Rede von Hubertus Heil zum Bundeshaushalt Arbeit und Soziales


Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, das war Ihre erste Rede als Arbeitsministerin. Sie haben zum Schluss gesagt, Sie seien am Ende oder Ihre Zeit sei abgelaufen. Ich wünsche Ihnen – das will ich sagen – viel Lebenszeit und von Herzen Erfolg in Ihrem Job. Es ist nicht unsere Aufgabe, Ihnen jeden Tag die Daumen zu drücken, dass Sie politisch strahlen; aber im Interesse der arbeitslosen Menschen in diesem Land wünschen wir Ihnen durchaus alles Gute für Ihre Amtsführung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dass unser Arbeitsmarkt in dieser Krise robuster dasteht – dies ist zu Recht beschrieben worden –, hat Ursachen: Eine rot-grüne Bundesregierung hat Strukturreformen durchgeführt, die geholfen haben, die Dauer des Verweilens in Langzeitarbeitslosigkeit zu verkürzen. Vor allen Dingen aber hat es mit beherztem Arbeiten und Handeln sozialdemokratischer Minister in der Großen Koalition zu tun. Deshalb ist es richtig, dass Sie Olaf Scholz erwähnt haben, der Änderungen an den Regeln für Kurzarbeit durchgesetzt hat – mit dem Effekt, dass in Deutschland im letzten Jahr der Arbeitsmarkt stabil geblieben ist, aber auch mit dem Effekt, dass die Binnennachfrage erstaunlich robust geblieben ist in einer ganz schwierigen Zeit. Umso weniger, Frau von der Leyen, verstehe ich, dass die neue Bundesregierung die Regelungen für Kurzarbeit verschlechtert und Kurzarbeit unattraktiver gemacht hat.

(Beifall bei der SPD)

Verbessern Sie sie stattdessen! Wir wissen nämlich, dass in diesem Jahr, 2010 – und deshalb gibt es keinen Grund zur Entwarnung –, die Krise nicht überstanden ist. Die Kapazitäten der deutschen Wirtschaft sind auch bei einem Wachstum von 1,5 Prozent bei weitem nicht ausgelastet. Wir werden erleben, dass die Arbeitslosigkeit steigt und die Binnennachfrage zurückgeht. Deshalb ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass für die Arbeitgeber wie für die betroffenen Arbeitnehmer Kurzarbeit attraktiv bleibt.
Wir schlagen vor, die Dauer der Kurzarbeit – wie es früher möglich war – zu verlängern, sie nicht zu begrenzen. Die Bundesagentur für Arbeit soll auch über 2011 hinaus die sogenannten Remanenzkosten, das heißt die Lohnnebenkosten, übernehmen. Auch die Weiterbildung muss stärker gefördert werden. Tragen Sie das mit, Frau von der Leyen – im Interesse der arbeitslosen Menschen in diesem Land!

(Beifall bei der SPD)

Ich kann überhaupt nicht verstehen – Sie sind mit warmen Worten darüber hinweggegangen –, warum Sie in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit steigen wird, in diesem Jahr, in Kauf nehmen, die Jobcenter in Deutschland zu zerschlagen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hilfe aus einer Hand und nicht nur unter einem Dach ist notwendig, wenn man arbeitslosen Menschen, zumal langzeitarbeitslosen, effektiv helfen will. Ich kann Ihre Argumentation nicht nachvollziehen, Frau von der Leyen. Ich habe den leisen Verdacht, dass Sie es eigentlich genau wie wir sehen, aber Probleme haben, es Ihrem eigenen Laden zu verklickern. Da sage ich Ihnen als neuer Ministerin: Zeigen Sie mehr Kreuz und mehr Mut! Aber auch Rückendeckung von der Kanzlerin täte gut.
Darauf kann man sich allerdings nicht verlassen; das hat Olaf Scholz erleben müssen, als er im letzten Jahr zusammen mit den 16 Ministerpräsidenten einen Kompromiss für die Fortführung der Jobcenter geschaffen hat, der tragfähig ist, der pragmatisch ist, der Hilfe aus einer Hand ermöglicht, der Argen als Zentren für Grundsicherung und Arbeit erhält und der auch den Optierern die Sicherheit gibt, die sie brauchen. Frau Merkel hat ihn im Regen stehen lassen, weil einige Ideologen aus ihrer Fraktion, namentlich Herr Röttgen und Herr Kauder, und einige Rechtspolitiker ihrer Fraktion Sand ins Getriebe gestreut haben. Das ist inakzeptabel. Ich wünsche Ihnen mehr Pragmatismus, und zwar, wie ich schon letztes Mal gesagt habe, im Sinne von Karl Popper – pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken – und weniger Volker Kauder.

(Beifall bei der SPD)

Wollen Sie denn, dass in diesen Zeiten mit den Arbeitslosen wieder Pingpong gespielt wird zwischen kommunaler Verwaltung und Arbeitsagentur, wie es früher üblich war? Wollen Sie eine doppelte Bürokratie und doppelte Bescheide? Wollen Sie Rechtsunsicherheit? Denn all das, was Sie jetzt in die Diskussion bringen, hält verfassungsrechtlich nicht stand. Allein die Entfristung der Optierer ist ohne Verfassungsänderung nicht zu machen, sagen führende Experten, sagen die kommunalen Spitzenverbände, der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der Deutsche Landkreistag – von dem Sie ja vor einigen Tagen entsprechend Nachricht bekommen haben –, aber auch der Deutsche Städtetag. Auch die Chefs und die Praktiker vor Ort in den Arbeitsagenturen bitten Sie, die erfolgreiche Einrichtung Jobcenter nicht zu zerschlagen und damit zurück zu einem Zustand zu gehen, als Bürokratie und Pingpong mit Langzeitarbeitslosen angesagt waren. Kehren Sie um, Frau von der Leyen! Das ist unsere Nachricht. Wir sind bereit, daran mitzuwirken.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann Ihnen ein Weiteres nicht ersparen. Sie haben in Ihrer Rede – das hat Gründe, die mit Ihrem Koalitionspartner zu tun haben – über ein Thema weidlich geschwiegen, nämlich über die Tatsache, dass wir in diesem Land immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse haben. Der Deutsche Bundestag ist dringend aufgerufen, zu tun, was in seinen Möglichkeiten als Gesetzgeber steht, um dafür zu sorgen, dass Menschen in Arbeit kommen, und zwar in ordentliche, in gute Arbeit, in Arbeit, von der sie leben können.
Frau Homburger hat gestern als Motto ausgegeben: Sozial ist, was Arbeit schafft. Nach dieser Philosophie wäre auch Sklavenarbeit sozial. Wir sagen: Sozial ist Arbeit, von der Menschen auch leben können, nämlich gute Arbeit. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Jörg van Essen [FDP]: Ich würde mich doch schämen, wenn ich so etwas vortragen würde!)

Was hat es übrigens mit Ordnungspolitik zu tun, wenn Herr Rüttgers und diese Koalition einfach nur Zuverdienstmöglichkeiten erweitern wollen und damit einen dauerhaft subventionierten Niedriglohnsektor auf Kosten der Steuerzahler etablieren? Führen Sie endlich Mindestlöhne in weiteren Branchen ein, und sorgen Sie auch für einen gesetzlichen Mindestlohn, damit Menschen von ihrer Arbeit leben können!

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Frau von der Leyen, ich habe mich schon ein bisschen gewundert, dass Ihnen das Thema „Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit“ erst beim Problem Schlecker zum ersten Mal begegnet zu sein scheint. Tatsache ist, dass es nicht nur Schlecker betrifft. Das ist in vielen Bereichen das Problem. Es war richtig – damals haben es Politik und Gewerkschaften übrigens gemeinsam gemacht –, Zeit- und Leiharbeit aus der Schmuddelecke geholt zu haben. Wir haben damals den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Stamm- und Leihbelegschaften“ in das Gesetz geschrieben. Aber wir haben alle miteinander den Fehler gemacht, eine Öffnungsklausel zu schaffen, die besagt, dass Tarifverträge davon abweichen könnten. Dies taten wir in der Hoffnung, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber stark genug sind, vernünftig damit umzugehen. Dann allerdings ist über Scheintarifverträge und Scheingewerkschaften, auch wenn sie sich christlich nennen und durch CSU-Abgeordnete in diesem Haus präsent sind, diese Klausel benutzt worden, um Lohndumping und dem Auflösen der Stammbelegschaften in Richtung Leihbelegschaften Vorschub zu leisten. Dem müssen wir einen Riegel vorschieben, meine Damen und Herren, und dazu habe ich von Ihnen nichts gehört.

(Beifall bei der SPD)

Da reicht es nicht, Frau Ministerin, wenn Sie in Interviews die Folgen beklagen, selbst aber nichts tun. Es reicht auch nicht, wenn Herr Rüttgers darüber schwadroniert, nur weil am 9. Mai Landtagswahlen stattfinden werden. Wir werden Ihnen im Februar in diesem Haus einen Gesetzentwurf mit drei konkreten Maßnahmen und Vorschlägen vorlegen, und wir werden jeden Einzelnen von Ihnen in namentlicher Abstimmung befragen, wie Sie es damit halten. Erstens. Sind Sie bereit – das ist notwendig –, die Rechte der Betriebsräte zu stärken, was den Einsatz von Zeit- und Leiharbeit betrifft? Zweitens. Sie haben vorhin davon gesprochen, Gewerkschaften und Arbeitgeber sollten Mindestlöhne tarifvertraglich festschreiben. D’accord, wo sie es können, aber es gibt ja bei der Zeit- und Leiharbeit einen Tarifvertrag. Warum sorgen Sie nicht für einen Mindestlohn im Bereich der Zeit- und Leiharbeitsbranche? Drittens. Die wichtigste Frage ist: Warum wehren Sie sich dagegen, den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Stamm- und Leihbelegschaften“ durchzusetzen? Ich verstehe es nicht; denn dies ist das wirksamste Instrument gegen den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit. An diesem Punkt können Sie mithelfen.

(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie selbst haben Abweichungen davon zugelassen! Sie waren es!)

– Herr Kolb, wenn Sie ein ähnliches Hörvermögen wie Schreivermögen hätten, hätten Sie eben vernommen – Sie können es im Protokoll nachlesen –, was der Hintergrund dieser Geschichte ist. Die Frage ist, wie wir jetzt damit umgehen und was Sie tun.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Elf Jahre hatten Sie Zeit!)

Frau von der Leyen, Arbeitsmarktpolitik ist das eine, Wirtschaftspolitik ist das andere. Wir werden nachher mit Herrn Brüderle noch darüber diskutieren. Unser zentraler Vorwurf ist nicht, dass wir im Hinblick darauf, dass es in der Analyse des letzten Jahres und auch des Beginns dieses Jahres noch ganz gut aussieht, einer Meinung sind. Das haben wir in der Großen Koalition gemeinsam gemacht, Frau Bundeskanzlerin. Unser Vorwurf ist, dass Sie diesen Pfad verlassen, dass Sie kein Konzept und keine Wachstumsstrategie, aber auch keine kohärente Vorstellung im Bereich der Arbeitsmarktpolitik haben. Wer in Zeiten, in denen Langzeitarbeitslosigkeit wächst, Jobcenter zerschlagen will – ich sage es noch einmal –, der ist wirklich mit dem Klammerbeutel gepudert.
Dann gibt es noch etwas, was uns auch noch nicht so klar ist und was mit der Haushaltspolitik im unmittelbaren Sinne zu tun hat: Können Sie uns wirklich versichern, dass Sie den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung dauerhaft, das heißt über die ganze Legislaturperiode, stabil halten? Ich habe gestern eine Zwischenfrage an Herrn Friedrich gestellt, der locker sagte: Natürlich, dagegen werden wir uns stemmen, das soll nicht über 3 Prozent steigen. – Aber mir fehlt eine klare Aussage in Ihrer Rede, Frau Ministerin. Was wird sich eigentlich nach dem 1. Januar 2011 im Bereich der Arbeitslosenversicherung entwickeln? Der Beitrag wird auf 3 Prozent steigen. Aber wir dürfen nicht ins Unendliche gehen. Ich warne Sie davor, die aktive Arbeitsmarktpolitik oder den Arbeitslosenversicherungsbeitrag als Steinbruch zu nehmen, um Ihre Steuergeschenke für Wohlhabende und Ihre Klientelgruppen zu finanzieren. Das darf nicht sein.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Heil, Sie müssen auch gelegentlich auf die Endlichkeit Ihrer Redezeit achten.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Ich komme zum Schluss. – Es ginge zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, was die Umverteilungswirkung betrifft. Aber es ginge vor allen Dingen zulasten von ordentlicher Arbeit.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ordentliche Arbeit müssen Sie erst mal machen!)

Das dürfen Sie nicht zulassen. Dazu muss endlich ein klares Wort gesagt werden. Kehren Sie um, Frau von der Leyen!
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)