne Kraftwerkstechnik und erneuerbare Energien herbeiführen konnten, das werden Sie sich anrechnen lassen müssen. Ich sage es noch einmal: Kehren Sie zurück auf den Weg der Vernunft! Nichts Halbgares und keine Volten schlagen vor Landtagswahlen! Wir brauchen mehr Glaubwürdigkeit und einen geordneten Ausstieg aus der Atomkraft. Wir brauchen ein neues Energiekonzept, das Investitionen in moderne Kraftwerkstechnik und erneuerbare Energien vorsieht. Das wäre Wirtschaftspolitik aus einem Guss. Das wäre etwas anderes als der Dilettantismus und die Klientelpolitik, die Sie hier an den Tag gelegt haben, Herr Otto. Sie können sich wieder setzen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das war sehr arrogant, Herr Kollege! – Gegenruf des Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das war eine Tatsache!)

– Ich weiß gar nicht, wie Sie heißen.

(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Schlimm genug!)

An dieser Stelle geht es um die Sache, lieber Herr Kollege. Das, was passiert ist, ist viel zu ernst, als dass Sie das hier einfach so abtun könnten. 68 Prozent der Menschen in Deutschland würden keinen Pfifferling darauf setzen, dass Sie es mit diesem ominösen Moratorium ernst meinen.
Wegen der Rechtsgrundlage sollten Sie einmal in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland schauen. Den Artikel „Par ordre du mutti“,

(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Mufti!)

per Anweisung der Bundeskanzlerin, finden Sie dort nicht. Die Energieversorgungsunternehmen bereiten die Klagen schon vor, die sie nach der Landtagswahl gegen das einbringen werden, was Sie jetzt rechtswidrig machen. Deshalb sage ich: Schaffen Sie eine klare Rechtsgrundlage für den geordneten Ausstieg. Wir legen heute den Entwurf eines Ausstiegsgesetzes vor. Helfen Sie mit, damit wir in Deutschland die modernste Energieversorgung bekommen, mit erneuerbaren Energien, mit effizienten Kraftwerken und mit Energiesparen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege Heil.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Sauber, sicher und bezahlbar – dafür stehen wir. Chaos ist Ihre Sache.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)