Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundesministerin, diese Beratung bietet vielleicht die Gelegenheit, einmal grundsätzlich darüber zu reden, was der eigentliche Sinn und Zweck von Arbeitnehmerüberlassung, also von Zeit- und Leiharbeit, überhaupt ist.
(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Gar keiner!)
Schon hier gibt es einen Widerspruch zu dem, was Sie, Frau Ministerin, eben gesagt haben. Wir sind nicht der Meinung, dass das, was wünschenswert wäre und was Sie hier in leuchtenden Farben beschrieben haben, tatsächlich eingetreten ist. Die Daten geben nämlich nicht her, dass Zeit- und Leiharbeit im Wesentlichen eine Art arbeitsmarktpolitisches Instrument ist, um Menschen in Arbeit zu führen. Nach Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ist ein sogenannter Klebeeffekt, also die Tatsache, dass Menschen über Zeit- und Leiharbeit tatsächlich in feste Beschäftigung bzw. ordentliche Arbeit kommen, nur in 7 Prozent der Fälle festzustellen.
Gleichwohl kann man aus wirtschaftspolitischer Sicht argumentieren, dass Zeit- und Leiharbeit als Flexibilitätsinstrument sinnvoll für die Abdeckung von Auftragsspitzen von Unternehmen sein kann. In diesem Sinne sind die Gewerkschaften und auch wir Sozialdemokraten nicht der Meinung, dass man Zeit- und Leiharbeit verbieten sollte. Als Instrument zur Abdeckung von Auftragsspitzen der Unternehmen ist sie akzeptabel. Frau Ministerin, es darf aber nicht sein, dass Zeit- und Leiharbeit in Deutschland weiter als Instrument des Lohndumpings und damit zum Lohndrücken missbraucht wird. Das ist aber leider Realität in diesem Lande.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Sie hatten wenig Redezeit, ich habe auch wenig Redezeit, aber die Höflichkeit hätte es geboten, Frau Ministerin, dass Sie, als Sie eben über die Einführung eines Mindestlohnes in Form einer absoluten Lohnuntergrenze gesprochen haben, gesagt hätten, dass diese Regelung, die von Ihnen ursprünglich nicht im Gesetz vorgesehen war, aber durch die Annahme der Beschlussempfehlungen des Ausschusses quasi dem Gesetzeswerk als Omnibus aufgesetzt wird, Ihnen in zähen Verhandlungen in der Nacht vor allen Dingen gegen den Widerstand der FDP abgerungen werden musste.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was? – Weiterer Zuruf von der FDP: Mehrfache Wiederholung macht das nicht wahrer!)
Wir Sozialdemokraten haben also in diesen Verhandlungen dafür gesorgt, dass vor Inkrafttreten der Arbeitnehmerfreizügigkeit am 1. Mai 2011 zumindest ein Mindestlohn als gesetzliche Lohnuntergrenze eingeführt wird. Wir haben dafür gesorgt, nicht Sie – mit Copyright, Frau Dr. von der Leyen, sollten Sie sich an dieser Stelle auskennen –; das zu erwähnen, wäre ein Akt der Höflichkeit gewesen.
Gleichwohl kann ich nicht feststellen, dass dieser Gesetzentwurf zureichend ist, um das zu erreichen, was offensichtlich beabsichtigt ist, nämlich den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit zu bekämpfen.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wenn die SPD alles richtig gemacht hätte, hätten wir gar nichts zu tun! Dann könnten wir den Bundestag abschließen und nach Hause gehen!)
– Entschuldigen Sie, Herr Kollege. Ich weiß nicht, ob Sie sich mit diesem Thema irgendwann einmal beschäftigt haben oder hier nur rumkrakeelen wollen. Die Wahrheit ist: Zeit- und Leiharbeit wird in diesem Land massiv missbraucht.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Mein Gott! Sie sind aber nervös!)
Frau von der Leyen, an einem der Abende, an denen wir keine Nachtsitzung des Vermittlungsausschusses hatten, hatte ich noch den Nachtrhythmus drauf und konnte nicht richtig schlafen, weil wir sonst immer miteinander verhandelt haben. In dieser Nacht hatte ich die Gelegenheit, einmal das Nachtmagazin der ARD zu sehen. Dort wurde die Situation sehr gut beschrieben. Es gab ein Interview mit zwei Beschäftigten: der eine Stammbelegschaftskollege, der andere Leiharbeitnehmer; beide in einem Hamburger Unternehmen tätig; beide die gleiche Qualifikation; beide die gleiche Tätigkeit. Der eine Unterschied war, dass der Kollege Leiharbeiter weniger Urlaub hat als der Stammbelegschaftsbeschäftigte. Der wesentliche Unterschied war, dass er trotz gleicher Tätigkeit 900 Euro weniger bekommt. Das nehmen Menschen als entwürdigend wahr, wenn sie es zu erleben haben.
Aber auch der Stammbelegschaftskollege war nicht glücklich über die Situation, weil er trotz Ihres Placebo-Gesetzes nach wie vor damit rechnen muss, dass er zukünftig durch jemanden ersetzt wird, der schlechter bezahlt wird. Genau an dieser Stelle versagt Ihr Gesetz.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Ihr wohlfeiler Hinweis auf eine Tarifautonomie, die in diesem Bereich eben nicht mehr funktioniert, ist eine Ablenkung davon. Zu Recht zitieren Sie, dass das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz bis dato im Prinzip den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ kennt. Sie verschweigen aber, dass das nicht die Regel ist, Frau Ministerin. Sie verschweigen das. Und Sie wissen ganz genau – da können Sie sich auch nicht herausstehlen –, dass wir dem Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit nicht effektiv begegnen können, wenn wir nicht den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ als Gesetzgeber im Gesetz scharfschalten.
Ich nehme es als ein Stück Heuchelei wahr, wenn die für Arbeit und Sozialordnung zuständige Ministerin ankündigt – ich darf das zitieren, was Sie eben gesagt haben –: Wir schauen uns ein Jahr lang noch einmal an, ob sich etwas bewegt, und drohen damit, nach einem Jahr eine Kommission einzusetzen. – Was für eine Ankündigung! Diejenigen, die Zeit- und Leiharbeit missbrauchen, zittern wirklich davor, dass Sie eine Kommission einsetzen.
Frau Ministerin, die Wahrheit ist: Wir hätten längst in den Verhandlungen – ich glaube, sogar mit Ihnen – eine bessere Lösung erzielt, was den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ betrifft, wenn Sie nicht in Geiselhaft eines Koalitionspartners namens FDP wären, der nicht einmal nach neun Monaten gleichen Lohn für gleiche Arbeit wollte, sondern sich dafür eingesetzt hat, dass selbst nach neun Monaten dauerhaft nur der Grundlohn gleich ist, nicht aber die Zuschläge. Sie, die FDP und die CDU/CSU, verhindern den Kampf gegen den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Deshalb, meine Damen und Herren, kann ich nur sagen: Dieses Gesetz beinhaltet zwar einen großen Fortschritt, was die Lohnuntergrenze betrifft. Deshalb werden wir dem Antrag ganz folgerichtig zustimmen. Wir haben das zusammen mit den Grünen in den Verhandlungen durchgesetzt. Ich halte dies für eine gute Nachricht. Das ist überfällig. Es ist notwendig, dass wir vor dem 1. Mai zumindest zu einem Mindestlohn in dieser Branche kommen. Zureichend ist es aber nicht.
Wenn man dem Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit effektiv begegnen will, sind einige weitere Dinge notwendig, Frau Ministerin. Das können Sie unserem Entschließungsantrag entnehmen. Wir wollen die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte ausweiten, was den Einsatz von Zeit- und Leiharbeit betrifft. Warum verweigern Sie das eigentlich? Wir wollen gleiche Teilhabe der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer beim Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen, beispielsweise Kinderbetreuung, Gemeinschaftsverpflegung und Beförderungsmitteln. Wir wollen die konzerninterne Verleihe an dieser Stelle einschränken. Das halte ich für dringend notwendig. Wir wollen vor allen Dingen, dass es keine Verträge von Fall zu Fall gibt – Stichwort: Synchronisationsverbot.
(Zuruf von der CDU/CSU: Es wäre schön gewesen, wenn Sie bei der Anhörung dabei gewesen wären!)
Wir wollen auch eine zeitliche Befristung auf ein Jahr, was den Einsatz von Zeit- und Leiharbeitern betrifft.
Das Wichtigste ist aber – und das ist der Geist der EU-Richtlinie zur Leiharbeit, die bis zum 5. Dezember dieses Jahres umzusetzen ist –, dass wir uneingeschränkt den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ durchsetzen wollen. Mindestlohn ist das eine. Wir sind stolz darauf, dass wir Ihnen das abringen konnten.
(Lachen bei der CDU/CSU)
Das reicht aber nicht, weil „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ das ist, was die Menschen brauchen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Heil.
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Ich sage Ihnen: Wer den Menschen das verweigert, der hat keine Ahnung von der Lebensrealität dieser Menschen. Es ist unwürdig, was Sie hier abziehen. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf so nicht zustimmen können.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber schwach!)