Rede von Hubertus Heil zum Abbau der Neuverschuldung


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Schäuble, bei Bildung woll¬ten Sie nicht sparen, haben Sie gesagt. Das ist auch die Parole der letzten Tage gewesen. Ich sage Ihnen: Sie sparen bei Bildung, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen haben Sie vor Weihnachten durch das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz Löcher in die Haus¬halte von Kommunen und Ländern gerissen, was zulas¬ten der Schulpolitik geht. Zum anderen verstehen Sie of¬fenbar nur Schulpolitik als Bildung. Sie haben von der demografischen Entwicklung gesprochen. In Deutsch¬land verlassen Jahr für Jahr 60 000 junge Menschen un¬sere Schulen ohne Schulabschluss. Jeder Mensch weiß, wie schwierig es heute im Gegensatz zu früher ist, mit einem einfachen Hauptschulabschluss eine Ausbildungs¬stelle zu finden. Man weiß, dass es fast unmöglich ist, ohne Schulabschluss Zugang zu Ausbildung und gere¬gelter Arbeit zu finden. Hier geht es um Bildung und Qualifizierung. Diesen jungen Menschen rauben Sie durch den Kahlschlag in der aktiven Arbeitsmarktpolitik die Chancen. Am Ende wird es für den Staat teurer, weil diese jungen Menschen die Arbeitslosen und die Lang-zeitarbeitslosen von morgen sind. Sie versündigen sich an den jungen Leuten und ihren Chancen, Herr Schäuble.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Schauen wir uns die Zahlen einmal an. Sie können uns doch nicht erzählen, das alles bleibe ohne Effekte für den Bereich des Förderns. „Fordern und fördern“ ist ein¬mal das Prinzip der Arbeitsmarktpolitik gewesen. Sie wollen im Jahre 2011 Einschnitte mit einem Volumen von 2 Milliarden Euro im Bereich der aktiven Arbeits-marktpolitik vornehmen. Im Jahre 2012 sollen es 4 Mil-liarden Euro sein. Ab 2013 sollen es jährlich 5 Milliar-den Euro sein. Das heißt, allein bis 2014 wollen Sie 16 Milliarden Euro im Bereich der aktiven Arbeits¬marktpolitik einsparen. Wer hier kurzfristig spart, wird langfristig die Langzeitarbeitslosigkeit in diesem Land verfestigen. Das kostet die Gesellschaft Geld und zer¬stört die Chancen von Menschen auf ein selbstbestimm¬tes Leben durch Erwerbsarbeit. Das ist das, was Sie machen.

(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Das ist Rosstäuscherei, die Sie da be¬treiben! Sie hatten 5 Millionen Arbeitslose!)

– Herr Barthle, da Sie so lautstark dazwischenrufen: Wenn Sie zuhören, können Sie vielleicht etwas lernen. Wenn Sie so schreien, bekommt der Begriff „Primat der Politik“ eine ganz neue Bedeutung. Was Sie hier auffüh¬ren, ist tatsächlich erstaunlich.
Ihre Kürzungen im Bereich der Qualifizierung und insbesondere Ihr Kahlschlag bei den Weiterbildungs¬maßnahmen gehen zulasten junger Menschen, die Quali¬fikation brauchen, zulasten alleinerziehender Langzeit¬arbeitsloser und zulasten älterer Langzeitarbeitsloser. Das ist nicht nur unfair gegenüber den betroffenen Men¬schen. Es ist auch ökonomischer Unfug. Sie können nicht – wie Frau von der Leyen – von einer Vermitt¬lungsoffensive sprechen, wenn Sie keine Maßnahmen zur Qualifizierung und Eingliederung von Langzeitar-beitslosen ergreifen. Es ist hirnlos, bei Bildung und Qua¬lifikation zu kürzen. Hinzu kommt, dass das, was Sie machen, herzlos ist. Sie kürzen nämlich bei den Schwächsten. Da Sie sich das von Herrn Trittin nicht an¬hören wollen, sage ich Ihnen: Die Art und Weise, wie Sie diejenigen schonen, die breite Schultern haben und mehr schultern könnten, und sich an den Schwächsten vergreifen, kann nur als feige bezeichnet werden. Damit hat Jürgen Trittin vollkommen recht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Da Sie, Herr Schäuble, dazu aufgefordert haben, an¬dere Vorschläge zu machen, präsentiere ich Ihnen ein paar:
Fangen wir an, einmal darüber zu reden – die FDP schweigt dazu inzwischen; die CDU auch; Sie auch, weil es Ihnen vielleicht ein bisschen peinlich ist –, was Sie für Geschenke ausgegeben haben. Herr Koppelin, das, was Sie uns unterstellt haben, stimmt übrigens nicht. Aus den 5,6 Milliarden Euro, die dem Staatshaushalt aufgrund Ihres sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes fehlen – von diesem Geld reden wir; wir wollen, dass der Staat es zurückbekommt –, sind das Kindergeld und an¬dere Leistungen im Bereich Familien herausgerechnet.

(Florian Toncar [FDP]: Das stimmt doch nicht! – Otto Fricke [FDP]: Das ist falsch!)

– Herr Fricke, Sie haben gleich die Gelegenheit, hier das zu sagen, was Sie in Talkshows hin und wieder kokett angedeutet haben.
Nehmen Sie den reduzierten Mehrwertsteuersatz zu¬gunsten von Hoteliers zurück! Allein durch diese Ma߬nahme hätten wir über 1,6 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Dann müssten wir nicht zulasten von Fami¬lien, von älteren Langzeitarbeitslosen und von Jugendli¬chen sparen. Das wäre mutig: sich selbst zu korrigieren und auch Ihre Klientel zu belasten und heranzuziehen. Ihr Vorgehen untergräbt das Vertrauen von Menschen in demokratische Politik, weil die Gerechtigkeit fehlt. Das ist Ihr Problem.

(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Auch diese Zahl stimmt nicht, Herr Heil!)

Ich sage Ihnen noch etwas: Wir könnten durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen, durch den Abbau von Privilegien der Atomwirtschaft, etwa durch ei¬nen Verzicht auf die Verlängerung der Restlaufzeiten, und die Einführung einer Brennelementesteuer das Geld einnehmen, das wir brauchen, um die Asse in Nieder¬sachsen zu sanieren. Das ist notwendig; denn es kostet über 1,5 Milliarden Euro, diesen abgesoffenen Atomtopf in Ordnung zu bringen. Daran müssen Sie die Atomwirt¬schaft beteiligen. Das tun Sie aber nicht, indem Sie ihr etwas schenken, nämlich längere Restlaufzeiten und da-mit größere Profite.
Sie lehnen den Mindestlohn ab, Herr Schäuble. Beim Mindestlohn geht es nicht um Geld von oben, wie Sie gesagt haben, sondern um Geld von unten, um es einmal klar zu sagen. Das Bundesarbeitsministerium, das BMAS, hat die Aussage getroffen: Durch die Einfüh¬rung eines flächendeckenden Mindestlohns könnten im Bundeshaushalt Ausgaben in Höhe von 1,5 Milliarden Euro eingespart werden, weil die Aufstockergelder dann unnötig wären. Im Moment muss Steuergeld ausgegeben werden, weil Dumpinglöhne gezahlt werden. Nutzen Sie diese Gelegenheit, um diese Ausgaben einzusparen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Last, but not least geht es darum, diejenigen, die diese Krise verursacht haben, und auch die mit den breiteren Schultern stärker zu beteiligen. Ich sage Ihnen: Die Selbsttitulierung dieser Koalition von „Gurkentruppe“ über „Wildsau“ und all das, was man noch so hört, spricht für sich selbst. Es wäre nicht schlimm, wenn es nicht die Zukunftsfähigkeit dieses Landes gefährden würde.
Sie sparen nicht wirklich, sondern Sie kürzen kurz¬fristig. Langfristig werden diese Gesellschaft, der Staat, unsere Demokratie die Zeche zahlen. Deshalb kann ich Ihnen nur eines sagen: Sie müssen umkehren. Wenn Sie es nicht freiwillig tun, dann werden wir nicht nur in die¬sem Hause, sondern zusammen mit Gewerkschaften, mit klugen Unternehmerinnen und Unternehmern und mit gesellschaftlichen Gruppen Widerstand gegen das orga¬nisieren, was Sie da machen. Wir werden nicht zulassen, dass Sie das Vertrauen der Menschen in den sozialen und demokratischen Rechtsstaat durch eine irregeleitete Klientelpolitik, von der diese schwarz-gelbe Regierung offensichtlich geleitet ist, untergraben.

(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Sie spalten die Gesellschaft!)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Sie machen eine Politik, die würdelos ist, die herzlos ist und feige. Sie müssen damit aufhören. Wir werden Ihnen das deutlich machen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)