Rede von Hubertus Heil zur Grundsicherung für Arbeitssuchende


Vizepräsidentin Petra Pau:
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wo sind die alle? Eigentlich ist es ja ein interessantes Thema für die SPD! – Gegenruf der Abg. Ute Kumpf [SPD]: Wir verstecken uns! Sind Sie nicht so ausfällig, Herr Kolb!)

– Ach, das ist billig, Herr Kolb.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wo ist die SPD? Mit Ihnen sind es drei Abgeordnete, Herr Heil!)

– Herr Kolb, wenn Sie sonst nichts zu lachen haben in Ihrer Koalition, ist das vielleicht ein ganz guter Anlass.
Es geht hier heute um ein ernsthaftes Thema. Es geht – Frau Ministerin von der Leyen, ich freue mich, dass zumindest Sie auf der Regierungsbank sind – um die Frage, wie wir in einem Jahr, 2010/2011, in dem die Massenarbeitslosigkeit droht zu steigen, in dem viele Menschen nicht mehr Arbeitslosengeld I, sondern Ar-beitslosengeld II beziehen, mit der Arbeitsverwaltung, der Arbeitsvermittlung in diesem Lande umgehen. Frau von der Leyen, in diesem Zusammenhang ist mir angesichts Ihres Auftrittes vor der Presse am Montag nach der ASMK, nach der Arbeits- und Sozialministerkonferenz, das schöne alte Lied von Herbert Grönemeyer und den Fantastischen Vier eingefallen, in dem es heißt: Es könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht.
Worum geht es? Es geht darum, dass wir Ihnen heute einen Gesetzentwurf vorschlagen, durch den erreicht werden soll, dass es in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit nicht zu einem Chaos in der Arbeitsmarktpolitik zulasten von Langzeitarbeitslosen kommt.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da liegt doch schon Staub drauf!)

Deshalb bitte ich darum, dass Sie einmal mit Ihren Landräten reden,

(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Reden Sie mal mit Ihren!)

mit den Jobcentern, mit Ihren Arbeitsministern und sich ein altes Motto von Sir Karl Popper zu Gemüte führen, nämlich dass gute Politik nichts anderes ist als pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken.
Wir präsentieren Ihnen heute einen Gesetzentwurf, der schon einmal Konsens war zwischen der damaligen Bundesregierung und allen Bundesländern. Er hat das Ziel, die Verfassung zu ändern, um Zentren für Arbeit und Grundsicherung zu schaffen. Wir wollen nicht zulassen, dass in diesen Zeiten mit Langzeitarbeitslosen Pingpong gespielt wird. Wir wollen und brauchen Hilfe aus einer Hand. Machen Sie den Weg dafür frei!

(Beifall bei der SPD)

Das gilt auch für die Absicherung der 69 Optionskommunen. Wir sind bereit, das Grundgesetz zu ändern, um dies zu ermöglichen. Frau von der Leyen, Sie wissen sehr gut, dass es viele verfassungsrechtliche Bedenken dagegen gibt, die Entfristung in Bezug auf die 69 Optionskommunen untergesetzlich oder gesetzlich zu organisieren und nicht durch eine Grundgesetzänderung. Reden Sie mit dem Deutschen Landkreistag, reden Sie mit den Landräten von SPD und CDU bzw. CSU in Deutschland darüber, welche Zunahme an Bürokratie und Kosten zulasten der Kommunen es geben würde, wenn die getrennte Aufgabenwahrnehmung, die Sie wollen, Wirklichkeit würde. Ihr Vorschlag, nicht mehr Hilfe aus einer Hand, sondern Hilfe unter einem Dach zu organisieren, funktioniert deshalb nicht, weil es in dieses Dach, auch verfassungsrechtlich, reinregnet. Deshalb kann ich nur sagen: Frau von der Leyen, kommen Sie zurück auf einen vernünftigen Weg!

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU])

Wir als SPD-Bundestagsfraktion werden Ihnen, wenn Sie dazu bereit sind, alle Unterstützung geben, weil wir in vielen Kommunen Verantwortung tragen und auch als Oppositionsfraktion Verantwortung für die Menschen in diesem Land, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, spüren.
Unser Vorschlag ist dreistufig. Wir sind bereit, die Zusammenarbeit zwischen Arbeitsverwaltung und Kommunen dadurch verfassungsrechtlich abzusichern, dass wir Zentren für Arbeit und Grundsicherung organisieren. Wir sind bereit, das Optionsmodell verfassungsrechtlich abzusichern. Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Wir sind sogar bereit, mit Ihnen über eine moderate Erhöhung der Zahl der Optionskommunen zu sprechen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das steht aber nicht in Ihrem Gesetzentwurf!)

– Ja. Das ist ein Gesprächsangebot, das Sie bitte zur Kenntnis nehmen.
Ich habe mit einer Reihe von CDU-Landräten gesprochen. Ich kenne den einstimmigen Beschluss des Niedersächsischen Landtages – wir kommen beide aus Nieder-sachsen, Frau von der Leyen –, in dem genau dies gewünscht wird: nämlich dass dafür gesorgt wird, dass es keine getrennte Aufgabenwahrnehmung gibt, sondern eine Zusammenarbeit im Interesse der arbeitslosen Menschen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Verunsicherung der Menschen, die in der Arbeitsvermittlung arbeiten, die Verunsicherung der in den Kommunen Tätigen und vor allen Dingen die Verunsicherung der arbeitslosen Menschen sind eine Katastrophe.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben doch schon zwei Jahre verloren! Das war Ihre Verantwortung!)

– Herr Kolb, danke für Ihren Zwischenruf. Ich sage Ihnen: Wir hatten schon einmal eine Lösung.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Knapp vorbei ist auch daneben!)

Olaf Scholz hat eine Lösung organisiert, die mit allen Ländern besprochen war. Blockiert wurde sie von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Knapp vorbei ist auch daneben! – Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)

Frau von der Leyen, ich wünsche Ihnen für Ihre Arbeit mehr Popper und weniger Kauder. Es geht nämlich um pragmatisches Handeln, nicht um die Ideologie der konservativen Führung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ich erinnere daran, dass Herr Rüttgers und Herr Laumann durch die Arbeit dieser CDU/CSU-Bundestagsfraktion im letzten Jahr geradezu blamiert wurden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es gab einen Konsens, den Herr Rüttgers, Herr Beck und Herr Scholz ausgearbeitet hatten.

(Anton Schaaf [SPD], an die CDU/CSU gewandt: So ist das! Das ist nur an euch gescheitert!)

Wir machen Ihnen diesen Vorschlag in der Hoffnung, dass Sie im Januar nächsten Jahres zu Potte kommen. Ihre Eckpunkte stoßen auf keinerlei Akzeptanz.
Frau von der Leyen, eines kann ich Ihnen nicht ersparen: Nachdem Sie von den Arbeits- und Sozialministern der Länder zweimal eine Klatsche bekommen haben – einmal gab es einen fast einstimmigen Beschluss, mit dem sie sich im Grundsatz dagegen aussprachen; am vergangenen Montag haben sie Anforderungen formuliert, die sich nicht mit Ihren Eckpunkten decken –, stellten Sie sich vor die Presse und sagten: Ich habe mich durchgesetzt. Alles ist in Ordnung. – Hier gilt Helmut Kohls Aussage: Die Realität ist anders als die Wirklichkeit. – Diesen Satz hat der Mann einmal gesagt, und an diesem Punkt können wir diesen Satz beweisen.
Ich bitte Sie ganz herzlich, nicht kleinkariert und parteitaktisch zu denken nach dem Motto: Wir wollen die Sozis nicht einbeziehen. – Wir brauchen eine Lösung, die verfassungsfest ist, die den Lebensrealitäten der Menschen und den Bedürfnissen der Kommunen entspricht. Deshalb legen wir Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, in dem zwei Grundgesetzänderungen vorgesehen sind. Wir wollen die Zentren für Arbeit und Grundsicherung ein für alle Mal absichern, damit nicht am 1. Januar 2011 in Zeiten steigender Massenarbeitslosigkeit Chaos ausbricht.

(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Sie stehen jetzt in der Verantwortung. Seien Sie bei diesem Thema klüger als Herr Jung – er hatte nicht viel Zeit –,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

und gehen Sie einen vernünftigen Weg. Wenn man sich verlaufen hat, ist es keine Schande, dies einzugestehen und umzukehren. Wir laden Sie herzlich dazu ein.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)