Rede von Hubertus Heil zum Bundeshaushalt Wirtschaft und Technologie


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Jetzt hat der Kollege Hubertus Heil das Wort für die SPD-Fraktion.

 (Beifall bei der SPD – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Jetzt droht Unheil!)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Brüderle, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Angesichts dessen, was in der Weltwirtschaft passiert und was die Sachverständigen für dieses Jahr für unsere Volkswirtschaft prognostizieren, war das, was Sie vorgetragen haben, gelinde gesagt, etwas unterkomplex. Wir haben zum Beispiel nichts darüber gehört, wie es nach dem dramatischen Einbruch der Wirtschaft des letzten Jahres um minus 5 Prozent, der in Deutschland dank der aktiven Politik von Peer Steinbrück und Olaf Scholz glücklicherweise nicht die befürchteten Folgen gehabt hat, in diesem Jahr weitergeht.

(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Abwrackprämie!)

– Ja, auch die Abwrackprämie. Danke für den Hinweis. Diese haben wir mit der Union gemeinsam beschlossen. Das hat in meiner Heimatregion und in vielen Regionen Deutschlands einen Zusammenbruch der deutschen Automobilwirtschaft verhindert. Darauf sind CDU/CSU und SPD sicherlich gemeinsam stolz. Das muss man aber der FDP noch erklären. Herzlichen Glückwunsch zum neuen Koalitionspartner!

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Der koreanischen!)

– Sie haben offensichtlich keine Ahnung, Herr Lindner. Das zeigt sich auch in der Berliner FDP. Sie sollten sich mehr mit der Automobilwirtschaft in Deutschland befassen, zum Beispiel mit Volkswagen. Das ist kein Automobilkonzern aus Korea; es ist ein deutscher Konzern. Es war richtig, eine Brücke zu bauen, um einen Absturz in diesem Bereich zu verhindern.

(Beifall bei der SPD)

Gleichzeitig stellt sich die Frage, Herr Brüderle, was wir im laufenden Jahr machen. Letztes Jahr sind durch die Maßnahmen der alten Bundesregierung, der Großen Koalition, durch die Konjunkturprogramme und durch die Kurzarbeitsregelungen die Einbrüche in der Exportwirtschaft teilweise von der Binnennachfrage stabilisiert worden.
Die Binnennachfrage und die Kaufkraft in Deutschland sind im letzten Jahr allen Prognosen zum Trotz erstaunlich stabil geblieben. Leider können wir im laufenden Jahr nicht damit rechnen, dass das so weitergeht. Wie wir alle wissen, wird die Arbeitslosigkeit zunehmen. Das wird auch zu einem Rückgang der Kaufkraft führen. Der Exportmotor springt aber nicht in dem Maße an, wie es notwendig wäre, um die Kapazitäten auszulasten. Im Jahreswirtschaftsbericht, der nächste Woche vorgelegt wird, wird ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent prognostiziert. Das klingt zwar grandios, Herr Nüßlein, aber damit werden die bestehenden Kapazitäten in der deutschen Volkswirtschaft nicht ausgelastet. Die Einbrüche im Maschinenbau in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr beispielsweise werden damit nicht aufgefangen.
An dieser Stelle setzt unsere Kritik an. Sie haben keine Wachstumsstrategie, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Ihre Politik ist entweder Klientelpolitik oder Klein-Klein. Sie führt jedenfalls nicht zu neuen Investitionen und damit nicht zu Beschäftigungssicherung und -aufbau. Das ist eines Bundeswirtschaftsministers unwürdig, Herr Brüderle.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie als FDP verwechseln offensichtlich Klientelpolitik mit Wirtschaftskompetenz. Hier ein bisschen was für reiche Erben, da ein bisschen weniger Wettbewerb für Apotheker, dort etwas für die Hoteliers, und dann vertreten Sie noch die Interessen privater Krankenversicherungskonzerne. Das ist keine Wirtschaftspolitik, sondern Klientelpolitik.
Wenn Ihr neuer Generalsekretär unseren demokratischen Rechtsstaat einen Schwächling nennt, dann kann ich Ihnen nur eines ins Stammbuch schreiben: Sie sollten sich einmal mit der verfassungsmäßigen Ordnung dieses Landes beschäftigen. Den sozialen und demokratischen Rechtsstaat zu diffamieren und ihn gleichzeitig zur Beute von Interessengruppen zu machen, wie es durch Ihre Klientelpolitik geschieht, ist nicht in Ordnung. Das werden Sie sich vorhalten lassen müssen.

(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Vier Finger weisen auf Sie selber zurück!)

Das hat aber auch etwas mit dem Umgang mit der öffentlichen Hand zu tun. Wir haben Konjunkturprogramme aufgelegt, um auch kommunale Investitionen auszulösen. Für die Jahre 2009 und 2010 ist das der Fall. Deshalb ist die Entwicklung besser als befürchtet. Der Arbeitsmarkt ist robuster als erwartet. Was aber wird im Jahr 2011, wenn die Konjunkturprogramme auch für die Kommunen auslaufen, aber gleichzeitig Ihre Steuersenkungspolitik und die Steuermindereinnahmen aufgrund der Weltwirtschaftskrise Löcher in die kommunalen Haushalte reißen und damit die Investitionsmöglichkeiten der Kommunen mindern? Es gibt keine Antwort auf diese Frage.
Reden Sie doch einmal mit Ihren Bürgermeistern und Landräten! Die CDU/CSU stellt schließlich eine ganze Reihe davon.

(Widerspruch bei der FDP)

Reden Sie mit ihnen über die Lage der Kommunen und über die Tatsache, dass öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Kinderbetreuung aufgrund der falschen Politik dieser Bundesregierung zurückgehen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Herr Brüderle, Sie haben, wie der Kollege Duin ausgeführt hat, bisher in Ihrer Amtszeit außer einem symbolischen Entflechtungsgesetz, das in der Praxis keine Wirkung entfalten wird, nicht viel zustande gebracht. Das Gesetz ist ein Placebo. Ich muss darauf hinweisen, dass eine ähnliche Regelung in der amerikanischen Kartellrechtspraxis keine zentrale Rolle gespielt hat. Wir werden uns das anschauen. Aber das wird Sie nicht davon befreien, Vorschläge für eine Wachstumsstrategie zu machen. Wie wollen Sie private und öffentliche Investitionen in Deutschland auslösen? Das ist die entscheidende Frage. Was tun Sie konkret für kleine und mittlere Unternehmen? Von Herrn Pfeiffer von der CDU/CSU habe ich vorhin gehört, dass Sie steuerliche Forschungsförderung zugunsten von Unternehmen betreiben wollen, Stichwort „tax credits“. Das ist keine schlechte Idee. Dagegen sind wir nicht. Aber ich rate Ihnen, ein Konzept vorzulegen, das gezielt kleinen und mittleren Unternehmen das ermöglicht und nicht Mitnahmeeffekte zugunsten der Großindustrie hervorruft. Das ist der Unterschied: Sie haben nur heiße Luft und kein Konzept.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wie wäre es, angesichts der Unterauslastung im Maschinenbau dafür zu sorgen, dass andere Bereiche des produzierenden Gewerbes ihren Maschinenpark in Deutschland ökologisch erneuern, dass sie sich moderne deutsche Maschinen kaufen, weil die Exportnachfrage nicht ausreicht? Wie wäre es beispielsweise mit Investitionsanreizen in diesem Bereich? Wir könnten im Bereich des Maschinenparks Instrumente wie eine degressive AfA oder eine Art Investitionsprämie einsetzen. Das sind intelligente Instrumente, um Beschäftigung in Deutschland zu sichern. Aber aus dem Hause Brüderle kommt nichts. Das ist eines Bundeswirtschaftsministers unwürdig.
Auch im Bereich der Dienstleistungspolitik gibt es keine Ideen von Ihrer Seite, obwohl wir in diesem Land riesige Potenziale an modernen Dienstleistungen für Menschen von Menschen haben. In der Gesundheitswirtschaft und im Pflegebereich, der angesichts einer älter werdenden Gesellschaft immer wichtiger wird, haben Sie keinen Ansatz. Im Bereich der ökologischen Industriepolitik, eines der wichtigsten Märkte von morgen, auf denen wir nur mit den besten Produkten und Dienstleistungen und nicht mit den niedrigsten Löhnen erfolgreich sein werden, gibt es keine Initiativen und keine Ideen, sondern nur ein paar Broschüren. Für den Bereich der Kreativwirtschaft haben Sie jetzt einen Arbeitskreis gegründet. Herzlichen Glückwunsch! Aber keine Vorschläge, keine Konzepte! Das ist Politik à la Brüderle: unterkomplex, unzulänglich und des größten Industriestandortes in Europa nicht würdig. Das werden wir deutlich machen.

(Beifall bei der SPD)

CDU/CSU und SPD haben gemeinsam in den schwierigen Zeiten einer Weltwirtschaftskrise richtig reagiert. Zu einer Zeit, als Herr Brüderle als Oppositionspolitiker Konjunkturpolitik reif für die Mottenkiste hielt, haben wir unkonventionell und gezielt geantwortet. Wir hatten Glück, dass die meisten Staaten und Zentralbanken auf der Welt im Gegensatz zu 1929/30 nicht restriktiv reagiert, sondern auch Konjunkturprogramme aufgelegt haben. Das ist in einer vernetzten Weltwirtschaft das A und O. Wenn Sie, Herr Brüderle, schon jetzt über eine Exit-Strategie reden, dann ist es umso notwendiger, dass Sie sich in Europa koordinieren. Dass Sie den Vorschlag des neuen EU-Ratspräsident Zapatero zur Koordinierung in Bausch und Bogen ablehnen und einfach vom Tisch wischen, zeigt, wie begrenzt Ihr wirtschaftspolitischer Horizont ist. Man darf nicht mehr an nationalen Grenzen haltmachen. Wir brauchen eine europäische Diskussion.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ja, es muss an der richtigen Stelle über eine Exit-Strategie gesprochen werden. Aber es geht um das Timing, das Wann und Wie, und um Koordinierung. Einfach zu beschließen, dass die Krise ab 1. Januar 2011 vorbei ist und dass man dann alles zurückfahren kann, hat mit den wirtschaftlichen Realitäten und Entwicklungen nichts zu tun. Herr Brüderle, dazu haben wir von Ihnen bisher wenig gehört.
Wirtschaftspolitik in diesem Land ist mit der Steuer- und Finanzpolitik, aber auch stark mit der Arbeitsmarkt- und der Bildungspolitik verbunden. Wenn es gelingt, die Grundlagen dieses Landes wieder zu stärken, die uns auf dieser Welt erfolgreich gemacht haben, nämlich Investitionen in Bildung und Forschung zu tätigen und im wissenschaftlichen Bereich dafür zu sorgen, dass die besten Produkte und Verfahren in diesem Land nicht nur erdacht, sondern auch produziert und angewendet werden können, wenn wir die Infrastruktur in diesem Land erneuern und wenn wir in dieser Gesellschaft soziale Balance halten, haben wir Chancen, unseren Wohlstand zu halten. Aber dazu bedarf es einer aktiven Politik. Das heißt nicht, dass sich der Staat zurückhalten darf. Der Staat kann sicherlich nicht alles machen. Wir sind keine Etatisten. Wir sind für den Marktmechanismus. Aber der Markt braucht einen klaren Ordnungsrahmen und eine aktive Politik, die Impulse setzt. Das haben viele in der FDP nicht begriffen. Die Bedrohung für die offene Gesellschaft und eine erfolgreiche Marktwirtschaft geht im Moment nicht vom Sozialstaat in Deutschland aus, sondern eher von Entwicklungen in staatskapitalistischen Ländern in anderen Regionen dieser Welt, mit denen wir in Konkurrenz stehen. Amerika wird nicht mehr wie vor der Krise das Zentrum sein. Es kommen neue, aufstrebende Staaten hinzu, mit denen wir konkurrieren. Wenn Deutschland ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat bleiben soll, brauchen wir eine aktive Wirtschaftspolitik und nicht nur alte Parolen aus FDP-Programmen.
Herr Brüderle, Max Weber, der große Nationalökonom und vor allen Dingen, wenn man so will, Erfinder der Politikwissenschaften, hat einmal einen Maßstab für gute Politik definiert. Er hat gesagt, Politik brauche drei gute Eigenschaften: Verantwortung, Leidenschaft und Augenmaß. Die unverantwortliche Klientelpolitik der FDP – bei Ihnen läuft im Moment wirklich alles wie geschmiert –

(Zuruf von der CDU/CSU: Oppositionsgerede!)

zugunsten weniger und zulasten vieler zeigt, wie verantwortungslos Sie mit der Wirtschaftspolitik in diesem Lande umgehen.

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Euer Problem ist, dass Ihr gar keine Klientel mehr habt!)

– Ich weiß gar nicht, wie Sie heißen, Herr Schreihals.

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Lindner!)

Wer so dreist Klientelpolitik macht wie Sie, beschädigt leider nicht nur die FDP, sondern das Ansehen demokratischer Institutionen dieses Land. Herr Lindner, Sie sind hier in Berlin schon als Intrigant verschrien. Sie sollten sich schämen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ihr schrumpft trotzdem!)

Leidenschaft habe ich bei der Rede von Herrn Brüderle eben auch nicht gespürt; ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber man braucht auch eine leidenschaftliche Überzeugung für eine neue Ordnungspolitik. Damit haben Sie nicht viel am Hut. Außerdem kann ich beim Handeln dieser Regierung in der Haushaltspolitik auch kein Augenmaß erkennen. Herr Brüderle, wir hatten in diesem Land große Wirtschaftsminister, zum Beispiel Ludwig Erhard, Karl Schiller und – auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren – Otto Graf Lambsdorff.

(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Den Ludwig Erhard habt ihr immer gut unterstützt!)

Es ist ein Trauerspiel, dass Sie als Nachfolger dieser großen Männer keine Wirtschaftspolitik zustande bringen, die auf der Höhe der Zeit ist. Deswegen werden Sie eine harte Opposition erfahren, und die brauchen Sie auch.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ein würdiger Nachfolger!)