Rede von Hubertus Heil zum Bundeshaushalt Bundeskanzleramt


Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil aus der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen, dass wir ei-gentlich über den Kanzleretat und die Rede der Kanzlerin sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ein guter Hin¬weis!)

– Das gilt auch für Sie, Herr Westerwelle.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ja, klar!)

Frau Merkel hat sehr viel über Bildung gesprochen.
Als Sozialdemokrat freue ich mich natürlich, wenn sich Christdemokraten der sozialdemokratischen Program¬matik verbal anpassen. Das ist eine gute Sache, sowohl in der Familien- als auch in der Bildungspolitik.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage aber sehr deutlich: Die Tatsache, dass der Bildungsgipfel in Dresden stattfindet, sollte uns an einen Schriftsteller erinnern, der in Dresden geboren wurde, später in Berlin gelebt und auch in München gewirkt hat; dort ist er auch gestorben. Die Rede ist von Erich Kästner. Er hat den schönen Satz geprägt: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Huber, vor diesem Hintergrund möchte ich die Programmatik, die Frau Merkel in der Bildungspolitik propagiert, mit dem Versagen Ihrer Staatsregierung in der Praxis konfrontieren; das kann man durchaus tun.

(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Ach! Was soll denn das? Muss das wirklich sein?)

Frau Merkel hat zu Recht davon gesprochen, dass wir die frühe und individuelle Förderung von Kindern in den Mittelpunkt rücken müssen. Als wir das in Bayern früher gefordert haben, haben Sie uns diffamiert und be¬hauptet, wir wollten die Kinder verstaatlichen.

(Zurufe von der SPD: Ja! – Genau! – So war das!)

Eine frühe und individuelle Förderung von Kindern ist aber nur dann möglich, wenn es ein gutes Angebot an Krippenplätzen und Kindergärten gibt und wenn man, wie es in den sozialdemokratisch geführten Ländern nach und nach getan wurde, auch dafür sorgt, dass die Kindergärten beitragsfrei gestellt werden. Hier haben Sie vollständig versagt.

(Beifall bei der SPD)

Ich gehe in der Bildungskette einen Schritt weiter. Frau Merkel hat davon gesprochen, dass alle Menschen im Leben eine Chance brauchen. In Bayern gibt es Landkreise, in denen 23 Prozent eines Jahrgangs keinen Schulabschluss haben.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch totaler Quatsch!)

Es gibt in Bayern Landkreise, in denen es nicht einmal das Angebot einer gymnasialen Oberstufe gibt.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Wovon reden Sie denn da?)

Wenn wir wirklich wollen, dass nicht die soziale Her-kunft bzw. der Geldbeutel der Eltern über die Bildungs- und Lebenschancen der Kinder entscheidet, dann gilt es, in Bayern eine andere Politik zu machen; denn in der Bildungspolitik haben Sie komplett versagt.

(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Sie haben von Bayern doch gar keine Ahnung, Herr Heil!)

Erreichen dann aber einige Schulabgänger in Bayern, wenn auch im Vergleich zu anderen Bundesländern viel zu wenige – die Abiturientenquote ist in Bayern am niedrigsten –, hohe oder sogar höchste Abschlüsse,

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wissen Sie überhaupt, wo Bayern liegt?)

haben Sie für diesen Personenkreis zusätzliche Hürden errichtet. Denn Sie verlangen in Ihrem Bundesland Stu¬diengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester, und das, ohne zumindest ein Stipendienwesen aufgebaut zu haben; das wäre eigentlich das Mindeste, was Sie hätten tun müssen, wenn Sie schon diesen falschen Weg ein¬schlagen.
Ich nenne diese Fakten, weil sie ein frappierendes Licht darauf werfen, wie bei Ihnen Reden und Handeln auseinander klaffen.

(Beifall bei der SPD)

Man kann nicht in Berlin mit schönen Worten über das Thema Bildung reden, aber dort, wo man Verantwortung trägt – die CSU also im Freistaat Bayern –, in dieser Form versagen.
Herr Staatsminister, man kann auch das, was die Bun¬deskanzlerin in ihrer Rede zum Thema Mindestlöhne gesagt hat, nicht befürworten, dass wir Mindestlöhne nämlich wie verabredet durchsetzen werden – uns hat das natürlich gefreut –, und Mindestlöhne in Bayern als sozialistischen Unsinn bezeichnen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe einmal in der Bayerischen Landesverfassung geblättert.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist sinnvoll! Sehr gut!)

In Art. 123 geht es um ein Thema, das uns sehr wohl be¬kannt ist – ich zitiere wörtlich –:
Die Erbschaftsteuer dient auch dem Zweck, die An¬sammlung von Riesenvermögen in den Händen Einzelner zu verhindern. Sie ist nach dem Ver¬wandtschaftsverhältnis zu staffeln.
Das steht in der Landesverfassung, Herr Staatsminister, auf die Sie einen Eid geleistet haben

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]: Genau! Da steht nichts von Millionären, die am Starnber¬ger See leben! – Dr. Anton Hofreiter [BÜND¬NIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht kennt Herr Huber die Bayerische Landesverfassung nicht!)

Ich bin wie Frau Merkel der Meinung: Wenn in Bay¬ern etwas gut ist, dann kann man auch in Berlin daraus lernen. Daher möchte ich einen weiteren Artikel der Bayerischen Landesverfassung zitieren.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Lesen Sie uns jetzt etwa noch etwas über die Todesstrafe vor?)

In Art. 169 Abs. 1 steht:
Für jeden Berufszweig können Mindestlöhne fest¬gesetzt werden, die dem Arbeitnehmer eine den je¬weiligen kulturellen Verhältnissen entsprechende Mindestlebenshaltung für sich und seine Familie er¬möglichen.
Das ist großartig!

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Huber, ich will Ihnen nicht unterstellen, dass die CSU verfassungsfeindlich ist.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]: Na ja! Halbwegs schon! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum nicht? Das ist doch offensichtlich!)

Allerdings muss ich Ihnen sagen: Sie haben sich vom Geist der Bayerischen Verfassung, die nach dem Krieg von Christdemokraten, Christlich-Sozialen und Sozial¬demokraten zur Grundlage unserer wirtschaftlichen, de¬mokratischen und sozialen Ordnung gemacht wurde, von der Geschichte und vom „S“ im Namen Ihrer Partei – sie heißt ja nach wie vor CSU – sehr stark distanziert. Das ist keine gute Idee. Das können wir momentan daran erkennen, dass Ihnen – hier hat Herr Westerwelle recht; das hat er schön formuliert – bestimmte Körperteile auf Grundeis gehen. Daher glauben Sie, Ihre Muskeln hier in Berlin spielen lassen zu müssen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und eine Maß nach der anderen zu trinken!)

Die Wahrheit aber ist: Sie setzen sich mit dem, was Sie sagen, gar nicht durch. Das wäre auch nicht gut. Dass Sie Frau Merkel auf Ihrem CSU-Parteitag auf den Leim gegangen sind und das sogar noch gut finden, ist ein erstaunlicher Vorgang. Herr Staatsminister, ich muss Ihnen sagen: Mit Edmund Stoiber war es wenigstens lus¬tig.

(Heiterkeit bei der SPD)

Wir erleben jetzt, dass Sie als die bajuwarische Ausgabe der Kaczynski-Brothers, nämlich Beckstein und Huber,

(Heiterkeit bei der SPD)

offensichtlich nicht mehr die Autorität haben, die früher Staatsparteien hatten. Das kennen andere Parteien auch. Im Herbst 1989 begannen die Leute, sich darüber lustig zu machen, was da so ist.
Ich sage Ihnen: Dieser Freistaat Bayern gehört keiner Partei, auch nicht Ihrer Partei, er gehört auch nicht mei¬ner Partei, er gehört den Menschen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Auf die Idee ist noch gar keiner gekommen!)

Diese werden darüber entscheiden, wie es in Bayern weitergeht. Die Zeit Ihrer absoluten Mehrheit wird in ei¬nigen Tagen vorbei sein. Das ist gut für Bayern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])

– Herr Hinsken, Sie sind doch eigentlich ein Lieber. Be¬ruhigen Sie sich wieder.
Wir wollen und wir werden in dieser Verantwortung, in der wir stehen, in dieser Bundesregierung weiter ar¬beiten. Das ist nicht immer leicht bei einer Drei-Par¬teien-Konstellation, Herr Westerwelle. CDU, SPD und CSU sind nun einmal drei Parteien. Trotzdem sage ich, dass wir zu dem stehen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Es gibt eine Fülle von Aufgaben, die nach der bayerischen Landtagswahl anzugehen sind, nämlich die Umsetzung von Mindestlöhnen, die Frage der Krankenhausfinanzierung, die Diskussion um die Umsetzung der Erbschaftsteuer usw. Was vereinbart worden ist, muss genauso gelten wie das, was das Ver¬fassungsgericht uns ins Stammbuch geschrieben hat.
Es gibt eine Fülle von Dingen zu tun. Auch in diesem Zusammenhang gilt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Wir dürfen uns nur nicht von der schwierigen Situa¬tion, in der die CSU am Tag nach der bayerischen Land¬tagswahl sein wird, aus dem Tritt bringen lassen, wenn jemand anders Verantwortung trägt. Das ist klar. Deshalb erkläre ich, dass wir zu dieser Koalition stehen.
Ich sage das sehr deutlich, weil die Menschen von uns erwarten, dass dieses Land gut durch die möglicherweise anstehenden Krisen aufgrund des rauen Wetters geführt wird. Dass wir die Chance haben, die Schwierigkeiten zu bewältigen, hat Peer Steinbrück gestern deutlich ge¬macht.
Wir haben uns nicht von der Industrie verabschiedet, wie es uns einige vor einigen Jahren geraten haben. Wir sind nicht dem Rat auf den Leim gegangen, eine reine Dienstleistungs- und Finanzdienstleistungsgesellschaft zu werden.
In den USA ist das anders gelaufen. In den 80er-Jah¬ren waren 18 Prozent der Wirtschaft von Finanzdienst¬leistungen abhängig. Heute sind es 40 Prozent. Deutsch¬land hat sich damals – viel verspottet – daran gemacht, seine industrielle Basis zu erhalten und zu modernisie¬ren. Deshalb sind wir an diesem Punkt besser aufgestellt.
Wenn wir weiter so an dieser ökonomischen Basis ar¬beiten, wenn wir begreifen, dass soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Dynamik keine Gegensätze sind, wie es einige erzählen wollen, sondern wechselseitige Bedingungen, wenn wir begreifen, dass jedes Kind, je¬der Jugendliche und jeder Mensch in diesem Land ge¬braucht wird und deshalb die Ausgrenzung durch feh¬lende Bildungschancen nicht nur ungerecht ist, sondern auch ökonomisch ein Problem wird, wenn wir diesen Weg gehen, wenn wir sozialen Aufstieg und Gerechtig¬keit in dieser Gesellschaft ermöglichen, dann ist mir nicht bange um unsere Republik.
Das gilt für Bayern, das gilt für Deutschland, und das gilt speziell für die Arbeit dieser Großen Koalition. Wir werden weiterarbeiten. Im nächsten Jahr steht ein Wahl¬kampf auf Bundesebene an. Dann geht es um die Frage, wie es in Deutschland nach der Bundestagswahl weiter¬geht. Dann sehen wir uns wieder.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)