Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was brauchen langzeitarbeitslose Menschen in unserem Land? Das ist die Frage, die uns bewegen muss. Es ist die Verantwortung aller Parlamentarier, aber auch der Bundesregierung, sich gerade in der momentanen Phase der Entwicklung am Arbeitsmarkt zu überlegen, was getan werden kann und getan werden muss, um langzeitarbeitslosen Menschen effektiv zu helfen. Ich will niemandem absprechen, egal welcher Couleur, zu erkennen, dass das ein gemeinsames Ziel sein muss.
Das Wichtigste ist – das fängt schon mit der Organisationsform der Arbeitsverwaltung an –, dass wir langzeitarbeitslose Menschen nicht nur mühsam verwalten, sondern ihnen Betreuung, Hilfe und vor allem eine Vermittlung aus einer Hand anbieten und dass nicht wieder Pingpong zwischen den verschiedenen Bürokratien gespielt wird.
Ich bin froh, dass die Chance besteht, das zu verhindern, was CDU, CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wir müssen trotz all der notwendigen Veränderungen dafür sorgen, dass die Jobcenter in Deutschland am 1. Januar 2011 nicht zerschlagen werden. Genau das war es aber, was CDU, CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag vorgesehen haben:
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das sollten Sie noch mal nachlesen!)
getrennte Aufgabenwahrnehmung und Zerschlagung der Jobcenter.
Dass wir die Möglichkeit haben, das abzuwenden, ist eine große Chance. Dazu braucht es eine Koalition der Vernunft über die Regierungsmehrheit hinaus, weil es eine verfassungsgemäße Lösung, eine grundgesetzliche Absicherung geben muss. Wir als Sozialdemokraten in der Opposition haben deshalb die Hand gereicht und das Angebot gemacht, im Interesse langzeitarbeitsloser Menschen und auch derjenigen, die in der Arbeitsvermittlung einen harten Job erledigen, dafür zu sorgen, dass die Organisationsreform stattfinden kann, dass die Jobcenter in Zukunft besser arbeiten können und vor allen Dingen, dass sie nicht zerschlagen werden.
Diese Lösung wäre schon früher möglich gewesen. Die Verunsicherung der letzten Jahre war unnötig. Das hat viele kommunale Träger und viele in der Arbeitsverwaltung der Bundesagentur für Arbeit, aber auch viele langzeitarbeitslose Menschen über Monate, wenn nicht sogar über Jahre verunsichert. Weil Herr Laumann damals am Zustandekommen eines Kompromisses beteiligt war – an den aktuellen Verhandlungen war er allerdings nicht beteiligt –, sei daran erinnert: Es gab zu Zeiten von Olaf Scholz, Ihres Amtsvorgängers, Frau von der Leyen, einen Kompromiss zwischen 16 Bundesländern, der Bundesregierung und der SPD-Bundestagsfraktion, der damals in der Großen Koalition mutwillig von CDU/CSU und FDP zerschlagen wurde.
(Beifall bei der SPD)
Deshalb war es nicht ganz einfach, zu sagen: Wir machen jetzt einen zweiten, dritten Versuch. Aber wir haben das aus Verantwortung getan.
Es handelt sich um einen guten Kompromiss. Auch wir mussten in ein paar Punkten nachgeben. Aber das ist das Wesen parlamentarischer Kompromisse. Es wird nun dafür gesorgt, dass das Regelmodell, die Zusammenarbeit zwischen Bundesagentur für Arbeit und Kommunen bei der Betreuung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen aus einer Hand, besser umgesetzt werden kann und dass es mehr Stabilität gibt. Wir haben ein Gesamtpaket geschnürt, zu dem unter anderem gehört, dass es sich bei der Hilfe aus einer Hand nicht um eine leere Hand handeln darf. Mit der Entsperrung von 900 Millionen Euro, die Schwarz-Gelb im Haushaltsausschuss gesperrt hatte, können zumindest in diesem Jahr die Mittel für eine aktive Arbeitsmarktpolitik ausgereicht werden.
Frau von der Leyen, ich kann Ihnen nicht ersparen – weil Sie das nur in einem Nebensatz erwähnt haben –, darauf hinzuweisen, dass die Entfristung von 3 200 Stellen für Arbeitsvermittler Teil dieser Einigung ist.
(Beifall bei der SPD)
Ihre Rede diente an dieser Stelle eher der Aufklärung der FDP-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Im Verhältnis zur Gesamtreform klingt die Zahl von 3 200 Jobvermittlern wenig. Wenn wir uns aber anschauen, was wir alles im Gesetzentwurf mit Leben erfüllen müssen, nämlich verbindliche Schlüssel für das Verhältnis von Jobvermittlern zu Langzeitarbeitslosen einzuführen – 1 : 75 bei den unter 25 Jährigen, 1 : 150 bei den über 25 Jährigen –, wenn all das, was Sie vorhaben, Frau von der Leyen, nicht heiße Luft sein soll – ich spreche Ihnen nicht ab, dass Sie es ernsthaft wollen –, wenn vor allen Dingen Alleinerziehende und Jugendliche besser betreut werden sollen und nicht in der Arbeitslosigkeit verwaltet werden sollen sowie Eingliederungsvereinbarungen getroffen werden sollen, um Menschen aus der Situation der Arbeitslosigkeit herauszuführen, dann muss man sagen: Es braucht mehr Jobvermittler, damit nicht nur Akten bewegt werden, sondern damit Menschen eine Chance bekommen. Das ist das, was die FDP nicht begriffen hat. Das sage ich hier ganz deutlich.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich kann diesem Parlament nicht ersparen, zu schildern, was in den letzten Wochen, nachdem wir einen Kompromiss, abgestimmt mit den Fraktionsvorsitzenden und der Ministerin, geschlossen hatten, passiert ist. Ja, nach viel Gezeter bei CDU/CSU- und FDP-Haushältern sind die 900 Millionen Euro vereinbarungsgemäß entsperrt worden; das ist auch gut so. Wir wissen, dass vor Ort auf ein solches Signal gewartet wurde. Aber nein, die Entfristung von 3 200 Stellen für Jobvermittler ist weder in der letzten noch in der vorletzten Sitzung geschehen. Nachdem es in der vorletzten Sitzung nicht passiert war, habe ich Frau von der Leyen einen Brief geschrieben und in freundlichem Ton daran erinnert, dass man sich an Vereinbarungen zu halten habe. Sie hat mich daraufhin angerufen – ich erkenne ihr Bemühen auch an – und hat mir versichert, dass das nun mit Herrn Schäuble geklärt und auch mit den Haushältern von CDU/ CSU und FDP abgestimmt sei. Daraufhin hat die Ministerin zum 5. Mai, zum gestrigen Tag, im Haushaltsausschuss die Entfristung von 3 200 Stellen wie vereinbart beantragt. Es war ein Amoklauf von FDP-Haushaltspolitikern, der die Ministerin gestern desavouiert hat. Sie haben das von der Tagesordnung gewischt. Wir wollen das Zustandekommen der Jobcenter-Reform. Aber ich warne die FDP, diesen Kompromiss, der die letzte Möglichkeit darstellt, die Zerschlagung der Jobcenter zum 1. Januar 2011 aufzuhalten, aufzuschnüren und zu gefährden. Sie verunsichern die Menschen vor Ort. Wir dürfen das nicht zulassen. Deshalb müssen Sie, bevor es die zweite und dritte Lesung in diesem Haus gibt, dafür sorgen, dass die 3 200 Stellen wie besprochen entfristet werden.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es waren stets die Sozialdemokraten und die Grünen in diesem Haus, die darauf hingewiesen haben, dass eine Zerschlagung der Jobcenter das Schlimmste ist, was man in dieser Phase tun kann. Die Organisationsreform allein reicht aber nicht aus, um auf dem Arbeitsmarkt besser zu werden. Hinzu kommen müssen – auch das ist eine Aufgabe in diesem Jahr – eine Veränderung im Bereich des Leistungsrechts, die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils sowie bessere Hilfen für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene. Ferner ist es nach wie vor wichtig, die Arbeitsmarktpolitik nicht nur in warme Worte zu packen, Frau Ministerin. Vielmehr müssen gerade angesichts einer noch nicht durchgestandenen Wirtschaftskrise die entsprechenden Mittel für eine aktive Arbeitsmarktpolitik auch bereitgestellt werden.
Viele bei Schwarz und Gelb machen sich große Illusionen, was die Möglichkeit betrifft, nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl, wenn Sie, Herr Laumann, nicht mehr im Amt sind,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Träumen Sie weiter!)
die aktive Arbeitsmarktpolitik zum Steinbruch für Ihre verfehlte Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik zu machen. Ich will Herrn Barthle zitieren, den haushaltspolitischen Sprecher der CDU – Frau von der Leyen, Sie haben das mitbekommen –, der angekündigt hat, dass Ihr Haus zur notwendigen Haushaltskonsolidierung im Jahr 2011 – strukturell 10 Milliarden Euro – ein Drittel bis die Hälfte beitragen soll. Wenn man sich Ihren Haushalt anschaut, stellt man fest, dass er sehr groß ist. Es ist naheliegend, sich den größten Haushalt anzuschauen. Aber wenn man genau hinschaut, fragt man: Wo soll denn da gekürzt werden? Beim Zuschuss für die Rentenversicherung doch wohl nicht. Bei der Unterstützung für Langzeitarbeitslose, was Leistungen betrifft, doch wohl auch nicht. Das können Sie nach dem Verfassungsgerichtsurteil auch gar nicht. Es bleibt der Titel für Eingliederungshilfen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Wenn man ein Drittel oder die Hälfte von 10 Milliarden Euro nimmt, dann sind das 3 bzw. 5 Milliarden Euro. Ihr Haushaltstitel im Bereich der Eingliederungshilfen beträgt, glaube ich, 5 Milliarden Euro. Eine Kürzung in diesem Bereich wäre eine Katastrophe für die aktive Arbeitsmarktpolitik.
Deshalb sage ich Ihnen: Wir wollen Hilfe und Betreuung von langzeitarbeitslosen Menschen aus einer Hand. Das darf aber keine leere Hand sein, sondern wir brauchen diese Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik, um gerade denen, die es schwer haben, effektiv helfen zu können.
(Beifall bei der SPD)
Wir stehen zu diesem Kompromiss, und ich habe den Eindruck, die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU auch. Herr Kolb, ich habe sogar den Eindruck, dass auch die Arbeitsmarktpolitiker der FDP dazu stehen. Frau Homburger, ich freue mich, dass Sie jetzt anwesend sind, weil Sie Zeugin der Besprechung der Ministerin mit den Fraktionsvorsitzenden sind. Herr Kauder war auch dabei. Er hat daran erinnert, dass wir das Gesamtpaket umzusetzen haben, und dazu gehören eben auch die Punkte, die wir bezüglich der Jobvermittler miteinander vereinbart haben. Ich kann die FDP nur warnen: Nichtregierungsorganisationen sind im sozialen Bereich für unsere Zivilgesellschaft eine unerlässliche Größe. Viele Menschen, die sich in Nichtregierungsorganisationen, in NGOs, engagieren, leisten Wertvolles im sozialen Bereich, aber eine NGO namens FDP in der Regierung ist eine Zumutung, gerade im sozialen Bereich, in der aktiven Arbeitsmarktpolitik.
(Beifall bei der SPD – Sebastian Blumenthal [FDP]: Sie sind die Zumutung! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Nicht sonderlich originell!)
An dieser Stelle sollten Sie sich regierungsfähig zeigen, sich vertragstreu verhalten und nicht zu Verunsicherung beitragen. Wir dürfen nicht zulassen, dass durch die Nervosität der FDP diese wichtige Reform, die im Interesse von langzeitarbeitslosen Menschen in Deutschland ist, erneut gefährdet wird oder dadurch sogar scheitert. Im Interesse der Stabilität vor Ort, aufgrund der Zeit, die uns bei der Umsetzung dieser Reform wegläuft, sage ich: Machen Sie Ihre Hausaufgaben, halten Sie sich an Vereinbarungen, und wir werden es schaffen, die Organisationsreform, die zumindest wir immer wollten, auch tatsächlich umzusetzen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD)