Rede von Hubertus Heil zur Führungsverantwortung der Bundeskanzlerin in Zeiten der Wirtschaftskrise


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde hat das Wort der Kollege Hubertus Heil von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hubertus Heil (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her¬ren! Liebe Frau Künast, ich finde, wir sollten ein paar Dinge auseinanderhalten und dürfen nicht alles durch¬einanderwerfen. Deshalb ist meine Frage: Was werfen Sie der Kanzlerin vor? Was werfen Sie Frau Merkel vor, um genau zu sein? Sie wollen der Bundeskanzlerin doch nicht etwa vorwerfen, dass sie starke Ministerinnen und Minister hat?

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo denn? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: UGB, da hat sich Gabriel nicht durchgesetzt!)

Das ist etwas Vernünftiges; das ist deutlich geworden. Wir haben eine andere Diskussion zu führen – man muss sie allerdings ernsthaft führen –, nämlich die Diskussion über die unterschiedlichen Parteien. Das hat uns aber im Sommer zu beschäftigen.
Was meine ich mit all dem? Man muss feststellen – aus Gründen der Fairness sollte auch die Opposition in der Lage sein, das zu attestieren –, dass die Bundesregie¬rung in dieser schwierigen Gesamtsituation handlungsfähig ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das ist doch das Minimum!)

– Sie können zwar Maßnahmen kritisieren; aber die Handlungsfähigkeit dieser Regierung können Sie nicht ernsthaft bestreiten.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRܬNEN]: Doch, doch!)

Ich hielte es für richtig, wenn Sie zumindest das aner¬kennen würden. Denn vor dem Hintergrund dessen, dass wir die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Welt¬krieg zu bewältigen haben, muss das gesamte Parlament, also Opposition und Regierungsfraktionen, mithelfen, dass aus einer Wirtschaftskrise keine Demokratiekrise wird. Das sollte man einmal deutlich machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Insofern werbe ich darum, dass Sie zumindest anerken¬nen, dass diese Bundesregierung in einer Situation, die nicht in Deutschland, sondern auf den internationalen Finanzmärkten, aus den USA kommend, verursacht wurde, schnell und richtig reagiert hat, dass sie zuge¬packt hat.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hypo Real Estate sitzt in Deutschland!)

Stellen Sie sich einmal vor, was geschehen wäre, wenn wir im Herbst den Zusammenbruch einer deut¬schen Bank zugelassen hätten, wie wir es in den USA mit Lehman Brothers erlebt haben. Ich sage Ihnen etwas zum Thema Hypo Real Estate: Wenn man sich vor Au¬gen führt, was in diesem Laden gelaufen ist, können sich einem die Nackenhaare aufstellen; das ist richtig. Wenn wir aber nicht Verantwortung übernommen hätten und weiterhin Verantwortung übernehmen würden, wenn wir den Zusammenbruch dieser Bank zugelassen hätten, dann wären die Folgen – das sagen uns alle Experten – mindestens so schwerwiegend wie bei Lehman Brothers gewesen.

(Beifall bei der SPD)

Es geht nicht darum, Bankern zu helfen. Es geht darum, dass wir in unserer Volkswirtschaft die richtige Politik machen; denn das liegt im Interesse der Arbeitnehmerin¬nen und Arbeitnehmer, der Sparerinnen und Sparer und des Mittelstandes, der mit Krediten versorgt werden muss.
Insofern bitte ich Sie, Frau Künast, die Themen aus¬einanderzuhalten. Wir haben in dieser Situation richtig und mit Augenmaß, aber auch konsequent reagiert. Das spiegelt sich auch im Konjunkturpaket wider. Das an¬dere ist der Anlass für diese Aktuelle Stunde, der Rück¬tritt, sagen wir: der Vorgang Michael Glos am vergange¬nen Wochenende. Das war Gegenstand öffentlicher Erörterungen. Ich fand den Ablauf in vielerlei Hinsicht schwierig, um nicht zu sagen: würdelos. Das ist aber ein Problem der CSU; darüber sollten wir in diesem Haus nicht diskutieren.

(Beifall bei der SPD – Renate Künast [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit dir los? Du bist ja ein typischer Sozialdemokrat! Was ist denn mit euch los?)

Über einen anderen Punkt muss man ernsthaft reden. Wir müssen differenzieren: Das eine ist die Kritik an der Kanzlerin, die in ihrer Regierung starke Ministerinnen und Minister hat. Ich finde diese Kritik unangebracht. Es ist gut, wenn man starke Ministerinnen und Minister hat. Das andere ist die Frage, ob Leute, die nicht im Kabinett sind, von außen mitregieren. Unter Kurt Georg Kiesinger gab es schon einmal eine Große Koalition in Deutsch¬land. Er hat die Koalition gut moderiert und hatte auch starke Ministerinnen und Minister. Ein Problem hatte er aber nicht: Der damalige CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß war Bundesminister und hat in der damaligen, kleineren Wirtschaftskrise zusammen mit dem sozialde¬mokratischen Minister Schiller das Ganze gut hinbe¬kommen. Er hat das gut moderiert.
An der einen oder anderen Stelle ist es problematisch – das lässt sich nicht leugnen –, wenn Horst Seehofer aus Bayern meint – er steht übrigens gar nicht in dem ent¬sprechenden Artikel des Grundgesetzes; ich habe nach¬geschaut –, des Profils der CSU wegen die Arbeit der Bundesregierung blockieren zu müssen. Das betrifft das Umweltgesetzbuch. Dazu gab es eine Vereinbarung; an die hat man sich aber nicht gehalten.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hat Herr Müntefering nichts zu sagen? Gehört er dem Kabinett an? Das ist ja abenteuerlich, was der erzählt!)

Frau Merkel hat in diesem Zusammenhang als CDU-Vorsitzende – ich spreche jetzt nicht über sie als Kanzle¬rin – nicht ihrer eigenen Überzeugung entsprechend ge¬handelt. Das ist etwas, was wir zu Recht kritisieren. Das weiß die deutsche Öffentlichkeit.
Aus meiner Sicht muss man das auseinanderhalten: Das eine ist das Verhalten der Kanzlerin in einem Kabi¬nett mit starken Ministerinnen und Minister; das andere ist die Frage, ob sich Parteien darauf verlassen können, dass die gemeinsam getroffenen Vereinbarungen einge¬halten werden. Wir werden darauf achten, dass die Ver¬einbarungen dieser Großen Koalition eingehalten wer¬den. Das sage ich an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen unseres Koalitionspartners, an CDU und CSU, gerichtet. Das betrifft – ich sage das an dieser Stelle sehr deutlich – auch die Vereinbarung zur Lohnuntergrenze für Zeit- und Leiharbeit.

(Beifall bei der SPD – Renate Künast [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das UGB hast Du schon gestrichen, oder was?)

– Ich habe das UGB gerade genannt. Das ist ein ärgerlicher Vorgang.

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRܬNEN]: Wie geht es weiter?)

Dazu kann ich nur sagen, dass die CDU-Umweltministe¬rin von Baden-Württemberg, Frau Gönner, vollkommen recht hat: Wir waren handlungsfähig und einigungsfä¬hig; nur das Reingrätschen von Herrn Seehofer – wie ich finde, ohne Sinn und Verstand – hat dazu geführt, dass dieses wichtige Projekt, das eine Herzensangelegenheit der Bundeskanzlerin, der früheren Bundesumweltminis¬terin Angela Merkel, war, gestoppt wurde. Das ist ein är¬gerlicher Vorgang.
Nichtsdestotrotz ist diese Bundesregierung hand¬lungsfähig. Sie muss es auch weiterhin sein; denn wir haben noch eine Fülle von Arbeit zu erledigen. Bei¬spielsweise das Thema Hypo Real Estate wird uns bei der Bewältigung der Finanzkrise weiterhin beschäftigen. Es geht um pragmatisches Handeln. Es geht darum, den Zusammenbruch zu verhindern und dafür zu sorgen, dass wir eine öffentliche Kontrolle dieses Unternehmens erreichen. Deswegen müssen wir handlungsfähig blei¬ben.
Es geht nicht nur um die Bewältigung der Symptome dieser Krise, sondern auch darum, zu fragen, welche Konsequenzen wir ziehen, welche Regeln wir jetzt auf den Finanzmärkten durchsetzen wollen.

Meine Bitte an dieser Stelle ist, einen Ideenwettbe¬werb auszurichten. Wir müssen dafür sorgen, dass aus dieser Krise Konsequenzen gezogen werden und dass man nicht zur Tagesordnung übergeht nach dem Motto: Jetzt muss der Staat helfen, dann soll er sich wieder zu¬rückziehen. Diese Finanzmarktkrise lehrt, dass funktio¬nierende Märkte Regeln brauchen. Wer dies nicht begrif¬fen hat, hat den Schuss nicht gehört. Ich befürchte, einige in diesem Haus haben den Schuss nicht gehört; denn sie verharmlosen schon jetzt, was passiert ist.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Heil, bitte.

Hubertus Heil (SPD):
Diese Große Koalition muss ihre Arbeit weiterhin leisten.

(Patrick Döring [FDP]: Steinbrück muss das im Griff haben! Nicht wir!)

Wir werden nach dem 27. September dieses Jahres in ei¬ner anderen Konstellation mit Frank-Walter Steinmeier als Bundeskanzler unser Land sicher nach vorne führen. Das ist unser Ziel.

(Zurufe von der CDU/CSU: Träumt schön weiter!)

Aber wir sind bereit, in dieser Koalition unter der Moderation von Angela Merkel weiterzuarbeiten.

(Beifall bei der SPD)