Rede von Hubertus Heil zum Geschäftsbereich: Wirtschaft und Technologie


Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD – Jürgen Trittin [BÜND¬NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür brauchst du keine 21 Minuten!)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Brüderle!

(Zurufe von der FDP)

– Ganz locker bleiben.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRܬNEN]: Ein bisschen überrascht, oder?)

– Ich bin wirklich etwas überrascht davon, dass das die Rede des Bundeswirtschaftsministers gewesen sein soll.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Herr Brüderle, es ist wohl nicht ganz leicht, von Dampf¬plauderei in der Opposition auf eine staatstragende Rede umzuschalten.

(Zurufe von der FDP: Oh! – Otto Fricke [FDP]: Das könnte umgekehrt noch schwerer werden!)

Es war eine Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Gleichwohl möchte ich Ihnen, Herr Brüderle, auch im Namen meiner Fraktion zur Ernennung herzlich gratulie¬ren. Ich wünsche Ihnen im Interesse unseres Landes, dass Sie eine glückliche Hand haben. Ich sage es ganz offen: Die wirtschaftliche Lage in diesem Land ist viel zu ernst, als dass man Ihnen das nicht wünschen sollte. Gleichwohl sind Zweifel berechtigt. Ich komme gleich darauf zu sprechen.
Vorweg muss man sich vergegenwärtigen, wo wir in Deutschland volkswirtschaftlich stehen. Deutschland steht in der derzeit größten Wirtschaftskrise seit Beste¬hen der Bundesrepublik Deutschland besser da als an-dere europäische Länder. Das ist auch ein Verdienst der Großen Koalition, die dieses Land erfolgreich durch tur¬bulente Zeiten geführt hat. Es ist auch der Verdienst ei¬ner Vorgängerregierung, nämlich der rot-grünen Koali¬tion. Man stelle sich einmal vor, wir wären ohne die Reformpolitik der rot-grünen Koalition in die Weltwirt¬schaftskrise geschlittert. Deutschland stünde schlechter da.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/ CSU]: Sie wollen sie zurückführen!)

Meine Damen und Herren von der Union, Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die Erfolge der Jahre 2005 bis 2008 irgendetwas mit dem segensreichen Wirken von Michael Glos zu tun haben und nichts mit der Arbeit von Gerhard Schröder und Franz Müntefering.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es war die Politik der Großen Koalition, die durch richtiges Handeln in der Krise dafür gesorgt hat, dass die Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft nicht zusam¬mengebrochen ist. Es war die Politik, die mitgeholfen hat, die Konjunktur zu stabilisieren, Anreize für Investi-tionen zu geben und Arbeitsplätze zu sichern. Für meine Fraktion stelle ich voller Stolz fest: Es waren Sozialde¬mokraten, die die Konjunkturpakete maßgeblich entwi¬ckelt und durchgesetzt haben.

(Beifall bei der SPD)

Unsere erfolgreichen Konjunkturmaßnahmen wer¬den weltweit kopiert: von der Abwrackprämie beispiels¬weise in den USA bis hin zu den Regelungen zur Kurz¬arbeit. Ich sage, es ist gut – wir haben es gefordert –, dass der neue Arbeitsminister die Regelung zur Kurzar¬beit verlängert. Erfunden hat sie Olaf Scholz. Sie hilft Hunderttausenden von Arbeitnehmerinnen und Arbeit¬nehmern in Deutschland, in Beschäftigung zu bleiben. Es hilft den Unternehmen, durch die Krise zu kommen. Das ist unsere Politik. Wenn Sie die fortsetzen, dann ha¬ben Sie unsere Unterstützung.

(Beifall bei der SPD)

Unsere Politik hat dazu geführt, dass die Binnennach¬frage trotz der Weltwirtschaftskrise außerordentlich stabil geblieben ist und dass die Auswirkungen auf den Arbeits¬markt trotz der Einbrüche, die wir als Exportweltmeister zu erleben hatten, weniger massiv sind als bei anderen. Wir können mit Fug und Recht behaupten, dass das die Handschrift von Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Olaf Scholz ist.
Aber ich sage auch, Herr Brüderle: Die Aufgabe der neuen Bundesregierung ist es, das einzulösen, was ges¬tern von Frau Bundeskanzlerin Merkel und heute auch von Ihnen in pathetischen Sätzen formuliert wurde: Deutschland gestärkt aus dieser Krise zu führen.
Meine guten Wünsche haben Sie bekommen. Aber ich stelle fest: Es gibt berechtigten Zweifel. Übrigens glaubt auch die Mehrheit Ihrer Anhänger nicht, dass Sie als Bundeswirtschaftsminister in der Lage sind, dazu ei¬nen vernünftigen Beitrag zu leisten. Wenn ich mir die Koalitionsvereinbarung durchlese oder Ihre Rede heute höre, dann kann ich nur sagen: Der Zweifel an dieser Stelle ist berechtigt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir uns den Koalitionsvertrag genauer anschauen, wird eines klar – übrigens auch durch Ihre Rede, Herr Brüderle –: Schwarz-Gelb fehlt ein klares Konzept für die Wirtschaftspolitik in Deutschland. Sie sind nicht in der Lage, die zentralen Fragen unserer Volkswirtschaft konzeptionell hinreichend zu beantworten.

(Beifall der Abg. Christel Humme [SPD])

Die erste Frage ist: Wie schaffen wir nachhaltiges Wachstum und gute Arbeit? Dazu kann ich nur sagen: Fehlanzeige. Die zweite Frage lautet: Wie erneuern wir unsere industrielle Basis und erschließen neue Poten¬ziale für Dienstleistungen in Deutschland? Auch dazu nur Allgemeinplätzchen. Wie nutzen wir die Chancen neuer Technologien? Auch dazu Fehlanzeige. Wie sieht ein Energiekonzept der Zukunft aus? Dazu haben Sie keinen Satz gesagt. Vor ein paar Tagen haben Sie noch gesagt, Sie seien Energieminister. Das habe ich in der FAZ gelesen. Sie haben hier keinen Satz zur Energiepoli¬tik gesagt. Die entscheidende Frage aber ist: Wie gestal¬ten wir die Wirtschaftspolitik in der Konsequenz der Wirtschaftskrise? Investitionen müssen Vorrang vor kurzfristigen Spekulationen haben, um Deutschland langfristig erfolgreich zu halten. Kein Satz dazu.

(Beifall bei der SPD)

Herr Brüderle, die Süddeutsche Zeitung hat über Ihren Koalitionsvertrag geschrieben, das Werk sei eine Art Roman mit Fehldruck. Immer wenn es spannend wird, fehlt eine Seite. An diesen Stellen befinden sich Leersei¬ten. So liest sich auch der Teil über die Wirtschaftspoli¬tik im Koalitionsvertrag. Statt einer klaren Konzeption finden sich auch da Prüfaufträge. Ich habe einmal ge¬zählt: 23 Prüfaufträge allein im Bereich Wirtschaft. Herr Brüderle, heute bekommen Sie einen 24. dazu: Wir wer¬den prüfen, ob der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie seinem Amt gewachsen ist. Das ist unser Prüfauftrag, den Sie heute hören.

(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Das ist aber eine kurze Prüfung, die mit Ja beant¬wortet wird!)

Herr Brüderle, Sie haben Ihr sogenanntes Wachs¬tumsbeschleunigungsgesetz angesprochen. Ich will einmal die Aussage des DIW-Präsidenten, Klaus Zimmermann, zum Koalitionsvertrag zitieren. Er hat ge¬sagt:
Insgesamt wirkt der Vertrag
– und damit auch diese Maßnahmen –
so, als sei es gegen alle ökonomische Realität vor allem darum gegangen, Wahlversprechen zu halten.
Das ist keine Strategie für Wachstum. Das ist keine Kon¬junkturpolitik. Was soll das denn sein? Ein drittes Kon¬junkturpaket? Das ist es nicht. Das ist Klientelpolitik ohne nachhaltige Wachstumsimpulse für dieses Land, die jetzt notwendig wären.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Familien sind unsere Klientel und Ihre nicht! Das stimmt!)

Wir können uns das gerne einmal anschauen: Ihr ein¬faches Credo „Steuern runter macht Deutschland mun¬ter“ ist eine Form von Voodoo-Ökonomie, die mit den volkswirtschaftlichen Bedürfnissen dieses Landes nichts zu tun hat und mit den Notwendigkeiten auch nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir können uns die Maßnahmen ja einmal im Einzel¬nen anschauen: Ich räume ein, dass Steuersenkungen, wenn sie richtig gemacht werden, per se die Binnen¬nachfrage stärken können. Aber die Frage ist, ob die Steuersenkungen, die Sie vorschlagen, tatsächlich diesen Effekt haben. Die Erhöhung des Kindergeldes kann möglicherweise einen schwachen Wachstumsimpuls mit sich bringen. Das Geld wird dann allerdings für andere gesellschaftliche Aufgaben fehlen, beispielsweise für den Ausbau der Kinderbetreuung. Die Erhöhung der Kinderfreibeträge allerdings wird aufgrund der Progres¬sionsabhängigkeit nicht die Nachfrage stärken, sondern die Sparquote in Deutschland erhöhen. Das ist kein Bei¬trag zu nachhaltigem Wachstum.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, das schönste Beispiel für Klientelpolitik in diesem Wachstumsbeschleunigungsgesetzentwurf ist die Reduzierung des Umsatzsteuersatzes für Hotelübernach¬tungen. Eine niedrige Mehrwertsteuer führt nicht zu ge¬ringeren Preisen und damit zu mehr Nachfrage. Der Ver¬such, mithilfe der Mehrwertsteuer die wirtschaftlichen Probleme einzelner Branchen zu lösen, muss scheitern; denn die Mehrwertsteuer ist nicht die Ursache strukturel¬ler Probleme der Branchen. Ich sage es einmal anders: Herr Brüderle, glauben Sie ernsthaft, dass wir aufgrund dieser Maßnahme einen Boom bei den Übernachtungen in Deutschland haben werden, dass die Tourismusbran¬che aufgrund dieser Maßnahme boomen wird?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Rheinland-Pfalz!)

Das ist Klientelpolitik. Mit konzeptioneller Wirtschafts¬politik, mit Ordnungspolitik in der Tradition von Ludwig Erhard und Karl Schiller hat das nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie haben die Maßnahmen im Bereich der Unterneh¬mensbesteuerung angesprochen. Diese bedeuten vor al¬len Dingen für den Mittelstand keinen Wachstumseffekt. Das sind eher Steuerschlupflöcher für Großkonzerne. Man kann sagen: Sie machen bei den Steuerschlupf-löchern die Scheunentore wieder auf, die die Große Ko-alition gerade mit großer Mühe geschlossen hat. Das sollte die Finanzpolitiker in der Union umtreiben. Der arme Herr Kampeter, der neue Staatssekretär im Finanz¬ministerium, der so sehr gegen Steuerschlupflöcher ge¬kämpft hat, tut mir schon jetzt leid. Diese Steuerge-schenke für Klientelgruppen sind nicht zielgerichtet, sie leisten keinen Beitrag zur Stabilisierung des Konsums, aber sie haben einen Effekt, der uns wirtschaftspolitisch in die Knie zwingen wird: Sie schwächen die Nachfrage der öffentlichen Hand von Bund, Ländern und Kommu¬nen; sie wird nachlassen. Es konterkariert die Effekte des von der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD gemeinsam beschlossenen kommunalen Investitionspro¬gramms. Was ist denn das für eine Politik, dass wir de¬nen in der Krise zu Recht Investitionsmittel an die Hand geben und dann im Jahr danach und für Jahre danach durch Ihre Steuerpolitik die Mittel für Investitionen in die Infrastruktur seitens der öffentlichen Hand wieder gekürzt werden? Das ist widersinnig und unsinnig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Brüderle, Ihr Lieblingswort in der letzten Legis¬laturperiode – oder sollte ich sagen: in gefühlten Tau¬send Jahren Opposition? – war „Mittelstand“. Nachdem ich den Koalitionsvertrag gelesen habe und mir Ihre Rede angehört habe, kann ich nur sagen: Allgemein¬plätzchen. Die kleinen und mittleren Unternehmen, die für unsere Volkswirtschaft so wichtig und das Rückgrat unserer Wirtschaft sind, haben von Ihren Sprüchen kon¬kret nichts.

(Otto Fricke [FDP]: Das war jetzt ein Allge-meinplatz!)

Ich will Ihnen drei praktische Beispiele nennen, wo Sie an das anknüpfen können, was die Große Koalition getan hat. Das betrifft zum Beispiel den Bürokratieab¬bau, den wir in vielen Bereichen vorangebracht haben.

(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Gebremst habt ihr!)

– Hören Sie einmal zu.
Bei einem werden wir gut aufpassen: Wenn Sie unter der Chiffre des Bürokratieabbaus den Abbau von Arbeit¬nehmerrechten, Umweltstandards und Verbraucherstan¬dards verstehen, dann werden Sie zu Recht auf harte Op¬position in diesem Hause treffen; denn das ist kein Bürokratieabbau.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das betrifft auch das Vergaberecht, um es deutlich zu sa¬gen.
Bei einem bin ich wirklich enttäuscht, Herr Brüderle; da hatte ich – sogar auf die FDP – eine gewisse Hoffnung. Sie haben im Bereich der Kreditklemme einiges aus dem Deutschlandplan von Frank-Walter Steinmeier abgekup¬fert. Stichwort Kreditmediator: Die Formulierungen, die Sie gebracht haben, sind dort wörtlich abgeschrieben. Dies betrifft auch den Verweis auf Frankreich. An einer Stelle hätte ich mir gewünscht, dass Sie auch da abschreiben: beim Mittelstand und dem Thema der Tax Credits, der steuerlichen Forschungsförderung. Wenn Sie für den Erfolg von Investitionen und Innovationen bei kleinen und mittleren Unternehmen etwas tun wollen, dann wäre ne¬ben der Projektförderung bei Forschung und Entwicklung ein konkretes Konzept für steuerliche Förderung bei klei¬nen und mittleren Unternehmen ein konkreter Schritt ge¬wesen. Aber was steht dazu in Ihrem Programm? Prüfauf¬trag. Hier ist wieder einmal im Ergebnis Fehlanzeige. Das ist keine Politik für den Mittelstand in Deutschland.

(Beifall bei der SPD)

Vor allen Dingen – auch das finde ich an Ihrer Rede bemerkenswert – wenn es um die industrielle Basis un¬seres Landes geht, findet sich im Koalitionsvertrag außer einem allgemeine Bekenntnis zum Industriestandort Deutschland nicht einmal ansatzweise so etwas wie ein industriepolitisches Konzept. Wir haben darauf gewar¬tet. Herr zu Guttenberg – er ist gerade nicht da – hat ja vor der Wahl munter ein großes industriepolitisches Konzept angekündigt, auf das man bis heute wartet.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Er ist da!)

In Ihrem Koalitionsvertrag steht nichts zu diesem Be¬reich. Damit verspielen Sie die Chancen Deutschlands, auf den Leitmärkten der Zukunft erfolgreich zu sein.
Wenn man industriepolitisch keine Ahnung hat und die Weichen nicht richtig stellt, dass Wirtschaft, Wissen¬schaft und Politik an einem Strang ziehen, damit die deutsche Volkswirtschaft mit modernen Produkten, Ver-fahren und Dienstleistungen auf den Märkten der Welt erfolgreich sein kann, dann verspielt man die Chancen unserer Volkswirtschaft. Ihr Fehler ist folgender: Sie se¬hen die Zukunft der Arbeit in Deutschland vor allen Din¬gen bei Billigjobs und nicht bei den besten Produkten, Verfahren und Dienstleistungen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wer dies so sieht, hat weder von Wirtschaft noch von den Bedürfnissen der Menschen in Deutschland Ah¬nung.

(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Wer so etwas sagt, verkennt die Realitä¬ten!)

Wo sind denn Ihre Konzepte für die Leitmärkte der Zukunft, für den Bereich der erneuerbaren Energien, für effiziente Energieproduktion, für neue Werkstoffe, für den Bereich der Elektromobilität, für den Gesundheits¬markt oder die Kreativwirtschaft? Nur warme Worte. Die Kreativwirtschaft kam in Ihrer Rede nicht einmal vor, obwohl sie wichtig ist. Im Bereich der Digitalisie¬rung ergeben sich neue Chancen. In Ihrer Rede gab es keinen Ansatz dazu. Zum Ausbau der Breitbandinfra¬struktur sagten Sie eben in Ihrer Rede keinen Satz; ges¬tern sagte Herr Kauder zwei, drei Sätze dazu. Sie haben kein Konzept, wie man es wirklich schaffen kann, in die¬ser Branche Arbeitsplätze zu schaffen und einen Beitrag zur Modernisierung unserer Volkswirtschaft insgesamt zu leisten.
Dass eine moderne Industriepolitik Chancen bietet, bestätigen Institute – das können Sie nicht bestreiten –, die Vorschläge gemacht haben, wie wir im Bereich der erneuerbaren Energien – das, was Rot-Grün damals ein¬geleitet hat – und im Bereich der Effizienztechnologien tatsächlich vorankommen können.
Es geht darum, auf der Angebotsseite das zu tun, was notwendig ist, damit Unternehmen und Wissenschaft zu den entsprechenden Technologiesprüngen kommen, und es geht darum, auf der Nachfrageseite mitzuhelfen, dass innovative und junge Technologien flächendeckend markteingeführt werden können. Sie haben in diesem Bereich keinen Ansatz. Im Gegensatz zu anderen Län¬dern, die im Moment anfangen, deutsche Konzepte aus rot-grüner Zeit zu kopieren,

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

haben Sie in diesem Bereich keinen vernünftigen An¬satz. Meine Damen und Herren, Sie werden nicht be¬streiten, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz, gegen das Sie früher waren, weltweit zu einem Schlager ge¬worden ist und Arbeitsplätze in Deutschland schafft.

(Beifall bei der SPD)

Zur Energiepolitik, zu der Sie so beredt geschwiegen haben, erlaube ich mir schon jetzt den Hinweis: Das, was Credo Ihrer Koalition ist, nämlich die Verlängerung von Restlaufzeiten alter, finanziell abgeschriebener Atom¬meiler, wird genau das verhindern, was wir in Deutsch¬land in Sachen Energiestandort am dringendsten brau-chen: Investitionen in moderne Kraftwerkstechnik und auch in erneuerbare Energien. Das, was Sie machen, ist eine Politik, die gegen die Zukunft gerichtet ist. Sie ist ökologisch unsinnig, aber auch wirtschaftspolitisch fatal, weil wir in Deutschland dringend Investitionen in mo¬derne Kraftwerkstechnik und nicht längere Restlaufzei-ten alter Atommeiler brauchen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es ist, wie gesagt, schwie¬rig, sich mit den Leerstellen in Ihrem Koalitionsvertrag auseinanderzusetzen, weil er so viele Prüfaufträge ent¬hält. Wir sind gespannt. Ich sage es ganz offen: Wir bie¬ten auch unsere Unterstützung an. Ich werde Ihnen gerne unseren Deutschland-Plan zuschicken. Er enthält näm¬lich eine Fülle von guten Ideen für die Wirtschaftspolitik in diesem Lande.

(Otto Fricke [FDP]: Oh ja! Könnte ich bitte auch das Schröder/Blair-Papier bekommen?)

Ich sage Ihnen: Die Zeiten sind ernst. Die Wirt-schaftskrise ist noch nicht vorbei. Wir sind bisher besser durch die Krise gekommen als andere Volkswirtschaften. Aber weiterhin gilt: Wir müssen handeln und dürfen nicht nur zugucken.
Herr Brüderle, in einem Bereich bieten wir Ihnen konkrete Unterstützung an. Wenn das, was Sie, auch in Interviews, zum Thema KfW angedeutet haben, notwen¬dig ist, werden wir Sie unterstützen, wenn es darum geht, die Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft zu stärken, im Zweifelsfall auch mit harten Maßnahmen gegenüber den Banken. Reine Appelle, wie wir sie heute wieder von Ihnen gehört haben, reichen auf diesem Weg möglicherweise nicht aus. Hier bieten wir Ihnen unsere Mitarbeit an.
Was aber nicht geht, Herr Brüderle, ist, dass Sie, wenn wirtschaftspolitische Probleme in Deutschland auftauchen, immer nur mit dem Finger auf andere zei¬gen. Jetzt sind Sie in der Verantwortung. An dieser Stelle muss ich sagen: Ich finde das, was Sie eben zum Thema Opel vom Stapel gelassen haben, eines Bundeswirt-schaftsministers unwürdig.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben von den guten, hervorragenden Automobil¬standorten in Deutschland gesprochen. Als jemand, der aus der Nähe von Wolfsburg kommt, kann ich davon ein Lied singen. Die deutschen Automobilstandorte sind sehr erfolgreich. Sie dürfen aber nicht nur die anderen Standorte nennen und so tun, als seien die Opel-Stand¬orte Schrott.

(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Das hat er doch überhaupt nicht ge¬sagt! – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: So ein Un¬sinn! Bleiben Sie bei der Wahrheit!))

Das, was zum Beispiel in Eisenach, Rüsselsheim, Kai¬serslautern und Bochum geleistet wird, haben Sie ver¬schwiegen. Sie haben nur gesagt: Wir haben hervorra¬gende andere Standorte. – Was heißt das denn am Ende des Tages? Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele in der FDP, auch einige in CDU und CSU, klammheimliche Freude darüber verspüren, dass die Übernahme durch Magna geplatzt ist.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg van Essen [FDP]: Unverschämtheit!)

Den Beschäftigten und dem Industriestandort Deutsch¬land hilft das aber nicht. Herr Brüderle, jetzt sind Sie ge¬fragt. Sie müssen aktiv handeln und dürfen sich nicht nur beklagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Übernahme durch Magna war ein tragfähiger Weg, der durch aktives Handeln der Politik ermöglicht wurde. Es wäre kein einfacher Weg gewesen. Aber es gab einen Weg. Ich frage mich: Wo ist jetzt Ihr Weg in dieser ganzen Geschichte? Einfach nur zu sagen: „Das ist nicht unser Problem, das ist ein amerikanisches Pro-blem“, hilft bei der Sicherung der Arbeitsplätze in Deutschland nicht. Ich fordere Sie auf: Sie müssen un¬verzüglich, und zwar persönlich, in Verhandlungen mit GM eintreten, um im Interesse der Arbeitsplätze in Deutschland eine Lösung zu finden.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulla Lötzer [DIE LINKE])

Herr Brüderle, ich kann mich noch erinnern, dass Sie vor einigen Jahren von diesem Pult aus den damaligen Bundeswirtschaftsminister Michael Glos gewarnt haben, dass er der „Problembär“ der Regierung werden könnte. Ich kann nur sagen: Jetzt müssen Sie in dieser Hinsicht aufpassen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe den Eindruck – das kann ich Ihnen nicht ersparen –, dass Sie in sehr große Fußstapfen treten und nicht etwa die Nachfolge von Ludwig Erhard, Karl Schiller oder Helmut Schmidt antreten, sondern dass das, was Sie hier geboten haben, eher nach der legitimen Nachfolge von Michael Glos klingt.

(Heiterkeit bei der SPD – Zuruf von der FDP: Da spricht wieder der Generalsekretär aus ihm!)

Ich sage Ihnen: Von einem Bundeswirtschaftsminister wird mehr erwartet als launige Reden und Grußworte. Wir erwarten von Ihnen Konzepte für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wenn sie gut sind, werden wir sie unterstützen; darauf können Sie sich verlassen. Bisher haben Sie, jedenfalls was Ihre heutige Rede angeht, nichts geboten. Ich sage Ihnen: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland, die tüchtigen Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland, die deut¬sche Wirtschaft, sprich: Deutschland insgesamt, eine führende Wirtschaftsnation der Welt, der Exportweltmeister, hat eine bessere Wirtschaftspolitik verdient, als Sie sie heute geboten haben. Wir werden Sie treiben, da¬mit Sie zu einer guten Wirtschaftspolitik kommen. Das ist unsere Aufgabe als Opposition.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen. Das, was Sie heute geboten haben, war nicht dünne Suppe, das war ganz dünne Suppe. Das ist kein guter Anfang. Ich kann nur sagen: Das ist keine Form von moderner Wirtschaftspolitik, das ist Grußwortepolitik. Aber Deutschland verdient mehr.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Und das vom erfolglosesten Generalsekretär der SPD!)