Rede von Hubertus Heil zum Bundeshaushaltsplan Bundeskanzleramt


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Hubertus Heil von der SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge¬ehrter Kollege Gerhardt, ich möchte Sie ansprechen, weil das möglicherweise die letzte längere Rede war, die Sie als Fraktionsvorsitzender in diesem Haus gehalten haben.
(Otto Fricke [FDP]: Irrtum!)

Ich möchte Ihnen durchaus unseren Respekt ausspre¬chen. Ich bedauere es, dass Ihre Restlaufzeit durch Ihren Nachfolger begrenzt wurde.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ich habe noch eine längere Lebenserwartung vor mir! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Man sieht Ih¬nen die Traurigkeit an, Herr Kollege!)

Ganz im Ernst: Wir möchten Ihnen persönlich alles Gute wünschen und haben zumindest vor Ihren außenpoliti¬schen Ansichten Respekt, auch wenn Ihre Rede heute in¬haltlich wieder einmal daneben war.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der FDP)

Herr Lafontaine, ich kann mir vorstellen, dass es Sie immer noch ein bisschen wurmt, dass die Westausdehnung der PDS in Deutschland,

(Lachen bei der LINKEN)

die Sie betrieben haben, am vergangenen Sonntag grandios gescheitert ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen auch sagen, warum mich das freut: weil Sie persönlich beispielsweise in Rheinland-Pfalz gegen Kurt Beck in übelster Art und Weise Wahlkampf betrie¬ben haben, auch mit Schlägen unter die Gürtellinie.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber dass Sie heute die Unverschämtheit haben, die Au¬ßenpolitik der Regierung unter Gerhard Schröder in ei¬nen Zusammenhang mit Oswald Spengler zu bringen, finde ich schon ahistorisch, um es freundlich auszudrü¬cken.

(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])

Wir haben in der Amtszeit von Gerhard Schröder eine Außenpolitik begründet, die auf zwei Säulen fußt: Deutschland ist unter den veränderten Bedingungen der Welt bereit, internationale Verantwortung zu überneh¬men und sich nicht wegzuducken. Aber Deutschland entscheidet selbst, was es mitmacht und was nicht. Des¬halb lassen wir die historisch richtige Entscheidung, Nein zu sagen zum Irakkrieg, von Ihnen nicht im Nach¬hinein diskreditieren, auch nicht in diesem Hause.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die große Koalition hatte einen guten Start; das ist der Tenor der meisten Medien. Das ist auch notwendig, weil in der Bevölkerung sehr hohe Erwartungen an die große Koalition bestehen. In meinem Wahlkreis sagen viele: Wenn ihr schon koalieren müsst, weil das Wahler¬gebnis entsprechend ist, dann müsst ihr auch Großes hin-bekommen. – Die beiden großen Volksparteien sind auch in der Lage, große Dinge in diesem Land zu bewe¬gen, weil die Möglichkeit besteht, die institutionalisier¬ten Blockaden von Bundesrat und Bundestag vier Jahre hinter sich zu lassen.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abwarten!)

Bezogen auf die Wende in der Finanzpolitik, von der so oft die Rede ist, möchte ich eines sagen:

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der Finanz-minister hat sie eingeleitet!)

Wir haben sie uns schon früher gewünscht, im Interesse von Bund, Ländern und Kommunen. – Darauf hat Peer Steinbrück hingewiesen. – Wir hätten es auch geschafft, wenn wir früher mit dem Abbau von Steuersubventio¬nen begonnen hätten. Wir haben dies jetzt gemeinsam eingeleitet und ich finde, darauf können wir stolz sein. Wir haben bei den Steuersubventionen angesetzt und beispielsweise die Eigenheimzulage abgeschafft, damit der Staat handlungsfähig bleibt. Das ist eine der Leistun¬gen der großen Koalition in den ersten 100 Tagen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen einen Erfolg der großen Koalition. Wir wissen aber, dass nicht die ersten 100 Tage, sondern die nächsten 1 000 Tage über den Erfolg der Koalition für unser Land entscheiden. Deshalb wollen wir Sozialde¬mokraten verantwortungsbewusst und durchaus selbst¬bewusst in dieser Koalition weiterarbeiten. Wir haben große Aufgaben vor uns. Wir haben mit der Umsetzung der Genshagener-Beschlüsse begonnen und Impulse für Wachstum und Beschäftigung gesetzt. So haben wir ein Gebäudesanierungsprogramm aufgelegt, das ein Vielfa¬ches an privaten Investitionen auslösen wird. 30 Prozent der Wärmekosten könnten in Deutschland eingespart werden, wenn die Häuser vernünftig isoliert werden. Wir wollen mit diesem Programm ein Zeichen setzen. Wir investieren auch mehr in Bildung, Forschung und Wis¬senschaft. Wir investieren mehr in die Familien. Das ist konkrete Politik zur Zukunftssicherung und das wurde von der Koalition auch mit sozialdemokratischer Hand¬schrift verwirklicht.

(Beifall bei der SPD)

Wir konnten uns in den Koalitionsverhandlungen nicht in jedem Punkt durchsetzen; aber das ist das Wesen einer Koalition. Wir fühlen uns aber mit vielen Vereinba¬rungen durchaus wohl. Wir sagen, was mit uns geht und was mit uns nicht geht. Die SPD wird in den nächsten Wochen und Monaten, in den nächsten Jahren in dieser Koalition Motor der Erneuerung sein, weil unser Land Erneuerung braucht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der eingeschlagene Kurs muss konsequent fortgesetzt werden. Es geht darum, in diesem Land die Zukunft zu sichern. Deshalb müssen wir auf Erneuerung setzen. Wir brauchen aber auch soziale Gerechtigkeit.
Wir sollten uns einmal damit auseinander setzen, dass wir in diesem wunderbaren Deutschen Bundestag zwei exaltierte Positionen haben: auf der einen Seite die FDP, auf der anderen Seite die PDS. Ich finde, wir müssen einmal darüber reden, was Sie gemeinsam haben. Sie be¬treiben ein gemeinsames Spiel. Sie spielen wechselseitig wirtschaftliche Dynamik gegen soziale Gerechtigkeit aus. Die einen machen das, indem sie sagen: „Der Markt ist das Problem der Menschen“. Sie meinen, der Natio-nalstaat könne alle Probleme dieses Landes lösen, man müsse nur die Einnahmen ordentlich erhöhen, die Instru¬mente stünden zur Verfügung.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist Ihrer Denkweise ähnlich! Das ist nicht so weit ent¬fernt! Wer hat denn von den „Heuschrecken“ gesprochen?)

All das, was sich verändert hat, wird als große Ver-schwörung des internationalen Finanzkapitals darge-stellt.
Wir haben Probleme mit dem ungeregelten internatio¬nalen Kapitalverkehr, das ist keine Frage. Wir haben aber auch hausgemachte Probleme in diesem Land, die wir selbst lösen müssen. Es gibt Probleme in diesem Land, die Sie nicht lösen wollen, weil Sie die Verände¬rungen der Zeit nicht begriffen haben und weil Sie im¬mer noch glauben, dass die Mauer steht und der Natio¬nalstaat alles allein lösen kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist die eine Seite des Hauses. Sie erklären den Staat zum Löser aller Probleme und den Markt für das Problem der Menschen.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Jetzt sind wir dran!)

– Genau, jetzt sind Sie dran.
Die FDP erklärt den Menschen, der Staat sei ihr grö߬tes Problem. Man müsste die Menschen nur vom Staat befreien, weil der Markt alle Probleme lösen kann, und zwar nach dem alten Motto: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So holz-schnittartig hat nicht einmal Riemenschneider gearbeitet!)

Das ist das wechselseitige Spiel dieser beiden Fraktionen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Jeder macht sich sein Bild, auf das er einschlägt!)

– Schreien Sie nicht so herum!
Wir als Sozialdemokraten wissen, dass wirtschaftli¬che Dynamik und soziale Gerechtigkeit sich wechselsei¬tig bedingen. Die modernen Volkswirtschaften in Europa, die es zum Teil besser als wir hinbekommen ha¬ben, beweisen, dass eine Volkswirtschaft wie die unsrige es sich nicht leisten kann, Menschen massiv von der Teilhabe an Bildungschancen auszugrenzen. Das ist die harte Aufgabe, die wir bewältigen müssen.
Dass die soziale Herkunft in Deutschland stärker über Bildungs- und Überlebenschancen entscheidet als in an¬deren Ländern Europas, ist nicht nur verdammt unge¬recht, wir können es uns in Zukunft auch wirtschaftlich nicht leisten, auch nur ein Kind in unserer Gesellschaft zurück zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Aber wir wissen auch, dass soziale Gerechtigkeit nur dann zu verwirklichen ist, wenn wir eine dynamische Wirtschaft haben. Wir wissen auch, dass sich die Dinge verändert haben. Wir haben eine Globalisierung und Europäisierung der Wirtschaft. Der technische Fort¬schritt hat unsere Arbeitswelt verändert. Die demografi¬sche Entwicklung können wir nicht wegdiskutieren. Die¬sen neuen Herausforderungen müssen wir uns stellen. Diese Koalition tut das auch.
Wir müssen das beispielsweise auch auf dem Feld der Gesundheitspolitik tun. Darüber wird in den nächsten Tagen viel zu reden sein. Ich finde es gut, dass wir uns miteinander vorgenommen haben, zu einer Lösung zu kommen. Gesundheit ist schließlich das Kernverspre¬chen unseres Sozialstaates. Das Kernversprechen unse¬res Staates heißt: Wenn du krank wirst, wird dir medizi-nisch geholfen und du musst nicht arm werden. Das ist keine Banalität angesichts der Situation in anderen Län¬dern. Es gilt, dieses Versprechen zu halten und zu er¬neuern.

(Beifall bei der SPD)

Im Gesundheitswesen müssen eine Reihe von Dingen angepackt werden, beispielsweise die Ausgabenseite. Nach wie vor mobilisieren wir alle Kräfte für das Ge¬sundheitswesen, aber wir erzielen damit nicht immer das beste Ergebnis. Wir müssen zunächst einmal darauf ach¬ten, dass mit dem Geld der Beitragszahler vernünftig umgegangen wird. Es ist immer noch so, dass das Geld im Gesundheitswesen an manchen Stellen mit vollen Händen ausgegeben wird, während es an anderen Stellen bereits fehlt, beispielsweise bei der Versorgung chro¬nisch Kranker. Deshalb ist unsere erste Aufgabe, die Strukturen auf der Ausgabeseite zu verändern. Das geht nur, wenn wir das gemeinsam angehen und ein breites Kreuz gegenüber den Lobbyisten, die hier in Berlin ver-suchen, ihre individuellen Interessen auf dem Rücken der Versicherten durchzusetzen, haben. Wir wollen und werden diese Aufgabe gemeinsam schultern. Dabei las¬sen wir uns auch nicht von Lobbyistenprotesten umbla¬sen. Wir wollen, dass mit dem Geld der Krankenversi¬cherten im Interesse der Menschen besser umgegangen wird.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen jetzt die Strukturen verändern. In den letzten 30 Jahren haben wir uns bemüht, die Kosten zu begrenzen. Wir brauchen aber langfristig eine breite Grundlage für unser Gesundheitswesen. Das liegt an der demografischen Entwicklung, an der guten Tatsache, dass wir länger leben, und an der schlechten Tatsache, dass immer weniger Menschen Beiträge an die Kranken¬versicherungen leisten. Das liegt darüber hinaus an der Tatsache, dass wir zwar einen großartigen medizinischen Fortschritt haben, der jedoch unglaublich teuer ist.
Wenn wir als Abgeordnete nicht in wenigen Jahren den Menschen in unseren Wahlkreisen sagen wollen: „Es gibt jetzt ein ganz modernes Instrument und Medi¬kament gegen deine lebensbedrohliche Krankheit, wir können es dir aber nicht geben, weil kein Geld dafür da ist“, dann müssen wir miteinander die Anstrengung un¬ternehmen, eine breite finanzielle Grundlage für unser Gesundheitswesen zu schaffen. Die SPD ist zu den dafür notwendigen Dingen bereit.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden intensive Verhandlungen führen. Diesen Bereich konnten wir im Koalitionsvertrag zugegebener¬maßen nicht hinreichend klären, weil es Zeit braucht, um eine solide und vernünftige Lösung zu finden – Frau Bundeskanzlerin, die wollen wir –, die etwas länger als zwei oder drei Jahre trägt. Es geht nämlich darum, in diesem Bereich in Zeiten des Wandels Sicherheit zu schaffen. Die Menschen in Deutschland müssen sich auf das Gesundheitswesen verlassen können.
Das ist wichtig, um Vertrauen zu schaffen. Vertrauen ist inzwischen auch eine ökonomische Größe. Wer kein Vertrauen in diese Gesellschaft und in seine persönliche Zukunft hat, der ist so verunsichert, dass er sich bei¬spielsweise beim Konsum zurückhält. „Was kommt noch?“, ist eine oft gestellte Frage. Im Gesundheitswe¬sen müssen wir das Prinzip des Miteinanders einhalten. Die deutschen Sozialdemokraten sind dazu bereit.
Dieses Land bietet alle Entwicklungschancen. Ich finde, dass wir trotz all der Probleme, die wir haben, auch darüber reden sollten, welche Stärken dieses Land hat. Woran können wir anknüpfen? Trotz mancher Pro¬bleme im Bildungsbereich ist die Qualifikation von Ar¬beiternehmerinnen und Arbeitnehmern immer noch her¬vorragend. Wissenschaft und Forschung ist in vielen Bereichen immer noch hervorragend. Wir haben immer noch eine hervorragende Infrastruktur und wir haben – vergleichen Sie das mit aktuellen Ereignissen in ande¬ren Ländern – immer noch sozialen Frieden in Deutsch¬land. Das ist nicht nur für die Demokratie, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung wichtig. Wir haben relativ wenig Streiks und soziale Unruhen haben wir in Deutschland gar nicht. Diese vier Standortvorteile gilt es zu erhalten. Dafür muss man arbeiten. Es gilt der Satz von Willy Brandt:
Wer morgen sicher leben will, muss heute für Re¬formen kämpfen.
Das ist nach wie vor richtig.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen beispielsweise dafür sorgen, dass die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch unter veränderten Rahmenbedingungen zum Tra¬gen kommen. Deshalb war es richtig, dass wir darauf be¬standen haben, dass die Tarifautonomie in Deutschland gesichert wird. Wer in diesem Hause, wie zum Beispiel die FDP, den Gewerkschaften das Kreuz brechen will, wird auf den massiven Widerstand von Sozialdemokra¬ten treffen. Das gilt nach wie vor.

(Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das sind aber martialische Bilder!)

Wir wissen – Herr Westerwelle –, dass die meisten Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht im Gesetzblatt stehen, sondern in Tarifauseinan¬dersetzungen hart erstritten wurden. Wir wissen, dass es unter dem Dach des Flächentarifvertrages Flexibilität geben muss. Es gibt sie in Deutschland aber schon tau¬sendfach. Schauen Sie sich das einmal an!
In meinem Wahlkreis stellen sich die Betriebsräte vor die Belegschaft, wenn es schwierig wird, und scheuen sich nicht, ihren Kolleginnen und Kollegen schlechte Mitteilungen zu machen, wenn es darum geht, das Un¬ternehmen zu erhalten. Die in deutschen Unternehmen gemachten Fehler sind meist von Managern zu verant¬worten. Das muss man einmal deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD)

Die Gewerkschaften in Deutschland sind nicht das Pro¬blem. Kluge Unternehmer wissen, dass man Probleme gemeinsam mit Arbeitnehmervertretern lösen kann. Das gelingt in vielen Bereichen, ohne dass darüber groß be¬richtet wird.
Insofern betone ich: Es bleibt bei der Tarifautonomie, es bleibt auch bei der Mitbestimmung. Mitbestimmung ist ein wichtiges Thema bei den Betriebsratswahlen, die in diesen Tagen stattfinden: In Deutschland muss es eine Garantie für die Teilhabe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Haben und am Sagen geben.
Es bleibt auch beim geordneten Ausstieg aus der Atomenergie.

(Beifall bei der SPD)

Das ist ganz wichtig. Machen wir uns nichts vor. Herr Glos, wir müssen damit leben, dass es in der Koalition zu diesem Thema unterschiedliche Auffassungen gibt. Das ist nicht schlimm. Ich betone nur, warum wir der Meinung sind, dass wir diese rückwärts gewandte De¬batte jetzt hinter uns lassen sollten, und warum wir uns um andere Bereiche der Energiepolitik zu kümmern ha¬ben: Energiepolitik ist eine zentrale Frage der wirtschaft-lichen Zukunft dieses Landes, ist eine Frage, die etwas mit der Zukunft der Menschheit im Bereich Klima und Umweltschutz zu tun hat, und ist im Übrigen – das hat Frank-Walter Steinmeier auf der Münchener Sicherheits¬konferenz deutlich gemacht – eine zentrale Frage der Außen- und Sicherheitspolitik geworden.
In den nächsten 20 bis 30 Jahren, am Ende des Erdöl¬zeitalters, werden wir nationale Konflikte um Ressour¬cen erleben. Es gibt sie schon heute. Deshalb war es richtig, zu fordern, dass Deutschland eine Vorreiterrolle übernimmt – Rot-Grün hat damit angefangen –, die auf drei Prinzipien basiert: erstens auf Versorgungssicher¬heit, zweitens auf erneuerbaren Energien und drittens auf Energieeffizienz.
Wir wollen in dieser Koalition miteinander nach Lö-sungen suchen, um in Deutschland neue Investitionen in moderne Kraftwerkstechnologien auszulösen. Neben dem notwendigen Wettbewerb auf den Strom- und Gas¬märkten, den wir wollen, müssen wir in Deutschland neue Investitionen in moderne Kraftwerkstechnik auslö¬sen. Dies ist das Bestreben der Sozialdemokraten.
Meine Auffassung ist – die müssen Sie nicht teilen –, dass verlängerte Restlaufzeiten für alte, abgeschriebene Atommeiler möglicherweise die Renditen für die großen Energieversorger erhöht hätten – das ist gar keine Frage; alte, abgeschriebene Meiler länger laufen zu lassen, das ist die Lizenz zum Gelddrucken –, aber Investitionen in moderne Kraftwerkstechnik wären damit auf die längere Bank geschoben worden. Deshalb lassen Sie uns beim geordneten Ausstieg bleiben. Das ist schon vernünftig; das ist gar keine Frage. Wir hatten in Deutschland 30 Jahre lang einen Konflikt zwischen Atomkraftbefür¬wortern und -gegnern. Wir haben es geschafft, diesen zu befrieden. Es gibt in Deutschland einen Vertrag zwi¬schen der Energiewirtschaft und der Politik. Auch da gilt: Pacta sunt servanda, Verträge sind einzuhalten. Wir bleiben dabei.

(Beifall bei der SPD)

Aber in der Energiepolitik gibt es eine Fülle von an¬deren Dingen, die wir trotz des Meinungsunterschiedes in dieser Frage miteinander bewegen können. Ich glaube, dass es notwendig ist, Energieeffizienz wirklich zu einem Exportschlager werden zu lassen. Bei dem Energiehunger, den Länder wie China und Indien haben, ist es so, dass wir einen Beitrag zur Sicherung von Ar¬beitsplätzen in Deutschland leisten können, wenn wir unsere Technologien hier entwickeln und exportieren. Gleichzeitig können wir einen Beitrag leisten, um Ener¬giekrisen in der Welt zu entschärfen. Wir brauchen des¬halb in Deutschland einen intelligenten Energiemix, der nicht darauf verzichtet, auch Kohle als eine Brücke in eine energiepolitische Zukunft zu begreifen, aber dabei auf höhere Wirkungsgrade setzt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage ganz deutlich. Es gibt in China Kohlekraft-werke, die grottenschlechte Wirkungsgrade haben. Wir in Deutschland haben in diesem Bereich Fortschritte er¬zielt. Wir müssen die Möglichkeit ergreifen, diese zu ex¬portieren. Wir haben die Notwendigkeit, erneuerbare Energien in diesem Land weiter auszubauen, damit wir auch diese Technologie exportieren können. Auch das sichert Arbeitsplätze und hilft, Krisen in der Welt zu ver-meiden.

(Beifall bei der SPD)

Diese große Koalition ist keine Liebesheirat – das ha¬ben wir hin und wieder betont –, sondern sie ist eine Le¬bensabschnittsgemeinschaft.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist Ihnen aufgefallen?)

Aber sie ist ein Bündnis, das mehr bringen kann, als viele vorher erwartet haben. Wir, Herr Kauder, haben im letzten Jahr im Wahlkampf gegeneinander gestanden und wir haben uns, wenn ich mich recht erinnere, nicht geschont. Richtig ist auch, dass das Wahlergebnis keine andere verantwortbare Mehrheit für dieses Land mit sich gebracht hat. Ich sage aber auch aus Überzeugung, dass es mir nicht nur darum geht, eine große Koalition zu ha¬ben, weil es nicht anders ging. Wir wollen die Chancen dieser großen Koalition durchaus gemeinsam begreifen. Ich habe es vorhin schon gesagt: Wir können miteinan¬der Großes bewegen. Wir können die Blockaden zwi-schen Bundesrat und Bundestag hinter uns lassen. Wer, wie viele der Kollegen hier im Haus, einmal in Arbeits¬gruppen des Vermittlungsausschusses gearbeitet hat, der kann mit Fug und Recht sagen: Dagegen ist ein orientali¬scher Bazar hin und wieder eine hochseriöse Veranstal¬tung.
Insofern sollten wir die Verantwortung in Deutsch-land klar strukturieren. Es ist nicht nur eine Frage der Qualität und der Blockaden. Es ist auch eine Frage des Vertrauens der Menschen in Politik. Wenn Menschen nicht mehr klar zuordnen können, wer was auf welcher Ebene zu verantworten hat, dann schafft das Verdruss. Es ist wichtig, klar zu machen, dass der Bund, der Deut¬sche Bundestag mehr für sich alleine entscheiden kann und dass die Länderparlamente mehr für sich allein ent¬scheiden können. Deshalb wollen wir die Föderalis-musreform. Dass man in den nächsten Tagen über das eine oder andere reden können muss, das ist unbescha¬det.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber ich bekunde: Wir wollen diese Staatsreform für Deutschland, damit die Verantwortlichkeiten der Ebenen klarer getrennt sind und damit die Menschen den Politi¬kern Verantwortlichkeiten klarer zuordnen können.

(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Vereinzelt Beifall!)

– Ja, jetzt könnt ihr auch einmal klatschen, oder?

(Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/ CSU])

Ich möchte zum Schluss sagen: Wir wollen Motor der Erneuerung in Deutschland sein. Diese Koalition ist gut gestartet. Die nächsten tausend Tage werden nicht ein¬fach. Wir wollen in diesem Jahr beispielsweise mit der Reform des Gesundheitswesens nachvollziehbare Zu-kunftssicherheit schaffen. Ich bin mir sicher, dass Ge¬sundheit bzw. das Krankheitsrisiko in diesem Land nur solidarisch abzusichern ist, dass man dazu auch die Schultern heranziehen muss, die breiter sind. Wir haben die Situation, dass 10 Prozent der Menschen in Deutsch¬land privat krankenversichert und 90 Prozent gesetzlich krankenversichert sind. Aber die 10 Prozent haben 30 Prozent des Einkommens. Daher werden wir über ei¬nen Ausgleich in diesem Bereich zumindest reden müs-sen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Situation, dass immer mehr Menschen in unserem Land gar nicht mehr krankenversichert sind, muss uns auch beschäftigen. Diese Aufgabe haben wir uns im Ko¬alitionsvertrag gestellt. Es kann nicht sein, dass immer mehr Menschen ohne Krankenversicherung sind. Wenn sie dann krank werden, fallen sie ins Bergfreie oder den Kommunen vor die Tür. Deshalb müssen wir darüber re¬den, was wir tun können. Wer als Abgeordneter Bürger-sprechstunden durchführt, der weiß, wovon ich rede. Das betrifft unter anderem kleine selbstständige Unter¬nehmer, die gescheitert sind und nicht mehr in die ge¬setzliche Krankenversicherung zurückkehren können. Wir müssen diesen Menschen helfen und dürfen sie nicht im Regen stehen lassen. Das sind die Aufgaben, die vor uns liegen.

(Beifall bei der SPD)

Auch in der Familienpolitik haben wir viel zu schul¬tern. Keine Angst: Die Produktionsmittel bleiben in Pri¬vatbesitz. Aber wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir ein familien- und kinderfreundliches Land werden. Hier geht es um die zentralen Investitionen in die Zu¬kunft dieses Landes. Bildung, Wissenschaft, Forschung und Familienpolitik sind die Zukunftsfelder, die uns in Deutschland langfristig voranbringen. Das wird die SPD in der großen Koalition deutlich machen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen und werden in der Außenpolitik Kurs halten. Wir lassen uns nicht beirren von Leuten, die in der Außenpolitik – das sage ich an die Adresse der PDS – nichts anderes predigen als organisierte Verantwortungslosigkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der LINKEN)

Ein gestörtes Verhältnis zur Realität hat aber auch die FDP. Die FDP verkündet: Mit der Realität muss man sich abfinden. – Ich kann mich an einen FDP-Politiker erinnern, der den grandiosen Satz gesagt hat, im Zeitalter der wirtschaftlichen Globalisierung könne Politik nicht mehr gestalten. Wer so etwas denkt, der sollte sich selbst als Politiker abschaffen. Natürlich müssen wir gestalten, allerdings mit anderen Instrumenten als bisher. Unsere Aufgabe besteht darin, die Entwicklung im Interesse der Menschen zu gestalten.
Die PDS geht einen anderen Weg.

(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Die Linkspartei, bitte!)

– Nein, Sie bleiben die PDS, die WASG oder wer auch immer Sie sind.

(Beifall bei der SPD)

Mit „links“ hat Ihre linkskonservative Art, Politik zu machen, nicht viel zu tun. „Links“ hat etwas mit Aufklä¬rung zu tun. „Links“ hat etwas mit Weltoffenheit zu tun. „Links“ hat etwas damit zu tun, den Menschen die Wahrheit zu sagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb sage ich: Die SPD bleibt die linke Volkspar¬tei in Deutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auf diese Weise werden wir unseren Beitrag zum Gelin¬gen der großen Koalition leisten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ein bisschen Beifall, Herr Kauder! Er ist doch jetzt auch Ihrer! – Dirk Niebel [FDP]: Genau! Das war doch eine ordentliche Leis¬tung! Da können Sie doch wohl mal klat¬schen!)