Rede von Hubertus Heil zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz


Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Jasper, im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag, verbunden mit allen guten Wünschen für die weitere Arbeit.

(Beifall)

Nun erhält der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle¬gen! Deutschland kommt besser durch die Wirtschafts¬krise als andere Länder in Europa. Das stellt man fest, wenn man die Arbeitsplatzentwicklung bei uns bei¬spielsweise mit der Situation in Spanien vergleicht. Das ist nicht vom Himmel gefallen, sondern hat etwas mit der aktiven Wirtschafts- und Konjunkturpolitik der Gro-ßen Koalition zu tun. Das erste Konjunkturpaket, das zweite Konjunkturpaket, das kommunale Investitions¬programm, die Regeln zur Kurzarbeit – all das trägt dazu bei, dass Deutschland bisher besser durch diese Wirt¬schaftskrise kommt. Auf diese Politik der Großen Koali¬tion, die die sozialdemokratische Handschrift beschreibt, sind wir nach wie vor stolz.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, sehr geehrter Herr Schäuble, was wäre denn in der jetzi¬gen Phase, wo wir doch wissen, dass im kommenden Jahr das dicke Ende auf dem Arbeitsmarkt noch auf uns zukommt, notwendig, um die Wirtschaft zu stabilisieren und Wachstumsimpulse zu setzen? Notwendig wäre eine Politik, die wirklich das einlöst, was in Ihrem Koali¬tionsvertrag vollmundig angekündigt wird, nämlich da¬für zu sorgen, dass Deutschland gestärkt aus dieser Krise kommt.
Schauen wir uns das Wachstumsbeschleunigungsge¬setz einmal genauer an. Es ist schon oft darauf hingewie¬sen worden – das hat auch mein Fraktionsvorsitzender gesagt –, dass es eine Orwell’sche Sprachumkehrung in Anlehnung an sein Werk 1984 ist. Im Titel dieses Geset¬zes wird nämlich genau das Gegenteil von dem ausge¬drückt, was die Folgen dieses Gesetzes sind. Wir haben zwei andere Begriffe dafür: Dieses Gesetz ist ein Klien-telinteressenbedienungsgesetz und vor allen Dingen ein Investitionsverhinderungsgesetz. Wir können Ihnen das nachweisen.

(Beifall bei der SPD)

In diesem Gesetz gibt es nicht eine einzige Maß-nahme, die mithilft, private und öffentliche Investitio¬nen auszulösen. Aber in diesem Gesetz gibt es eine Fülle von Maßnahmen, die dazu führen werden, dass öffentli¬che Investitionen zusammenbrechen. Wir, CDU/CSU und SPD gemeinsam, haben ein kommunales Konjunk-turprogramm gemacht. Wir haben viel Geld in die Hand genommen, um die öffentliche Infrastruktur zu verbes¬sern, die Sanierung öffentlicher Gebäude voranzubrin¬gen, den Bau von Ganztagsschulen voranzubringen und den Krippenausbau zu befördern. Nachdem die damalige Koalition das alles beschlossen hatte, reichen sich einige Monate später CDU/CSU und FDP die Hand, um den Kommunen die Investitionskraft für die Zukunft wegzu¬schlagen. Das ist kommunalfeindlich und wirtschaftlich schädlich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Unsinn!)

Heute Morgen habe ich ein Interview mit Herrn Koppelin gehört, der sinngemäß sagte, dass er im Bun¬destag zustimmen werde, dass er als Landesvorsitzender der FDP in Schleswig-Holstein aber Verständnis dafür habe, dass Schleswig-Holstein erst einmal dagegen ist, weil der Bund dem Land ja das Geld wegnehme. Recht hat er in diesem Punkt. Aber die Konsequenz ist ein Basarhandel: bei KdU oder – das ist noch schlimmer – beim Erfordernis der Zusätzlichkeit der Investitionen im Rahmen des Konjunkturprogrammes. Das ist nicht nur grotesk, sondern nimmt vor allen Dingen den Konjunk-turmaßnahmen die wirtschaftliche Kraft. Wenn Sie den Kommunen als Ausgleich erlauben wollen, dass sie ge¬plante Investitionen aus dem Konjunkturprogramm finanzieren können, dann nehmen Sie unseren Konjunk¬turmaßnahmen die zusätzliche Wirkung. Auch das be¬schädigt das Wachstum in Deutschland.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Wissing, was Sie zum Thema – wie sa¬gen Sie doch so schön? – Beherbergungsgewerbe – ich sage: Hotels – aufführen, ist auch vielen in der Koalition recht peinlich. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man mit einzelnen Kollegen redet und wenn man sich Äuße¬rungen von Herrn Kolbe von der CDU/CSU-Fraktion anhört, der nach der Sachverständigenanhörung gesagt hat: Eigentlich können wir das nur noch wegnehmen. – Recht hat dieser Mann. Da Sie in der Vergangenheit von Holzweg und Irrweg sowie von Umkehr gesprochen ha¬ben, frage ich Sie, ob Sie sich jetzt, da Sie sich so ver¬rannt haben, nicht an die eigene Nase fassen und diesen Beurteilungsmaßstab auch an Ihre Politik anlegen soll¬ten.
Herr Minister Schäuble, neben Ihnen sitzt der Erfin¬der dieses Unsinns, nämlich Herr Burgbacher.

(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Das ist ein guter Mann!)

Sie hatten tatsächlich eine Diskussion darüber, ob es ver¬nünftig ist, auch für den Bereich der Gastronomie eine entsprechende Regelung zu treffen. Man kann grund¬sätzlich darüber streiten, ob es eine gute Idee ist, ein¬zelne Branchen mit einem ermäßigten Mehrwertsteuer¬satz zu unterstützen. Herr Wissing, wenn Sie in dieser Angelegenheit Kritik an Frankreich richten, dann sollten Sie sich an Frau Merkel wenden. Sie hat das nämlich da¬mals mit Herrn Sarkozy besprochen, wenn Sie sich recht entsinnen.

(Beifall bei der SPD)

Aber geschenkt! Das ist jetzt Ihre Partnerin.
Man kann über den Bereich der Gastronomie und über die Verhältnisse in grenznahen Bereichen durchaus diskutieren. Aber ausgerechnet bei den Hotels zu dieser Regelung zu kommen, ist nicht zu verstehen. Wenn der Normenkontrollrat, auf den Sie sonst immer so viel Wert gelegt haben, Ihnen bescheinigt, was für ein Blödsinn das ist und dass damit nicht nur 1 Milliarde Euro, son¬dern 1,3 Milliarden Euro an Steuerausfällen produziert werden, dann kann ich Ihnen nur sagen: Das ist ein Bü¬rokratieaufbaugesetz, das ist ein Klientelinteressen¬bedienungsgesetz. Das nutzt den Menschen nicht. Sie fördern damit auch keine Familien, indem Sie sie auffor¬dern, in Hotels zu übernachten; denn die Preise werden in diesem Bereich nicht sinken. Das ist blanker Unsinn und Schwachsinn. Der Appell ist: Hören Sie damit auf!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Herr Wissing, mit welcher Begründung werden Sie eine ähnliche Regelung anderen Gruppen zukünftig vor¬enthalten können, zum Beispiel der Gastronomie?
Am Ende des Tages wird dadurch das ausgelöst, was wir nicht brauchen: Bund, Länder und Kommunen ver¬lieren die Fähigkeit, in die Zukunft, vor allen Dingen in die Bildung, zu investieren. Das ist ein Verbrechen an der Zukunftsfähigkeit dieses Landes. Wenn man der öffentlichen Hand die Möglichkeiten nimmt, in Bildung und Integration zu investieren, dann ist das nicht nur so¬zial ungerecht, sondern es wird auch wirtschaftlich zu einem Problem für dieses Land. Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Nicht jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Das macht der Fehlstart dieser Koalition deut¬lich. Der Gesetzentwurf, den Sie hier vorlegen, ist die Krönung dieses Fehlstarts.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege.

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Sie werden auf diese Art und Weise scheitern. Die Menschen spüren das.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)