Rede von Hubertus Heil zum Altersteilzeitgesetz


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Hubertus Heil von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe Verständnis dafür, dass dies für den Bundesminister für Arbeit und Soziales aufgrund der Debatte, die wir eben geführt haben, und der Berichterstattungen kein einfa¬cher Tag ist. Mich hat eben eine Nachricht erreicht, die auf die Situation, in der sich der Minister in seinem neuen Amt befindet, ein bezeichnendes Licht wirft. Ich habe gerade gehört, dass auf der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister der Bundesländer, nachdem gestern Abend mit dem Bundesarbeitsminister beraten wurde, mit sage und schreibe 15 Stimmen bei einer Enthaltung entschieden wurde, dass im Rahmen der Reform des SGB II – Stichwort „Jobcenter“ – der alte von Olaf Scholz erarbeitete und von der CDU/CSU-Bundestags¬fraktion torpedierte Kompromiss und Gesetzentwurf be¬schlossen werden soll. Das zeigt den Rückhalt, den Sie in der Arbeitsmarktpolitik haben.

(Beifall bei der SPD)

Es ist also in mehrerlei Hinsicht kein einfacher Tag für den Bundesarbeitsminister. Ich habe zwar Verständ¬nis dafür, dass er sich, wie er eben gesagt hat, die nötige Zeit nimmt, und finde es fair, dass er heute in der alten Angelegenheit Stellung nimmt. Wir brauchen aber im Bereich der Arbeitsmarktpolitik, zumal in diesen Zeiten, einen Bundesminister für Arbeit und Soziales, der den Kopf und den Rücken frei hat, um sich um den Arbeits¬markt in diesem Land zu kümmern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Fuchtel, als zuständiger Staatssekretär sind Sie hier in Vertretung des Ministers; vielleicht hören Sie ein¬mal zu. Es geht nämlich um ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, das aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion in dieser Krise unerlässlich ist. Es ist richtig und vernünf¬tig, dass Sie in der Tradition von Olaf Scholz im nächs¬ten Jahr die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes wieder verlängert haben, um ein Instrument zur Verfügung zu haben, den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland effektiv begegnen zu können. Umso weniger verstehe ich aber, dass Sie ge¬rade in dieser Krise ein weiteres wichtiges Instrument, nämlich die geförderte Altersteilzeit, die eine Beschäf-tigungsbrücke zwischen Jüngeren und Älteren darstellt, auslaufen lassen wollen. Das ist weder logisch noch sinnvoll.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Deshalb legt die SPD-Bundestagsfraktion heute einen Gesetzentwurf vor, der die Verlängerung der Regelung zur geförderten Altersteilzeit um fünf Jahre vorsieht. Wir sind der festen Überzeugung, dass es notwendig und richtig ist, sich die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt genau anzusehen. Ja, es ist richtig, dass im Jahre 2009 die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise abgefedert werden konnten, dass die Entwicklung auf dem Arbeits-markt bis dato nicht so schrecklich war wie prognosti¬ziert. Aber wir müssen feststellen, dass diese Aussage für bestimmte Altersgruppen auf dem Arbeitsmarkt be¬reits in diesem Jahr so nicht gilt. Probleme gibt es bei unter 25-Jährigen und über 50-Jährigen. Gerade deshalb ist es notwendig, eine Beschäftigungsbrücke, das heißt geförderte Altersteilzeit, zu bauen und zu erhalten.
Die Frage ist doch, meine Damen und Herren von der Koalition, ob wir in dieser Situation pragmatisch reagieren, um das zu tun, was notwendig ist, nämlich Beschäftigung zu sichern und vor allen Dingen Berufs¬einstiegschancen für Jüngere zu schaffen. Ich kann die ideologische Position, mit der Sie uns hier begegnen, nicht verstehen.
Dann auch noch Ihre falschen Argumente: Es gibt eine Untersuchung der Universität Duisburg-Essen zur Altersteilzeit aus dem Herbst letzten Jahres,

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Aus welcher Schublade habt ihr die denn gezogen?)

in der all die Argumente, die Frau Connemann gleich noch einmal auflisten wird, entkräftet werden. Es ist schlicht und ergreifend falsch, dass die geförderte Al¬tersteilzeit den Trend zur Frühverrentung unterstützt. Im Gegenteil: Wir in der Verantwortung der Bundesregie¬rung haben in den letzten Jahren den Trend zur Frühver¬rentung in diesem Land gestoppt und umgekehrt. Das ist gut so, und das ist richtig so.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Dann bleibt doch dabei!)

– Entschuldigen Sie, ist Ihnen aufgefallen, dass die Regelung der geförderten Altersteilzeit noch in Kraft ist

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja, auch weiterhin!)

und dass die geförderte Altersteilzeit also kein Brandbeschleuniger für den Trend zur Frühverrentung sein kann?

(Beifall bei der SPD)

Denn wir haben diese zurückgedrängt. Wenn Sie einmal ein bisschen nachdenken würden, dann würde sich das auch Ihnen erschließen. Helmut Kohl hat einmal den schönen Satz gesagt: Die Realität ist anders als die Wirklichkeit. Ich habe damals als Jungsozialist oft darüber geschmunzelt. Inzwischen, mit zunehmendem Lebensalter, begreife ich, was der philosophiebegabte Altbundeskanzler damit gemeint hat. Die Realität im nächsten Jahr wird sein, dass sich die Probleme am Arbeitsmarkt infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise verschärfen werden. Das wissen wir alle. Aber die Wirklichkeit ist, dass diese Bundesregie¬rung den Menschen in Deutschland die gerade in diesen Zeiten notwendigen Instrumente, um dieser Entwicklung zu begegnen, verweigert.
Frau Connemann, als niedersächsischer Kollege will ich Ihnen im Vorfeld Ihrer Rede einen Tipp geben. Bevor Sie wieder erzählen, das Instrument der Altersteilzeit werde von den Unternehmen zum Personalabbau miss¬braucht, empfehle ich Ihnen, sich die Salzgitter AG in unserem Heimatland Niedersachsen anzuschauen. Das ist ein Unternehmen, das mit dem Werk in Peine auch in meinem Wahlkreis vertreten ist. Es hat in den letzten Jahren das Instrument der geförderten Altersteilzeit sehr wohl genutzt, um in einer Branche, die sehr konjunktur¬abhängig ist, Beschäftigungsbrücken zu bauen, um Jün¬geren konsequent den Einstieg ins Berufsleben zu er¬möglichen.
Wenn wir davon ausgehen, dass in Zeiten einer Wirt¬schaftskrise Kurzarbeit oder neue Instrumente zur Ver¬kürzung der Arbeitszeit – auch der Wochenarbeitszeit, wie sie Herr Kannegiesser und die IG Metall ins Ge¬spräch gebracht haben – grundsätzlich Instrumente zur Beschäftigungssicherung sein können, dann sollten wir uns das bewährte Instrument der geförderten Altersteil¬zeit nicht entgehen lassen.
Deshalb haben wir diesen Gesetzentwurf binnen kür¬zester Zeit erarbeitet und vorgelegt. Ich bitte Sie von der Koalition, nicht aus ideologischen Gründen oder weil er von uns als Opposition vorgelegt worden ist, an dieser Stelle tatsächlich noch einmal nachzudenken und umzu¬kehren. Die jungen Menschen, die unter 25-Jährigen, verdienen eine Chance. Die Chance, Älteren – die es wollen oder auch brauchen – durch Arbeitszeitverkür¬zung, das heißt durch geförderte Altersteilzeit, einen fle¬xiblen Übergang in den Ruhestand zu ermöglichen, ist nicht nur pragmatisch richtig, sondern auch menschen-gerecht und in dieser Phase des Arbeitsmarktes unerläss¬lich.
Deshalb ist unser Vorschlag konsequent. Wir haben damit zu rechnen, dass auch im Bundesrat entsprechende Initiativen ergriffen werden. Ich bitte Sie an dieser Stelle, sowohl auf das zu hören, was aus dem Bereich der Personalvorstände und der Unternehmensleitungen, als auch auf das, was von den Gewerkschaften und aus dem Bereich der Betriebs- und Personalräte gefordert wird.
Es ist eine Chance, ein in dieser Krise notwendiges Instrument nicht zu verspielen, das eine Beschäfti¬gungsbrücke zwischen Jüngeren und Älteren darstellt. Deshalb ist es auch eine gesamtwirtschaftliche Frage, ob wir über dieses Instrument dem drohenden Fachkräfte¬mangel der Zukunft begegnen können, indem wir jungen Menschen konsequent einen Einstieg über die Möglich¬keit der geförderten Altersteilzeit ermöglichen,

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRܬNEN]: Indem ihr die Alten rausschmeißt!)

damit sie diese Beschäftigungsbrücken zwischen den Generationen beschreiten können.
Deshalb, meine Damen und Herren, bitte ich Sie im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, in Zeiten, in denen der Bundesarbeitsminister mit Dingen aus seiner Vergangenheit belastet ist, den Blick für die Gegenwart und die Zukunft am Arbeitsmarkt nicht zu verlieren und unserem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)