Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Hubertus Heil hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brauksiepe, wissen Sie, warum Olaf Scholz am Sonntag in Hamburg gewonnen hat?
(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Es gab keine Alternative!)
Dafür, dass er die absolute Mehrheit geholt hat, gibt es viele gute Gründe. Der Hauptgrund ist, dass er glaub¬würdig – das ist der Unterschied zu Ihnen – dafür einge¬standen ist, dass man wirtschaftlichen Erfolg nicht gegen soziale Gerechtigkeit ausspielen darf.
(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Deswegen muss man ihn nun nicht gleich wählen!)
Gleiches muss für die Zeit- und Leiharbeitsbranche gelten.
Zeit- und Leiharbeit können – so war es gemeint, als das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz novelliert wurde – ein wirtschaftlich vernünftiges Instrument zur Abdeckung von Auftragsspitzen in Unternehmen sein. Herr Staatssekretär, trotz vieler warmer Worte sage ich Ihnen: Wir dürfen nicht zulassen, dass Zeit- und Leiharbeit weiterhin das größte Scheunentor für Lohndumping in Deutschland sind. Sie tun bisher nichts dagegen.
(Beifall bei der SPD)
Zur Wahrheit gehört, dass wir Ihnen in den Verhandlungen einen Mindestlohn für die Zeit- und Leiharbeitsbranche abringen mussten. Da verbiegen Sie hier die Wahrheit. Das, was Sie in den Verhandlungen angeboten haben, haben wir nicht zugelassen; wir haben vielmehr etwas anderes durchgesetzt. Sie wollten nicht einmal ei-nen Mindestlohn für die Zeit- und Leiharbeitsbranche. Sie wollten, dass es einen Mindestlohn in dieser Branche nur in der verleihfreien Zeit gibt.
Sie haben uns dann angeboten, dass man einen sogenannten Referenzlohn für die Einsatzzeit bildet, von dem nach unten abgewichen werden könnte. Zu Deutsch: Diese Koalition, bestehend unter anderem aus Herrn Kolb, der Frau von der Leyen in Geiselhaft genommen hat, wollte, dass Leiharbeitnehmer, wenn sie nicht arbeiten, möglicherweise mehr Geld bekommen, als wenn sie arbeiten. Das ist leistungsfeindlich; das ist schwachsinnig. Deshalb haben wir gegen Ihren Widerstand im Vorfeld des 1. Mai einen gesetzlichen Mindestlohn im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz für die Zeit- und Leiharbeitsbranche durchgesetzt, der nicht abgesenkt werden kann. Wir haben den Mindestlohn durchgesetzt, nicht Sie!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katja Mast [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Das waren wir und nicht Sie!)
Jetzt haben Sie eine „Lex Schlecker“ vorgelegt. Wir werden sie benutzen, um den Mindestlohn vor dem 1. Mai durchzusetzen; so viel Zustimmung ist da. Aber am wesentlichen Punkt, nämlich an dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Stamm- und Leihbelegschaften“, geht diese Koalition kalt vorbei.
Ich habe am späten gestrigen Abend ferngesehen: das Nachtmagazin in der ARD.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sollst du schlafen!)
– Nein, bei denen darf man nicht schlafen. Da muss man aufpassen, Fritz Kuhn. Das weißt du auch. Wir haben wenig Zeit gehabt zum Schlafen. Wir haben gearbeitet und gemeinsam in diesem Bereich viel erreicht. – In dieser Sendung wurde ein Bericht über eine Stamm- und eine Leihbelegschaft gezeigt. Es wurde sehr eindrucks¬voll beschrieben, wie sich zwei Kollegen, die dieselbe Qualifikation haben und dieselbe Tätigkeit ausüben – der eine gehört zur Stammbelegschaft, der andere zur Leihbelegschaft –, fühlen. Der Verdienstunterschied liegt bei 900 Euro. Mit anderen Worten: Der Arbeitnehmer der Stammbelegschaft bekommt 900 Euro mehr als der Leiharbeitnehmer, obwohl sie dieselbe Tätigkeit aus¬üben und dieselbe Qualifikation haben. Der Zeitarbeitnehmer hat im Übrigen auch weniger Urlaub. Der eine fühlt sich entwürdigt, weil er für die gleiche Leistung nicht den gleichen Lohn bekommt. Der andere, der Kol¬lege aus der Stammbelegschaft, sagt: Ich habe Angst, dass ich demnächst durch Zeit- und Leiharbeiter ersetzt werde. Das ist die Realität in Deutschland.
(Beifall bei der SPD)
Wir haben in diesen Verhandlungen gesagt: Wir wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Dann hat die FDP gesagt: nach neun Monaten. – Dazu muss man wissen, dass 30 Prozent der Leih- und Zeitarbeitnehmer weniger als drei Monate arbeiten. Die FDP, die CDU und die Bundesministerin wollten dann, dass nach neun Mona¬ten gar nicht Equal Pay – gleicher Lohn für gleiche Ar¬beit – gilt, sondern sie wollten das umdefinieren und die Zuschläge, die vor allen Dingen in der Industrie 30 Pro-zent der Lohnbestandteile ausmachen, herunterdrücken.
Herr Brauksiepe, ich weiß nicht, welchen Einfluss Sie als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales tatsächlich haben,
(Anette Kramme [SPD]: Gar keinen!)
aber Sachkenntnis gibt es in Ihrem Ministerium. Die Wahrheit ist: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses kennen die Situation offensichtlich besser als Frau von der Leyen und Sie. Das ist der Skandal: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist im Bereich des Missbrauchs der Zeit- und Leiharbeit im wahrsten Sinne des Wortes kopflos. Das ist eine Schande!
(Beifall bei der SPD)
Die gute Nachricht ist, dass wir in den Verhandlungen mit Ihnen für 1,2 Millionen Arbeitnehmerinnen und Ar¬beitnehmer, darunter 900 000 Beschäftigte in der Zeit- und Leiharbeit, einen Mindestlohn durchgesetzt haben. Das ist gut, das ist wichtig, und das ist richtig. Genauso richtig und gut ist, dass wir uns beim Thema Equal Pay nicht auf einen faulen Kompromiss einlassen. Die deut¬sche Sozialdemokratie wird nicht eher ruhen, als bis wir den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ für die Menschen in Deutschland durchgesetzt haben, und zwar für Männer und Frauen, auch in der Zeit- und Leiharbeit.
(Beifall bei der SPD – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Da habt ihr die Chance verpasst! Ihr liegt völlig daneben!)
Ich will Ihnen sagen, warum ich das nicht nur für sozial geboten halte: Es stört den Betriebsfrieden, wenn Kollegen unterschiedlich behandelt werden, obwohl sie das Gleiche leisten. Das ist leistungsfeindlich.
Auch wirtschaftspolitisch ist es vernünftig, dass wir die Zeit- und Leiharbeit auf das konzentrieren, was öko¬nomisch gemeint ist, nämlich um Auftragsspitzen in Unternehmen abzudecken, aber nicht, um Lohndumping zu ermöglichen. Das ist auch aus Gründen der finanzpolitischen Solidität des Haushalts notwendig.
Vor allen Dingen in der Zeit- und Leiharbeit gibt es immer mehr Menschen, die Vollzeit arbeiten, die jeden Tag schuften, die morgens in die Fabrik gehen, die sich anstrengen und mühen, aber die sich dann, weil es zum Leben nicht reicht, ergänzendes Arbeitslosengeld II vom Amt abholen müssen. Das verantwortet die schwarz-gelbe Koalition. Wir werden darum kämpfen, das zu än-dern. Wir wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
(Beifall bei der SPD)
Ich sage Ihnen noch etwas: Ein fauler Kompromiss, der so tut, als würde er das Problem des Missbrauchs von Zeit- und Leiharbeit in Deutschland bekämpfen, ist mit uns nicht zu machen. Sie haben sich seit Jahren ge¬gen die Einführung von Mindestlöhnen gewehrt. Wir haben die Mindestlöhne Branche für Branche gegen den schwarz-gelben Widerstand durchkämpfen müssen. Wir sind jetzt in drei Branchen zum ersten Mal einen großen Schritt vorangekommen.
Wir werden Sie treiben, und wir werden nicht ruhen, bis Equal Pay auch für die Zeit- und Leiharbeit durchgesetzt wird. Da wird es kein Gepfusche an dem Begriff geben, was „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ meint. In dieser Hinsicht ist das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in seiner Definition des § 3 ziemlich klar. Darin steht: „… wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts“. Das ist übrigens auch das, was in der Richtlinie steht. Sie versuchen, da herumzudoktern und so zu tun, als ginge es nur um den Stundenlohn und nicht um die Zuschläge, die es in der Industrie gibt.
Wir legen Ihnen heute einen Antrag vor in der Hoffnung, dass wir in den Verhandlungen zu Ihrem vorliegenden Gesetzentwurf auch im Bereich Equal Pay noch zu Fortschritten kommen. Ich bin mir da nicht ganz sicher, weil wir erleben müssen, dass die FDP in der Sozialpolitik Frau von der Leyen offensichtlich an der Leine führt.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Soll ich das jetzt als Kompliment ansehen?)
Das ist nicht gut für Deutschland, aber in diesem Bereich ist es offensichtlich so.
Ich sage Ihnen: Wir wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Wir brauchen einen Mindestlohn, den wir schon gegen Sie durchgesetzt haben. Wir brauchen ein Synchronisationsverbot, um Drehtüreffekte zu vermeiden, und zwar nicht nur bei Schlecker.
Herr Brauksiepe, es ist sowieso ein Ding der Unmöglichkeit, dass Frau von der Leyen erst jetzt – sie ist fast anderthalb Jahre im Amt – beim Thema Schlecker gemerkt hat, dass es einen Missbrauch von Zeit- und Leih¬arbeit gibt. So viel Ignoranz gegenüber den hart arbeitenden Menschen in Deutschland ist nicht zu akzeptieren.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege!
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Deshalb werden wir kämpfen und dafür sorgen, dass dieses Gesetz im Interesse der arbeitenden Menschen besser wird.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)