Rede von Hubertus Heil zum Bundeshaushaltsplan Arbeit und Soziales


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege Hubertus Heil.
(Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Ich hoffe, Sie haben nicht die Rede von heute Morgen genommen!)

Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach gutem parlamentarischen Brauch möchte ich Ihnen, Herr Minister Jung, zur Ernennung in dieses Amt ganz herzlich gratulieren und alles Gute wünschen. Sie übernehmen mit diesem Bundesministerium ein ge¬ordnetes, ein gutes Haus.

(Beifall bei der SPD)

Sie müssen aber auch in große Fußstapfen treten. Sie tre¬ten die Nachfolge von Franz Müntefering und Olaf Scholz an. Ich will an dieser Stelle sagen: Wir Sozial¬demokraten sind stolz auf die Arbeit dieser Minister, vor allen Dingen auf die Arbeit von Olaf Scholz in den letz¬ten Monaten, der in der Krise mit aktiver Arbeitsmarkt¬politik, insbesondere mit den geänderten Regeln zur Kurzarbeit, mitgeholfen hat, dass Hunderttausende Men¬schen in Deutschland an Bord, in Beschäftigung, bleiben konnten. Das haben wir gemacht. Es ist gut, wenn Sie zumindest daran anknüpfen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, wenn ich mir allerdings den Koali-tionsvertrag anschaue und mir Ihre Rede vor Augen führe, dann vermisse ich im Wesentlichen die Beantwortung fol¬gender großer Fragen: Wo sieht eigentlich der Bundesmi¬nister für Arbeit und Soziales die Zukunft der Arbeit in unserem Land? Was tut diese Bundesregierung konkret, damit Arbeit in diesem Land eine gute Zukunft hat? Dann höre ich mir Ihre Rede an und höre diesen alten, aber nicht besonders intelligenten Satz, diese Formel: Sozial ist, was Arbeit schafft. – Herr Minister, ich will Sie zumindest nachdenklich machen und es zuspitzen: „Sozial ist, was Arbeit schafft.“

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRܬNEN]: Das hat aber Schröder auch immer ge¬sagt!)

Heißt dieser Satz eigentlich auch, dass Sklavenarbeit so¬zial ist? Überspitzt gesagt, wäre das die Tatsache.

(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das war doch von Schröder!)

Wir sagen: Sozial ist, was anständige Arbeit schafft, von der Menschen auch leben können. – Das ist der Unter¬schied zu Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wenn ich mir den Koalitionsvertrag und das, was Sie eben gesagt haben, anschaue, dann muss ich feststellen, dass sich das, was Sie vorhaben – atypische Arbeit, unsi¬chere Arbeit, prekäre Arbeit – in diesem Land ausbreiten wird. Das betrifft vor allen Dingen den Einstieg in die Aushöhlung des Kündigungsschutzes. Sie sagen zwar im Koalitionsvertrag – eben war das nicht so sehr zu hö¬ren, aber gestern von Frau Merkel –, Sie stünden zum Kündigungsschutz, um dann nonchalant die sachgrund¬lose Befristung auszuweiten. Das ist nichts anderes als eine Aushöhlung des Kündigungsschutzes in Deutsch¬land, und das wird auf unseren massiven Widerstand treffen.

(Beifall bei der SPD)

Vor allen Dingen wollen und werden Sie den Niedrig-lohnsektor in diesem Land nicht zurückdrängen, son¬dern ausweiten. Da hilft es überhaupt nichts, die Men¬schen mit irgendwelchen Placebos ruhigstellen zu wol¬len. Bei dem Verbot sittenwidriger Löhne – das ist jetzt das neue, große Konzept und Projekt der schwarz-gelben Bundesregierung – muss man sich, ganz unabhängig da¬von, dass das schon in diesem Lande Rechtsprechung ist, eines vor Augen halten. Was heißt das eigentlich, Herr Minister, ganz konkret für die betroffenen Menschen im Niedriglohnsektor? Es heißt nichts anderes, als dass Sie verfestigen, dass zukünftig bis zu einem Drittel nicht nur vom Tarifvertrag abgewichen werden kann, sondern auch von ortüblichen Löhnen, also – auf Deutsch – Löhne von 3 Euro, 4 Euro um ein Drittel unterschritten werden können. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wer die Zukunft der Arbeit in Deutschland vor allem im Niedrig-lohnsektor sieht, der hat weder von Wirtschaftspolitik noch von sozialer Marktwirtschaft oder von den Bedürf¬nissen der Menschen in diesem Land irgendeine Vorstel-lung.

(Beifall bei der SPD)

Sie sagen: Leistung muss sich wieder lohnen. – Was sa¬gen Sie eigentlich den Menschen in den Branchen, in de¬nen Sie Mindestlöhne verhindert haben, wie sich Leis¬tung wieder lohnen soll? Wenn es nach Ihnen geht, dann sollen die zukünftig alle zum Amt gehen und sich ergän-zendes Arbeitslosengeld II abholen, also Aufstocker sein.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben das doch eingeführt, Herr Heil, das ist doch Ihr Be¬schluss! Aufstockung ist SPD pur!)

Das hat mit Ordnungspolitik nichts zu tun, das ist nichts anderes als ein staatlich subventionierter Billigjobsektor, und Sie verfestigen den.

(Beifall bei der SPD)

Übrigens, zu dem lauten Herrn Kolb von der FDP:

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der kommt noch!)

Herr Kolb, mit den Zuverdienstmöglichkeiten, die Sie erweitern, machen Sie nichts anderes, als das Geld der Steuerzahler zu nehmen, um die Löhne in Billigjobs im Interesse der Arbeitgeber, die nicht bereit sind, einen an¬ständigen Lohn zu zahlen, aufzustocken. Nichts anderes ist das. Mit sozialer Marktwirtschaft hat das nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das zeigt, dass Sie von Wirtschaft nichts, aber auch gar nichts verstanden haben!)

– Herr Kolb, Sie sind nachher noch dran.
Ich will Ihnen an dieser Stelle deutlich sagen, dass wir dem ein Gegenkonzept entgegenstellen werden. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir über gute, über ordentli¬che Arbeit in diesem Land reden. Wenn Sie, Herr Minis¬ter, mit den Gewerkschaften in Deutschland sprechen, ist es wichtig, dass Sie das nicht in Form warmer Gruß-worte tun. Die Gewerkschaften werden darauf schauen, ob Sie konkret handeln. Sie sollten auf Ihrem Weg um¬kehren und dafür sorgen, dass wir in diesem Land or¬dentliche Arbeitsplätze haben, damit sich Leistung für die Menschen wirklich lohnt, die morgens aufstehen, in die Fabriken und in die Verwaltung gehen oder als Fri¬seurin arbeiten. Alle die sprechen Sie mit Ihren warmen Worten an, aber Sie tun nichts Konkretes. Im Gegenteil: Sie nehmen diesen Menschen nicht nur einen anständi¬gen Lohn, indem Sie Mindestlöhne verweigern, Sie neh¬men ihnen auch ein Stück der Würde ihrer Arbeit. Das ist etwas, was wir in diesem Land nicht durchgehen las¬sen dürfen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

Wir wollen Sie, was die Arbeitsmarktpolitik betrifft, unterstützen, wenn Sie die Zeit der Kurzarbeit verlän¬gern wollen. Auch da haben Sie ein gut bestelltes Haus übernommen. Ich stelle mir das so vor: Olaf Scholz, flei¬ßig, wie er ist, hat den Entwurf einer Verordnung vorbe¬reitet, und Sie mussten nur noch unterschreiben.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wo?)

Wie gesagt, in der Sache ist das richtig. Wir unterstützen das, es hilft der Wirtschaft, es hilft den Unternehmen, aber es hilft auch den Beschäftigten, an Bord zu bleiben. Ich würde mir nur eines wünschen, nämlich dass Sie an dieser Stelle noch einen draufsetzen und mithelfen, dass auch die geförderte Altersteilzeit nicht zum 1. Januar nächsten Jahres ausläuft. Auch das ist wichtig für die Betriebe und für die Beschäftigten.

(Beifall bei der SPD)

Da geht es nicht um Frühverrentung; da geht es um Be¬schäftigungsbrücken.

(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Es geht um Frühverrentung!)

Denn in dieser Krise sind viele Menschen in Arbeit ge¬blieben. Es gibt zwei Gruppen, die besonders betroffen sind: die über 50-Jährigen und die unter 25-Jährigen.
Wer Angst hat, dass das zur Frühverrentung führt und nicht zur Beschäftigungsbrücke werden kann, der sollte sich das bei der Salzgitter AG in meiner Heimat einmal anschauen: Dort hat man dieses Instrument genutzt und jungen Menschen nach der Ausbildung konsequent ei¬nen Einstieg ins Erwerbsleben ermöglicht. Hinzu kamen flexible Übergänge in den Ruhestand. Mir geht es vor al¬lem um dieses arbeitsmarktpolitische Instrument. Wir werden nicht zulassen, dass Sie die Geltungsdauer dieses Instrumentes tatenlos auslaufen lassen. Deshalb werden wir nicht nur einen Antrag, sondern einen Gesetzentwurf in diesen Deutschen Bundestag einbringen. Dann wer¬den wir sehen, wie Sie sich an dieser Stelle verhalten.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben etwas zum Thema Arbeitsverwaltung ge¬sagt, Herr Jung. Dazu kann ich nur sagen:

(Elke Ferner [SPD]: Gute Reise!)

Die Art und Weise, wie Sie in einer Phase, in der die Ar¬beitslosigkeit zu steigen droht, die Arbeitsverwaltung in diesem Land chaotisieren, geht nicht nur zulasten der Kommunen, der Arbeitsverwaltung und der Beschäftig¬ten in der Arbeitsverwaltung; vor allen Dingen ist das Politik auf dem Buckel der arbeitslosen Menschen in diesem Land, und das ist etwas, wofür man sich wirklich schämen muss.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die alte Bundesregierung, der auch Sie angehörten, hatte einen Konsens mit 16 Bundesländern. Er ist von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion torpediert und ka-puttgemacht worden. Jetzt verwenden Sie den schönen Begriff der getrennten Aufgabenwahrnehmung und be¬haupten, das sei eine Konsequenz des Urteils, was recht¬licher Quatsch ist; das ist Blödsinn an dieser Stelle. Es führt vor allen Dingen dazu, dass mit den Arbeitslosen wieder Pingpong zwischen zwei Verwaltungen gespielt wird. Es wird mehr Bürokratie geben. Es wird mehr Menschen geben, die dafür arbeiten müssen, und es wird weniger geben, die sich um die Vermittlung der Men¬schen in Arbeit tatsächlich kümmern können. Das ist das Ergebnis dieser undurchdachten Politik, für die Sie hier antreten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, Sie werden es mit der sozialdemokrati¬schen Opposition zu tun bekommen, wenn es um das wichtigste Thema in diesem Land geht, nämlich um die Arbeit der Menschen. Es wird die Frage zu beantworten sein: Wer hat eigentlich einen Draht zu Menschen, die hart arbeiten und von ihrer Arbeit auch leben können wollen? Ich sage sehr deutlich: Manchmal habe ich den Eindruck, dass einige bei Schwarz-Gelb ein gebrochenes Verhältnis zu anständiger Erwerbsarbeit haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Pfui! – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Jetzt ist aber langsam Schluss, Herr Heil! Sie haben ein ge-brochenes Verhältnis zum Anstand!)

Wenn ich mir die Vorschläge anschaue, für die Sie hier stehen, dann muss ich an dieser Stelle sagen: Gehen Sie in Ihre Wahlkreise! Reden Sie mit Menschen, vor al¬len Dingen in den Dienstleistungsberufen, die jeden Tag mehrere Jobs ausüben müssen, um über die Runden kommen zu können! Diesen Menschen verweigern Sie die Mindestlöhne. Für diese Menschen haben Sie weder Herz noch Verstand. Sie haben den Draht zu diesen Menschen verloren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Offensichtlich we¬niger als Sie!)

Ich will Ihnen zum Schluss eines sagen, Herr Minister: Sich Art. 20 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland zu vergegenwärtigen, müsste eigentlich alle verbinden, gerade im 60. Jahr der Bundesrepublik Deutsch¬land. Deutschland soll ein sozialer und demokratischer Bun¬desstaat sein. Es geht um den sozialen Rechtsstaat. Sie wol¬len in der Sozialpolitik einen Paradigmenwechsel, weg vom sozialen Rechtsstaat, weg von sozialen Bürgerrechten, hin zu Almosen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Das ist nicht in Ordnung. Es widerspricht dem Geist un¬serer Verfassung. Es wäre eigentlich vernünftig, sich da¬ranzumachen, den Geist der Verfassung mit neuem Le¬ben zu erwecken.

(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Sie missbrau-chen gerade unsere Verfassung!)

Gerade in einer Situation, in der sich die Arbeitswelt än¬dert, dürfen Sie kein gestörtes Verhältnis zur Arbeit in Deutschland bekommen. Wir werden Alternativen auf¬zeigen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)