Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Weil Sie, Herr Fuchs, davon gesprochen haben, dass man die schöne Frage, wem der Aufschwung gehöre, ein bisschen nüchtern betrachten solle,
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Tun wir doch immer!)
sollten wir ein paar Dinge miteinander festhalten: Wir alle sind, glaube ich, der Meinung, dass es nach dieser furchtbaren Wirtschaftskrise tüchtige Unternehmer waren, die mitgeholfen haben, dass Deutschland gut durch die Krise gekommen ist, und dass es fleißige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren, die im letzten Jahr übrigens auf viel verzichtet haben.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das habe ich, glaube ich, gesagt!)
Dass es aber auch etwas mit Strukturreformen der rot-grünen Bundesregierung zu tun hat – das hat ein Teil Ihrer Regierung anständigerweise einmal anerkannt gehabt – und dass es etwas mit dem Krisenmanagement in Zeiten der Großen Koalition zu tun gehabt hat, mit Kurzarbeitsregelungen und Konjunkturprogrammen zum richtigen Zeitpunkt, das wissen Sie, Herr Fuchs, und das weiß ich. Der Einzige, der das nicht sagt, ist Rainer Brüderle.
Herr Brüderle, Sie benehmen sich hier wie ein Pressesprecher des Statistischen Bundesamtes. Sie verkünden Zahlen, für die Sie überhaupt nichts können. Sie sind aber nicht Pressesprecher des Statistischen Bundesamtes, sondern Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb hat Frank-Walter Steinmeier vollkommen recht: Ihre Aufgabe ist es nicht, hier Zahlen abzufeiern, für die Sie nichts können, sondern Ihre Aufgabe ist es, Deutschland zu sagen, wie wir aus diesem Aufschwung einen dauerhaften Fortschritt machen können, der bei den Menschen auch ankommt. Das ist Ihre Aufgabe.
(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg van Essen [FDP]: Das hat er doch getan! Da haben Sie wieder einmal nicht zugehört!)
Herr Brüderle, wo ist denn die Fachkräftestrategie, die notwendig ist, damit wir keinen gespaltenen Arbeitsmarkt in Deutschland bekommen? Unternehmen beklagen sich in manchen Branchen und Regionen – Frau Andreae hat darauf hingewiesen – jetzt schon über Fachkräftemangel, während auf der anderen Seite immer noch 3 Millionen Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit abgehängt sind. Wo sind denn Anstrengungen der Bundesregierung für eine Bildungsoffensive, die dazu führt, dass wir kein Kind zurücklassen, dass nicht 65 000 Jugendliche Jahr für Jahr unsere Schulen ohne Abschluss verlassen und dass nicht weiterhin 1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren ohne berufliche Erstausbildung dastehen. Wo sind denn da Ihre Antworten?
Herr Brüderle, Sie haben in Ihrer Amtszeit genau zwei Dinge in der Koalition durchgesetzt: erstens die berühmte Hotel-Mehrwertsteuer und zweitens eine Energiepolitik zugunsten von Oligopolen und Monopolen großer Konzerne und zulasten des Wettbewerbs.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Zulasten der Stadtwerke!)
Das ist die Bilanz des Wirtschaftsministers Rainer Brüderle. Sie sind nicht zukunftsfähig.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Herr Brüderle, Sie haben sich vorhin, weil es irgendwie zur Folklore Ihrer Partei gehört, über den Mindestlohn geäußert. Ich sage Ihnen einmal, warum ich der festen Überzeugung bin, dass Sie sich auch mit Frau von der Leyen einmal länger über die Entwicklung in ihrem Haushalt unterhalten sollten. Wir geben als Steuergeld, Herr Fuchs, Jahr für Jahr 11 Milliarden aus dem Bundeshaushalt allein für aufstockende Arbeitslosengeld-II-Leistungen aus. Das heißt, wir nehmen den Steuerzahlern 11 Milliarden Euro weg, um Armutslöhne in diesem Land aufzustocken.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Nein!)
– 11 Milliarden Euro im Bundeshaushalt! Wenn das so weitergeht, dann kommen wir zu staatlicher Lohnbewirtschaftung. Das hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun. Das ist der Grund, warum wir sagen, Herr Brüderle: Wir wollen im Sinne der arbeitenden Menschen und einer sozialen Marktwirtschaft und im Interesse von fairem Wettbewerb wie in anderen Ländern dafür sorgen, dass Menschen von ihrer Arbeit wieder leben können. Auch wegen der Ordnung der Wirtschaft in unserem Lande brauchen wir Mindestlöhne.
(Beifall bei der SPD)
Herr Brüderle, in Ihrer Rede hat das Thema der Arbeitnehmerfreizügigkeit ab dem 1. Mai 2011 vollständig gefehlt. Inzwischen sagt sogar die BDA, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, gegen Ihren Widerstand, dass wir einen Mindestlohn in der Zeitarbeit brauchen, weil wir sonst in die Situation geraten – Sie wissen es –, dass Unternehmen aus Osteuropa, die hier als Zeitarbeitsunternehmen tätig sind, den Wettbewerb in der Zeit- und Leiharbeitsbranche kaputtmachen und gleichzeitig Lohndumping befördern. Sie waren lange dagegen. Ich sage Ihnen: Das reicht nicht aus. Wir brauchen den Mindestlohn für den Bereich der Zeit- und Leiharbeit; das ist inzwischen fast Konsens, abgesehen von Teilen der FDP. Wir werden den Mindestlohn für die verleihfreie Zeit durchsetzen. Um dem Missbrauch der Zeit- und Leiharbeit entgegenzutreten, ist es aber wichtiger, den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ für Stamm- und Leihbelegschaft durchzusetzen; Sie werden es begreifen müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich wünsche mir einen Wirtschaftsminister, der mit ökonomischem Sachverstand einfach sagt: Wir wollen Zeit- und Leiharbeit nicht verbieten; sie ist ökonomisch vernünftig, wenn sie, Herr Fuchs, auf den Bereich der Auftragsspitzen von Unternehmen – auf nichts anderes – konzentriert wird. Wir dürfen aber nicht länger zuschauen, wenn die Zeit- und Leiharbeit zum Einfallstor für Lohndumping zulasten der Stammbelegschaft wird. Herr Oswald, ich habe mich lange mit Ihrem Ministerpräsidenten Seehofer über dieses Thema unterhalten; ich habe den Eindruck, er hat angefangen, das zu begreifen. Wir führen an dieser Stelle gerade Verhandlungen. Meine herzliche Bitte ist: Unterstützen Sie Horst Seehofer und überlassen Sie dieses Thema bitte nicht Rainer Brüderle; denn das wäre nicht gut für Deutschland.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr Brüderle, ich bin der festen Überzeugung, dass Sie ein Mensch sind, mit dem man reden kann. Manchmal erinnern Sie mich ein bisschen an den Satz von Johannes Rau, der einmal gesagt hat:
Mein Hund ist als Hund eine Katastrophe, aber als Mensch unersetzlich!
Herr Brüderle, ich will sagen: Ich finde Sie menschlich vollkommen in Ordnung; man kann gut mit Ihnen reden. Aber als Bundeswirtschaftsminister sind Sie in dieser Zeit leider eine Fehlbesetzung.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)