Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Christian Lindner das Wort.
Christian Lindner (FDP):
Herr Kollege Heil, Ihre heutigen Einlassungen hätten an vielen Stellen eines Kommentars bedurft. Ich will aber, weil Sie mich persönlich angesprochen haben, nur auf einen Aspekt eingehen. Einige Vertreter der Sozialdemokratie sind erzürnt über meinen Ausdruck des teuren Schwächlings.
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Zu Recht!)
Niemand kann doch bestreiten, dass wir gegenwärtig einen immens hohen Anteil von Staatsausgaben an unserer gesamten Wirtschaftstätigkeit haben. Aber können wir denn zufrieden sein, etwa mit der Handlungsfähigkeit des Staates im Bildungssektor? Brauchen wir da nicht noch sehr viel mehr Handlungsfähigkeit des Staates?
Sie unterliegen einem Irrtum. Das Gegenteil des teuren Schwächlings ist, anders, als Sie es uns unterstellen, nicht der Minimalstaat. Das Gegenteil des teuren Schwächlings ist der effiziente, handlungsfähige und starke Staat. Er ist stark als Regulierer und Garant sozialer Chancen, aber er ist kein unfairer Mitspieler in Markt und Gesellschaft.
(Beifall bei der FDP)
Sie selbst, Herr Heil, haben, als Lord Dahrendorf verstorben ist, einen großen Nachruf veröffentlicht.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja!)
Deshalb will ich Ihnen auch mit Dahrendorf antworten. In seiner großen Schrift „Die Chancen der Krise“ von 1983 hat Dahrendorf gefragt: Was, wenn sich der wohlwollende Staat irgendwann als teurer Versager herausstellt? – Im gleichen Buch hat Dahrendorf, auf den Sie sich gern berufen, das Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts prognostiziert.
(Zuruf von der SPD: Aber unrecht gehabt!)
Offensichtlich hatte er mit beiden Prognosen recht.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Heil bitte zur Antwort.
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Ich freue mich, dass ich zumindest auf einen angestrengt intelligenten Lindner antworten darf und nicht auf den anderen antworten muss. Wenn wir das umkehren, heißt das also, dass Sie keinen teuren Schwächling, sondern einen billigen Autoritären wollen. In dieser Diskussion wird deutlich, dass Sie uns unterstellen, es ginge uns nicht darum, den Staat effektiv zu machen. Das ist eine Banalität. Es ist die Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass der Staat den Menschen nicht vor der Nase sitzt, sondern an ihrer Seite ist. Das ist unsere Aufgabe.
Aber mit einer pauschalen Diffamierung unseres demokratischen und sozialen Rechtsstaats in dieser Zeit
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das macht er doch gar nicht!)
werden Sie Ihrer Aufgabe nicht gerecht. Wie war das denn im letzten und vorletzten Jahr, als ungezügelte Finanzmärkte unseren Wohlstand und unsere Arbeitsplätze gefährdet haben? Es war der von Ihnen als teurer Schwächling bezeichnete Staat, der intervenieren musste, erfolgreich interveniert hat und so die Menschen geschützt hat. Sie unterliegen einem Irrtum. Sie sind heute keine Liberalen mehr, sondern in Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik Nachfolger der Neokonservativen. Sie haben nicht begriffen, was große liberale Denker als positive und negative Freiheit beschrieben haben.
Ja, es ist richtig: Es muss eine Freiheit des Bürgers, der Menschen, auch der Unternehmer vor staatlicher Unterdrückung, vor Willkür und vor Bürokratie geben. Es gibt eine negative Freiheit des Menschen vor dem Staat. Dafür zu sorgen, ist eine Aufgabe, die wir gemeinsam zu erfüllen haben. Ich denke dabei gerade an das, worüber im Bereich der inneren Sicherheit diskutiert wird. Aber es gibt auch eine positive Freiheit: die sozialen Voraussetzungen, um Freiheit leben zu können – der Staat muss diese Voraussetzungen schaffen –, und die öffentlichen Güter, die wir gewähren müssen, damit Menschen selbstbestimmt leben können. Das ist unsere Vorstellung von vorsorgender Sozialstaatlichkeit.
Was Sie in der Praxis tun, ist, den Staat handlungsunfähig zu machen, ihn krankenhausreif zu reden, um sich hinterher als Sanitäter anzubieten. Das ist nichts anderes als das, was Ronald Reagan Anfang der 1980er-Jahre gemacht hat: Steuersenkungen für Reiche, hinterher keine erfolgreiche Konsolidierung und damit den Sozialstaat rasieren. Das ist Ihr Konzept, das ist Ihre Ideologie. Das hat mit sozialem Liberalismus à la Dahrendorf überhaupt nichts mehr zu tun, Herr Lindner. Sie sollten sich nicht in diese Tradition stellen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Also, einen intelligenten Heil gibt es jedenfalls nicht bei der SPD!)